Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 16.07.2014, Az. 10 AZR 242/13

10. Senat | REWIS RS 2014, 4007

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Gegenstand

Arbeitszeitkonto - Tarifvertrag - Entgeltfortzahlung


Tenor

1. Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 10. Dezember 2012 - 10 [X.]/12 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über eine Gutschrift auf dem Arbeitszeitkonto des Klägers für [X.]en seiner [X.]keit.

2

Der Kläger ist als Mechaniker bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der [X.] für die Süßwarenindustrie vom 14. Mai 2007 ([X.]) kraft beiderseitiger Tarifbindung Anwendung. Dieser bestimmt ua.:

        

§ 3   

        

Arbeitszeit

        

1.    

Die tarifliche wöchentliche Arbeitszeit beträgt ausschließlich der Pausen 38 Stunden an in der Regel 5 Werktagen in der Woche.

        

2.    

Zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber werden in Betriebsvereinbarungen die regelmäßigen wöchentlichen betrieblichen Arbeitszeiten festgelegt. Dabei kann eine betriebliche Arbeitszeit von bis zu 48 Stunden in der Woche ohne Mehrarbeitszuschläge vereinbart werden. Näheres dazu regeln die Ziff. 3 bis 11.

        

3.    

a)    

Wird von der tariflichen wöchentlichen Arbeitszeit von 38 Stunden abgewichen, so ist die sich daraus ergebende [X.]differenz einem für jeden Arbeitnehmer zu führenden Arbeitszeitkonto zu belasten bzw. mehrarbeitszuschlagsfrei, aber zuzüglich des [X.] gemäß § 3 Ziff. 4 gutzuschreiben.

                 

b)    

Minusstunden/[X.] sind auf 114 Stunden begrenzt.

                 

c)    

Beim Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Betrieb verfallen [X.] zu Lasten des Arbeitgebers, soweit die Entstehung dieser [X.] nicht durch den Arbeitnehmer verursacht wurde und ein nicht erfolgter [X.]ausgleich nicht vom Arbeitnehmer zu vertreten ist.

        

4.    

…       

[[X.]]

        

5.    

Arbeitszeitguthaben, die sich aus der Differenz zwischen der tariflichen und der betrieblich vereinbarten Arbeitszeit ergeben, entstehen an Tagen mit tatsächlicher Arbeitsleistung, d. h. nicht bei Urlaub, Krankheit und sonstigen arbeitsfreien Tagen mit oder ohne Entgeltfortzahlung.

        

…       

        
        

10.     

Unabhängig von der jeweiligen betrieblichen Wochenarbeitszeit wird in jedem Monat das tarifliche bzw. einzelvertraglich vereinbarte Monatsentgelt gleichbleibend gezahlt.“

3

§ 10 Ziff. 1 [X.] regelt darüber hinaus, dass bei [X.]keit infolge Krankheit die Bestimmungen des Entgeltfortzahlungsgesetzes gelten.

4

Im Betrieb findet eine Betriebsvereinbarung über die Variable Arbeitszeit Anwendung. Auf dieser Grundlage war der Kläger in der [X.] vom 23. Mai bis zum 28. Mai 2011 dienstplanmäßig für 45,6 Stunden zur Arbeit eingeteilt. Vom 26. Mai bis zum 29. Mai 2011 war er arbeitsunfähig erkrankt. Für den 28. Mai 2011, einem Samstag, an dem der Kläger 7,6 Stunden hätte arbeiten sollen, schrieb die Beklagte seinem Arbeitszeitkonto keine Arbeitszeit gut.

5

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er habe Anspruch auf eine Gutschrift auch derjenigen geplanten Arbeitszeit, die die tarifliche Arbeitszeit übersteigt. Nach dem Entgeltausfallprinzip seien die Arbeitnehmer im Krankheitsfall so zu stellen, als hätten sie gearbeitet. § 3 Ziff. 5 [X.] überschreite den Regelungsrahmen des § 4 Abs. 4 EFZG, da ganze [X.]räume und nicht nur die Berechnungsgrundlage der Entgeltfortzahlung abweichend vom Gesetz geregelt würden. Die Norm verstoße auch gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. [X.] erkrankte Arbeitnehmer, die zu einer von der tariflichen Regelarbeitszeit abweichenden Arbeitszeit eingeteilt wurden, würden gegenüber solchen, die diese Arbeitszeit tatsächlich erbrachten, ohne sachlichen Grund ungleichbehandelt.

