Bundessozialgericht, Urteil vom 30.06.2021, Az. B 4 AS 70/20 R

4. Senat | REWIS RS 2021, 4478

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Unzulässigkeit der Berufung - Beschwerdewert - wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr - Arbeitslosengeld II - Überprüfungsverfahren für mehrere Bewilligungszeiträume - Zusammenhang von Bezugszeiten - SGB 2-Ansprüche - kein einheitliches Stammrecht


Leitsatz

Eine Berufung bedarf bei einem Beschwerdewert von bis zu 750 Euro der Zulassung, wenn im sogenannten Überprüfungsverfahren höheres Arbeitslosengeld II für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr begehrt wird, dies aber die Rücknahme von bestandskräftigen Verwaltungsakten voraussetzt, mit denen Arbeitslosengeld II jeweils für sechs Monate bewilligt wurde.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen den Beschluss des [X.] vom 20. April 2020 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch im Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt im Überprüfungsverfahren höhere Leistungen nach dem [X.] für Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU) nach dem [X.].

2

Der Beklagte bewilligte [X.] von Januar bis Februar 2013 (bestandskräftige Bescheide vom [X.], 20.9.2012, 24.11.2012, jeweils bezogen auf den Zeitraum September 2012 bis Februar 2013), von März bis August 2013 (bestandskräftiger Bescheid vom [X.]) und von März bis August 2014 (bestandkräftiger Bescheid vom 17.2.2014) unter Berücksichtigung der Regelbedarfe in voller Höhe (382 Euro für das [X.]; 391 Euro für das [X.]). Für die tatsächlichen Unterkunftsaufwendungen (515 Euro für Januar bis August 2013; 480 Euro für März bis August 2014) bewilligte er KdU nur in aus seiner Sicht angemessener Höhe von 426,60 Euro (für das [X.]) bzw 393,52 Euro (für das [X.]).

3

Den Antrag des [X.], die Bescheide vom [X.], [X.] und 17.2.2014 zu überprüfen und höhere Leistungen für KdU zu bewilligen, lehnte der Beklagte zunächst ab (Bescheid vom 14.10.2014); später bewilligte er KdU in Höhe von 433,24 Euro für Januar bis August 2013 und 417,16 Euro für März bis August 2014 (Änderungsbescheid vom 5.3.2015; Widerspruchsbescheid vom 12.3.2015).

4

Im sozialgerichtlichen Verfahren mit dem Antrag des [X.], "unter Abänderung des Bescheides vom 14.10.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.03.2015 in Abänderung der hierzu ergangenen Bescheide vom 26.07.2012, 01.02.2013, 17.02.2014 für den Zeitraum 01.01.2013 bis 31.08.2013 monatlich weitere 81,76 Euro und vom 01.03.2014 bis 30.08.2014 monatlich weitere 64,76 Euro" zu bewilligen, hat das [X.] den Beklagten verurteilt, "unter Abänderung des [X.] vom 14.10.2014 sowie des Bewilligungsbescheides vom [X.] in der Fassung der Änderungsbescheide vom 20.9.2012, 24.11.2012 und 5.3.2015 (Zeitraum 1/2013 und 2/2013), des Bewilligungsbescheides vom [X.] in der Fassung des Änderungsbescheides vom 5.3.2015 (Zeitraum 3/2013 - 8/2013) und des Bewilligungsbescheides vom 17.2.2014 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 5.3.2015 (Zeitraum 3/2014 - 8/2014) in der Gestalt des Überprüfungswiderspruchsbescheides vom 12.3.2015" dem Kläger "weitere Kosten für die Nettokaltmiete [X.] v. 28,80 € monatlich (d. h. insgesamt 403,20 Euro)" zu zahlen und die Klage im Übrigen abgewiesen (Urteil vom 31.1.2017). Es bestehe ein Anspruch auf KdU nach den Werten der [X.], weil der Beklagte nicht über ein schlüssiges Konzept verfüge. In seiner Rechtsmittelbelehrung ist das [X.] von einer zulässigen Berufung ausgegangen.

