Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.07.2021, Az. 4 StR 141/21

4. Strafsenat | REWIS RS 2021, 4278

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Gegenstand

Körperverletzung mit Todesfolge: Zurechnung des qualifizierenden Todeserfolgs bei Mittäterexzess durch überraschenden Einsatz eines Messers


Tenor

Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 5. November 2020 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagten jeweils der Körperverletzung mit Todesfolge schuldig gesprochen und gegen den Angeklagten [X.]    die Freiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten und gegen den Angeklagten [X.]    die Freiheitsstrafe von sieben Jahren verhängt. Hiergegen richten sich die Revisionen der Angeklagten, die jeweils mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründet sind. Die Rechtsmittel haben Erfolg.

I.

2

Nach den Feststellungen bestanden zwischen dem Angeklagten [X.]    und dem späteren [X.] [X.].     Unstimmigkeiten über eine von [X.]    behauptete und vom [X.] bestrittene Geldforderung. Am [X.] kam es vor der Haustür des [X.]s zu einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen beiden, in deren Verlauf R.     Ab.       dem Angeklagten [X.]   , der das [X.] zuvor geschlagen hatte, mit einem unter Verwendung eines [X.]s geführten Schlag das Nasenbein brach. Aufgrund dieses Vorfalls meldete sich der Angeklagte [X.]    am Abend des Tattags telefonisch bei dem Bruder des [X.]s und forderte für die erlittene Verletzung die Zahlung eines „Blutgeldes“ in Höhe von 5.000 €, andernfalls werde es das [X.] bereuen.

3

Zwischen 22.35 Uhr und 22.42 Uhr suchte der Angeklagte [X.]   , der in der Zwischenzeit aus Verärgerung und Kränkung beschlossen hatte, die Auseinandersetzung vom Vortag nicht auf sich beruhen zu lassen, alleine oder in Begleitung einer oder mehrerer Personen seinen Bruder, den Angeklagten [X.]   , auf. [X.]    wandte sich an den Angeklagten [X.]und gewann zumindest diesen, möglicherweise aber auch weitere Personen für das Vorhaben, [X.].     aufzusuchen, von ihm in Überzahl das begehrte „Blutgeld“ zu fordern und ihn gegebenenfalls - abhängig von seiner Reaktion - für [X.] handgreiflich zu bestrafen. Im Bewusstsein der zuvor erlittenen Schmach des [X.]   , bei der [X.].      einen [X.] verwendet hatte, entschlossen sich die Beteiligten, [X.] vorbereitet zu sein und ein rundlich konfiguriertes Schlagwerkzeug zu dem Treffen mit dem [X.] mitzunehmen. Ohne Kenntnis der übrigen führte einer der Beteiligten darüber hinaus ein Messer mit sich.

4

Vor dem Hintergrund dieser Übereinkunft rief der Angeklagte [X.] oder eine dritte Person unter Verwendung des nur kurz zuvor von [X.] genutzten Mobiltelefons bei dem [X.] an und vereinbarte ein Treffen zur Aussprache über den Vorfall am Vortag, worauf [X.].     seine Wohnung verließ. Wenig später traf das [X.] auf die Angeklagten, die nicht ausschließbar von einer oder mehreren unbekannt gebliebenen Personen begleitet wurden. Die Gruppe griff das [X.] an, wobei die Angreifer gemäß dem zuvor gemeinsam gefassten [X.] zunächst mit dem Schlagwerkzeug auf Kopf und Arme von [X.].     einwirkten, der seine Arme schützend vor seinen Kopf hielt. Durch die Schläge erlitt er eine [X.] im rechten vorderen [X.] und eine Vielzahl von Hämatomen an den Innen- und Außenseiten beider Arme. Sodann fügte einer der Angreifer - in Abweichung von dem gefassten [X.] und für jeden der Angeklagten im Zweifel überraschend - dem [X.] mit einem Messer gezielt insgesamt 20 Stich-/Schnittverletzungen zu. Vier der Stiche trafen [X.].     an der rechten und linken [X.] und führten bei einer Stichkanaltiefe von bis zu 23 cm zu massiven inneren Verletzungen. Zehn Stiche in den Rücken und fünf Stiche in das zuvor teilweise entblößte Gesäß wurden dem Opfer beigebracht, als es bereits bewegungslos in [X.] auf dem Boden lag. Nähere Einzelheiten zu dem Angriff auf das [X.], insbesondere zu dem Geschehen um die Beibringung der Messerstiche hat das [X.] nicht treffen können. Die Stichverletzungen führten binnen Kurzem zum Tod des Opfers durch Verbluten.

II.

5

Die Verurteilungen der Angeklagten jeweils wegen Körperverletzung mit Todesfolge gemäß § 227 Abs. 1 StGB haben keinen Bestand. Die Annahme des [X.]s, der durch die Messerstiche eingetretene Tod des Opfers sei den Angeklagten als fahrlässig herbeigeführte Folge der gemeinschaftlich begangenen Körperverletzung im Sinne der Erfolgsqualifikation des § 227 Abs. 1 StGB zuzurechnen, wird von den Feststellungen des angefochtenen Urteils nicht getragen.

