Bundessozialgericht, Beschluss vom 01.07.2010, Az. B 13 R 115/10 B

13. Senat | REWIS RS 2010, 5258

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Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - rechtliches Gehör - unterbliebene Ladung - Zurückverweisung


Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 27. Januar 2010 wird das Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Das [X.] hat im Urteil vom [X.] einen Anspruch des [X.] auf Rente wegen Erwerbsminderung verneint.

2

Der Kläger macht mit seiner beim BSG erhobenen Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem genannten Urteil ausschließlich einen Verfahrensmangel geltend. Er trägt vor, das Berufungsgericht habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör sowie den Grundsatz des fairen Verfahrens verletzt, weil es in Abwesenheit seines zur mündlichen Verhandlung nicht ordnungsgemäß geladenen und zwischenzeitlich nicht mehr als Rechtsanwalt zugelassenen Prozessbevollmächtigten verhandelt und sodann entschieden habe, ohne ihm selbst einen Hinweis zu geben, dass er eine Verlegung des Termins beantragen könne.

3

II. Die Beschwerde des [X.] ist zulässig und begründet.

4

Der vom Kläger gerügte Verfahrensmangel einer Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör liegt vor und führt gemäß § 160 Abs 2 [X.] 3 iVm § 160a Abs 5 [X.] zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.].

5

Eine Nichtzulassungsbeschwerde ist auch begründet, wenn ein Verfahrensfehler geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt, weil das angefochtene Urteil des [X.] unter Verletzung des Anspruchs des [X.] auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 [X.]) ergangen ist. Das Gebot des rechtlichen Gehörs hat auch zum Inhalt, dass die Beteiligten ausreichend Gelegenheit zur Abgabe sachgemäßer Erklärungen haben müssen ([X.]-1500 § 62 [X.]; [X.]-1500 § 128 [X.]). Vor allem in der mündlichen Verhandlung, dem "Kernstück" des sozialgerichtlichen Verfahrens (vgl [X.], 292, 293 = [X.] 1500 § 124 [X.]; [X.]-1500 § 160 [X.]; [X.] vom [X.] KR 112/09 B - Juris Rd[X.] 5), ist den Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zum gesamten Streitstoff zu äußern. Wird daher aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden, müssen alle Beteiligten die Möglichkeit haben, hieran teilzunehmen.

6

Diese Möglichkeit hatte der Bevollmächtigte des [X.] - hier Rechtsanwalt S., der nach Erlöschen der Zulassung des ursprünglichen Prozessbevollmächtigten Dr. B. von der zuständigen Rechtsanwaltskammer zum Abwickler von dessen Kanzlei (vgl § 55 Abs 5 iVm Abs 2 Satz 4 Bundesrechtsanwaltsordnung) bestellt worden war - jedoch nicht, weil ihm entgegen § 73 Abs 6 Satz 5 [X.] vom [X.] keine Terminsmitteilung über die mündliche Verhandlung vom [X.] (§ 110 Abs 1 Satz 1 [X.] - gemeinhin als Ladung bezeichnet) übermittelt worden war, in der sodann verhandelt und entschieden wurde (vgl [X.] vom [X.] - Juris Rd[X.] 5 ff). Da allein der Kläger geladen war, lag mithin eine wirksame Terminsmitteilung an die [X.]eite nicht vor ([X.] in [X.]/[X.]/ [X.], [X.], 9. Aufl 2008, § 110 Rd[X.] 12). Aufgrund dieses Umstands war das [X.] daran gehindert, die Instanz durch Urteil nach mündlicher Verhandlung zu beenden, sofern der Verfahrensmangel nicht zuvor durch einen Verzicht auf die Befolgung der Vorschrift, durch Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge oder anderweitig geheilt wurde (vgl [X.]-1500 § 110 [X.] 3 S 5).

7

Eine Heilung des Ladungsmangels ist hier nicht anzunehmen. Allerdings ist zu Beginn der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom [X.] festgehalten: "Der Kläger gibt an, dass sein Bevollmächtigter nicht erscheint und verhandelt werden solle". Dies führt jedoch - ungeachtet der abweichenden Darstellung des [X.] in der Beschwerdebegründung, die ihn aber bislang nicht zu einem Antrag auf Protokollberichtigung veranlasst hat (vgl § 122 [X.] iVm § 164 ZPO) - nicht dazu, dass die unterbliebene Mitteilung des Termins zur mündlichen Verhandlung an den Prozessbevollmächtigten und die damit verbundene Versagung rechtlichen Gehörs gemäß § 202 [X.] iVm §§ 556, 295 Abs 1 ZPO als unbeachtlich anzusehen ist. Denn eine Heilung durch rügeloses Einlassen auf eine mündliche Verhandlung gemäß § 295 Abs 1 Alt 2 ZPO (vgl BVerwG Beschluss vom [X.]/88 - [X.] 303 § 295 ZPO [X.] 8) kann bei einem nicht rechtskundig vertretenen Beteiligten ohnehin nur angenommen werden, wenn das Gericht ihn zuvor auf das Vorliegen des Mangels sowie auf den Verlust des [X.] im Falle weiteren Verhandelns ausdrücklich hingewiesen hätte (vgl BSG [X.] [X.] 4 zu § 107 [X.]; BSG Urteil vom 12.4.2000 - B 9 SB 2/99 R - Juris Rd[X.] 21; s auch [X.], 66, 68). Dass dies geschehen wäre, ergibt sich weder aus der oben wiedergegebenen Feststellung in der Sitzungsniederschrift noch aus der Beschwerdebegründung des [X.].

