Bundessozialgericht, Beschluss vom 28.10.2010, Az. B 13 R 229/10 B

13. Senat | REWIS RS 2010, 1834

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung - Darlegung - Auferlegung von Verschuldenskosten - missbräuchliche Rechtsverfolgung - Kostenentscheidung im Rechtsmittelverfahren - Klagerücknahme - Anfechtung


Leitsatz

Die Auferlegung einer Missbrauchsgebühr (§ 192 SGG) kann auch nach § 192 Abs 3 S 2 SGG nicht isoliert angefochten werden.

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 16. Juni 2010 wird als unzulässig verworfen.

Der Antrag der Klägerin auf Aufhebung der im vorgenannten Urteil getroffenen Entscheidung, ihr Gerichtskosten in Höhe von 225 Euro aufzuerlegen, wird abgelehnt.

Die Beteiligten haben einander auch für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

1

Mit Urteil vom 16.6.2010 hat das [X.] den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf höhere Anpassung ihrer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zum 1.7.2007 verneint und ihr Gerichtskosten in Höhe von 225 Euro auferlegt.

2

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin beim [X.] Beschwerde eingelegt. Sie beruft sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache. Ferner beantragt sie, "gemäß § 192 Abs. 3 Satz 2 [X.]" die Entscheidung des [X.] aufzuheben, ihr eine sog [X.] nach § 192 Abs 1 Satz 1 [X.] [X.] aufzuerlegen.

3

1. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Ihre Begründung genügt den gesetzlichen Anforderungen nicht, weil der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache iS des § 160 Abs 2 [X.] [X.] nicht ordnungsgemäß dargelegt worden ist (§ 160a Abs 2 Satz 3 [X.]).

4

Grundsätzlich bedeutsam iS des § 160 Abs 2 [X.] [X.] ist eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese Rechtsfragen noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine derartige Klärung erwarten lässt. Um seiner Darlegungspflicht (§ 160a Abs 2 Satz 3 [X.]) zu genügen, muss ein Beschwerdeführer mithin (1) eine konkrete Rechtsfrage, (2) ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, (3) ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) und (4) die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) aufzeigen (vgl zum Ganzen [X.] vom [X.], [X.]-1500 § 160a [X.] mwN). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

5
        

           

Die Klägerin bezeichnet als grundsätzlich bedeutsam die Frage:

        
        

"Stellt die zum 01.07.2007 erfolgte [X.] eine Verletzung der Art. 14 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG dar und in diesem Zusammenhang konkret: Hat der Gesetzgeber durch die [X.] die Grenzen seines sozialpolitischen Gestaltungsspielraums bei der Ausgestaltung der Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung überschritten, sodass von einer dauerhaften Abkoppelung von der allgemeinen Lohnentwicklung auszugehen ist, …"

6

Es kann dahinstehen, ob die Klägerin damit eine hinreichend konkrete Rechtsfrage im oben genannten Sinne formuliert hat. Jedenfalls fehlt es an der erforderlichen Darlegung der Klärungsbedürftigkeit. Für die Darlegung verfassungsrechtlicher Bedenken gegen die Regelungen, auf die das Berufungsgericht seine Entscheidung gestützt hat, muss unter Einbeziehung der einschlägigen Literatur und Rechtsprechung - insbesondere des [X.], aber auch des [X.] aufgezeigt werden, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Verfassungsmäßigkeit umstritten ist (vgl [X.] vom [X.] - [X.], 158 = [X.] 1500 § 160a [X.]1; [X.] vom 5.8.2003 - B 12 RA 5/03 B - Juris RdNr 6; [X.] vom 8.12.2008 - B 12 R 38/07 B - Juris RdNr 7). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.

7

Die Klägerin zitiert zwar die Entscheidung des [X.] vom [X.] ( 1 BvR 824/03, 1 BvR 1247/07 - [X.] 4-2600 § 68 [X.]) und führt aus, dass die dort bestätigte Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne sich ausschließlich auf die preisindexorientierte [X.] 2000 und die Aussetzung der [X.] bezogen habe. Ferner trägt sie vor, dass sich in den Folgejahren die "systemwidrige" Abkoppelung der [X.]en von der Lohn- und Gehaltsentwicklung und damit eine regelmäßige und systematische "Entwertung der Renten" fortgesetzt habe. Dabei handele es sich entgegen der Entscheidung des [X.] vom [X.] nicht mehr um eine Ausnahme oder punktuelle Maßnahme, sondern um eine strukturelle Abänderung des Grundsatzes, dass die Rente an die Entwicklung des Arbeitseinkommens angepasst werden solle.

