Bundessozialgericht, Beschluss vom 04.12.2019, Az. B 9 V 25/19 B

9. Senat | REWIS RS 2019, 845

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Gegenstand

(Nichtzulassungsbeschwerde - sozialgerichtliches Verfahren - Zurückweisung eines Befangenheitsantrags grundsätzlich kein Verfahrensfehler iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG - Ausnahme bei Willkür oder Verkennung der verfassungsrechtlichen Tragweite - prozessordnungsgemäßer Beweisantrag bestimmte Tatsachenbehauptung - Angabe des Beweismittels - grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache - soziales Entschädigungsrecht - Soldatenversorgung - Wehrdienstbeschädigung - Nebenwirkung einer Malariaprophylaxe - Kannversorgung - medizinische Lehrmeinung - Darlegungsanforderungen)


Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 16. Mai 2019 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

1

I. Der Kläger begehrt in der Hauptsache die Anerkennung einer Gesundheitsstörung "Agoraphobische Angststörung mit Panikstörung" als Folge einer Wehrdienstbeschädigung und deren Ausgleich ab dem 1.1.2006 nach einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von 60. Die Gesundheitsstörung führt er auf eine während seiner Zeit als Soldat auf Zeit bei der [X.] durchgeführte Malariaprophylaxe mit dem Medikament "[X.]" (Wirkstoff: [X.]) im Zusammenhang mit einem Auslandsaufenthalt in [X.] im Jahre 2004 zurück.

2

Das SG hat nach Einholung von Gutachten der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie [X.] vom [X.] sowie auf Antrag des [X.] von dem Facharzt für Psychiatrie [X.] vom 1.12.2012 den Anspruch des [X.] bejaht unter Bezugnahme auf das Gutachten von [X.]

3

Das [X.] hat im Berufungsverfahren weiteren Beweis erhoben durch Einholung ergänzender Stellungnahmen von [X.] vom 30.7.2015 und 28.7.2017, eines Gutachtens des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. vom 27.5.2016 sowie zweier Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie und Diplompsychologen Prof. Dr. B. vom [X.] und [X.]. Mit Urteil vom [X.] hat das [X.] die Klage abgewiesen. Weder die im Zeitraum von Ende August 2004 bis Ende November 2004 bei dem Kläger durchgeführte Malariaprophylaxe mit [X.] noch die nachfolgende truppenärztliche Behandlung bis zum Ausscheiden aus der [X.] am 31.12.2007 ständen in einem ursächlichen Zusammenhang zu der beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörung. In Übereinstimmung mit den Sachverständigen [X.], Dr. S. und Prof. Dr. B. sei die beim Kläger vorliegende Gesundheitsstörung nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit im Sinne der Entstehung oder Verschlimmerung auf die mit [X.] durchgeführte Malariaprophylaxe im Jahre 2004 zurückzuführen. Insbesondere Prof. Dr. B. habe unter umfassender Auswertung der diesbezüglichen fachwissenschaftlichen Literatur herausgearbeitet, dass unter Anwendung des Wirkstoffs [X.] seit 1987 zwar neurologische und psychiatrische Nebenwirkungen bekannt seien. Es fänden sich aber keine Berichte über die psychischen Symptome einer Agoraphobie wie Vermeidungsverhalten. Auch fände sich kein Fallbericht, in dem die Symptome, wie vorliegend, erst ca zwei Jahre nach der ersten Einnahme aufgetreten wären. Demgegenüber entstehe eine Panikstörung in der Mehrzahl der Fälle ohne ein auslösendes Ereignis und seien deren Ursachen zum Teil genetisch. Der Verlauf der Panikstörung bei dem Kläger - Beginn mit etwa 25 Jahren und langsame Besserung bis Ende des dritten Lebensjahrzehnts - entspreche dem typischen Verlauf dieser Erkrankung (Urteil vom [X.]).

4

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger Beschwerde beim [X.] eingelegt. Er macht als Zulassungsgrund eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie Verfahrensfehler geltend.

5

II. Die Beschwerde des [X.] ist unzulässig. Seine Begründung genügt nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Form, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 [X.] SGG) und eines [X.] (§ 160 Abs 2 [X.] SGG) nicht in der hierfür erforderlichen Weise dargetan worden sind (§ 160a Abs 2 Satz 3 Satz SGG).

