Bundessozialgericht, Beschluss vom 06.01.2023, Az. B 9 V 22/22 B

9. Senat | REWIS RS 2023, 163

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Gegenstand

Soziales Entschädigungsrecht - Wehrdienstbeschädigung - truppenärztliche Heilbehandlung - Kausalitätsprüfung - Unterscheidung zwischen Primärschaden und Sekundärschaden - Vergleich zum hypothetischen Gesundheitszustand bei freier Arztwahl - haftungsbegründende Kausalität - weitere Schädigungsfolge - haftungsausfüllende Kausalität - Nichtzulassungsbeschwerde - Divergenz - Darlegungsanforderungen


Tenor

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 12. Mai 2022 wird als unzulässig verworfen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Gründe

1

I. In dem der Beschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit begehrt der Kläger - ein ehemaliger Berufssoldat - die Anerkennung der Gesundheitsstörungen "postprandiale Bauchkrämpfe und Diarrhöen" als weitere Wehrdienstbeschädigung ([X.]) gemäß § 81 SVG und die Gewährung eines Ausgleichs gemäß § 85 SVG nach einem Grad der Schädigungsfolgen ([X.]) von mindestens 30.

2

Mit bestandskräftigem Bescheid vom [X.] hatte die Beklagte die Gesundheitsstörung "Dünndarm-Dysfunktion durch akzidentelle [X.], [X.]." als [X.] anerkannt sowie die Anerkennung der weiterhin festgestellten Gesundheitsstörung "Magengleitbruch" als [X.] abgelehnt. Der [X.] wurde mit unter 25 bemessen und die Zahlung von Ausgleich nach § 85 SVG abgelehnt. Aus Anlass eines [X.] prüfte die Beklagte auch die Rücknahme des Bescheids vom [X.] nach § 44 [X.], welche sie jedoch ablehnte (Bescheid vom 28.10.2016).

3

Auf die nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage hat das [X.] die Beklagte verurteilt, ihren Bescheid vom [X.] abzuändern und über die bereits festgestellten Gesundheitsstörungen hinaus "postprandiale Bauchkrämpfe und Diarrhöen" als weitere [X.] festzustellen und ab dem 1.1.2010 einen Ausgleich nach einem [X.] von 40 zu gewähren (Urteil vom 17.11.2020). Auf die Berufung der Beklagten hat das L[X.] das Urteil des [X.] nur insoweit geändert, dass ein Ausgleich nach einem [X.] von 30 zu gewähren sei (Urteil vom 12.5.2022).

4

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Beklagte Beschwerde beim B[X.] eingelegt und mit einer Divergenz zur Rechtsprechung des B[X.] begründet.

5

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten ist unzulässig. Die Beschwerdebegründung genügt nicht der nach § 160a Abs 2 Satz 3 [X.]G gebotenen Form. Die Beklagte hat den von ihr ausschließlich geltend gemachten Zulassungsgrund nicht in der danach vorgeschriebenen Weise dargetan.

6

Divergenz iS von § 160 Abs 2 [X.] [X.]G bedeutet Widerspruch im Rechtssatz, nämlich das [X.] tragender abstrakter Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde gelegt sind. Zur ordnungsgemäßen Bezeichnung einer Divergenz sind ein oder mehrere entscheidungstragende Rechtssätze aus der Berufungsentscheidung und zu demselben Gegenstand gemachte und fortbestehende aktuelle abstrakte Aussagen aus einer Entscheidung des B[X.], des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des [X.] oder des [X.] einander gegenüberzustellen (stRspr; zB B[X.] Beschluss vom 25.10.2018 - [X.] V 27/18 B - juris RdNr 8 mwN). Zudem ist näher zu begründen, weshalb diese nicht miteinander vereinbar sind und inwiefern die Entscheidung des L[X.] auf der Abweichung beruht (stRspr; vgl B[X.] Beschluss vom [X.] - B 5 R 248/20 B - juris RdNr 9; B[X.] Beschluss vom 19.7.2012 - B 1 KR 65/11 B - [X.] 4-1500 § 160a [X.] Rd[X.]1; B[X.] Beschluss vom [X.] - [X.]a [X.]/06 B - [X.] 4-1500 § 160 [X.] Rd[X.]7). Nicht ausreichend ist es hingegen, wenn die fehlerhafte Anwendung eines als solchen nicht infrage gestellten höchstrichterlichen Rechtssatzes durch das Berufungsgericht geltend gemacht wird (bloße Subsumtionsrüge). Denn nicht die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall, sondern nur eine Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen ermöglicht die Zulassung der Revision wegen Divergenz (vgl B[X.] Beschluss vom [X.] - [X.] V 22/21 B - juris Rd[X.]6; B[X.] Beschluss vom [X.] - B 7 [X.] 142/02 B - [X.] 3-1500 § 160a [X.] - juris Rd[X.]).

