Bundesgerichtshof, Beschluss vom 01.07.2022, Az. II ZR 97/21

2. Zivilsenat | REWIS RS 2022, 3823

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Gegenstand

Richterablehnung im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde: Vorbeugende Ablehnung eines Richters; Ablehnung wegen Teilnahme des Richters an einer von der Partei veranstalteten juristischen Tagung


Tenor

Das Ablehnungsgesuch des Klägers vom 8. Mai 2022 gegen [X.] am [X.] W.    wird als unzulässig verworfen.

Das Ablehnungsgesuch des Klägers vom 8. Mai 2022 gegen [X.] am [X.]  Sa.    wird als unbegründet zurückgewiesen.

Gründe

[X.]

1

Der Kläger wendet sich gegen seinen Ausschluss aus den Herausgeberkreisen der juristischen Fachzeitschriften [X.]und E.    sowie gegen seine Abberufung als Chief Managing Editor und Mitglied des Editorial Boards einer dieser Zeitschriften. Hilfsweise begehrt er im Wege der Stufenklage die Vorlage einer Auseinandersetzungsbilanz der beiden Herausgebergesellschaften auf den 9. November 2017 und die Zahlung eines auf der Grundlage dieser Bilanz noch zu bestimmenden Abfindungsbetrages. Das [X.] hat die Klage mit den Hauptanträgen abgewiesen und die [X.] auf den Hilfsantrag zur Vorlage der begehrten Auseinandersetzungsbilanz verurteilt. Das Berufungsgericht hat die Berufungen beider [X.]en zurückgewiesen. Der Kläger hat Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision eingelegt.

2

Nach Eingang der Nichtzulassungsbeschwerde sind Selbstablehnungen sämtlicher [X.] des [X.] gemäß § 48 ZPO wegen ihrer beruflichen und persönlichen Kontakte zu verschiedenen [X.] durch Beschluss des [X.] vom 6. Juli 2021 ([X.], [X.], 1781) mit Ausnahme derjenigen des damaligen Vorsitzenden [X.]s des [X.] für unbegründet erklärt worden. Ein anschließendes Ablehnungsgesuch des [X.] gegen die danach noch nicht von der Entscheidung ausgeschlossenen [X.] wegen ihrer persönlichen Beziehungen zu einer ehemaligen [X.]in des [X.], die inzwischen mit einem der [X.] verheiratet sei, ist durch Beschluss vom 15. März 2022 ([X.], juris) zurückgewiesen worden.

3

Mit Schreiben vom 8. Mai 2022 hat der Kläger die [X.] am [X.] W.     und  Sa.     wegen deren Teilnahme an einem von den Herausgebern der Z.  veranstalteten "Z.  -Jubiläumssymposium 2022" mit dem Thema "Zur Rolle des Gesellschaftsrechts in einer sich wandelnden Welt" am 22. und 23. April 2022, zu dem der Kläger, einer seiner akademischen Schüler und sein Prozessbevollmächtigter nicht eingeladen worden waren, wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Die dienstlichen Stellungnahmen der abgelehnten [X.] sind dem Kläger mit Gelegenheit zur Stellungnahme übersandt worden. Eine Stellungnahme ist innerhalb der dafür gesetzten Frist nicht erfolgt.

I[X.]

4

Der Senat entscheidet gemäß § 45 Abs. 1 ZPO ohne Mitwirkung der abgelehnten [X.] in der angegebenen, im Zeitpunkt der Entscheidung nach dem internen Geschäftsverteilungsplan des Senats (§ 21g GVG, Mitwirkungsgrundsätze für das Jahr 2022 i.V.m. Beschluss Juni 2022) zuständigen Besetzung (vgl. [X.], Beschluss vom 30. März 2022 - [X.] ([X.]) 28/20, juris Rn. 9). Danach tritt [X.] am [X.] Bo. als Stellvertretender Vorsitzender an die Stelle des durch Beschluss vom 6. Juli 2021 ausgeschlossenen und inzwischen aus dem richterlichen Dienst ausgeschiedenen Vorsitzenden [X.]s am [X.] a.D. Prof. Dr. D.      , [X.]in am [X.] [X.]    an die Stelle des abgelehnten [X.]s   Sa.     und [X.]in am [X.] A.     an die Stelle von [X.] am [X.] Bo.   als Beisitzerin.

II[X.]

5

[X.] vom 8. Mai 2022 ist hinsichtlich [X.] am [X.] [X.]unzulässig, hinsichtlich [X.] am [X.]   Sa.    unbegründet.

