Bundessozialgericht, Beschluss vom 16.12.2010, Az. B 8 SO 12/10 B

8. Senat | REWIS RS 2010, 253

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Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensfehler - rechtliches Gehör - nicht ordnungsgemäße Ladung zur mündlichen Verhandlung


Tenor

Auf die Beschwerde des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 27. Januar 2010 - L 2 SO 5275/09 - aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Im Streit ist die Übernahme nicht gedeckter Beiträge zur privaten Krankenversicherung des [X.] durch die Beklagte in dem Zeitraum vom [X.] bis 31.7.2008.

2

Die Beklagte lehnte Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem [X.] - ([X.]) mit der Begründung ab, der Kläger sei erwerbsfähig und habe einen Anspruch auf Leistungen nach dem [X.] - ([X.]), die er derzeit einschließlich eines Zuschusses zu den Beiträgen zu seiner privaten Kranken- und Pflegeversicherung gemäß § 26 [X.] von der [X.] erhalte (Bescheid vom 30.3.2007; Widerspruchsbescheid vom 4.9.2007). Die Klage, mit der der Kläger sein Leistungsbegehren (nur noch) hinsichtlich der ungedeckten Kosten für seine private Krankenversicherung weiter verfolgte, ist ohne Erfolg geblieben (Gerichtsbescheid des [X.] vom [X.]). In seiner Berufungsschrift hat der Kläger als "derzeitige Zustellanschrift" sein Postfach in [X.] angegeben. Die Ladung zum Termin zur mündlichen Verhandlung am Mittwoch, den [X.], ist mittels Postzustellungsurkunde an die [X.] in [X.] eine Obdachlosenunterkunft, die erstinstanzlich vom früheren Prozessbevollmächtigten des [X.] angegeben worden war - gesandt worden. Weil die Übergabe des Schriftstücks scheiterte, ist es in den "zum Geschäftsraum gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung" eingelegt worden. In der mündlichen Verhandlung vom [X.] ist der Kläger nicht erschienen. Das [X.] ([X.]) hat die Berufung des [X.] zurückgewiesen (Urteil vom [X.]). Am [X.] hat der Kläger telefonisch mitgeteilt, er habe keine Schreiben vom [X.] bekommen und durch Zufall von der Obdachlosenunterkunft die Schreiben erst jetzt erhalten. Die Adresse [X.] in [X.] stimme nicht bzw sei die Adresse der Obdachlosenunterkunft. Er habe eine Postfachadresse angegeben, an die die Post habe gehen sollen. Schreiben des [X.] habe er nicht beantworten können, weil er sie nicht erhalten habe; auch nicht den Prozesskostenhilfe-Beschluss.

3

Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger einen Verfahrensmangel geltend. Die [X.] sei nicht ordnungsgemäß zugestellt worden. Dieser Zustellungsmangel sei auch erheblich, weil er die [X.] tatsächlich nicht erhalten habe. Die nicht ordnungsgemäße Ladung eines Beteiligten zur mündlichen Verhandlung sei ein im Revisionsverfahren zu beachtender Verfahrensmangel. Die mündliche Verhandlung sei das Kernstück des gerichtlichen Verfahrens, um dem Anspruch des Beteiligten auf rechtliches Gehör gemäß Art 103 Abs 1 Grundgesetz (GG) zu genügen.

4

II. Die Beschwerde des [X.] ist zulässig und begründet.

5

Der vom Kläger gerügte Verfahrensmangel einer unzureichenden Gewährung rechtlichen Gehörs liegt vor und führt gemäß § 160a Abs 5 iVm § 160 Abs 2 [X.] Sozialgerichtsgesetz ([X.]) zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache an das [X.].

6

Eine Nichtzulassungsbeschwerde ist [X.] begründet, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt, weil das angefochtene Urteil des [X.] unter Verletzung des Anspruchs des [X.] auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 [X.]) ergangen ist. Das Gebot des rechtlichen Gehörs hat auch zum Inhalt, dass die Beteiligten ausreichend Gelegenheit zur Abgabe sachgemäßer Erklärungen haben müssen ([X.]-1500 § 62 [X.] 5; [X.]-1500 § 128 [X.] 14). Vor allem in der mündlichen Verhandlung, dem "Kernstück" des gerichtlichen Verfahrens ([X.] 44, 292, 293 = [X.] 1500 § 124 [X.] 2), ist den Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zum gesamten Streitstoff zu äußern. Wird aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden, müssen die Beteiligten daher die Möglichkeit haben, hieran teilzunehmen.

7

Diese Möglichkeit hatte der Kläger jedoch nicht, weil er nicht ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung geladen worden ist und deshalb die Ladung nicht erhalten hat. Aus den beigezogenen Akten des [X.] lässt sich die Richtigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers nachvollziehen. Danach hat er in der Berufungsinstanz als Zustellanschrift (nur) sein Postfach angegeben. Das [X.] durfte daher nicht an die früher - erstinstanzlich - noch maßgebende Anschrift die Ladung zustellen. Ob eine Ladung an die Postfachadresse möglich gewesen wäre, ist ohne Bedeutung für die Entscheidung. Eine Ladung muss nach § 63 Abs 1 Satz 2 [X.] (in der [X.]assung des 6. [X.]-Änderungsgesetzes vom [X.] - [X.]) nicht (mehr) zugestellt werden; vielmehr genügt schon die Bekanntgabe (etwa durch einfachen Brief oder durch Einwurfeinschreiben). Das [X.] hätte die Ladung deshalb an das Postfach senden müssen, um sicherzustellen, dass die Ladung den Kläger erreicht. Dem [X.] war durch E-Mail des [X.] auch bekannt, dass er keinerlei Schreiben, auch nicht den die Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschluss, erhalten hatte. Da der Kläger nicht ordnungsgemäß zum Termin zur mündlichen Verhandlung geladen war, war das [X.] gehindert, die Instanz durch Urteil nach mündlicher Verhandlung zu beenden ([X.]-1750 § 551 [X.] 6 S 18). Dass es dennoch entschieden hat, verletzt den Anspruch auf rechtliches Gehör.

8

Darlegungen dazu, dass das Urteil des [X.] auf der Verletzung des Grundrechts des rechtlichen Gehörs beruhen kann, bedurfte es nicht. Ist ein Verfahrensbeteiligter gehindert, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen, ist angesichts der Bedeutung der mündlichen Verhandlung für das sozialgerichtliche Verfahren davon auszugehen, dass dieser Umstand für die Entscheidung ursächlich geworden ist (BSG [X.] 4-1750 § 227 [X.] 1 Rd[X.] 7; [X.]-1500 § 160 [X.]3 S 62; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], 8. Aufl 2008, § 62 Rd[X.] 11c).

9

Nach § 160a Abs 5 [X.] kann das [X.] im Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverweisen, wenn die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 [X.] [X.] vorliegen. Letzteres ist - wie ausgeführt - der [X.]all. Der Senat macht von dieser Möglichkeit Gebrauch.

Das [X.] wird ggf auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

Meta

B 8 SO 12/10 B

16.12.2010

Bundessozialgericht 8. Senat

Beschluss

Sachgebiet: SO

vorgehend SG Freiburg (Breisgau), 7. Oktober 2009, Az: S 9 SO 4963/07, Gerichtsbescheid

§ 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG, § 63 Abs 1 S 2 SGG vom 17.08.2001, § 110 SGG vom 18.06.1997

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 16.12.2010, Az. B 8 SO 12/10 B (REWIS RS 2010, 253)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 253

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