6

1. Bei einer gemeinschaftlich begangenen Körperverletzung setzt die Strafbarkeit eines Mittäters wegen Körperverletzung mit Todesfolge nach § 227 Abs. 1 nicht voraus, dass er selbst eine unmittelbar zum Tod des Opfers führende Verletzungshandlung ausführt. Es reicht vielmehr aus, dass der Mittäter aufgrund eines gemeinsamen [X.]es mit dem Willen zur Tatherrschaft einen Beitrag zum Verletzungsgeschehen geleistet hat. Dabei ist im Grundsatz weiter erforderlich, dass die Handlung des anderen im Rahmen des gegenseitigen ausdrücklichen oder stillschweigenden Einverständnisses liegt und dem Täter hinsichtlich des Erfolgs Fahrlässigkeit zur Last fällt (st. Rspr.; vgl. [X.], Beschlüsse vom 14. Mai 2020 - 1 [X.], [X.], 120; vom 21. August 2019 - 1 [X.], NStZ-RR 2019, 378, 379; vom 5. September 2012 - 2 [X.], [X.], 280, 281; Urteil vom 27. Januar 2011 - 4 StR 502/10 Rn. 55; Beschluss vom 9. Juni 2009 - 4 [X.], [X.], 631; Urteil vom 9. Oktober 2002 - 5 StR 42/02, [X.]St 48, 34, 39).

7

Ist der [X.] durch einen über das gemeinsame Wollen hinausgehenden und deshalb als Exzesshandlung zu qualifizierenden Gewaltakt verursacht worden, kommt nach der Rechtsprechung des [X.] eine Zurechnung des Todes als qualifizierender Erfolg gemäß § 227 Abs. 1 StGB dann in Betracht, wenn den gemeinschaftlich verübten Gewalthandlungen, die der todesursächlichen Exzesshandlung vorausgegangen sind, bereits die spezifische Gefahr eines tödlichen Ausgangs anhaftet. Dies ist von den Strafsenaten des [X.] in objektiver Hinsicht etwa in Fällen bejaht worden, in welchen das Opfer durch die mittäterschaftlich begangene Körperverletzung in eine Lage geriet, in der es nachfolgenden Einwirkungen eines gewaltbereiten Tatbeteiligten schutzlos ausgeliefert war (vgl. [X.], Beschlüsse vom 14. Mai 2020 - 1 [X.], aaO; vom 30. August 2006 - 2 [X.], [X.], 76; Urteil vom 15. September 2004 - 2 [X.], [X.], 261) oder in denen dem vom gemeinsamen Willen aller Mittäter getragenen Angriff nach den ihn kennzeichnenden konkreten tatsächlichen Gegebenheiten die naheliegende Möglichkeit einer tödlichen Eskalation innewohnte (vgl. [X.], Beschluss vom 4. Februar 2016 - 1 [X.], [X.], 400; Urteil vom 10. Juni 2009 - 2 [X.], [X.], 309; vgl. auch Urteil vom 19. August 2004 - 5 [X.], [X.], 93 m. Anm. Heinrich).

8

2. Bei Zugrundelegung dieser Grundsätze wird die Zurechnung des tödlichen Erfolgs nach § 227 Abs. 1 StGB bei beiden Angeklagten von den Urteilsgründen nicht getragen.

9

Das [X.] hat festgestellt, dass der überraschend erfolgte Einsatz des Messers von dem zuvor gemeinsam gefassten [X.], das [X.] körperlich zu bestrafen, nicht umfasst war und damit über das gemeinsame Wollen der übrigen Angreifer, die von dem Mitführen des Messers keine Kenntnis hatten, hinausging. Dass dem vor dem Einsatz des Messers gemeinschaftlich unter Verwendung eines Schlagwerkzeugs verübten Angriff auf das [X.] bereits die spezifische Gefahr einer tödlichen Eskalation anhaftete, ist der Sachverhaltsdarstellung des angefochtenen Urteils nicht zu entnehmen. Nicht jedem von mehreren mit einem Schlagwerkzeug geführten tätlichen Angriff auf einen anderen wohnt per se die tatbestandsspezifische Gefahr eines in seiner Gefährlichkeit für das Leben des Opfers gesteigerten Messereinsatzes inne. Ein spezifischer Gefahrenzusammenhang, der den tatbestandlichen Anforderungen des § 227 Abs. 1 StGB genügt (vgl. [X.], Beschluss vom 14. Mai 2020 - 1 [X.], aaO; Urteil vom 9. Oktober 2002 - 5 StR 42/02, [X.]St 48, 34, 37 mwN), kann insoweit in objektiver Hinsicht nur angenommen werden, wenn sich aus Art und Weise des tätlichen Angriffs einzelfallbezogen konkrete tatsächliche Umstände ergeben, welche die Möglichkeit einer tödlichen Eskalation nahelegen. Solche Umstände hat das [X.], das den Verlauf des tätlichen Angriffs auf das [X.] nicht hat näher aufklären können, nicht festgestellt.

Quentin     

        

Bender     

        

Sturm 

        

[X.]     

        

Lutz     

        

Meta

4 StR 141/21

07.07.2021

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Bielefeld, 5. November 2020, Az: 1 Ks 23/19

§ 18 StGB, § 25 Abs 2 StGB, § 223 StGB, § 224 Abs 1 Nr 2 StGB, § 224 Abs 1 Nr 4 StGB, § 224 Abs 1 Nr 5 StGB, § 227 Abs 1 StGB, § 261 StPO, § 267 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.07.2021, Az. 4 StR 141/21 (REWIS RS 2021, 4278)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 4278


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 4 StR 141/21

Bundesgerichtshof, 4 StR 141/21, 07.07.2021.


Az. 1 Ks 23/19

Landgericht Bielefeld, 1 Ks 23/19, 05.11.2020.


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