Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22.12.2016, Az. IX ZR 259/15

9. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 205

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Gegenstand

Revisionszulassung: Geltendmachung des Zulassungsgrundes der unzureichenden Vertretung einer Partei durch die Gegenseite


Leitsatz

Der Zulassungsgrund des § 547 Nr. 4 ZPO kann nur von der unzureichend vertretenen Partei geltend gemacht werden (Ergänzung zu BGH, 15. Mai 2007, X ZR 20/05, BGHZ 172, 250).

Tenor

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 5. Zivilsenats des [X.] vom 15. Mai 2014 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Der Wert des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf 31.503,56 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Das [X.] hat die Beklagte verurteilt, an die Klägerin, eine juristische Person mit Sitz in [X.], 128.570 € nebst Zinsen zu zahlen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht das landgerichtliche Urteil - nachdem die Klage in Höhe von 117.917,81 € (Hauptforderung 100.000 €, Zinsen: 17.917,81 €) übereinstimmend für erledigt erklärt worden war - abgeändert und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 21.503,58 € nebst Zinsen zu zahlen. In Höhe von 7.066,42 € hat es die Klage abgewiesen. Weiter hat es die Widerklage der Beklagten über 100.000 € nebst Zinsen abgewiesen. Dabei hatte das Berufungsgericht am 23. April 2014 verhandelt und das Urteil erlassen, ohne zu wissen, dass über das Vermögen der Klägerin (fortan: Schuldnerin) schon am 26. August 2013 in [X.] das Insolvenzverfahren eröffnet worden war. Unter Hinweis auf den absoluten Revisionsgrund des § 547 Nr. 4 ZPO möchte die Beklagte die Zulassung der Revision und die Aufhebung des angefochtenen Urteils erreichen.

II.

2

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist statthaft (§ 544 Abs. 1 Satz 1 ZPO) und grundsätzlich zulässig (§ 544 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 ZPO). Ob sie sich gegen die richtige [X.] richtet, nämlich gegen die Insolvenzverwalterin an Stelle der Schuldnerin, kann der Senat dahinstehen lassen. Sie hat jedenfalls keinen Erfolg. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

3

1. Allerdings hätte wegen der Unterbrechung des Verfahrens (§ 240 ZPO; Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 15 Verordnung ([X.]) Nr. 1346/2000 des Rats vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren) infolge der am 26. August 2013 in [X.] erfolgten Insolvenzeröffnung am 23. April 2014 weder mündlich verhandelt noch am 15. Mai 2014 ein Urteil verkündet werden dürfen; auf eine Kenntnis des Gerichts vom [X.] kommt es nicht an. Obwohl die Prozesshandlungen der [X.]en unwirksam sind (§ 249 Abs. 2 ZPO), ist das Urteil nicht nichtig, sondern mit dem gegebenen Rechtsmittel anfechtbar. Das aufgrund einer nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des [X.] durchgeführten mündlichen Verhandlung erlassene Berufungsurteil ist zugunsten und zuungunsten einer [X.] ergangen, die nicht nach der Vorschrift des Gesetzes vertreten war; ein solcher Verfahrensfehler begründet den absoluten Revisionsgrund des § 547 Nr. 4 ZPO ([X.], Beschluss vom 15. Mai 2007 - [X.], [X.]Z 172, 250 Rn. 7 mwN).

4

Auch ist nach der Rechtsprechung des [X.] die Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO) geboten, wenn einer der absoluten Revisionsgründe des § 547 Nrn. 1 bis 4 ZPO mit der Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemacht wird und dieser tatsächlich vorliegt ([X.], aaO Rn. 8). Denn das Gesetz qualifiziert die absoluten Revisionsgründe als besonders schwerwiegende Verfahrensfehler. Das zeigt sich auch daran, dass die absoluten Revisionsgründe des § 547 Nr. 1 bis 4 ZPO mit den Nichtigkeitsgründen des § 579 Abs. 1 ZPO übereinstimmen, die eine Wiederaufnahme des Verfahrens und die Beseitigung eines rechtskräftigen Urteils rechtfertigen, weil es der Gesetzgeber für unzumutbar hält, von der unterlegenen [X.] zu verlangen, sich mit dem Urteil abzufinden ([X.], aaO Rn. 11). Das [X.] hat es als einen aus rechtsstaatlicher Sicht auf Dauer schwer hinzunehmenden Zustand bezeichnet, dass auch ein offenkundiger Verfahrensfehler oder ein absoluter Revisionsgrund nach § 72 aF ArbGG die Zulassung der Revision im arbeitsgerichtlichen Verfahren nicht rechtfertigt ([X.], NJW 2001, 2161, 2163). Deswegen hat der Gesetzgeber mit dem Anhörungsrügengesetz vom 9. Dezember 2004 ([X.] I S. 3220) § 72 Abs. 2 Nr. 3 ArbGG geändert und bestimmt, dass die Revision zuzulassen ist, wenn ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 547 Nrn. 1 bis 5 ZPO oder eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht wird und vorliegt. Nach der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung entspricht diese Regelung der Erweiterung der Zulassungsgründe, wie sie im Bereich der allgemeinen Zivilgerichtsbarkeit durch das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses vom 27. Juli 2001 ([X.] I, S. 1887) bereits eingeführt wurde ([X.]. 663/04, [X.]). Auch § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG und § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO kennen, worauf die amtliche Begründung weiter hinweist, einen entsprechenden - sogar noch weiter gefassten - Zulassungsgrund des [X.] ([X.], aaO Rn. 14).