7

Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung der Beklagten nicht. Als Rechtssatz des L[X.], auf dem das angefochtene Urteil beruhe, benennt die Beklagte die Aussage:
"Wenn eine gesundheitliche Schädigung deshalb anzunehmen ist, weil sich der Gesundheitszustand durch eine Behandlung im Rahmen der truppenärztlichen Versorgung verschlechtert hat und nicht lediglich der angestrebte Heilerfolg ausgeblieben ist, dann kommt es zur Beurteilung, ob für diese Schädigung die wehrdiensteigentümlichen Verhältnisse mit (hinreichender) Wahrscheinlichkeit ursächlich im Sinne der Theorie der wesentlichen Bedingung gewesen sind, nicht darauf an, ob ein ziviler Arzt (mit anderer Behandlungsmethode) wahrscheinlich einen besseren Heilerfolg erzielt hätte."

8

Zudem benennt sie als hierzu im Widerspruch stehenden, das Urteil des B[X.] vom 16.12.2014 ([X.] V 3/13 R - [X.] 4-3200 § 81 [X.]) tragenden Rechtssatz:
"Die Feststellung einer Wehrdienstbeschädigung im Wege der truppenärztlichen Versorgung als wehrdiensteigentümliche Verhältnisse setzt den Eintritt einer gesundheitlichen Schädigung voraus, die mit Wahrscheinlichkeit durch diese Besonderheiten (insbesondere den Ausschluss der freien Arztwahl) herbeigeführt worden ist. Dieser Kausalzusammenhang ist nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu bejahen, wenn eine nichttruppenärztliche Behandlung die Schädigung wahrscheinlich vermieden hätte."

9

In der weiteren Begründung führt sie auch aus, warum ihrer Ansicht nach die Abweichung im Grundsätzlichen besteht und nicht nur eine falsche Entscheidung im Einzelfall vorliegt, um schließlich auch darauf einzugehen, dass das angefochtene Urteil des L[X.] auf dieser Divergenz beruhe.

In diesem letzten Teil ihrer Begründung versäumt es die Beklagte jedoch, zwischen der Feststellung des Primärschadens ([X.]) und eines Sekundärschadens ([X.]-Folge) zu unterscheiden (vgl zu dieser begrifflichen Unterscheidung B[X.] Urteil vom 30.9.2021 - [X.] V 1/19 R - B[X.]E 133, 34 = [X.] 4-3200 § 81f [X.], Rd[X.]5). Der Begriff der [X.] bezeichnet eine gesundheitliche Schädigung, die durch eine Wehrdienstverrichtung, durch einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall oder durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist (§ 81 Abs 1 SVG). Hintergrund dessen ist, dass ein schädigender Vorgang in diesen drei Fällen in einem derart engen inneren Zusammenhang zum Wehrdienst steht, dass die Zuerkennung eines Versorgungsanspruchs gerechtfertigt erscheint. [X.] relevante gesundheitliche Folgen einer solchen [X.] sind bleibende Gesundheitsstörungen, die mit Wahrscheinlichkeit ursächlich auf die [X.] zurückzuführen sind (§ 81 Abs 6 SVG). Durch diese gesetzlichen Bestimmungen ist nach der ständigen Rechtsprechung des B[X.] (zB B[X.] Urteil vom 16.12.2014 - [X.] V 3/13 R - [X.] 4-3200 § 81 [X.] Rd[X.]4 mwN) für die Anerkennung von Schädigungsfolgen eine dreigliedrige Kausalkette vorgegeben: Ein mit dem Wehrdienst zusammenhängender schädigender Vorgang muss zu einer primären Schädigung geführt haben, die wiederum die geltend gemachten Schädigungsfolgen bedingt haben muss. Dabei müssen sich die drei Glieder selbst mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellen lassen, während für den ursächlichen Zusammenhang eine hinreichende Wahrscheinlichkeit ausreicht. Soweit das B[X.] zur Feststellung einer gesundheitlichen Schädigung in diesem Zusammenhang einen Vergleich des tatsächlichen mit einem hypothetischen Gesundheitszustand verlangt, wie er sich im Rahmen alternativer Behandlungsmöglichkeiten bei freier Arztwahl ergeben hätte, bezieht sich dies auf den Primärschaden und die haftungsbegründende Kausalität (vgl B[X.] Urteil vom 30.9.2021 - [X.] V 1/19 R - B[X.]E 133, 34 = [X.] 4-3200 § 81f [X.], RdNr 40, 43; B[X.] Urteil vom 16.12.2014 - [X.] V 3/13 R - [X.] 4-3200 § 81 [X.] RdNr 30; B[X.] Urteil vom 25.3.2004 - [X.] VS 1/02 R - [X.] 4-3200 § 81 [X.] Rd[X.]2, 15 = juris Rd[X.]2, 25), also den Zusammenhang zwischen Wehrdienst und primärer Schädigung.

