Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.04.2011, Az. III ZB 84/10

3. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 7303

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Rechtsmittelzuständigkeit des Oberlandesgerichts bei Auslandsbezug: Rechtsfortbildung nach Gesetzesänderung für Fälle der wirksamen Vereinbarung der Anwendung deutschen Rechts


Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Klägerin gegen den Beschluss der 8. Zivilkammer des [X.] vom 3. März 2010 - 2-08 S 25/09 - wird als unzulässig verworfen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen.

[X.]: 2.990,94 €

Gründe

I.

1

Die Klägerin nimmt das beklagte Kreditkartenunternehmen, dessen satzungsmäßiger Sitz im [X.] ist und das in [X.] eine Zweigniederlassung unterhält, auf Erstattung von Kosten für die Stornierung einer gebuchten Reise in Anspruch.

2

Das Amtsgericht hat die Klage mit Urteil vom 23. Juni 2009 abgewiesen. Die Klägerin hat gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 26. Juni 2009 zugestellte Urteil am 27. Juli 2009, einem Montag, Berufung beim [X.] eingelegt und ihr Rechtsmittel innerhalb bewilligter Fristverlängerung am 9. September 2009 begründet.

3

Nach vorangegangenem Hinweis hat das [X.] die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen, weil nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. [X.] in der bis zum 31. August 2009 geltenden Fassung das [X.] für die Verhandlung und Entscheidung über das Rechtsmittel zuständig gewesen wäre. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.

II.

4

Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist nicht zulässig, weil weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

5

1. Nach § 40 [X.] findet § 119 GVG in der bis zum 31. August 2009 geltenden Fassung (im Folgenden: a.F.) auf Berufungsverfahren unter anderem dann Anwendung, wenn die anzufechtende Entscheidung vor dem 1. September 2009 erlassen wurde und Ansprüche betrifft, die gegen eine [X.] erhoben worden sind, die ihren allgemeinen Gerichtsstand im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit in erster Instanz außerhalb des Geltungsbereichs des Gerichtsverfassungsgesetzes hatte.

6

Wie die Rechtsbeschwerde nicht in Zweifel zieht, sind die Voraussetzungen jener Vorschrift erfüllt, weil die Beklagte ihren allgemeinen Gerichtsstand gemäß Art. 2 Abs. 1, Art. 60 Abs. 1 EuGVVO im [X.] hatte und das anzufechtende Urteil am 23. Juni 2009 verkündet wurde. Für eine solche Fallkonstellation sieht § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. [X.] a.F. vor, dass die [X.]e für die Verhandlung und Entscheidung über die Rechtsmittel der Berufung und Beschwerde gegen Entscheidungen der Amtsgerichte zuständig sind.

7

2. Die Rechtsbeschwerde, die dies ausgehend vom Wortlaut des § 119 Abs. 1 Nr. 1 GVG a.F. nicht anders sieht, meint indes, der Zweck dieser Norm sei dahin gegangen, aus Gründen der Rechtssicherheit und zur Eindämmung von Divergenzen unter den Berufungsgerichten die [X.]e dann zur Entscheidung zu berufen, wenn entweder (Buchst. c) ausländisches Recht angewendet wurde oder (Buchst. b) die Anwendung ausländischen Rechts mit Rücksicht auf den allgemeinen Gerichtsstand einer [X.] in Betracht komme. Sie hält daher - im Wege einer Fortbildung des Rechts - eine teleologische Reduktion der Bestimmung für geboten, wonach die Regelzuständigkeit des [X.]s angezeigt ist, wenn bei einem Streit über vertragliche Ansprüche die Vertragsparteien - wie hier - die Anwendbarkeit des [X.] Rechts wirksam vereinbart hätten.

8

Dem kann nicht gefolgt werden.

9

a) Wie der [X.] entschieden hat, ist die Anknüpfung der Rechtsmittelzuständigkeit des [X.]s daran, dass eine [X.] bei Klageerhebung keinen allgemeinen Gerichtsstand im Inland hat, formal zu verstehen. Sie greift daher auch dann ein, wenn sich im Einzelfall keine besonderen Fragen des internationalen Privatrechts stellen (vgl. Beschlüsse vom 19. Februar 2003 - [X.], NJW 2003, 1672, 1673; vom 19. Juni 2007 - [X.], NJW-RR 2007, 1436 Rn. 6). Eine andere Betrachtung trüge in die Beurteilung, welches Gericht für ein Rechtsmittel zuständig wäre, Unsicherheiten hinein, die mit dem Gebot der [X.] nicht zu vereinbaren wären. Denn sie hinge von der Beantwortung materiell-rechtlicher Vorfragen ab.

b) Insoweit unterscheidet sich die hier zu beurteilende Konstellation von Fällen, in denen der [X.] die besondere Rechtsmittelzuständigkeit des § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. [X.] a.F. verneint hat, weil trotz des allgemeinen Gerichtsstands einer [X.] im Ausland ausschließlich [X.] Recht anzuwenden ist. Dies gilt etwa für Entscheidungen der Vollstreckungsgerichte in Zwangsversteigerungsverfahren (Beschluss vom 19. März 2004 - [X.], [X.]. 2004 Nr. 184 [X.], 425), in allgemeinen Zwangsvollstreckungsverfahren (Beschluss vom 25. Oktober 2006 - [X.], [X.], 487, 488) und in insolvenzrechtlichen Beschwerdeverfahren (Beschluss vom 23. Oktober 2008 - [X.], [X.], 95 Rn. 5), weil hier nach dem "lex fori"-Prinzip ausschließlich [X.] Recht anzuwenden ist und damit eine Rechtsunsicherheit, die die Anwendung des § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. [X.] a.F. hätte rechtfertigen können, nicht bestanden hat.

3. Die von der Rechtsbeschwerde befürwortete Rechtsfortbildung ist nicht deshalb gerechtfertigt, weil der Gesetzgeber die besondere Rechtsmittelzuständigkeit der [X.]e nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b und c [X.] im [X.] nicht mehr vorgesehen hat, weil sie sich nicht bewährt habe (vgl. BT-Drucks. 16/6308 S. 320). Es besteht kein Anlass und es wird von der Rechtsbeschwerde auch kein praktisches Bedürfnis aufgezeigt, das durch die Neuregelung auslaufende alte Recht in der von der Rechtsbeschwerde für richtig gehaltenen Weise weiter zu komplizieren.

Schlick                                Dörr                              Wöstmann

                    Hucke                              [X.]

Meta

III ZB 84/10

21.04.2011

Bundesgerichtshof 3. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Frankfurt, 3. März 2010, Az: 2-8 S 25/09, Beschluss

§ 119 Abs 1 Nr 1 Buchst b GVG, § 119 Abs 1 Nr 1 Buchst c GVG, Art 2 Abs 1 EGV 44/2001, Art 60 Abs 1 EGV 44/2001, § 40 GVGEG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.04.2011, Az. III ZB 84/10 (REWIS RS 2011, 7303)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 7303

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Referenzen
Wird zitiert von

III ZB 84/10

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.