8

Der Verfahrensmangel einer unterbliebenen Ladung des Prozessbevollmächtigten zur mündlichen Verhandlung ist auch nicht etwa dadurch unbeachtlich geworden, dass der - persönlich anwesende - Kläger in dem Termin wirksam seine Vertretung durch einen Bevollmächtigten beendet und damit von seinem Recht Gebrauch gemacht hätte, den Rechtsstreit von nun an wieder selbst zu führen. Der Widerruf einer zuvor erteilten Bevollmächtigung (s hierzu [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], 9. Aufl 2008, § 73 Rd[X.] 74) muss gegenüber dem Gericht klar und deutlich zum Ausdruck gebracht werden. Eine entsprechende Willensbekundung kann der bloßen Erklärung, dass trotz des [X.] des Bevollmächtigten verhandelt werden solle, nicht entnommen werden. Das gilt jedenfalls dann, wenn ein selbst nicht rechtskundiger Beteiligter sich in dieser Weise äußert, ohne zuvor vom Gericht über seine prozessualen Rechte bei Fortführung der [X.] belehrt worden zu sein. Dafür, dass eine entsprechende Belehrung erfolgt wäre, ist vorliegend nichts ersichtlich.

9

Die somit nicht eingetretene Heilung oder Unbeachtlichkeit der unterbliebenen Ladung des Prozessbevollmächtigten des [X.] führt dazu, dass das [X.] gehindert war, die Instanz durch Urteil nach mündlicher Verhandlung zu beenden (vgl [X.]-1750 § 551 [X.] 6 S 18). Wenn es dennoch entschieden hat, verletzt dies den Anspruch des [X.] auf rechtliches Gehör. Dies gilt nicht nur dann, wenn die Verhandlung zu einem anderen als in der Ladung genannten Zeitpunkt durchgeführt wurde (vgl hierzu BSG Urteil vom [X.] - B 9 SB 3/97 R - Juris Rd[X.] 11), sondern erst recht dann, wenn überhaupt keine ordnungsgemäße Ladung erfolgt ist ([X.] vom 16.12.2009 - [X.] [X.] 37/09 B - Juris Rd[X.] 8). Dass der zur Entscheidung berufene Senat des [X.] möglicherweise keine Kenntnis davon hatte, dass die Zulassung des Rechtsanwalts B. zwischenzeitlich erloschen und Rechtsanwalt S. zu dessen Kanzleiabwickler bestellt worden war, vermag daran nichts zu ändern. Das Gericht konnte jedenfalls aus den Akten entnehmen, dass eine ordnungsgemäße Zustellung der an Rechtsanwalt [X.] nicht nachweisbar war.

Darlegungen dazu, dass das Urteil des [X.] auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs beruhen kann, bedurfte es unter diesen Umständen nicht; das Fehlen entsprechend substantiierter Ausführungen in der Beschwerdebegründung ist deshalb unschädlich. Wird ein Verfahrensbeteiligter bzw im Falle der Vertretung dessen Prozessbevollmächtigter verfahrensfehlerhaft daran gehindert, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen, muss angesichts der besonderen Bedeutung der mündlichen Verhandlung für das sozialgerichtliche Verfahren davon ausgegangen werden, dass dieser Umstand für die Entscheidung ursächlich geworden ist (stRspr - vgl [X.], 83, 85 = [X.] 1500 § 124 [X.] 7 S 15; BSG [X.] 4-1750 § 227 [X.] 1 Rd[X.] 7; [X.] B 13 R 277/08 B - Juris Rd[X.] 18; vom [X.] KR 112/09 B - Juris Rd[X.] 5).

Der Senat hat zur Beschleunigung des seit 2003 anhängigen Verfahrens von der durch § 160a Abs 5 [X.] eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht, auf die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil wegen des festgestellten Verfahrensfehlers aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen.

Die Entscheidung über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens bleibt der abschließenden Entscheidung des [X.] vorbehalten.

Meta

B 13 R 115/10 B

01.07.2010

Bundessozialgericht 13. Senat

Beschluss

Sachgebiet: R

vorgehend SG Würzburg, 5. Dezember 2006, Az: S 4 R 698/03

§ 62 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 5 SGG, § 110 Abs 1 S 1 SGG, § 202 SGG, § 556 ZPO, § 295 Abs 1 ZPO, Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 01.07.2010, Az. B 13 R 115/10 B (REWIS RS 2010, 5258)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 5258

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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