5

Das L[X.] hat die Berufung als unzulässig verworfen, weil der Wert des [X.] in Höhe von 750 Euro nicht erreicht werde (Beschluss vom 20.4.2020). Die Voraussetzungen der Rückausnahme des § 144 Abs 1 Satz 2 [X.]G lägen nicht vor. Der Zeitraum eines Jahres werde nicht überschritten, weil der Rechtsstreit drei Bewilligungszeiträume von jeweils unter einem Jahr betreffe. Unerheblich sei, dass sich der Überprüfungsantrag sowie die hierauf ergangenen Bescheide auf alle drei Zeiträume bezögen. Dem Leistungsanspruch nach dem [X.] liege kein einheitliches Stammrecht zugrunde. Auch im Überprüfungsverfahren seien die Anspruchsvoraussetzungen für jeden Bewilligungsabschnitt erneut und unabhängig von früheren Bewilligungen zu prüfen.

6

Mit seiner vom L[X.] zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung von § 144 Abs 1 Satz 2 [X.]G. Gegenstand des Verfahrens sei ein einheitlicher Überprüfungsbescheid bzw Widerspruchsbescheid, der einen Zeitraum von 14 Monaten umfasse. Das Berufungsgericht verkenne das mögliche Prozessziel. Auch ein Verwaltungsakt, der laufende Leistungen für weniger als vier Monate ablehne, könne zu einer Berufungsfähigkeit führen, wenn [X.] für mehr als zwölf Monate geltend gemacht werde. Die Gestaltung des Streitgegenstandes erfolge durch die Beteiligten, die mittels der Klagebegründung oder des Klageantrags eine Beschränkung oder weitergehende Antragstellung vornehmen würden. Unabhängig hiervon sei das "Stammrecht" nach dem [X.] nicht auf zwölf oder weniger Monate beschränkt, weil der Bewilligungszeitraum einen längeren Zeitraum umfassen könne, etwa wenn [X.]-Leistungen nachträglich oder rückwirkend für einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten festgesetzt würden.

7

Der Kläger beantragt,
den Beschluss des [X.] vom 20. April 2020 aufzuheben und das Urteil des [X.] vom 31. Januar 2017 zu ändern sowie den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 14. Oktober 2014 in der Gestalt des Bescheides vom 5. März 2015 und des Widerspruchsbescheides vom 12. März 2015 zu verpflichten, die Bescheide vom 26. Juli 2012, 1. Februar 2013 und 17. Februar 2014 teilweise zurückzunehmen und dem Kläger für den Zeitraum vom 1. Januar 2013 bis 31. August 2013 monatlich weitere 81,76 Euro sowie für den Zeitraum vom 1. März 2014 bis 31. August 2014 monatlich weitere 62,84 Euro zu erbringen.

8

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Der Beklagte bezieht sich auf das Urteil des L[X.].

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision des [X.] ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 [X.]G).

1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens ist neben dem Beschluss des [X.] vom 20.4.2020 und dem Urteil des [X.] vom 31.1.2017 der Bescheid vom 14.10.2014 in der Gestalt des Bescheides vom 5.3.2015 und des Widerspruchsbescheides vom 12.3.2015 sowie das dagegen gerichtete Begehren des [X.], den [X.]n unter Aufhebung der ablehnenden Überprüfungsbescheide zu verpflichten, die [X.] zu ändern und ihm für die streitigen Zeiträume weitere [X.]B II-Leistungen für Unterkunftskosten zu erbringen.

2. Das [X.] hat die Berufung des [X.] gegen das Urteil des [X.] zu Recht als unzulässig verworfen.

a) Nach § 144 Abs 1 Satz 1 [X.] [X.]G in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes ([X.]GArbÄndG) vom [X.] ([X.]) bedarf die Berufung der Zulassung in dem Urteil des [X.] oder auf Beschwerde durch Beschluss des [X.], wenn der Wert des [X.] bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 [X.] nicht übersteigt. Dies gilt nur dann nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (§ 144 Abs 1 Satz 2 [X.]G in der Fassung des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege vom 11.1.1993 ).

Die durch § 144 Abs 1 [X.]G normierte Berufungsbeschränkung knüpft an das Begehren (ursprüngliches Klageziel) des Berufungsklägers an, soweit dieses im Berufungsverfahren weiter verfolgt wird. Maßgeblich ist der Zeitpunkt der Berufungseinlegung (vgl letztens B[X.] vom 19.3.2020 - [X.] [X.]/20 R - [X.] 4-1500 § 144 [X.] Rd[X.]4 mwN). Unter dem so verstandenen [X.] ist der prozessuale, nicht der materiell-rechtliche (tatsächlich bestehende) Anspruch zu verstehen. Der prozessuale Anspruch (Streitgegenstand) ist das Begehren (Klageantrag) auf einen rechtskräftigen Ausspruch bestimmter Rechtsfolgen, die sich nach Meinung des [X.] aus einem zugrunde liegenden (Lebens-)Sachverhalt (Klagegrund) ergeben (vgl nur B[X.] vom 15.8.2018 - B 13 R 66/18 B - Rd[X.]2 mit Verweis auf B[X.] vom 16.4.1964 - 11/1 RA 206/61 - B[X.]E 21, 13 = [X.] [X.] 5 zu § 156 [X.]G, juris Rd[X.]4).