Um - wie nach den oben benannten Anforderungen erforderlich - darzutun, dass der bezeichnete Rechtssatz des L[X.] dessen Urteil trägt, hätte die Beklagte vor diesem Hintergrund zunächst aufzeigen müssen, dass sie durch das angefochtene Urteil zur Feststellung einer [X.] im Sinne des Vorliegens einer [X.] und nicht nur zur Feststellung weiterer Schädigungsfolgen ([X.]-Folgen) verpflichtet worden ist. Dazu hätte es einer Auslegung des Urteils durch eine Zusammenschau von Tenor, Tatbestand und Entscheidungsgründen bedurft (vgl hierzu B[X.] Urteil vom [X.] AS 17/16 R - [X.] 4-4200 § 7 [X.] Rd[X.]1; B[X.] Urteil vom 8.2.2007 - [X.]b [X.] 5/05 R - juris Rd[X.]4). Hieran fehlt es.

Zudem hätte die Beklagte der Frage nachgehen müssen, ob eine auch im vorliegenden Rechtstreit zu beachtende Anerkennung einer [X.] im Sinne eines Primärschadens nicht bereits durch den Bescheid vom [X.] erfolgt ist und inwieweit das L[X.] sein Urteil auch auf diesen Umstand gestützt haben könnte. Hierzu wird in der Beschwerdebegründung zwar ausgeführt, einem Beruhen des Urteils auf dem benannten Rechtssatz stehe nicht entgegen, dass das L[X.] in seiner Urteilsbegründung darauf hinweise, dass mit der Gesundheitsstörung "Dünndarm-Dysfunktion durch akzidentelle [X.], [X.]." bereits eine [X.] anerkannt worden sei, denn unabhängig von der bereits erfolgten Anerkennung von Schädigungsfolgen werde durch das L[X.] geprüft, ob auch die weiteren zur Anerkennung begehrten Gesundheitsstörungen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit kausal auf das schädigende Ereignis zurückgeführt werden könnten. Insoweit bleibt aber offen, ob es sich hierbei um zwei unabhängige, das Urteil jeweils selbstständig tragende Begründungen handeln könnte. Wird aber ein Urteil auf mehrere Begründungen gestützt, die jede für sich den Urteilsauspruch tragen, muss mit der Beschwerdebegründung für jede dieser Begründungen ein Revisionszulassungsgrund formgerecht dargelegt oder bezeichnet werden (vgl B[X.] Beschluss vom [X.]/21 B - juris RdNr 5 mwN; B[X.] Beschluss vom 2.9.2015 - B 11 [X.] 34/15 B - juris Rd[X.]8 mwN).

Dass die Beklagte die Entscheidung des L[X.] inhaltlich für unrichtig hält, kann als solches nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr; vgl zB B[X.] Beschluss vom 28.10.2020 - B 10 EG 1/20 BH - juris Rd[X.]1; B[X.] Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - [X.] 4-1500 § 160 [X.]2 RdNr 4).

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 [X.]G).

Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 [X.]G durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 [X.]G.

Kaltenstein

Othmer

Ch. [X.]

Meta

B 9 V 22/22 B

06.01.2023

Bundessozialgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: V

vorgehend SG Koblenz, 17. November 2020, Az: S 17 VS 20/18, Urteil

§ 81 Abs 1 SVG, § 81 Abs 6 S 1 SVG, § 85 SVG, § 160 Abs 2 Nr 2 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 06.01.2023, Az. B 9 V 22/22 B (REWIS RS 2023, 163)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 163

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