Bundesfinanzhof, Urteil vom 19.04.2012, Az. III R 1/11

3. Senat | REWIS RS 2012, 7092

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Gegenstand

Zuordnung des übertragenen Pauschbetrages für behinderte Menschen bei getrennter Veranlagung


Leitsatz

Die Zuordnungsregelung in § 26a Abs. 2 EStG geht anderen Zuordnungsregeln vor. Der einem gemeinsamen Kind zustehende Behinderten-Pauschbetrag, der auf Antrag der Eltern vollständig einem von ihnen übertragen wurde, ist daher bei getrennter Veranlagung bei beiden Elternteilen je zur Hälfte abzuziehen.

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) und ihr Ehemann haben sich im Laufe des Streitjahres 2007 getrennt. Ihr gemeinsamer [X.] ist schwerbehindert (Merkzeichen G, [X.] und [X.]). Er lebt im [X.]aushalt der Klägerin und wird seit seiner Geburt im Jahre 1992 vollständig von ihr betreut und versorgt.

2

Die Eheleute sind für das Streitjahr antragsgemäß getrennt veranlagt worden. Der Einkommensteuererklärung der Klägerin war eine Bescheinigung des Ehemannes beigefügt, dass er die ihm zustehenden Freibeträge wegen der Behinderung des gemeinsamen [X.]es für das Kalenderjahr 2007 auf seine Ehefrau übertrage.

3

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) berücksichtigte in dem die Klägerin betreffenden Einkommensteuerbescheid für 2007 den Behindertenpauschbetrag für den [X.] in [X.]öhe von 3.700 € nur zur [X.]älfte und wies den dagegen gerichteten Einspruch als unbegründet zurück.

4

Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied, die Klägerin habe Anspruch auf Gewährung des vollen Behindertenpauschbetrages in [X.]öhe von 3.700 €.

5

Das [X.] rügt mit seiner Revision die Verletzung des § 26a Abs. 2 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (EStG). Der nach § 33b Abs. 5 EStG übertragene Pauschbetrag sei nach dem eindeutigen Wortlaut des § 26a Abs. 2 Satz 2 EStG jedem Ehegatten zur [X.]älfte zu gewähren; dabei handele es sich um eine abschließende Regelung. § 26a Abs. 2 Satz 2 EStG beruhe auch nicht auf einem redaktionellen Versehen, denn die Regelung sei seit 1979 trotz mehrfacher Änderungen (z.B. durch das Gesetz zur Familienförderung vom 22. Dezember 1999, [X.] 1999, 2552; dazu [X.] 476/99, S. 22 und 25) unangetastet geblieben. Für die Absicht des Gesetzgebers, den Pauschbetrag beiden Elternteilen je zur [X.]älfte zuzuordnen, spreche auch die Unterhaltspflicht beider Elternteile.

6

Das [X.] beantragt, das [X.] aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

II. Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung des [X.] und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

9

1. Das [X.] ist zutreffend davon ausgegangen, dass dem [X.] der Klägerin nach § 33b Abs. 3 Satz 3 EStG ein Pauschbetrag für behinderte Menschen in Höhe von 3.700 € zusteht, der --da ihn der [X.] nicht in Anspruch nimmt-- gemäß § 33b Abs. 5 EStG auf die Klägerin übertragen werden konnte, da sie für das Kind einen Freibetrag nach § 32 Abs. 6 EStG oder Kindergeld (§§ 62 ff. EStG) erhält. Zwar steht der Pauschbetrag grundsätzlich beiden Elternteilen je zur Hälfte zu (§ 33b Abs. 5 Satz 2 EStG). Da auf deren gemeinsamen Antrag aber auch eine andere Aufteilung möglich ist (§ 33b Abs. 5 Satz 3 EStG), konnte er vollständig der Klägerin zugeordnet werden.

2. Der nach § 33b Abs. 5 Satz 3 EStG allein der Klägerin zugeordnete Pauschbetrag des [X.]es ist jedoch nach § 26a Abs. 2 Satz 2 EStG bei der Klägerin und ihrem Ehemann jeweils zur Hälfte abzuziehen, da es sich bei § 26a Abs. 2 Satz 2 EStG um die speziellere Zuordnungsregelung handelt.

a) Der Gesamtbetrag der Einkünfte und das Einkommen (§ 2 Abs. 3 und 4 EStG) werden bei getrennter Veranlagung für jeden Ehegatten individuell ermittelt. Steuervergünstigungen sind deshalb nur bei dem Ehegatten zu berücksichtigen, der die Voraussetzungen des [X.] erfüllt ([X.] in [X.]/[X.]/[X.] --[X.]--, § 26a EStG Rz 36). Daher sind z.B. Sonderausgaben getrennt veranlagter Eheleute grundsätzlich nur bei demjenigen Ehegatten abzuziehen, der sie getragen hat und die Voraussetzungen für ihre steuerliche Berücksichtigung erfüllt.