Die Zulässigkeit von Rechtsmitteln unter Berücksichtigung des Klagebegehrens ist bei Anwendung des § 144 Abs 1 Satz 1 [X.] [X.]G und des § 144 Abs 1 Satz 2 [X.]G hinsichtlich jedes selbständigen prozessualen Anspruchs gesondert zu betrachten. Dies gilt auch bei einer Verbindung von Verfahren (§ 113 [X.]G) und in Fallgestaltungen, in denen innerhalb eines Klageverfahrens mehrere prozessuale Ansprüche ("teilbare Streitgegenstände") im Wege der objektiven Klagehäufung (§ 56 [X.]G) geltend gemacht werden (vgl zur gesonderten Prüfung der Statthaftigkeit B[X.] vom [X.] - 7 [X.]/78 - [X.] 4100 § 119 [X.], juris Rd[X.]6; B[X.] vom 18.3.1982 - 7 [X.]/80 - [X.] 4100 § 118 [X.] S 54; B[X.] vom 22.3.1989 - 7 [X.]/88 - juris Rd[X.]2; B[X.] vom 30.10.2007 - B 2 U 272/07 B - [X.] 4-1500 § 160a [X.] Rd[X.] 3). Entsprechend kann ein Rechtsmittel auf einen von mehreren eigenständigen prozessualen Ansprüchen beschränkt werden (vgl B[X.] vom [X.] - B 7 [X.] 2/98 R - B[X.]E 82, 198 = [X.] 3-4100 § 242v [X.], juris Rd[X.] 27 mwN).

Unerheblich dafür, ob ein Berufungsausschluss eintritt, ist die prozessuale Gestalt der Klage. Entscheidend ist [X.] des Verfahrens, das mit der Klage bzw der Berufung sachlich verfolgte Ziel (vgl B[X.] vom 22.9.1976 - 7 [X.]/75 - B[X.]E 42, 212, 213 - [X.] 1500 § 131 [X.] 3 = [X.] 1500 § 144 [X.] 5 S 13, juris Rd[X.]8; B[X.] vom [X.] - 7 [X.]/78 - [X.] 4100 § 119 [X.], juris Rd[X.]6). Entsprechend hat das B[X.] entschieden, dass § 144 Abs 1 Satz 1 [X.] [X.]G, also die Bestimmung der Zulässigkeit einer Berufung anhand des [X.], auch dann einschlägig ist, wenn Gegenstand des Berufungsverfahrens eine Untätigkeitsklage (§ 88 [X.]G) ist (vgl B[X.] vom 6.10.2011 - B 9 S[X.]5/11 B - [X.] 4-1500 § 144 [X.] 7 Rd[X.] ff; B[X.] vom 10.10.2017 - B 12 KR 3/16 R - Rd[X.]3) oder im Rücknahme- oder Erledigungsstreit darüber gestritten wird, ob das Verfahren bereits beendet ist (vgl letztens B[X.] vom 19.3.2020 - [X.] [X.]/20 R - [X.] 4-1500 § 144 [X.] Rd[X.]6).

In Anwendung dieser Grundsätze ist das [X.] zutreffend davon ausgegangen, dass die Berufung des [X.] nach § 144 Abs 1 Satz 1 [X.] [X.]G und § 144 Abs 1 Satz 2 [X.]G der Zulassung bedurfte.

b) Die Berufung betraf auf Geldleistungen gerichtete Verwaltungsakte mit einem Wert des [X.] von unter 750 [X.] (§ 144 Abs 1 Satz 1 [X.]G).

