Bundesgerichtshof, Beschluss vom 04.02.2016, Az. 1 StR 424/15

1. Strafsenat | REWIS RS 2016, 16633

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Gegenstand

Mord: Subjektive Voraussetzungen der Mittäterschaft


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 26. Februar 2015

a) im Schuldspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte der Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in acht tateinheitlichen Fällen und in Tateinheit mit Beteiligung an einer Schlägerei schuldig ist, sowie

b) im Strafausspruch aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtmittels, an eine andere als Jugendkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in acht tateinheitlichen Fällen zu einer Jugendstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die weiteren Mitangeklagten hat es jeweils wegen Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in acht tateinheitlichen Fällen und in Tateinheit mit Beteiligung an einer Schlägerei zu mehrjährigen Jugendstrafen verurteilt.

2

Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.

3

Nach den Feststellungen des [X.]s war der damals 20 Jahre und elf Monate alte Angeklagte Mitglied der Gruppierung "[X.]", die am [X.] aus mindestens 26 Personen bestand. Diese der "[X.]" zugehörigen Personen hatten elf Angehörige der gegnerischen Gruppierung "[X.]" aus einer Bar gelockt und umstellt, um sie ohne Vorwarnung in Überzahl plötzlich und brutal anzugreifen und erheblich zu verletzen. Zu Beginn der Auseinandersetzung zog der Angeklagte unvermittelt ein Messer, stach zweimal gezielt in die Bauchregion des hierdurch überraschten Anführers der gegnerischen Gruppierung und fügte diesem u.a. eine stark blutende Stichverletzung zu. Der Angegriffene schlug dem Angeklagten mit der Faust in das Gesicht, um den Angriff zu beenden. Ein weitergehender [X.] der Angreifer, der das Mitführen von Waffen oder gefährlichen Werkzeugen umfasste und sich darauf erstreckte, mit diesen die Gegner lebensgefährlich zu verletzen oder zu töten, konnte nicht festgestellt werden. Jedem Angreifer war aber bewusst, dass es bei den Angegriffenen auch zu tödlichen Verletzungen kommen könnte.

4

Der Angeklagte setzte mit dem Einsatz seines Messers als Startsignal bewusst das Niveau der Intensität des [X.] und nahm billigend in Kauf, dass auch andere Angreifer Messer in lebensgefährlicher Weise verwenden und dabei zum Tode führende Verletzungen auf Seiten der "[X.]" verursachen könnten. Nach dem Messerangriff des Angeklagten begann "explosionsartig" der Angriff. Für jeden Angreifer war vorhersehbar, dass es bei den Gegnern zu tödlichen Verletzungen kommen konnte. Tatsächlich wurde im Rahmen des [X.] ein Mitglied der "[X.]" durch Stiche mit einem Messer getötet. Wer das Messer auf diese Weise eingesetzt hatte, der genaue Zeitpunkt im Kampfgeschehen, die zeitliche Abfolge und die sonstigen Umstände der Messerstiche konnten nicht aufgeklärt werden. Ebenso wenig konnte festgestellt werden, ob der Angreifer, der die tödlichen Messerstiche gesetzt hatte, zuvor den Messerangriff des Angeklagten beobachtet hatte.

5

Die Strafkammer hat in der rechtlichen Würdigung ausgeführt, der Angeklagte müsse sich die tödlichen Messerstiche nach den Regeln der Mittäterschaft aufgrund seiner Tatherrschaft und seines Tatinteresses zurechnen lassen. Mit seiner den Angriff einleitenden Messerattacke auf den Anführer der gegnerischen Gruppierung habe er auch die potentiell tödliche Verwendung von Messern durch andere Angreifer gebilligt.

II.

6

Der zu der [X.] Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung in acht tateinheitlichen Fällen tateinheitlich hinzutretende Schuldspruch wegen Mordes hat keinen Bestand.

7

1. Die tödlichen Stiche können dem Angeklagten auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen nicht nach § 25 Abs. 2 StGB zugerechnet werden.

8

Die subjektiven Voraussetzungen der Mittäterschaft sind erst gegeben, wenn ein Tatbeteiligter mit seinem Beitrag nicht bloß fremdes [X.] fördern will, sondern dieser Beitrag im Sinne arbeitsteiligen Vorgehens Teil einer gemeinschaftlichen Tätigkeit sein soll. Dabei muss der Beteiligte seinen Beitrag als Teil der Tätigkeit des anderen und umgekehrt dessen Tun als Ergänzung seines eigenen [X.] wollen (st. Rspr.; vgl. etwa [X.], Beschlüsse vom 29. September 2015 - 3 StR 336/15, [X.], 6 f. und vom 2. Juli 2008 - 1 [X.], [X.], 25, 26; Urteil vom 17. Oktober 2002 - 3 [X.], [X.], 253, 254). Voraussetzung für die Zurechnung späteren fremden Handelns als [X.] ist ein zumindest konkludentes Einvernehmen der Mittäter.

9

An dieser Zurechnungsgrundlage fehlt es. Die Tathandlung des Angeklagten wurde nach den Feststellungen nicht von einem gemeinsamen [X.] hinsichtlich des Mitführens von Waffen und der Tötung eines Gegners getragen. Sie ist auch nicht Teil einer späteren konkludenten Erweiterung des [X.] durch bewusstes und gewolltes Zusammenwirken des Angeklagten mit dem für die tödlichen Stiche verantwortlichen Angreifer.

