Bundespatentgericht, Beschluss vom 18.02.2010, Az. 6 W (pat) 67/07

6. Senat | REWIS RS 2010, 9233

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Gegenstand

Patentbeschwerdeverfahren – "Verlegeverfahren für einen wasserdichten Belag" - Zurückweisung eines Antrags auf Beweiserhebung durch Befragung eines Sachverständigen – Gericht besitzt erforderliche Sachkenntnis oder kann sie sich beschaffen


Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend das Patent 199 61 693

hat der 6. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des [X.] auf die mündliche Verhandlung vom 18. Februar 2010 unter Mitwirkung des Vorsitzenden [X.] Dr. [X.] sowie [X.], [X.] und Dipl.-Ing. Küest

beschlossen:

Die Beschwerde der Patentinhaberin wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Die Beschwerdeführerin ist Inhaberin des [X.] 693 mit der Bezeichnung „[X.] für einen wasserdichten Belag und Bahnen zur Herstellung eines wasserdichten Belags“, gegen das von der Beschwerdegegnerin Einspruch eingelegt worden ist.

2

Der erteilte Patentanspruch 1 lautet:

3

[X.] für einen wasserdichten Belag, bei dem Bahnen (1, 1´, 1“) überlappend miteinander verbunden werden, wobei die Bahnen (1, 1´, 1“) eine Schicht (2) aus [X.] aufweisen, diese Schichten (2) mit dem Untergrund (10, 11) kalt verklebt und in [X.] (6, 6´) unmittelbar aufeinandergelegt werden, wodurch eine kaltvulkanisierende Verbindung entsteht, und wobei ein Teil der Bahnen (1, 1) an ihrer nicht für eine Überlappung (6, 6´) vorgesehenen Oberseite eine Deckschicht (4) aufweisen, dadurch gekennzeichnet,

4

dass vor der Verlegung der Bahnen (1, 1“) mit Deckschicht (4) Eck- und ähnliche problematische Bereiche (3) des Untergrundes (10, 11) mit Bahnen (1´) ausgekleidet werden, die keine Deckschicht (4) aufweisen,

5

so dass zwischen der letztgenannten Bahn (1´) und den erstgenannten, darüber verlegten Bahnen (1, 1“) ebenfalls eine kaltvulkanisierende Verbindung entsteht.

6

Hieran schließen sich rückbezogene [X.] 2 bis 4 an.

7

Der Gegenstand nach dem erteilten, nebengeordneten Patentanspruch 5 betrifft

8

Bahnen (1, 1´, 1“) zur Herstellung eines wasserdichten Belags nach dem [X.] gemäß einem der Ansprüche 1 bis 4 des die überlappend verbindbar verlegt werden können, wobei die Bahnen (1, 1´, 1“) eine Schicht (2) aus [X.] für eine Kaltverklebung mit dem Untergrund (10, 11) sowie für eine kaltvulkanisierende Verbindung beim Aufeinanderlegen in [X.] (6, 6´) aufweisen und wobei ein Teil der Bahnen (1, 1“) an ihrer nicht für eine Überlappung (6, 6´) vorgesehenen Oberseite eine Deckschicht (4) aufweisen, dadurch gekennzeichnet,

9

dass für die Auskleidung von Eck- und ähnlichen problematischen Bereichen (3) des Untergrundes (10, 11) Bahnen (1´) vorgesehen sind, die keine Deckschicht (4) aufweisen,

so dass zwischen diesen Bahnen (1´) und darüber verlegten Bahnen (1, 1“) ebenfalls eine kaltvulkanisierende Verbindung entstehen kann.

Hieran schließen sich rückbezogene [X.] 6 bis 12 an.

Im [X.] und Einspruchsverfahren wurde u. a. folgender Stand der Technik in Betracht gezogen:

([X.]) [X.] 36 01 371 C2,

([X.]) [X.] 87 09 517 U1.

Die [X.] des [X.] hat das Patent mit Beschluss vom 3. April 2007 widerrufen, da der Gegenstand des erteilten Anspruchs 5 gegenüber dem Stand der Technik nicht neu sei.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Patentinhaberin vom 23. April 2007, eingegangen am 25. April 2007 beim [X.].