Das Begehren des [X.] war auf die teilweise Rücknahme der ursprünglichen Bewilligungsbescheide und höheres [X.] gerichtet. Zwar sind die zur Überprüfung gestellten Ansprüche auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach der rechtlichen Ausgangslage im Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende auf Bewilligungsabschnitte bezogen (vgl hierzu näher unter c); jedoch sind - in Abweichung von der gesonderten Betrachtung der Zulässigkeit der Berufung bei "teilbaren Streitgegenständen" - bei der Ermittlung des [X.] nach § 144 Abs 1 Satz 1 [X.] [X.]G mehrere in einer Klage geltend gemachte prozessuale Ansprüche zusammenzurechnen. Insofern hat das B[X.] mit Bezug auf den maßgebenden Begriff des [X.] über § 202 [X.]G auf § 5 ZPO zurückgegriffen. § 5 ZPO ordnet an, dass mehrere in einer Klage geltend gemachte Ansprüche zusammengerechnet werden (vgl B[X.] vom 5.2.1998 - B 11 [X.] 19/97 R - [X.] 3-4100 § 65 [X.] 3 S 10, juris Rd[X.]5; B[X.] vom [X.] - [X.] AS 182/18 B - Rd[X.] 4 mwN; siehe bereits [X.] zu den Änderungen durch das [X.], [X.] 1993, 137, 139; [X.], [X.] 1993, 285, 289). Der [X.] von 750 [X.] wird dennoch nicht erreicht. Das [X.] hat zu Recht darauf abgestellt, dass der Kläger mit seinem Antrag vor dem [X.] ursprünglich einen Betrag in Höhe von insgesamt 1042,64 [X.] geltend gemacht hat. Seine Klage ist in einem Umfang von 403,20 [X.] erfolgreich gewesen, weshalb er mit einem Betrag in Höhe von 639,44 [X.], also weniger als 750 [X.], unterlegen ist. Nur dieser Betrag ist der Wert des [X.] des Berufungsverfahrens iS von § 144 Abs 1 Satz 1 [X.] [X.]G.

Ohne Bedeutung ist, dass der Kläger ungeachtet des vor dem [X.] erzielten [X.] mit seinem Berufungsantrag erneut eine Verurteilung des [X.]n in Höhe des ursprünglich mit der Klage geltend gemachten Gesamtbetrags begehrt hat. Dies hat das [X.] zu Recht als unbeachtlich angesehen, weil die Aufrechterhaltung der Berufung hinsichtlich des bei Klageerhebung streitigen Betrags mangels vernünftigen Grundes teilweise rechtsmissbräuchlich gewesen ist. Die Voraussetzungen einer rechtsmissbräuchlichen Antragstellung liegen vor, wenn entgegen der eindeutigen Rechtslage Anträge willkürlich nur gestellt werden, um eine Berufungsfähigkeit zu erreichen ([X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.]G, 13. Aufl 2020, § 144 Rd[X.]4a mwN; B[X.] vom 22.8.1990 - 10 [X.] 29/88 - B[X.]E 67, 194, 195 = [X.] 3-5870 § 27 [X.] S 2, juris Rd[X.]4). Streitig war allein die Höhe der KdU, weil der [X.] die Regelleistungen durchgehend in voller Höhe bewilligt hatte. Die Differenz hinsichtlich der im sozialgerichtlichen Verfahren geltend gemachten KdU abzüglich des zugesprochenen Betrags entspricht dem Betrag der (noch) offenen tatsächlichen Unterkunftskosten in Höhe von 639,44 [X.].

c) Die Ausnahmeregelung des § 144 Abs 1 Satz 2 [X.]G, nach der eine Berufung auch bei einem [X.] unterhalb von 750 [X.] zulässig ist, greift nicht ein. Die hierfür erforderliche Voraussetzung, dass die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft, liegt nicht vor.

aa) Zwar ist [X.] als Sozialleistung nach § 19a [X.]B I eine Geldleistung iS von § 144 Abs 1 Satz 2 [X.]G und es handelt sich bezogen auf den jeweiligen Bewilligungszeitraum um eine laufende Leistung, weil sie wiederholt gezahlt wird, gleichartig ist und innerhalb eines Bewilligungszeitraums auf demselben Rechtsgrund beruht (B[X.] vom 22.7.2010 - [X.] [X.]/10 B - Rd[X.] 7). Der Zeitraum von einem Jahr wird aber nicht überschritten.