6

Der Kläger hat beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, ihm für den 28. Mai 2011 7,6 Stunden auf seinem Arbeitszeitkonto gutzuschreiben.

7

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Tarifnorm sei wirksam.

8

Arbeitsgericht und [X.] haben die Klage abgewiesen. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision ist unbegründet. Das [X.] hat die Berufung des [X.] gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts zu Recht zurückgewiesen.

I. Die Klage ist zulässig, insbesondere ist der Antrag nach der gebotenen Auslegung hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Zwischen den Parteien besteht keine Unklarheit, wie die Gutschrift erfolgen soll (vgl. zu dieser Anforderung: [X.] 21. März 2012 - 5 [X.] - Rn. 16 mwN, [X.]E 141, 88).

II. Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Gutschrift von 7,6 Stunden auf seinem Arbeitszeitkonto für den 28. Mai 2011.

1. Aus § 3 Ziff. 3 Buchst. a [X.] ergibt sich ein solcher Anspruch nicht.

a) Zwar galt im streitgegenständlichen Zeitraum betrieblich eine längere als die tarifliche wöchentliche Arbeitszeit von 38 Stunden. Einer Gutschrift der begehrten 7,6 Stunden steht jedoch § 3 Ziff. 5 [X.] entgegen. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Norm und der Systematik der tariflichen Regelung kann ein Zeitguthaben aus der Differenz zwischen der tariflichen und einer höheren betrieblichen Arbeitszeit nur an Tagen mit tatsächlicher Arbeitsleistung entstehen, nicht hingegen bei Krankheit oder anderen arbeitsfreien Tagen. An dem Tag, für den der Kläger die Zeitgutschrift begehrt, war er arbeitsunfähig erkrankt.

b) Für die vom Kläger in den Vorinstanzen vertretene Auffassung, § 3 Ziff. 5 [X.] erfasse nur Fälle, in denen eine Überschreitung der täglichen Arbeitszeit vorliege, gibt es im Tarifvertrag keine Anhaltspunkte. Entgegen der Auffassung der Revision folgt auch aus § 10 [X.], nach dessen Ziff. 1 bei Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit die Bestimmungen des Entgeltfortzahlungsgesetzes gelten, kein anderes Ergebnis, da nach § 4 Abs. 4 [X.] durch Tarifvertrag eine von den Absätzen 1, 1a und 3 des § 4 [X.] abweichende Bemessungsgrundlage festgelegt werden kann. Von dieser Möglichkeit haben die Tarifvertragsparteien in § 3 Ziff. 5 [X.] Gebrauch gemacht.

2. § 3 Ziff. 5 [X.] hält sich im Rahmen der gesetzlichen Öffnungsklausel des § 4 Abs. 4 [X.].

a) Gemäß § 4 Abs. 1 [X.] ist dem Arbeitnehmer für den in § 3 Abs. 1 [X.] bezeichneten Zeitraum das ihm bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit zustehende Arbeitsentgelt fortzuzahlen. Der Entgeltfortzahlung liegt damit ein modifiziertes Lohnausfallprinzip zugrunde. Für die Entgeltfortzahlung ist maßgeblich, welche Arbeitszeit aufgrund der Arbeitsunfähigkeit ausgefallen ist ([X.] 24. März 2004 - 5 [X.] - zu II 1 a der Gründe, [X.]E 110, 90). Da Gutschriften auf einem Arbeitszeitkonto nur eine andere Form von Entgelt sind, das lediglich nicht (sofort) ausgezahlt, sondern verrechnet wird, sind im Krankheitsfall grundsätzlich auch Zeitgutschriften zu gewähren, unabhängig davon, ob das Arbeitsentgelt verstetigt ausgezahlt wird ([X.] 28. Januar 2004 - 5 [X.] - zu II 3 der Gründe; 13. Februar 2002 - 5 [X.], [X.]E 100, 256).