[X.] (Beschwerdeführerin) stellt den Antrag,

den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das angegriffene Patent in vollem Umfang aufrecht zu erhalten,

sowie

Beweis zu erheben durch die Vernehmung eines Sachverständigen zu der Frage, ob das Material der [X.] eine kaltvulkanisierende Verbindungseigenschaft derart aufweist, dass die Materialgrenzen durch das Ineinanderfließen des Materials mit sich selbst verschwinden.

Die Einsprechende (Beschwerdegegnerin) stellt den Antrag,

die Beschwerde zurückzuweisen.

II.

1. Die Beschwerde ist frist- und formgerecht eingelegt und auch im Übrigen zulässig. Sie ist nicht erfolgreich, weil der Senat im Ergebnis wie der angefochtene Beschluss der Auffassung ist, dass der [X.] in der erteilten Fassung keine patentfähige Erfindung im Sinne des [X.] § 1 bis § 5 darstellt.

2. Es kann dahinstehen, ob das zweifelsfrei gewerblich anwendbare [X.] für einen wasserdichten Belag nach dem erteilten Patentanspruch 1 neu ist. Es handelt sich dabei jedenfalls nicht um das Resultat einer erfinderischen Tätigkeit.

Der [X.] ist hier ein Techniker aus dem Baubereich mit mehrjähriger Erfahrung auf dem Gebiet der Abdichtung von Flachdächern, Nasszellen usw.

Die [X.] 36 01 371 C2 ([X.]) beschreibt in Spalte 2 ein [X.] für einen wasserdichten Belag, bei dem Bahnen überlappend miteinander verbunden werden.

Jede Bahn hat Schichten 2, 3 aus [X.] (vgl. Anspruch 1).

Die Schicht 2 wird mit dem Untergrund kalt verklebt, und in [X.] 6 werden die Schichten 2, 3 unmittelbar aufeinandergelegt, wodurch eine kaltvulkanisierende Verbindung entsteht.

Jede Bahn weist an ihrer außerhalb des [X.] 6 befindlichen Oberseite eine Deckschicht 4 auf (vgl. [X.].).

Zwischen diesem bekannten Verfahren und dem [X.] nach dem erteilten Patentanspruch 1 besteht der Unterschied darin, dass vor der Verlegung der Bahnen mit Deckschicht Eck- und ähnliche problematische Bereiche des Untergrundes mit Bahnen ausgekleidet werden, die keine Deckschicht aufweisen, so dass zwischen der letztgenannten Bahn und den erstgenannten, darüber verlegten Bahnen ebenfalls eine kaltvulkanisierende Verbindung entsteht.

Die [X.] 87 09 517 U1 ([X.]) zeigt Verstärkungsscheiben und vermittelt insb. durch die [X.]ur 2 sowie durch die Beschreibung, Seite 4, unten, ein [X.], bei dem vor der Verlegung der Bahnen 12 mit Deckschicht Eck- und ähnliche problematische Bereiche des Untergrundes mit den Bahnen 1’ des Streitpatents entsprechenden Verstärkungsscheiben 10 ausgekleidet werden, die keine Deckschicht aufweisen. Zwischen jeder Verstärkungsscheibe 10 und den darüber verlegten Bahnen 12 entsteht so ebenfalls eine zumindest klebende und offensichtlich auch kaltvulkanisierende Verbindung, weil der in der [X.] angegebene und die kaltvulkanisierende Verbindung bewirkende [X.] 10 bis 20 % (vgl. Seite 2, unten) beträgt und damit im Bereich liegt, der auch für Bahnen sowohl nach der [X.], Spalte 1, Zeilen 61, 62, als auch nach der Streitpatentschrift, Spalte 1, Abs. [0003] vorgesehen ist.

Wenn der Fachmann das [X.] und die Bahnen gem. der [X.] so weiterbilden will, dass diese auf einfache und sichere Weise auch in Eck- oder ähnlichen problematischen Bereichen eine zuverlässige Wasserdichtigkeit ergeben, führt die [X.] zusammen mit der [X.] in naheliegender Weise zum [X.] nach dem Patentanspruch 1 gemäß Streitpatent, weil, wie oben dargelegt, genau die den Unterschied ausmachenden Maßnahmen für Eck- oder ähnliche, problematische Bereiche Gegenstand der [X.] sind.