Mit den zur Überprüfung gestellten [X.]n ist [X.] nach § 41 Abs 1 Satz 4 [X.]B II in der Fassung der Bekanntmachung der Neufassung des [X.] vom 13.5.2011 ([X.]; im Folgenden § 41 [X.]B II aF) jeweils nur für sechs Monate bewilligt worden. Nach der rechtlichen Ausgangslage im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende sind Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.]B II für die jeweiligen Bewilligungsabschnitte unterschiedliche Streitgegenstände. Das Ende des Bewilligungszeitraums stellt eine zeitliche Zäsur dar, die den jeweiligen Streitgegenstand in zeitlicher Hinsicht umschreibt (B[X.] vom 30.7.2008 - [X.] [X.]/08 B - Rd[X.] 5; B[X.] vom 22.7.2010 - [X.] [X.]/10 B - Rd[X.] 7; vgl zur Nichtanwendbarkeit des § 96 [X.]G: B[X.] vom 7.11.2006 - B 7b [X.] - B[X.]E 97, 242 = [X.] 4-4200 § 20 [X.], Rd[X.] 30; B[X.] vom 23.11.2006 - B 11b [X.] - [X.] 4-4300 § 428 [X.] 3 Rd[X.]4; B[X.] vom 26.9.2013 - [X.] [X.]/13 B - Rd[X.] 6).

Das Überprüfungsbegehren des [X.] nach § 40 Abs 1 Satz 2 [X.]B II iVm § 44 [X.]B X bezog sich auf die (teilweise) Rücknahme der drei getrennt zu betrachtenden Bescheide. Ohne deren Rücknahme konnte er kein höheres [X.] erhalten, weil Leistungen nach dem [X.]B II längstens für einen Zeitraum von einem Jahr vor der Rücknahme erst nach Rücknahme des zu überprüfenden Verwaltungsaktes erbracht werden (vgl § 40 Abs 1 Satz 2 [X.] 2 [X.]B II iVm § 44 Abs 4 Satz 1 [X.]B X). Erfolgt die Überprüfung nach § 44 [X.]B X - wie vorliegend - aufgrund eines Antrags des Leistungsberechtigten, löst dieser Antrag eine auf jeden gesonderten Bescheid bezogene Prüfpflicht des Leistungsträgers aus; gleichzeitig bestimmt dieser Antrag auch den Umfang des [X.] im Hinblick darauf, ob bei Erlass des Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden ist (B[X.] vom 13.2.2014 - [X.] AS 22/13 R - B[X.]E 115, 126 = [X.] 4-1300 § 44 [X.] 28, Rd[X.]3).

Entsprechend war das Überprüfungsbegehren des [X.] parallel zu den jeweils auf sechs Monate befristeten Bewilligungen durch die [X.] auf die Zeiträume vom 1.1. bis [X.], 1.3. bis [X.] und 1.3. bis 31.8.2014 bezogen (vgl zur zeitlichen Begrenzung im Überprüfungsverfahren B[X.] vom [X.] - B 11b [X.] - [X.] 4-4200 § 24 [X.] 3 Rd[X.]8). In zeitlicher Hinsicht lagen (hinsichtlich des [X.]) voneinander getrennte Lebenssachverhalte vor. Nach dem Inhalt seines Überprüfungsantrags sowie seiner erst- und zweitinstanzlichen Anträge begehrte der Kläger auch keine durchgehende Bewilligung von [X.]B II-Leistungen von Januar 2013 bis August 2014, die im Übrigen mit der anzuwendenden Gesetzeslage unvereinbar wäre. Gegenstand des Klagebegehrens war allein die Höhe der KdU in getrennt zu betrachtenden Bewilligungszeiträumen.

bb) Im Rahmen von § 144 Abs 1 Satz 2 [X.]G ist eine Zusammenrechnung der Bezugszeiträume verschiedener prozessualer Ansprüche auch nicht in ergänzender Anwendung der [X.] möglich. Bei der Ermittlung des [X.] nach § 144 Abs 1 Satz 1 [X.] [X.]G folgt die Addition der [X.]e aus § 202 [X.]G iVm § 5 ZPO mit der Möglichkeit des Rückgriffs auf den zivilprozessualen Begriff des [X.] (vgl bereits unter b). Die Bezugszeiträume verschiedener [X.] können dagegen nicht addiert werden, weil der Gesetzgeber des [X.] - zur Entlastung der Berufungsgerichte von Bagatellstreitigkeiten - die Beschwer mit der besonderen Regelung des § 144 Abs 1 Satz 2 [X.]G ausdrücklich durch die Länge des jeweils streitgegenständlichen Zeitraums zum Ausdruck gebracht hat, für den wiederkehrende Leistungen (Bezugsdauer) im Streit stehen (vgl B[X.] vom 18.3.1982 - 7 [X.]/80 - [X.] 4100 § 118 [X.] S 54, juris Rd[X.] 34; B[X.] vom 22.3.1989 - 7 [X.]/88 - juris Rd[X.]5; vgl [X.], [X.] 1993, 137, 140; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.]G, 2. Aufl 2021, § 144 Rd[X.] 34) und insofern keine Abweichung von dem Grundsatz der getrennten Betrachtung verschiedener prozessualer Ansprüche (vgl hierzu unter a) möglich ist.

