Bundesgerichtshof, Beschluss vom 01.02.2012, Az. XII ZB 298/11

12. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 9592

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Gegenstand

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Pflicht des Rechtsanwalts zur Überprüfung der richtigen Adressierung der Rechtsmittelschrift auch in Stresssituationen


Leitsatz

Der Verfahrensbevollmächtigte trägt die Verantwortung dafür, dass die Rechtsmittelschrift rechtzeitig bei dem zuständigen Gericht eingeht. Insofern muss er sich bei der Unterzeichnung davon überzeugen, dass sie zutreffend adressiert ist (im Anschluss an BGH Beschlüsse vom 30. Oktober 2008, III ZB 54/08, FamRZ 2009, 109 Rn. 9; vom 29. Juli 2003, VIII ZB 107/02, FamRZ 2003, 1650; vom 23. November 1995, V ZB 20/95, NJW 1996, 997, 998 und vom 12. Oktober 1995, VII ZR 8/95, NJW-RR 1996, 443). Von dieser Verpflichtung ist der Verfahrensbevollmächtigte grundsätzlich auch nicht in plötzlich und unvorhersehbar eingetretenen Stresssituationen entbunden.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 13. Zivilsenats des [X.] in [X.] vom 12. April 2011 wird auf Kosten der Antragsteller verworfen.

[X.]: 5.710 €

Gründe

I.

1

Die Antragsteller wenden sich mit der Rechtsbeschwerde gegen die Zurückweisung ihres Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und die damit einhergehende Verwerfung ihrer Beschwerde als unzulässig.

2

Mit Beschluss vom 19. November 2010 hat das Amtsgericht den Antrag der Antragsteller zurückgewiesen, ihren ehemaligen Schwiegersohn wegen von ihnen erbrachter Geldgeschenke zur Zahlung von 5.710 € zu verurteilen.

3

Gegen den ihnen am 21. Dezember 2010 zugestellten Beschluss des Amtsgerichts haben die Antragsteller am 21. Januar 2011 Beschwerde beim [X.] eingelegt. Die Beschwerde haben sie am 7. Februar 2011 wieder zurückgenommen, nachdem der Vorsitzende des [X.] ihnen mitgeteilt hatte, dass bei der Anwendung des neuen Verfahrensrechts die Beschwerde beim Amtsgericht einzulegen gewesen wäre.

4

Am 17. Februar 2011 haben die Antragsteller (erneut) Beschwerde beim Amtsgericht eingelegt und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

5

Zur Begründung haben die Antragsteller ausgeführt, dass die [X.]    im Büro ihrer [X.]n am 21. Januar 2011, dem Tag des Fristablaufs der im Computer notierten Berufungsfrist, den Auftrag gehabt habe, die Beschwerde einzulegen. Bei dem von [X.]     im Computer aufgerufenen Formular für die Beschwerdeschrift habe es sich noch um ein Formular nach dem alten Recht gehandelt, welches sie aber habe überschreiben wollen. Kurz danach habe [X.]     sich unwohl gefühlt, Kreislaufprobleme bekommen und sei dann ohnmächtig geworden. Sie sei von einer weiteren Angestellten und der [X.]n wiederbelebt und von Letzterer zum Arzt gefahren worden, wo sie notversorgt worden sei. Die [X.] sei anschließend wieder ins Büro gefahren und habe wegen weiterer Termine der Angestellten [X.]die Weisung erteilt, die Beschwerde zu fertigen und fristwahrend zu faxen. Die [X.] habe die Beschwerde unterschrieben und sich dann zu weiteren Terminen begeben. An einem normalen Tag hätte sie den Schriftsatz nochmals überprüft, der 21. Januar 2011 sei aber aufgrund der dramatischen Situation nicht normal gewesen. Die Angestellte [X.]   habe die Beschwerde in der Vermutung, diese sei ordnungsgemäß vorbereitet worden, nach der Unterschrift der [X.]n an das [X.] gefaxt. Durch den Zusammenbruch von [X.]    , einer seit 20 Jahren in der Kanzlei tätigen zuverlässigen und sehr exakten Mitarbeiterin, sei der [X.] völlig durcheinandergeraten.

6

Das [X.] hat mit dem angefochtenen Beschluss den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und die gegen den amtsgerichtlichen Beschluss gerichtete Beschwerde der Antragsteller verworfen. Hiergegen richtet sich deren Rechtsbeschwerde.

II.

7

Die Rechtsbeschwerde ist nach § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG iVm §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Sie ist jedoch nicht zulässig, weil die hier maßgeblichen Rechtsfragen durch die Rechtsprechung des [X.] geklärt sind und das Beschwerdegericht hiernach zutreffend entschieden hat. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO liegen deshalb nicht vor.

8

1. Die Beschwerde war gemäß § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG iVm § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen, weil die Antragsteller sie entgegen § 64 Abs. 1 FamFG nicht innerhalb von einem Monat nach der schriftlichen Bekanntgabe des amtsgerichtlichen Beschlusses beim zuständigen Amtsgericht eingelegt haben. Dieser wurde ihnen am 21. Dezember 2010 zugestellt. Die Antragsteller haben indes erst am 17. Februar 2011 beim Amtsgericht Beschwerde eingelegt.

9

2. Zu Recht hat das [X.] den Antragstellern die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt. Nach § 113 Abs. 1 FamFG iVm § 233 ZPO setzt die Wiedereinsetzung voraus, dass die [X.] ohne ihr Verschulden gehindert war, die Frist einzuhalten. Auf der Grundlage ihres Vortrags ist ein ihnen nach § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG iVm § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares [X.] nicht ausgeräumt.

a) Das [X.] liegt darin, dass die [X.] der Antragsteller die Beschwerdeschrift ungeprüft unterschrieben hat.