8

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin sich in ihrer Beschwerdebegründung hinreichend mit der von ihr zitierten Entscheidung des [X.] auseinandergesetzt und untersucht hat, ob sich aus den dortigen Ausführungen Hinweise für die Beantwortung der aufgeworfenen Frage ergeben. Eine Auseinandersetzung erfordert, anhand dieser Rechtsprechung zu begründen, dass Bedarf nach einer - weiteren - Entscheidung des [X.] bestehe (vgl [X.] vom 22.4.1997 - [X.] [X.]-1500 § 160a [X.]3 S 42; [X.] vom 27.6.2001 - B 6 [X.]/01 B - Juris RdNr 4). Sie erübrigt sich jedenfalls nicht bereits deshalb, weil die von der Klägerin herangezogene Entscheidung des [X.] nicht die Verfassungsmäßigkeit der [X.] zum Gegenstand hat. Denn eine Rechtsfrage ist auch dann als höchstrichterlich geklärt anzu- sehen, wenn das Revisionsgericht sie zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, aber bereits eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl Senatsbeschlüsse vom [X.] - [X.]-1500 § 160 [X.]; vom 31.3.1993 - [X.]-1500 § 146 [X.] S 6).

9

Die Klägerin versäumt es bereits, sich hinsichtlich der im Streit stehenden [X.] mit den gegenüber 2004 geänderten Rechtsgrundlagen auseinanderzusetzen. Während die [X.] durch eine Sondernorm (Art 2 2. SGB VI-ÄndG vom 27.12.2003 <[X.] 3013> = Gesetz über die Aussetzung der Anpassung der Renten zum 1.7.2004) ausgesetzt wurde, hat der Gesetzgeber ab 2005 ein neues Anpassungskonzept umgesetzt, das [X.] zu dem von der Klägerin angegriffenen Umfang der [X.] geführt hat. So wurde [X.] mit dem [X.] vom 21.7.2004 ([X.] 1791) als zusätzlicher Berechnungsfaktor der Nachhaltigkeitsfaktor eingeführt (vgl hierzu Senatsurteil vom 13.11.2008 - [X.] 4-2600 § 255e [X.] Rd[X.]7 ff). Wenn sich aber die einfach-gesetzlichen Grundlagen gegenüber der einzigen von der Klägerin erwähnten einschlägigen Entscheidung des [X.] geändert haben, hätte sie prüfen müssen, inwiefern dies die Beantwortung der von ihr gestellten Rechtsfrage beeinflusst.

Im Übrigen hat die Klägerin auch nicht die Rechtsprechung des [X.] zu dem mit der Frage aufgeworfenen Problemkreis der [X.] ausgewertet. Sie hätte im Einzelnen unter Berücksichtigung und Darstellung der Rechtsprechung des [X.] (vgl Senatsurteile vom [X.] - [X.]E 98, 157 = [X.] 4-2600 § 65 [X.] und vom 13.11.2008 - [X.] 4-2600 § 255e [X.]; [X.] vom 20.12.2007 - [X.] 4-2600 § 255a [X.]; [X.] vom [X.]) zur verfassungsrechtlichen Bewertung der [X.] und deren Aussetzung (auch unter dem Blickwinkel des von ihr angesprochenen Eigentumsschutzes) dezidiert aufzeigen müssen, warum die [X.] - anders als die Aussetzung der [X.] in den Vorjahren - zu einem verfassungswidrigen Eingriff führe. Entsprechende substantiierte Darlegungen enthält die Beschwerdebegründung nicht. Rechtsprechung des [X.] zum aufgeworfenen Problemkreis wird nicht einmal erwähnt.

Soweit die Klägerin in ihrer Beschwerdebegründung auf anhängige Verfassungsbeschwerden zu dem von ihr aufgeworfenen Problemkreis hinweist, kommt es im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nicht auf den Bedarf nach Klärung durch das [X.] an, sondern entscheidend ist die Frage nach der Klärungsbedürftigkeit innerhalb des Revisionsverfahrens (vgl [X.] vom [X.] - [X.]-1500 § 160a [X.]; Senatsbeschluss vom 2.11.2009 - [X.] R 291/09 B - BeckRS 2009, 74206 Rd[X.]1); für diese fehlen aber - wie aufgezeigt - hinreichende Ausführungen.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbs 2 [X.]).

Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbs 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 [X.] durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

2. Der Antrag auf Aufhebung der Entscheidung des [X.], der Klägerin Kosten in Höhe von 225 Euro wegen rechtsmissbräuchlicher Rechtsverfolgung nach § 192 Abs 1 Satz 1 [X.] [X.] aufzuerlegen, wird abgelehnt. Die Klägerin kann sich nicht auf § 192 Abs 3 Satz 2 [X.] stützen, wonach die Entscheidung nach § 192 Abs 1 [X.] durch eine zu begründende Kostenentscheidung im Rechtsmittelverfahren aufgehoben werden kann. Denn mit der Einfügung dieser Norm - durch das [X.] vom [X.] ([X.] 2144) mit Wirkung vom [X.] als Abs 2 Satz 2; seit dem [X.] - ist kein gesondertes Rechtsmittel gegen Entscheidungen nach § 192 Abs 1 [X.] eingeführt worden. Dies ergibt sich bereits aus den Materialien des [X.] zu § 192 [X.] (BT-Drucks 14/5943 [X.] zu [X.] <§ 192>), wonach die "Entscheidung über die Kostenauferlegung grundsätzlich endgültig (ist); eine Aufhebung kann nur durch eine Kostenentscheidung im Rechtsmittelverfahren erfolgen." Hieraus wird deutlich, dass die von der Klägerin beantragte Überprüfung der vom [X.] getroffenen Entscheidung, ihr Kosten wegen rechtsmissbräuchlicher Rechtsverfolgung in Höhe von 225 Euro aufzuerlegen, dem Senat im [X.] verwehrt ist. Nachdem die Klägerin gegen die Entscheidung des [X.] in der Hauptsache kein Revisionszulassungsgrund dargelegt hat, ist die begehrte Überprüfung der Anwendung von § 192 Abs 1 Satz 1 [X.] [X.] eine isolierte Anfechtung einer Kostenentscheidung, die gemäß § 165 Satz 1 iVm § 144 Abs 4 [X.] nicht zur Zulassung der Revision führen und deshalb auch nicht gesondert mit der Beschwerde geltend gemacht werden kann (stRspr, [X.] vom 21.12.1956 - [X.] [X.] zu § 192 [X.]; [X.] vom 24.6.1993 - 6 [X.] - Juris RdNr 7; [X.] vom [X.] KR 56/98 B - Juris Rd[X.]; [X.] vom 13.7.2004 - B 2 U 84/04 B - Juris Rd[X.]3; Senatsbeschluss vom 5.8.2008 - [X.] R 153/08 - Juris Rd[X.]3; [X.] vom [X.] - B 11 [X.] 114/09 B - Juris RdNr 7). Das [X.] hat in diesem Sinne nur dann eine "Kostenentscheidung im Rechtsmittelverfahren" zu treffen, wenn es im Rahmen einer statthaften und zulässigen Revision neben der Hauptsache auch die Kostenentscheidung des [X.] zu prüfen hat (vgl [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], 9. Aufl 2008, § 192 Rd[X.]0). Allenfalls für den Fall einer Klagerücknahme im Revisionsverfahren ließe sich diskutieren, ob das [X.] auf Antrag des [X.] (vgl § 102 Abs 3 Satz 1 [X.]) gemäß § 192 Abs 3 Satz 2 [X.] die Entscheidung über die Auferlegung der Kosten nach § 192 Abs 1 und 2 [X.] durch einen zu begründenden Beschluss aufheben kann; ansonsten bliebe nämlich diese Entscheidung trotz Klagerücknahme gemäß § 192 Abs 3 Satz 1 [X.] - eingefügt mit Wirkung vom [X.] durch das [X.] (aaO) als Abs 2 Satz 1; seit dem [X.] - wirksam.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 [X.].

Meta

B 13 R 229/10 B

28.10.2010

Bundessozialgericht 13. Senat

Beschluss

Sachgebiet: R

vorgehend SG Lüneburg, 15. Dezember 2009, Az: S 1 R 482/07

§ 102 Abs 3 S 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 165 S 1 SGG, § 144 Abs 4 SGG, § 192 Abs 1 S 1 Nr 2 SGG, § 192 Abs 3 S 1 SGG, § 192 Abs 3 S 2 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 28.10.2010, Az. B 13 R 229/10 B (REWIS RS 2010, 1834)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 1834

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