6

1. Hinsichtlich [X.] am [X.] W.     ist das Ablehnungsgesuch mangels Rechtsschutzinteresses des [X.] unzulässig.

7

[X.] am [X.] [X.]ist nach [X.] Nr. 1 und 2 der Mitwirkungsgrundsätze des Senats nicht Mitglied der für die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] zuständigen Sitzgruppe I und damit nicht zur Entscheidung über die Beschwerde berufen. Ein Ablehnungsgesuch kann aber sich nur gegen diejenigen [X.] richten, die schon und noch mit dem Verfahren befasst sind (vgl. [X.], Beschluss vom 28. Februar 2022 - [X.] ([X.]) 28/20, juris Rn. 25). Dass der [X.] in Zukunft möglicherweise als weiterer Vertreter gemäß IV. der Mitwirkungsgrundsätze zur Mitwirkung berufen sein könnte, eröffnet dem Kläger keine gegenwärtige Ablehnungsmöglichkeit. Eine gewissermaßen vorbeugende Ablehnungsmöglichkeit gegen Vertreter vor Eintritt des [X.] besteht nicht (vgl. [X.], Beschluss vom 13. April 2021 - [X.], juris Rn. 23 mwN; Beschluss vom 28. Februar 2022 - [X.] ([X.]) 28/20, juris Rn. 25; [X.]/[X.], ZPO, 34. Aufl., § 44 Rn. 1; [X.] in Musielak/[X.], ZPO, 19. Aufl., § 44 Rn. 5).

8

2. Das Ablehnungsgesuch gegen [X.] am [X.]  Sa.      ist nicht begründet. Die Teilnahme des [X.]s an dem von den Herausgebern der [X.]veranstalteten zweitägigen Symposium im April 2022 rechtfertigt nicht die Besorgnis seiner Befangenheit nach § 42 Abs. 2 ZPO.

9

a) Nach § 42 Abs. 2 ZPO findet die Ablehnung eines [X.]s wegen der Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des [X.]s zu rechtfertigen. Tatsächliche Befangenheit oder Voreingenommenheit ist nicht erforderlich, da die Vorschriften über die Befangenheit von [X.]n bezwecken, bereits den bösen Schein einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit und Objektivität zu vermeiden ([X.], Beschluss vom 6. Juli 2021 - [X.], [X.], 1781 Rn. 14 mwN). Maßgeblich ist, ob aus Sicht einer [X.] bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass gegeben ist, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des [X.]s zu zweifeln. Dabei kommen nur objektive Gründe in Betracht, die aus Sicht einer verständigen Prozesspartei berechtigte Zweifel an der Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit des [X.]s aufkommen lassen. Solche Zweifel können sich aus einer besonderen Beziehung des [X.]s zum Gegenstand des Rechtsstreits oder zu den [X.]en ergeben. Maßgeblich sind die besonderen Umstände des Einzelfalls, die in ihrer Gesamtheit zu würdigen sind ([X.], Beschluss vom 6. Juli 2021 - [X.], [X.], 1781 Rn. 15 mwN).

b) Nach diesen Maßgaben gibt die Teilnahme des [X.]s an dem von den Herausgebern der Z.  veranstalteten Symposium keinen Anlass zu Zweifeln an seiner Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung.

aa) Grundsätzlich sind nur nahe persönliche oder geschäftliche Beziehungen zwischen dem [X.] und einem Verfahrensbeteiligten geeignet, die Unparteilichkeit eines [X.]s in Frage zu stellen. Allgemeine berufliche Kontakte des [X.]s zu einer [X.] ohne besondere Nähe oder Intensität reichen dagegen nicht aus. Deshalb kann selbst ein Kollegialitätsverhältnis nur dann eine Ablehnung rechtfertigen, wenn damit eine sehr enge berufliche Zusammenarbeit verbunden ist. Auch eine Mitautorenschaft als solche begründet weder enge berufliche noch nahe persönliche Kontakte zwischen den Mitautoren und -herausgebern (vgl. [X.], Beschluss vom 31. Januar 2005 - [X.], [X.]Report 2005, 1350; Beschluss vom 10. Juni 2013 - [X.] ([X.]) 24/12, NJW-RR 2013, 1211 Rn. 8; Beschluss vom 7. November 2018 - [X.] 16/17, [X.], 2503 Rn. 6).

Die bloße Teilnahme an einer zweitägigen Tagung mit Vorträgen zu rechtswissenschaftlichen Themen und anschließender Diskussion ist als solche nicht mit einer engen beruflichen Zusammenarbeit mit den Veranstaltern, Referenten oder übrigen Teilnehmern verbunden. Das gilt insbesondere bei einer größeren Tagung mit - wie hier laut vorgelegter Teilnehmerliste - über hundert Teilnehmern.

