Bundessozialgericht, Beschluss vom 01.07.2021, Az. B 9 SB 73/20 B

9. Senat | REWIS RS 2021, 4429

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Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde - sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensmangel - Antrag auf Terminverlegung wegen COVID-19-Pandemie - Ansteckungsgefahr - Erforderlichkeit näherer Darlegungen - persönliche Gesundheitsrisiken - Schutzvorkehrungen des Gerichts - Amtsermittlungsgrundsatz - Übergehen eines Beweisantrags - bestimmte Tatsachenbehauptung - hypothetisches Beweisergebnis


Tenor

Der Antrag des [X.], ihm für das Beschwerdeverfahren gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 5. November 2020 Prozesskostenhilfe zu gewähren und Rechtsanwalt W beizuordnen, wird abgelehnt.

Die Beschwerde des [X.] gegen die Nichtzulassung der Revision im genannten Urteil wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. Der Kläger wendet sich gegen die Absenkung seines Grads der Behinderung (GdB) von 80 auf 60.

2

Mit Urteil vom 5.11.2020 hat das [X.] wie vor ihm das [X.] einen Anspruch des [X.] auf einen höheren GdB verneint.

3

Mit seiner Beschwerde, für die er zugleich Prozesskostenhilfe ([X.]) beantragt, wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.]. Das [X.] habe Verfahrensfehler begangen.

4

II. 1. Der Antrag des [X.] auf [X.] ist abzulehnen.

5

Gemäß § 73a Abs 1 Satz 1 [X.]G iVm § 114 Abs 1 Satz 1 ZPO kann einem bedürftigen Beteiligten für das Verfahren vor dem B[X.] nur dann [X.] bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. An einer solchen hinreichenden Erfolgsaussicht fehlt es hier (s dazu unter 2.). Daher kommt auch die Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten im Rahmen der [X.] nicht in Betracht (§ 73a Abs 1 Satz 1 [X.]G iVm § 121 Abs 1 ZPO).

6

2. Die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] ist unzulässig. Die Begründung verfehlt die gesetzlichen Anforderungen. Der Kläger hat die geltend gemachten Verfahrensmängel (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]G) nicht ordnungsgemäß bezeichnet (§ 160a Abs 2 Satz 3 [X.]G).

7

Wer seine Nichtzulassungsbeschwerde auf einen Verfahrensmangel stützen will (§ 160 Abs 2 [X.] Halbsatz 1 [X.]G), muss bei dessen Bezeichnung (§ 160a Abs 2 Satz 3 [X.]G) zunächst substantiiert die ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen darlegen. Diese Darlegungen enthält die Beschwerdebegründung des [X.] nicht. Es fehlt bereits an einer zusammenhängenden und aus sich heraus verständlichen Darlegung der Verfahrens- und Prozessgeschichte sowie des vom [X.] festgestellten Sachverhalts (vgl Senatsbeschluss vom [X.] - B 9 V 48/16 B - juris Rd[X.] 9 mwN).

8

a) Dieser Darlegungsmangel betrifft in besonderer Weise den vom Kläger erhobenen Vorwurf, das [X.] hätte wegen der [X.] seinem wiederholten Antrag auf Terminsverlegung stattgeben müssen, anstatt die Berufungsverhandlung ohne ihn und seinen Prozessbevollmächtigten durchzuführen.

9

Der Anspruch auf rechtliches Gehör in der mündlichen Verhandlung umfasst das Recht auf Aufhebung oder Verlegung eines anberaumten Termins aus erheblichen Gründen nach § 227 Abs 1 ZPO iVm § 202 Satz 1 [X.]G (stRspr; zB B[X.] Beschluss vom 17.12.2020 - [X.] ÜG 4/20 B - [X.] 4-1500 § 62 [X.] 23 Rd[X.] 11 mwN). Ein solcher erheblicher Grund kann auch unzumutbare Gesundheitsgefahr für einen Prozessbeteiligten durch die Fahrt zum oder die Teilnahme am Verhandlungstermin sein ([X.] Beschluss vom 17.2.2021 - 1 W 943/20 - juris Rd[X.] 14 ff mwN). Tatsächliche oder befürchtete gesundheitliche Risiken eines Prozessbeteiligten gebieten indes nicht per se eine Terminsaufhebung oder -verlegung, sondern stellen einen angemessen zu berücksichtigenden Abwägungsgesichtspunkt bei der Auslegung des Begriffs des "erheblichen Grunds" iS des § 227 Abs 1 Satz 1 ZPO dar ([X.] des [X.] Beschluss vom 19.3.2021 - 11/21 ua - juris Rd[X.] 26 mwN). Um einen erheblichen Verlegungsgrund wegen Gesundheitsgefahren glaubhaft zu machen, genügt daher nicht jede pauschale Berufung auf die [X.]. Erforderlich sind vielmehr nähere Darlegungen zur Erforderlichkeit und zu den konkreten Umständen des vorgesehenen Verhandlungstermins, zu den persönlichen Gesundheitsrisiken und insbesondere zu den Schutzvorkehrungen des Gerichts gegen die Gefahren einer Ansteckung mit Covid-19 (vgl VG Würzburg Beschluss vom 4.2.2021 - W 6 K 19.32074 - juris Rd[X.] 9 f).