Der vor Beginn des [X.] gefasste gemeinsame [X.] sah keine Bewaffnung und keine Tötung der Gegner vor. Der Angeklagte selbst beging mit dem Einsatz seines Messers einen Exzess. Feststellungen über eine Erweiterung des [X.] unter Einbindung des die tödlichen Stiche setzenden Angreifers sind nicht getroffen worden. Die einseitige Zustimmung des Angeklagten zur todbringenden Verwendung mitgeführter Messer durch andere Angreifer genügt nicht. Ein zumindest konkludentes wechselseitiges Einvernehmen hätte zunächst vorausgesetzt, dass der die Tat unmittelbar Ausführende die Messerattacke des Angeklagten überhaupt wahrgenommen hat. Das ist gerade nicht festgestellt. Damit entbehrt der Schluss des [X.]s, auch der tödliche Messerstich sei aufgrund einer konkludenten Erweiterung des ursprünglichen [X.] dem Angeklagten zuzurechnen, einer tragfähigen Grundlage.

2. Eine Verurteilung des Angeklagten wegen Anstiftung zum vollendeten Tötungsdelikt kommt nicht in Betracht, weil nach den Feststellungen des [X.]s gerade nicht feststeht, dass der Angeklagte bei dem anderen durch seine Messerattacke den [X.] zur Tötung hervorgerufen hat. Dies hätte zumindest vorausgesetzt, dass dieser das Messer in der Hand des Angeklagten überhaupt wahrgenommen hat und zu diesem Zeitpunkt noch nicht zur Begehung eines Tötungsdelikts entschlossen war. Daran fehlt es indes.

3. Eine Verurteilung wegen Beihilfe scheidet nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen ebenfalls aus.

Als Gehilfe wird gemäß § 27 Abs. 1 StGB bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe leistet. Diese Hilfeleistung muss sich auf die Begehung der Haupttat zwar nicht kausal auswirken; erforderlich ist aber, dass sie die Haupttat zu irgendeinem Zeitpunkt zwischen [X.] und Beendigung in irgendeiner Weise erleichtert oder fördert (st. Rspr.; [X.], Beschluss vom 9. Juli 2015 - 2 StR 58/15, [X.], 343, 344; Urteil vom 16. Januar 2008 - 2 [X.], [X.], 284 mwN). Dies belegen die Feststellungen nicht.

Auch eine psychische Beihilfe scheidet aus, da diese vorausgesetzt hätte, dass der die Tat unmittelbar Ausführende die Messerattacke des Angeklagten wahrgenommen hat und dadurch in seinem [X.] bestärkt oder ihm ein erhöhtes Sicherheitsgefühl vermittelt wurde.

4. Der Angeklagte war nach der [X.] Wertung der Strafkammer Mittäter der begangenen gefährlichen Körperverletzung in acht tateinheitlichen Fällen.

Die [X.] Feststellungen tragen auch einen Schuldspruch wegen Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB), der nach dem Wegfall der Verurteilung wegen Mordes nicht mehr zurücktritt.

Die tödlichen Messerstiche wurden durch die vorsätzlich begangene, gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung verursacht. Nach den Feststellungen erfolgten sie im Rahmen des [X.], das durch einen plötzlichen Angriff der äußerst aggressiv gestimmten und sich in Überzahl befindenden Angreifer auf den Signalwirkung entfaltenden Messerangriff des Angeklagten eröffnet worden war, nachdem der Gegner umzingelt worden war. Darin war die spezifische Gefahr einer Eskalation mit tödlichem Ausgang angelegt. Der hinsichtlich der qualifizierenden Tatfolge erforderlichen Vorhersehbarkeit steht dabei nicht entgegen, dass der Angeklagte vor dem Beginn des [X.] nichts von dem Mitführen eines Messers durch andere Gruppenmitglieder gewusst hatte. Denn es reicht für die Erfüllung der subjektiven Fahrlässigkeitskomponente aus, wenn der Täter die Möglichkeit des [X.] im Ergebnis hätte voraussehen können. Einer Voraussehbarkeit aller Einzelheiten des zum Tode führenden Geschehensablaufs bedarf es nicht ([X.], Urteil vom 10. Juni 2009 - 2 [X.], [X.], 309, 310).

Der Angeklagte hat sich darüber hinaus auch wegen Beteiligung an einer Schlägerei (§ 231 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht.

5. Der Senat konnte den Schuldspruch entsprechend ändern (§ 354 Abs. 1 StPO). § 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich der Angeklagte nicht erfolgreicher als geschehen hätte verteidigen können. Die Schuldspruchänderung führt zur Aufhebung des Strafausspruchs.

Raum                          [X.]                     [X.]

                Fischer                          Bär

Meta

1 StR 424/15

04.02.2016

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Stuttgart, 26. Februar 2015, Az: 3 KLs (a) 115 Js 35416/13 Hw

§ 25 Abs 2 StGB, § 211 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 04.02.2016, Az. 1 StR 424/15 (REWIS RS 2016, 16633)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 16633

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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