Bundesfinanzhof, Beschluss vom 13.09.2023, Az. XI B 38/22 (AdV)

11. Senat | REWIS RS 2023, 9090

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Gegenstand

Zur Verfassungsmäßigkeit der Säumniszuschläge


Leitsatz

Es bestehen in den Jahren 2016 und 2017 keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe des Säumniszuschlags (Bestätigung der BFH-Rechtsprechung).

Tenor

Der Beschluss des [X.] vom 04.04.2022 - 11 V [X.] wird aufgehoben.

Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Abrechnungsbescheids vom 08.10.2021 über Säumniszuschläge zur Körperschaftsteuer 2016 und 2017 sowie zum Solidaritätszuschlag zur Körperschaftsteuer 2016 und 2017 wird abgelehnt.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat die Antragstellerin zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Die Beteiligten streiten über die Aussetzung der Vollziehung (AdV) eines Abrechnungsbescheids über Säumniszuschläge.

2

Gegen den Abrechnungsbescheid vom 08.10.2021, in dem Säumniszuschläge zur Körperschaftsteuer und zum Solidaritätszuschlag zur Körperschaftsteuer ausgewiesen worden waren, legte die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) Einspruch ein und beantragte die AdV.

3

Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (Finanzamt --[X.]--) lehnte die begehrte AdV mit Bescheid vom 14.10.2021 ab. Hierauf beantragte die Antragstellerin beim Finanzgericht ([X.]) Münster die AdV der Säumniszuschläge aus dem Abrechnungsbescheid in voller Höhe.

4

Das [X.] gab dem Antrag auf AdV mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2022, 1081 veröffentlichten Beschluss vom 04.04.2022 - 11 V 2680/21 [X.] statt. Der Beschluss wurde dem [X.] am 04.04.2022 übersandt. Das [X.] war der Auffassung, die Rechtmäßigkeit der in dem Abrechnungsbescheid ausgewiesenen Säumniszuschläge sei ernstlich zweifelhaft, soweit diese --wie im [X.] nach dem 31.12.2018 entstanden seien. Die ernstlichen Zweifel ergäben sich aus der Rechtsprechung des [X.] ([X.]) zur Verfassungswidrigkeit der Verzinsung von Steuernachforderungen und -erstattungen nach § 233a [X.]. § 238 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung ([X.]). Säumniszuschläge hätten nicht nur die Funktion eines Druckmittels, sondern auch die einer Gegenleistung oder eines Ausgleichs für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern. Ihnen komme mithin auch eine zinsähnliche Funktion zu.

5

Der hiergegen vom [X.] zugelassenen Beschwerde des [X.] vom 14.04.2022 hat das [X.] mit Beschluss vom 26.04.2022 nicht abgeholfen.

6

Das [X.] macht mit der Beschwerde geltend, die AdV sei im Streitfall bereits deswegen abzulehnen, weil der Antragstellerin das besondere [X.] fehle. Ein solches besonderes [X.] sei erforderlich, wenn die Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes auf Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des zugrunde liegenden Gesetzes beruhten. Zwar werde auch in diesen Fällen dem [X.] des Steuerpflichtigen der Vorrang vor dem öffentlichen [X.] eingeräumt, wenn das [X.] eine ähnliche Vorschrift für nichtig erklärt habe. Das sei vorliegend jedoch nicht der Fall. Die Entscheidung des [X.] vom 08.07.2021 - 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17 ([X.]E 158, 282) zur Höhe der Verzinsung von Steuernachforderungen und -erstattungen nach § 233a [X.]. § 238 Abs. 1 Satz 1 [X.] sei nicht auf Säumniszuschläge übertragbar, weil sich der Normzweck des § 240 [X.] erheblich von dem des § 233a [X.] unterscheide. Bei Säumniszuschlägen handele es sich nicht in erster Linie um Zinsen, sondern um ein Sanktionsmittel eigener Art.