Der Prozessbevollmächtigte einer [X.] trägt die Verantwortung dafür, dass die [X.] rechtzeitig bei dem zuständigen Gericht eingeht. Demgemäß muss er sich bei Unterzeichnung dieses Schriftsatzes davon überzeugen, dass er zutreffend adressiert ist ([X.] Beschlüsse vom 30. Oktober 2008 - [X.]/08 - [X.], 109 Rn. 9; vom 29. Juli 2003 - [X.]/02 - FamRZ 2003, 1650; vom 23. November 1995 - [X.] - NJW 1996, 997, 998 und vom 12. Oktober 1995 - [X.] - NJW-RR 1996, 443).

b) Zu Recht hat das Beschwerdegericht ausgeführt, dass die [X.] der Antragsteller dieser Verpflichtung nicht gerecht geworden ist. Sie hat die ihr obliegende Kontrolle des Schriftsatzes hinsichtlich der Adressierung des Empfangsgerichts nicht wahrgenommen.

Dieser Verpflichtung kam auch deswegen besondere Bedeutung zu, weil Sorge bestand, dass die an sich zuständige Mitarbeiterin an diesem Tag möglicherweise wegen der aufgetretenen Erkrankung nicht - wie üblich - zuverlässig und exakt gearbeitet hat. Hinzu kommt, dass nach dem Vortrag der Antragsteller die - jedenfalls von der zuständigen Mitarbeiterin benutzte - [X.] Software ersichtlich noch nicht auf das neue Verfahrensrecht umgestellt war. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde kann nicht davon ausgegangen werden, dass das Vorhalten lediglich eines - auf altem Recht basierenden - Formulars mit weniger Risiken behaftet sei, als das Einrichten zweier - auf das jeweils anzuwendende Recht abstellenden - Formulare. Während bei der ersten Alternative - wie hier - eher in Vergessenheit geraten kann, das Formular entsprechend abzuändern, ist der Bearbeiter bei zwei alternativ vorhandenen Formularen gezwungen, sich hinsichtlich des anzuwendenden Rechts zu entscheiden und damit das Gericht zu wählen, bei dem die Beschwerde einzulegen ist.

c) Von der Verpflichtung, die Bestimmung des zuständigen Gerichts zu überprüfen, war die [X.] vorliegend auch nicht etwa im Hinblick auf die an dem betreffenden Tag herrschenden Umstände entbunden. Zwar ist der Rechtsbeschwerde einzuräumen, dass die im Einzelnen geschilderten Ereignisse vom 21. Januar 2011 geeignet waren, eine nicht unerhebliche Unruhe in den [X.] zu bringen und für die [X.] eine besondere Belastung dargestellt haben dürften. Gleichwohl handelte es sich nicht um eine Situation, die sie von ihrer Überprüfungspflicht hätte freistellen können.

aa) Es ist anerkannt, dass eine krankheitsbedingte Fristversäumung des Anwalts unter besonderen Voraussetzungen, insbesondere bei einer plötzlich auftretenden Erkrankung, für die der Anwalt keine Vorsorge treffen konnte, eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigen kann (Senatsbeschluss vom 26. November 1997 - [X.]/97 - NJW-RR 1998, 639; [X.] Beschluss vom 3. Dezember 1998 - [X.] - NJW-RR 1999, 938).

Dabei wird auch vertreten, dass eine erhebliche Arbeitsüberlastung des Rechtsanwalts eine Wiedereinsetzung ausnahmsweise dann rechtfertigen könne, wenn sie plötzlich und unvorhersehbar eingetreten und durch sie die Fähigkeit zu konzentrierter Arbeit erheblich eingeschränkt sei (vgl. [X.] Beschluss vom 23. November 1995 - [X.] - NJW 1996, 997, 998; [X.]/[X.] ZPO 29. Aufl. § 233 Rn. 23 "Arbeitsüberlastung"; HK-ZPO/Sänger ZPO 4. Aufl. § 233 Rn. 21).

bb) Eine krankheitsbedingte Einschränkung der [X.]n der Antragsteller lag hier unstreitig nicht vor. Dass das Beschwerdegericht eine Wiedereinsetzung auch im Hinblick auf eine stressbedingte Arbeitsüberlastung der [X.]n verneint hat, ist [X.] nicht zu beanstanden.

Es ist nicht dargetan, dass die [X.] aufgrund der - sehr ungewöhnlichen - Situation nicht mehr in der Lage gewesen wäre, ihrer beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Im Gegenteil hinderte der eingetretene Notfall die [X.] nicht daran, anschließend noch zwei umfangreiche Termine wahrzunehmen.

Danach ist nicht ersichtlich, dass sich die mit dem eingetretenen Notfall einhergehende Stresssituation so erheblich auf den Zustand der [X.]n ausgewirkt hätte, dass diese nicht mehr in der Lage gewesen wäre, die Beschwerdeschrift inhaltlich zu überprüfen. Zu Recht weist das [X.] darauf hin, dass es nur einen geringen zeitlichen Mehraufwand bedeutet hätte, die - weder einen Antrag noch eine Begründung enthaltene - Beschwerdeschrift durchzulesen und hinsichtlich der Angabe des Empfangsgerichts auf die Richtigkeit zu überprüfen.

[X.]                                              Weber-Monecke                                             Dose

                        Schilling                                                            [X.]

Meta

XII ZB 298/11

01.02.2012

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend KG Berlin, 12. April 2011, Az: 13 UF 50/11

§ 113 Abs 1 S 2 FamFG, § 117 Abs 1 S 4 FamFG, § 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 01.02.2012, Az. XII ZB 298/11 (REWIS RS 2012, 9592)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 9592

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