In dieser Hinsicht hätte der Kläger daher darlegen müssen, warum das [X.] seinem Antrag angesichts von Stand und Dauer des Berufungsverfahrens und der daraus resultierenden Prozessförderungspflicht des [X.] trotz gerichtlicher Schutzvorkehrungen gegen die Gefahr einer [X.] zwingend stattzugeben hatte. Indes hat er bereits weder den Inhalt seines Antrags auf Terminsverlegung noch die Gründe für dessen Ablehnung durch das [X.] mitgeteilt. Seine nicht belegte Behauptung, er habe "sachlich begründet" um eine Terminsverlegung nachgesucht, verfehlt insoweit die Darlegungsanforderungen deutlich.

b) Der Kläger rügt weiterhin, das [X.] habe rechtswidrig seinen Beweisantrag übergangen, den Sachverständigen M erneut zu hören. Gemäß § 160 Abs 2 [X.] Halbsatz 2 [X.]G kann der geltend gemachte Verfahrensmangel indes auf eine Verletzung des § 103 [X.]G nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das [X.] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. [X.] die Beschwerde demnach einen Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht rügen (§ 103 [X.]G), so muss sie einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, dem das [X.] nicht gefolgt ist. Dafür muss nicht nur die Stellung des Antrags, sondern auch aufgezeigt werden, über welche im Einzelnen bezeichneten Punkte Beweis erhoben werden sollte. Denn Merkmal eines substantiierten Beweisantrags ist eine bestimmte Tatsachenbehauptung und die Angabe des Beweismittels für diese Tatsache. Diese ist möglichst präzise und bestimmt zu behaupten, und es ist zumindest hypothetisch zu umreißen, was die Beweisaufnahme ergeben hätte. Nur dies versetzt die Vorinstanz in die Lage, die Entscheidungserheblichkeit seines Antrags zu prüfen und gegebenenfalls seine Ablehnung iS des § 160 Abs 2 [X.] [X.]G ausreichend zu begründen. Unbestimmte oder unsubstantiierte Beweisanträge brauchen dem Gericht dagegen keine Beweisaufnahme nahe zu legen (Senatsbeschluss vom [X.] - B 9 V 16/17 B - juris Rd[X.] 6 mwN).

Einen solchen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag hat der Kläger nicht bezeichnet. Der von ihm zitierte Antrag, den Sachverständigen "nochmals zu bemühen", zeigt keine hinreichend bestimmte Tatsachenbehauptung und ebenso wenig ein hypothetisches Beweisergebnis auf.

Soweit der Kläger darüber hinaus rügt, das [X.] habe das Gutachten des Sachverständigen nicht bzw falsch gewertet, wendet er sich gegen die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts, die § 160 Abs 2 [X.] Halbsatz 2 [X.]G jedoch der Beurteilung durch das B[X.] im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde vollständig entzieht. [X.] der darin enthaltenen ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung kann die Beweiswürdigung des [X.] mit der Nichtzulassungsbeschwerde weder unmittelbar noch mittelbar angegriffen werden (stRspr; zB Senatsbeschluss vom 1.7.2020 - B 9 SB 5/20 B - juris Rd[X.] 10; Senatsbeschluss vom 8.5.2017 - B 9 V 78/16 B - juris Rd[X.] 15).

c) Die Rüge des [X.], das [X.] habe darüber hinaus "im Ergebnis" seinen Antrag auf Anhörung des von ihm benannten Sachverständigen nach § 109 [X.]G übergangen, weil es dessen Empfehlung einer weiteren Begutachtung auf diabetologischem Gebiet nicht gefolgt sei, ist von vornherein unbeachtlich. Auf die Verletzung dieser Vorschrift kann eine Verfahrensrüge nach § 160 Abs 2 [X.] Halbsatz 2 [X.]G unter keinem Gesichtspunkt mit Erfolg gestützt werden.

d) Soweit der Kläger schließlich meint, der Beklagte habe den in § 48 Abs 4 iVm § 45 Abs 4 Satz 2 [X.]B X für rückwirkende Aufhebungen verbürgten Vertrauensschutz verletzt, weil er die Absenkung seines GdB nicht innerhalb eines Jahres nach Beginn des [X.] vorgenommen habe, was das [X.] übergangen habe, rügt er im Ergebnis einen im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde unbeachtlichen Rechtsanwendungsfehler. Die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung des [X.] im Einzelfall ist nicht Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde (stRspr; zB Senatsbeschluss vom [X.] SB 24/17 B - juris Rd[X.] 16 mwN).

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 [X.]G).

Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung [X.] zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 [X.]G).

3. [X.] beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 [X.]G.

Meta

B 9 SB 73/20 B

01.07.2021

Bundessozialgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: SB

vorgehend SG Dresden, 9. Januar 2019, Az: S 2 SB 335/14, Gerichtsbescheid

§ 227 Abs 1 S 1 ZPO, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG, § 62 SGG, § 103 SGG, § 202 S 1 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 01.07.2021, Az. B 9 SB 73/20 B (REWIS RS 2021, 4429)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 4429

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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