5

2. Doch gebietet der absolute Revisionsgrund des § 547 Nr. 4 ZPO die Revisionszulassung nur, wenn der Beschwerdeführer in dem Berufungsverfahren nicht nach den Vorschriften vertreten war.

6

a) Für die Nichtigkeitsklage nach § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO gilt, dass sie nur von der [X.] erhoben werden kann, die in dem vorangegangenen Verfahren nicht nach den [X.] vertreten war ([X.], Urteil vom 20. September 1974 - [X.], [X.]Z 63, 78, 79; Beschluss vom 11. Mai 1988 - [X.], [X.], 1158, 1159; vom 17. Dezember 2015 - [X.] 37/15, Rn. 3; vgl. [X.] 1991, 747; [X.] 1993, 314, 315; [X.], [X.] 303 § 579 ZPO Nr. 1).

7

§ 72 Abs. 2 Nr. 3 ArbGG, wonach die Revision unter anderem dann zuzulassen ist, wenn ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 547 Nr. 4 ZPO geltend gemacht wird und vorliegt, wird so verstanden, dass dieser Zulassungsgrund nur von der [X.] geltend gemacht werden kann, um deren Vertretung es dabei geht ([X.], [X.], 1309 Rn. 10 f; [X.], [X.] 2011, 395, 396; [X.], Beschluss vom 22. Mai 2012 - 1 ABN 27/12, [X.] Rn. 31). So hat es der [X.] auch für § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO aF gesehen ([X.] 1991, 747; Beschluss vom 16. Januar 1991 - [X.], [X.]).

8

b) Für § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO in Verbindung mit § 547 Nr. 4 ZPO gilt nichts anderes. Eine [X.] kann sich nicht darauf berufen, dass die Gegenseite nicht ordnungsgemäß vertreten war.

9

§ 547 Nr. 4 ZPO bezweckt den Schutz desjenigen Beteiligten, der im Vorprozess nicht ordnungsgemäß vertreten war; ihm sollen aus dem Prozessablauf keine Nachteile entstehen, die er selbst nicht veranlasst hat. Dieser Zweck begrenzt den Anwendungsbereich der Vorschrift. Da für den Prozessgegner eine derartige Situation nicht besteht, ist er nicht in den Schutzbereich der Vorschrift einbezogen. Dies zeigt sich schon darin, dass der nicht ordnungsgemäß vertretene Beteiligte die Prozessführung genehmigen und dadurch auf die Geltendmachung des [X.] verzichten kann; dem Prozessgegner steht dieses Recht nicht zu. Wäre auch er befugt, den Mangel geltend zu machen, könnte der im Vorprozess nicht ordnungsgemäß vertretene Beteiligte dem Revisionsverfahren des Prozessgegners jederzeit die Grundlage entziehen, indem er die Prozessführung genehmigt ([X.] 1991, 747; [X.], [X.], 1309 Rn. 11; [X.], aaO S. 396). Dies gilt auch für das [X.]. Eine Beschwer durch eine mangelhafte Vertretung der Gegenseite ist auch dann ausgeschlossen, wenn und soweit die Gegenseite im Rechtsstreit erfolgreich geblieben ist. Auf dem [X.] kann die Entscheidung nicht beruhen ([X.], aaO).

Zwar kann nach einem Urteil des [X.]. Zivilsenats des [X.] vom 21. Juni 1995 ([X.] ZR 224/94, NJW 1995, 2563) die Rechtsfolge der Unterbrechung des Verfahrens gemäß § 249 ZPO jede [X.] geltend machen, wenn trotz Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer [X.] mündlich verhandelt und darauf ein Urteil verkündet worden sei. Diese Folge beruht letztlich aber darauf, dass der Mangel des § 547 Nr. 4 ZPO im Rahmen einer zulässigen Revision von Amts wegen geprüft wird ([X.], Urteil vom 16. Oktober 2006 - [X.], [X.], 2213 Rn. 7; vgl. [X.], Beschluss vom 16. Januar 1991 - [X.], [X.] Rn. 13; [X.]/[X.], ZPO, 31. Aufl., § 547 Rn. 5). Zu einer solchen Prüfung des [X.] von Amts wegen kommt es danach erst dann, wenn die Revision statthaft, also insbesondere zugelassen ist (§§ 542, 543 ZPO; vgl. [X.]/[X.], 5. Aufl., § 547 Rn. 2; [X.], Beschluss vom 16. Januar 1991, aaO).

Kayser      

        

Lohmann      

        

Pape   

        

Grupp      

        

Möhring      

        

Meta

IX ZR 259/15

22.12.2016

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, 15. Mai 2014, Az: 5 U 250/10

§ 543 Abs 2 S 1 Nr 2 Alt 2 ZPO, § 547 Nr 4 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22.12.2016, Az. IX ZR 259/15 (REWIS RS 2016, 205)

Papier­fundstellen: WM2017,925 REWIS RS 2016, 205

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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