Sollte die stoffliche Zusammensetzung der Bahnen nach der [X.] im Vergleich zu den Bahnen nach der [X.] nicht das gleiche kaltvulkanisierende Verbindungsvermögen haben, liegt es für den Fachmann unmittelbar auf der Hand, die Bahnen, aus denen die Verstärkungsscheiben gefertigt werden, auch in der durch die [X.] bekannten stofflichen Zusammensetzung herzustellen.

Der erteilte Patentanspruch 1 ist damit nicht bestandsfähig.

3. Hiermit haben zwingend weder die auf das [X.] rückbezogenen Patentansprüche noch der auf Bahnen gerichtete Patentanspruch 5 und die auf diesen rückbezogenen Patentansprüche Bestand, da sie Gegenstand desselben Antrags auf Aufrechterhaltung des Patents sind und deshalb ohne eigene Prüfung das Rechtsschicksal des nicht patentfähigen Patentanspruchs 1 teilen (vgl. [X.], 716 - [X.] 1989, 103 - Verschlussvorrichtung für Gießpfannen; [X.] 2007, 862, 864 - Informationsübermittlungsverfahren II; [X.] 2010, 87, 88 - Schwingungsdämpfer).

4. Der Senat konnte in der Sache entscheiden, ohne - wie von der Patentinhaberin beantragt - ein Sachverständigengutachten zur Frage, ob das Material der [X.] eine kaltvulkanisierende Verbindungseigenschaft derart aufweist, dass die Materialgrenzen durch das Ineinanderfließen des Materials mit sich selbst verschwinden, einzuholen.

Erstens ist es nach allgemeiner Rechtsprechung originär richterliche Aufgabe, den objektiven Sinngehalt der mit dem jeweiligen Schutzrecht unter Schutz gestellten Lehre eigenständig durch Auslegung der Patentansprüche - gegebenenfalls unter Heranziehung von Beschreibung und Zeichnungen - zu ermitteln (vgl. dazu etwa [X.] vom 22. Dezember 2009 - [X.] Rn. 25 ff.). So auch im vorliegenden Fall, in dem es maßgeblich auf die Auslegung des Inhalts der Streitpatentschrift und der [X.] und die durch diese vermittelten Lehren ankommt.

Zweitens dient der [X.] dazu, dem Gericht Fachwissen zur Beurteilung von Tatsachen zu vermitteln oder entscheidungserhebliche Tatsachen festzustellen, soweit hierzu besondere Sachkunde erforderlich ist. Hieraus folgt, dass das Gericht trotz eines entsprechenden Antrags nicht gezwungen ist, sich eines Sachverständigen zu bedienen, wenn es die erforderlichen Sachkenntnisse selbst besitzt oder sich diese etwa durch Studium der Fachliteratur selbst beschaffen kann (vgl. [X.], ZPO, 30. Aufl., § 402 Vorbem. Rn. 1, 3). Vom Vorliegen dieser Voraussetzungen geht der Senat aber aus, da ihm technische Mitglieder und ein technischer Vorsitzender angehören, die aufgrund ihrer Fachkenntnisse, der zur Verfügung stehenden Fachliteratur und sonstiger Druckschriften sowie der entscheidungserheblichen Patentschriften in der Lage sind, den gegebenen Sachverhalt umfassend zu erkennen und zu würdigen (vgl. dazu [X.], Patentgesetz, 10. Aufl., § 88 Rn. 6; § 139 Rn. 125).

Drittens ergibt sich die stoffliche Zusammensetzung der Bahnen für den Fachmann, wie unter Punkt 2 dargelegt, auch unmittelbar aus der [X.].

Bei dieser Sachlage war das Patent zu widerrufen.

Meta

6 W (pat) 67/07

18.02.2010

Bundespatentgericht 6. Senat

Beschluss

Sachgebiet: W (pat)

§ 402 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 18.02.2010, Az. 6 W (pat) 67/07 (REWIS RS 2010, 9233)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 9233

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