7

Das [X.] beantragt, den Beschluss des [X.] vom 04.04.2022 - 11 V 2680/21 [X.] aufzuheben und die AdV abzulehnen.

8

Die Antragstellerin beantragt, die Beschwerde des [X.] zurückzuweisen.

Gründe

II.

9

Die Beschwerde ist begründet; sie führt für Aufhebung der Vorentscheidung und zur Ablehnung des Antrags auf AdV.

1. Nach § 128 Abs. 3 i.V.m. § 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieses Verwaltungsaktes bestehen.

a) Ernstliche Zweifel im Sinne von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO liegen dann vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Bescheids neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken. Es ist nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe im Sinne einer Erfolgswahrscheinlichkeit überwiegen. Ernstliche Zweifel können auch verfassungsrechtliche Zweifel hinsichtlich einer dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Norm sein (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Beschlüsse des [X.] --[X.]-- vom 26.09.2022 - XI B 9/22 (AdV), [X.], 467, Rz 16 und vom 23.05.2022 - V B 4/22 (AdV), [X.], 535, Rz 28, jeweils m.w.N.).

b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze bestehen im Streitfall keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe des [X.]. Der Antrag auf AdV war daher abzulehnen.

aa) Gemäß § 240 Abs. 1 Satz 1 [X.] ist, wenn eine Steuer nicht bis zum Ablauf des [X.] entrichtet wird, für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von 1 % des abgerundeten rückständigen Steuerbetrags zu entrichten; abzurunden ist auf den nächsten durch 50 € teilbaren Betrag.

bb) Diese Regelung verstößt nach der hier gebotenen summarischen Prüfung weder gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--) noch gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG).

(1) Der [X.]. Senat des [X.] hat mit Urteilen vom 23.08.2022 - [X.] R 21/21 ([X.]E 278, 1, [X.] 2023, 304, Rz 38 ff.) und vom 15.11.2022 - [X.] R 55/20 ([X.]E 278, 403, [X.] 2023, 621, Rz 19 ff.) entschieden, dass auch bei einem strukturellen Niedrigzinsniveau gegen die in § 240 Abs. 1 Satz 1 [X.] festgelegte Höhe des [X.] keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen.

Insbesondere lassen sich den genannten Urteilen zufolge weder die vom [X.] in seinem Beschluss vom 08.07.2021 - 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17 ([X.]E 158, 282) herausgearbeiteten Grundsätze, nach denen die Verzinsung von [X.] und -erstattungen nach §§ 233a, 238 [X.] in Höhe von 0,5 % pro Monat für Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2014 mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar ist, auf den Säumniszuschlag übertragen, noch verstößt die Höhe des [X.] gegen das Übermaßverbot und verletzt daher auch nicht das Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 3 GG.

(2) Der beschließende Senat folgt dieser Rechtsprechung und nimmt wegen der Einzelheiten darauf Bezug. Zwar betreffen die genannten Entscheidungen des [X.]. Senats Zeiträume vor dem 31.12.2018. Die tragenden Gründe der vom [X.]. Senat vorgenommenen --eigenständigen-- verfassungsrechtlichen Prüfung gelten aber gleichermaßen für Zeiträume ab dem 01.01.2019.

Die vom [X.]I. Senat im AdV-Verfahren insoweit geäußerten Zweifel ([X.]-Beschluss vom 11.11.2022 - [X.]I B 64/22 (AdV), [X.]E 278, 36) sind nach Auffassung des beschließenden Senats durch die --im Hauptsacheverfahren ergangenen-- Entscheidungen des [X.]. Senats überholt.

2. [X.] beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Meta

XI B 38/22 (AdV)

13.09.2023

Bundesfinanzhof 11. Senat

Beschluss

vorgehend FG Münster, 4. April 2022, Az: 11 V 2680/21 AO, Beschluss

§ 238 AO, § 240 AO, § 69 FGO, § 128 FGO, Art 3 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 13.09.2023, Az. XI B 38/22 (AdV) (REWIS RS 2023, 9090)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 9090

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