Anhaltspunkte dafür, dass der abgelehnte [X.] bei der Tagung mit den [X.] engere berufliche oder persönliche Kontakte gehabt hat als bei einer solchen Teilnahme allgemein üblich, liegen nicht vor. Nach der dienstlichen Äußerung des [X.]s beschränkte sich sein Kontakt mit den [X.] auf flüchtige Begrüßungen und Gespräche, deren Inhalt nicht über gesellschaftliche Alltagskontakte hinausgingen und insbesondere auch nicht den Rechtsstreit des [X.] mit den [X.] und/oder Belange der [X.] bzw. ihres Herausgeberkreises zum Gegenstand hatten. Die Mutmaßung des [X.], man habe den [X.] auf der Tagung auf eine mögliche zukünftige Mitarbeit im [X.]  angesprochen, trifft nach der dienstlichen Äußerung des [X.]s nicht zu. Die zwischen dem [X.] und dem [X.] zu 1 sowie der ehemaligen [X.]in des [X.] bestehenden persönlichen Beziehungen waren bereits Gegenstand der Beschlüsse vom 6. Juli 2021 und vom 15. März 2022 und sind demgemäß nicht geeignet, Anlass zu Zweifeln an seiner Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit zu begründen.

bb) Soweit der Kläger geltend macht, der [X.] habe mit seiner Teilnahme an der Tagung unentgeltlich eine Leistung der [X.] entgegengenommen, so dass ein ähnlicher Fall wie bei der "Bewirtung" eines [X.]s durch eine [X.] vorliege, trifft auch dies nicht zu. Nach der dienstlichen Äußerung des [X.]s erfolgte seine Teilnahme nicht unentgeltlich, sondern hat er den Tagungsbeitrag und weitere Kosten für Übernachtung und Verpflegung entrichtet.

cc) Schließlich vermag auch der Umstand, dass das vorliegende Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren im Zeitpunkt der Teilnahme des [X.]s an der Tagung bereits beim Senat anhängig und dem [X.] bekannt war, keine Besorgnis seiner Befangenheit zu begründen. Bei vernünftiger Würdigung sämtlicher Umstände liegt darin weder eine "öffentliche [X.]nahme" für die [X.], noch die Bekundung einer Verbundenheit mit ihnen oder Vorab-Bestätigung der Rechtmäßigkeit der aktuellen Zusammensetzung des Herausgeberkreises unter Ausschluss des [X.].

Anhaltspunkte für Äußerungen oder Handlungen des abgelehnten [X.]s während des Symposiums, die als Zeichen für eine solche "[X.]nahme" verstanden werden könnten, liegen nicht vor und werden vom Kläger nicht geltend gemacht. Nach dem vom Kläger vorgelegten Programm der Tagung standen die dort behandelten rechtswissenschaftlichen Fragen in keinem Zusammenhang mit dem Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Zudem nahmen an der Tagung laut vorgelegter Teilnehmerliste über hundert Teilnehmer aus Wissenschaft, Wirtschaft und Verwaltung teil. In Anbetracht dessen handelte es sich bei der Teilnahme des [X.]s an dieser Tagung bei vernünftiger Würdigung lediglich um seine Beteiligung an einem wissenschaftlichen Austausch mit Vertretern aus verschiedensten Bereichen über die dort behandelten allgemeinen Fragen und Probleme der künftigen Entwicklung des Gesellschaftsrechts, die als solche nichts über seine Beurteilung des vorliegenden Verfahrens besagt. Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang außerdem geltend macht, der [X.] habe ihn mit seiner Teilnahme an der Tagung auch wissenschaftlich und wirtschaftlich geschädigt bzw. den ihm insoweit durch seinen Ausschluss bereits entstandenen Schaden noch vertieft, weil ein Zweck der von der Herausgebergemeinschaft veranstalteten Symposien darin liege, einem ausgewählten Teilnehmerkreis den exklusiven Zugang zu den Entscheidungsträgern des zuständigen Senats zu verschaffen, erschließt sich eine Schädigung durch bloßen Tagungsbesuch schon nicht und wird von dem Kläger auch nicht näher erläutert.

Born     

        

B. Grüneberg     

        

von Selle

        

C. Fischer     

        

Adams     

        

Meta

II ZR 97/21

01.07.2022

Bundesgerichtshof 2. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend BGH, 15. März 2022, Az: II ZR 97/21, Beschluss

§ 42 Abs 2 ZPO, § 44 ZPO, § 45 Abs 1 ZPO, § 48 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 01.07.2022, Az. II ZR 97/21 (REWIS RS 2022, 3823)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 3823 MDR 2022, 1235-1236 REWIS RS 2022, 3823

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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