cc) Der Umstand, dass der [X.] im Überprüfungsverfahren nach § 44 [X.]B X nicht durch getrennte Bescheide entschieden, sondern das Ergebnis der Prüfungen in einem einheitlichen Bescheid mit mehreren getrennten Verfügungen zusammengefasst hat, führt nicht zu einer Änderung der Streitgegenstände (so auch [X.] Mecklenburg-Vorpommern vom 5.12.2011 - L 8 [X.]30/10 [X.]; [X.] Baden-Württemberg vom [X.] - L 2 SO 3177/13 - Rd[X.] 27; [X.] Baden-Württemberg vom 12.2.2020 - L 3 [X.]066/19 - Rd[X.] 21; [X.] in [X.][X.], jurisPK-[X.]G, 1. Aufl 2017, § 144 Rd[X.] 27). Insofern gelten keine anderen Grundsätze als bei einem Streit über höhere Leistungen für verschiedene Bewilligungsabschnitte im Ausgangsverfahren.

Die zeitliche Dauer der jeweiligen Bewilligungen wurde im Überprüfungsverfahren auch nicht korrigiert. Der Überprüfungsbescheid vom 14.10.2014 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 5.3.2015 sowie des Widerspruchsbescheides vom 12.3.2015 bezieht sich entsprechend auf die ursprünglichen Bewilligungen. Insofern liegt eine andere tatsächliche Ausgangslage vor als in den vom Kläger im Revisionsverfahren angesprochenen Konstellationen einer vollständigen Leistungsablehnung mit einer rückwirkenden erstmaligen Anerkennung eines Leistungsanspruchs.

dd) Zwar gilt der Grundsatz, dass die Statthaftigkeit eines Rechtsmittels für jeden Anspruch gesondert zu prüfen ist, im Rahmen des § 144 Abs 1 Satz 2 [X.]G nicht uneingeschränkt; jedoch kann für das Überprüfungsverfahren nach § 44 [X.]B X keine (weitere) Ausnahme anerkannt werden.

Besteht nach der materiell-rechtlichen Gestaltung der Rechtslage ein Zusammenhang zwischen den in Streit stehenden wiederkehrenden Leistungen derart, dass sie im Wesentlichen auf demselben Rechtsverhältnis (Stammrecht) beruhen bzw denselben Entstehungsgrund haben, so ist hinsichtlich der auf die Bezugsdauer abstellenden Beschwer des § 144 Abs 1 Satz 2 [X.]G in Abweichung von den dargestellten Grundsätzen nicht entscheidend, ob diese Leistungen durch einen oder mehrere prozessuale Ansprüche geltend gemacht werden müssen oder ob die streitigen durch unstreitige Bezugszeiten unterbrochen sind. Dies ist von der Rechtsprechung des B[X.] angenommen worden für Ansprüche nach dem [X.]B III ([X.], [X.]), die auf einem einheitlichen Stammrecht beruhen, nicht jedoch für solche Ansprüche auf [X.], denen eine neue Anwartschaft und damit ein neu entstandener Anspruch auf [X.] zugrunde liegt (vgl B[X.] vom 18.3.1982 - 7 [X.]/80 - [X.] 4100 § 118 [X.] S 54, juris Rd[X.]6 mwN; B[X.] vom 22.3.1989 - 7 [X.]/88 - juris Rd[X.]5).