b) Durch Tarifvertrag kann allerdings nach § 4 Abs. 4 Satz 1 [X.] eine von den Absätzen 1, 1a und 3 des § 4 [X.] abweichende Bemessungsgrundlage des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts festgelegt werden. „Bemessungsgrundlage“ im Sinne dieser Vorschrift ist die Grundlage für die Bestimmung der Höhe der Entgeltfortzahlung. Hierzu gehören sowohl die Berechnungsmethode (Ausfall- oder Referenzprinzip) als auch die Berechnungsgrundlage. Die Berechnungsgrundlage setzt sich aus Geld- und Zeitfaktor zusammen. Sie betrifft Umfang und Bestandteile des der Entgeltfortzahlung zugrunde zu legenden Arbeitsentgelts sowie die Arbeitszeit des Arbeitnehmers ([X.] 18. November 2009 - 5 [X.] - Rn. 16; 24. März 2004 - 5 [X.] - zu II 3 der Gründe mwN, [X.]E 110, 90; vgl. auch [X.]. 12/5798 S. 26). Arbeitszeit iSd. § 4 Abs. 4 [X.] meint dabei diejenige Arbeitszeit, für die der Arbeitnehmer in dem Zeitraum nach § 3 Abs. 1 [X.] Arbeitsentgelt bekommen hätte, wenn er nicht an der Arbeitsleistung verhindert gewesen wäre, sondern gearbeitet hätte ([X.] 26. September 2001 - 5 [X.], [X.]E 99, 112).

c) In diesem Rahmen sind Abweichungen auch zulasten des Arbeitnehmers zulässig. Bei der Gestaltung der Bemessungsgrundlage müssen die Tarifvertragsparteien aber darauf achten, dass sie weder unmittelbar noch mittelbar gegen die anderen, nach § 12 [X.] zwingenden und nicht tarifdispositiven Bestimmungen des [X.] verstoßen. Die Gestaltungsmacht der Tarifvertragsparteien findet dort ihre Grenze, wo der Anspruch auf Entgeltfortzahlung in seiner Substanz angetastet wird ([X.] 24. März 2004 - 5 [X.] - zu II 3 b der Gründe, [X.]E 110, 90). Insbesondere sind die Tarifvertragsparteien an den Grundsatz der vollen Entgeltfortzahlung (100 %) im Krankheitsfall gebunden ([X.] 24. März 2004 - 5 [X.] - aaO).

d) Hinsichtlich des [X.] erlaubt es § 4 Abs. 4 Satz 1 [X.] danach zwar nicht, die zu berücksichtigende Arbeitszeit lediglich anteilig in die Bemessung der Entgeltfortzahlung einfließen zu lassen. Für die Ermittlung der ausgefallenen Arbeitszeit muss aber nicht die individuelle Arbeitszeit maßgeblich sein, es kann vielmehr auch auf die [X.] oder die regelmäßig tarifliche Arbeitszeit abgestellt werden ([X.] 19. Januar 2010 - 9 [X.] - Rn. 57; 18. November 2009 - 5 [X.] - Rn. 16; 24. März 2004 - 5 [X.] - zu II 3 a bb der Gründe, [X.]E 110, 90).

e) Dies ist durch § 3 Ziff. 5 [X.] erfolgt. Diese Bestimmung bewirkt im konkreten Fall - verglichen mit der Lage nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz selbst - eine Reduzierung des [X.] um 7,6 Stunden, da sich der tarifliche Zeitfaktor für die Berechnung der Höhe des fortzuzahlenden Entgelts nach der tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit bemisst und nicht nach der individuellen Arbeitszeit des [X.] oder der in diesem Zeitraum vereinbarten betrieblichen Arbeitszeit. Diese Orientierung des [X.] an der tariflichen Arbeitszeit ist jedoch nach den obigen Grundsätzen zulässig; ein Eingriff in die Substanz des [X.] liegt nicht vor.

3. § 3 Nr. 5 [X.] verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Eine Bezugnahme auf die tarifliche Arbeitszeit ist sachlich begründet ([X.] 18. November 2009 - 5 [X.] - Rn. 18; 24. März 2004 - 5 [X.] - zu II 4 der Gründe, [X.]E 110, 90).

III. [X.] folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Linck    

        

    Brune    

        

    W. Reinfelder    

        

        

        

    Thiel    

        

    R. Bicknase    

                 

Meta

10 AZR 242/13

16.07.2014

Bundesarbeitsgericht 10. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Lüneburg, 26. Januar 2012, Az: 4 Ca 509/11, Urteil

§ 1 TVG, § 4 Abs 1 EntgFG, § 4 Abs 4 EntgFG, § 3 Abs 1 EntgFG, § 12 EntgFG, Art 3 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 16.07.2014, Az. 10 AZR 242/13 (REWIS RS 2014, 4007)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 4007

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

4 Sa 658/22

5 Sa 305/17

L 9 EG 29/17

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