6

1. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung iS von § 160 Abs 2 [X.] SGG, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss daher, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl Senatsbeschluss vom [X.] - [X.] SB 40/18 B - juris Rd[X.] 4; [X.] Beschluss vom [X.] - B 5 R 401/16 B - juris Rd[X.] 6). Der Vortrag des [X.] genügt diesen Anforderungen nicht.

7

Der Kläger hält die Rechtsfrage für grundsätzlich bedeutsam, "ob die Beklagte verpflichtet war, aufgrund der bekannten Nebenwirkungen des Malariaprophylaxe-Mittels [X.], dieses nicht mehr an ihre Soldaten auszugeben und damit nebenwirkungsindizierte Krankheiten bzw. Wehrdienstbeschädigungen vorzubeugen und ob damit die Grundsätze der 'Kannversorgung' gemäß § 81 Abs. 6 S. 2 SVG bei Soldaten Anwendung finden, die verpflichtet waren das Chemoprophylaxe-Medikament [X.] vor, während und nach eines Auslandseinsatzes einzunehmen mit der Folge mit den erheblichen Nebenwirkungen des Medikaments konfrontiert zu sein".

8

Dahingestellt bleiben kann, ob der Kläger damit überhaupt eine nachvollziehbare Rechtsfrage iS des § 160 Abs 2 [X.] SGG zu einem konkreten Tatbestandsmerkmal bezeichnet hat. Denn er hat bereits die Klärungsbedürftigkeit der von ihm aufgeworfenen Fragestellung nicht dargetan. Er behauptet lediglich, dass es keine Rechtsprechung des [X.] zu den von ihm formulierten Fragen gibt und setzt sich inhaltlich nicht mit der Rechtsprechung des [X.] zu § 81 Abs 6 Satz 2 SVG auseinander. Zwar benennt der Kläger die Rechtsprechung zur Kausalität auch im Zusammenhang mit der sog "Kann-Versorgung" (vgl hierzu Senatsurteil vom 17.7.2008 - [X.]/9a [X.] - [X.] 4-3200 § 81 [X.] Rd[X.]7 f mwN). Der fehlende Klärungsbedarf folgt aber bereits aus dem Umstand, dass die Beschwerde nicht aufzeigt, worin der weitere Klärungsbedarf angesichts der vorhandenen Rechtsprechung zu § 81 Abs 6 Satz 2 SVG noch bestehen soll. Zudem zeigt die Beschwerde auch unter Zugrundelegung der sog "Kann-Versorgung" die Entscheidungserheblichkeit der Fragen nicht auf. Nach § 81 Abs 6 Satz 2 SVG kann eine Gesundheitsstörung als Folge einer Wehrdienstbeschädigung anerkannt werden, wenn die zur Anerkennung erforderliche Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht. Ob es medizinische Lehrmeinungen gibt, nach denen die beim Kläger bestehende Agoraphobie eine Nebenwirkung von [X.] sein kann, legt die Beschwerde nicht dar und zeigt damit keine Ungewissheit im Sinne des Gesetzes auf. Im [X.] handelt es sich bei dem Beschwerdevorbringen des [X.] vielmehr um eine Rüge der Beweiswürdigung des [X.] (vgl § 128 Abs 1 Satz 1 SGG). Auf einen solchen Angriff kann jedoch nach der ausdrücklichen Regelung des § 160 Abs 2 [X.] Halbsatz 2 SGG eine Nichtzulassungsbeschwerde - auch im Rahmen einer Grundsatzrüge - nicht gestützt werden.

9

2. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 [X.] Halbsatz 1 SGG), müssen bei der Bezeichnung des [X.] (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Wer einen Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) rügen will, muss deshalb nicht nur einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag bezeichnen, sondern auch darlegen, warum die Tatumstände das [X.] zu weiterer Sachaufklärung hätten drängen müssen, was diese vermutlich ergeben hätte und warum die angefochtene Entscheidung auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann. Maßgeblich ist dabei die materielle Rechtsauffassung des [X.] (stRspr zB Senatsbeschluss vom [X.] - [X.] SB 5/18 B - juris Rd[X.]). Diese Anforderungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht.

a) Der Kläger rügt zunächst, das [X.] habe zu Unrecht mit Beschluss vom [X.] durch die Berichterstatterin den Antrag des [X.] auf Ablehnung des Sachverständigen Prof. Dr. B. wegen Besorgnis der Befangenheit zurückgewiesen.