Jedoch beruhen [X.]B II-Ansprüche, anders als Ansprüche nach dem [X.]B III, von vornherein nicht auf einem einheitlichen Stammrecht (aA wohl Thüringer [X.] vom 10.1.2013 - L 9 AS 831/10 - Rd[X.] 27). Für die jeweiligen Bewilligungsabschnitte werden sie als materiell-rechtlich selbständige Ansprüche regelmäßig für kürzere Zeiträume bewilligt. Die Prüfung der Leistungsvoraussetzungen erfolgt gesondert für jeden Bewilligungsabschnitt, für den ein konstitutiv wirkender Antrag (§ 37 Abs 1 Satz 1 [X.]B II) zu stellen ist. Die Leistungsträger nach dem [X.]B II müssen Änderungen bei der Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen und der Ermittlung der Bedarfe, zumeist nicht nur für eine Person, sondern oft für mehrere Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft jeweils erneut prüfen. Die Zuerkennung von Leistungen für einen Bewilligungszeitraum einschließlich der Beurteilung einzelner Tatbestandsmerkmale entfaltet keine Bindungswirkung für Folgezeiträume (B[X.] vom 26.5.2011 - [X.] [X.]/10 R - B[X.]E 108, 235 = [X.] 4-4200 § 20 [X.]3, Rd[X.]5; B[X.] vom 14.2.2013 - [X.] [X.]8/12 R - [X.] 4-4200 § 21 [X.]5 Rd[X.] 9).

Anders als der Kläger meint, kann sich ein einheitliches Stammrecht auch nicht aus dem Umstand ergeben, dass etwa bei der Anrechnung von Einkommen als einer tatbestandlichen Voraussetzung der Leistungsbewilligung eine normative Berücksichtigung des anrechenbaren Einkommens über den aktuellen Bewilligungsabschnitt hinaus vorgenommen wird. Auch sind für die Zulässigkeit der Berufung nicht einzelne Anspruchsvoraussetzungen relevant, sondern allein derjenige prozessuale Anspruch, der auch Streitgegenstand sein kann. Die Zeiträume verschiedener Bewilligungszeiträume können nicht allein deshalb bei Anwendung des § 144 Abs 1 Satz 2 [X.]G zusammengerechnet werden, weil teilweise gleiche Leistungsparameter im Streit stehen (dies befürwortend [X.] in [X.]/[X.], Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, [X.]. [X.], Rd[X.] 20a).

ee) Anders als der Kläger meint, sind damit Ansprüche nach dem [X.]B II auch nicht generell vom Berufungsausschluss des § 144 Abs 1 [X.]G betroffen. Auch innerhalb eines Bewilligungszeitraums nach dem [X.]B II kann der [X.] über 750 [X.] liegen. Zudem bleibt jedenfalls bei zeitlich unbegrenzten Leistungsablehnungen bei ungewisser oder geringer Höhe des Leistungsanspruchs die Berufung zulässig. Zutreffend verweist der Kläger auf Fallgestaltungen, in denen ein Leistungsträger wegen einer vermeintlichen Verletzung von [X.] die [X.]B II-Leistungen versagt hat oder er eine Bewilligung abgelehnt hat und Leistungen für einen vergangenen Zeitraum ohne vorherige Bestimmung der Dauer nachträglich festsetzt werden. Eine solche Konstellation liegt dem Rechtsstreit jedoch nicht zugrunde.

3. Das Berufungsgericht ist auch zu Recht davon ausgegangen, dass das [X.] allein durch die vorliegende, fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung keine Zulassung der Berufung ausgesprochen hat (vgl B[X.] vom 19.11.1996 - 1 RK 18/95 - [X.] 3-1500 § 158 [X.]).

4. [X.] beruht auf § 193 [X.]G.

Meta

B 4 AS 70/20 R

30.06.2021

Bundessozialgericht 4. Senat

Urteil

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Potsdam, 31. Januar 2017, Az: S 45 AS 677/15, Urteil

§ 144 Abs 1 S 1 Nr 1 SGG, § 144 Abs 1 S 2 SGG, § 202 SGG, § 5 ZPO, § 19a SGB 1, § 44 SGB 10, § 40 Abs 1 S 2 SGB 2, § 41 Abs 1 S 4 SGB 2 vom 13.05.2011, SGB 3

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 30.06.2021, Az. B 4 AS 70/20 R (REWIS RS 2021, 4478)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 4478

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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B 11 AL 14/18 R (Bundessozialgericht)

Ruhen des Arbeitslosengeldanspruchs - mehrere Sperrzeiten wegen Arbeitsablehnung - Nichtbewerbung nach mehreren Vermittlungsvorschlägen - keine …


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