Mit diesem und seinem weiteren Vortrag hat der Kläger einen Verfahrensmangel nicht hinreichend dargetan. Im Hinblick auf § 557 Abs 2 ZPO iVm § 202 Satz 1 SGG unterliegen die dem Endurteil vorausgehenden Entscheidungen der Vorinstanz der Beurteilung des [X.] grundsätzlich dann nicht, wenn sie ihrerseits unanfechtbar sind. Diese Einschränkung der Prüfungsbefugnis des [X.] ist bei Beschlüssen, durch die ein Ablehnungsgesuch gemäß § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 406 Abs 2 ZPO zurückgewiesen wird, gegeben, wenn sie - wie hier - von einem [X.] erlassen werden und deshalb gemäß § 177 SGG der Anfechtung mit der Beschwerde entzogen sind. Dies hat zur Folge, dass die Zurückweisung eines [X.] grundsätzlich auch nicht als Verfahrensfehler des angefochtenen Urteils iS von § 160 Abs 2 [X.] SGG geltend gemacht werden kann. Die Bindung des [X.] fehlt lediglich, wenn die Zurückweisung des [X.] auf willkürlichen oder manipulativen Erwägungen beruht, die für die Fehlerhaftigkeit des als Mangel gerügten Vorgangs bestimmend gewesen sind, oder wenn die Zurückweisung des [X.] darauf hindeutet, dass das Gericht Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art 101 Abs 1 Satz 2 GG grundlegend verkannt hat (vgl hierzu insgesamt Senatsbeschluss vom 7.6.2018 - [X.] V 69/17 B - juris Rd[X.] 6 mwN). Entsprechende substantiierte Darlegungen des [X.] lassen sich seiner Beschwerdebegründung nicht entnehmen.

b) Der Kläger rügt weiter, das [X.] hätte weitere Sachverhaltsermittlungen über die bereits im Verfahren der Wehrdienstbeschädigung vorliegenden Sachverständigengutachten und die sonstigen medizinischen Unterlagen hinaus einholen müssen, weil konkrete objektivierbare Anhaltspunkte dafür ersichtlich seien, dass die Gutachten des Prof. Dr. B. vom [X.] und [X.], auf die das [X.] seine Entscheidung insbesondere gestützt habe, schwere Mängel aufwiesen oder in sich widersprüchlich seien.

Auch mit diesem Vortrag hat der Kläger keinen Verfahrensmangel hinreichend benannt. Denn es fehlt bereits an der Bezeichnung eines prozessordnungsgemäßen Beweisantrags iS des § 160 Abs 2 [X.] SGG (iVm § 118 Abs 1 Satz 1 SGG, § 403 ZPO). Merkmal eines Beweisantrags ist eine bestimmte Tatsachenbehauptung und die Angabe des Beweismittels für diese Tatsache (Senatsbeschluss vom 29.1.2018 - [X.] V 39/17 B - juris Rd[X.]1). Hieran fehlt es.

Dass der Kläger das Urteil des [X.] für inhaltlich falsch hält, ist für das [X.] unerheblich. Dies gilt auch, soweit er mit der Auswertung und Würdigung des Sach- und Streitstandes sowie der vorliegenden medizinischen Unterlagen des [X.] nicht einverstanden ist. Denn insoweit wendet sich der Kläger - wie oben bereits ausgeführt - gegen die Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) des Berufungsgerichts, auf die eine Verfahrensrüge nicht gestützt werden kann.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

3. Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

4. [X.] beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Meta

B 9 V 25/19 B

04.12.2019

Bundessozialgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: V

vorgehend SG Bremen, 1. April 2014, Az: S 3 VS 24/08, Urteil

§ 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG, § 60 SGG, § 103 SGG, § 118 Abs 1 S 1 SGG, § 202 S 1 SGG, § 42 ZPO, § 403 ZPO, § 557 Abs 2 ZPO, § 81 Abs 6 S 2 SVG, Art 101 Abs 1 S 2 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 04.12.2019, Az. B 9 V 25/19 B (REWIS RS 2019, 845)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 845

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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