b) Für einige Steuervergünstigungen normiert § 26a Abs. 2 EStG jedoch besondere Zuordnungsregeln. Als Sonderausgaben abziehbare Kinderbetreuungskosten (§ 10 Abs. 1 Nr. 5 und 8 EStG) sowie außergewöhnliche Belastungen (§§ 33 bis 33b EStG) werden nach § 26a Abs. 2 Satz 1 EStG bei den getrennt veranlagten Ehegatten jeweils zur Hälfte abgezogen, "wenn die Ehegatten nicht gemeinsam eine andere Aufteilung beantragen". Dasselbe gilt nach § 26a Abs. 2 Satz 4 EStG für die Steuerermäßigung nach § 35a EStG (Aufwendungen für haushaltsnahe Beschäftigungsverhältnisse, haushaltsnahe Dienstleistungen und Handwerkerleistungen). Auf die Frage, welcher Ehegatte den [X.] erfüllt und wer die Aufwendungen getragen hat, kommt es dann nicht an. Die Zuordnungsregeln des § 26a Abs. 2 EStG beschränken sich auch nicht auf den Zeitraum, in dem die Ehegatten (schon oder noch) in einer [X.] leben, sondern gelten auch für Aufwendungen in den Monaten vor ihrer Eheschließung oder nach ihrer dauernden Trennung. Daher sind z.B. allein der Mutter entstandene Kinderbetreuungskosten (vgl. dazu das [X.]surteil vom 25. November 2010 III R 79/09, [X.], 331, BStBl II 2011, 450) nicht bei ihr, sondern grundsätzlich bei beiden Ehegatten zur Hälfte abzuziehen; auf Antrag können sie stattdessen auch bei ihrem getrennt veranlagten Ehemann abgezogen werden. Dies gilt auch für Krankheitskosten eines behinderten Ehemanns (§ 33 Abs. 1 EStG) und einen ihm zustehenden Pauschbetrag nach § 33b EStG: Diese sind zur Hälfte bei seiner Ehefrau abzuziehen, wenn die Eheleute nichts anderes beantragen.

c) Der die nach § 33b Abs. 5 EStG übertragbaren [X.] betreffende § 26a Abs. 2 Satz 2 EStG verdrängt ebenfalls anderweitige Zuordnungsregeln. Er bestimmt, dass die [X.] beiden Ehegatten zur Hälfte gewährt werden, ohne --wie die Sätze 1 und 4-- den Eheleuten eine andere Aufteilung zu ermöglichen. Nach seinem insoweit eindeutigen Wortlaut kann der der Klägerin zugeordnete Pauschbetrag bei ihr mithin lediglich zur Hälfte abgezogen werden; das freie Zuordnungsrecht des § 33b Abs. 5 Satz 3 EStG ist bei getrennter Veranlagung der Elternteile wirkungslos (gl.[X.] in Kirchhof, EStG, 11. Aufl., § 26a Rz 4; [X.] in Kirchhof, a.a.[X.], § 33b Rz 13; [X.]/[X.], § 26a EStG Rz 66; [X.]/[X.]mann, § 26a EStG Rz 28; a.[X.]/[X.], EStG, 31. Aufl., § 33b Rz 29).

aa) Der Wortlaut des § 26a Abs. 2 Satz 2 EStG ist nicht etwa deshalb unmaßgeblich, weil ihm ein redaktionelles Versehen zugrunde liege. Zwar sollte durch das Gesetz zur Familienförderung vom 22. Dezember 1999 ([X.] 1999, 2552, [X.], 4) der § 33b Abs. 5 EStG an § 33a Abs. 2 Sätze 5 und 6 EStG angepasst werden ([X.] 476/99, S. 25), nach deren Neufassung jedem Elternteil die Hälfte des [X.] zustand, wenn die Eltern nicht eine andere Aufteilung beantragten. Andererseits wurde aber auch § 26a Abs. 2 EStG durch das Gesetz zur Familienförderung geändert, was gegen ein gesetzgeberisches Versehen spricht, zumal § 26a Abs. 2 Satz 2 EStG auf § 33b Abs. 5 EStG verweist und die unterschiedlichen Zuordnungsregeln in beiden Vorschriften nicht zu übersehen sind.

bb) Der [X.] hat keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die zwingende Halbteilung des übertragenen [X.]. Die insoweit fehlende Gestaltungsmöglichkeit der getrennt veranlagten Ehegatten gilt zwar nicht für die übrigen außergewöhnlichen Belastungen. Sie betrifft auch nicht Ehegatten, die die Voraussetzungen der Ehegattenveranlagung (§ 26 Abs. 1 Satz 1 EStG) nicht erfüllen. Diese Differenzierung ist aber nicht willkürlich und verstößt auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--), den in Art. 6 Abs. 1 GG verankerten besonderen Schutz der Familie oder das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG).

Da im Streitfall der Ehemann der Vater des behinderten Kindes ist, braucht der [X.] nicht zu entscheiden, ob für den Zeitraum nach dauernder Trennung der Eheleute eine teleologische Reduktion des § 26a Abs. 2 Satz 2 EStG von [X.] wegen geboten ist und die Ehegatten den Pauschbetrag dann allein der das Kind betreuenden Mutter zuordnen können (vgl. Urteil des Niedersächsischen [X.] vom 12. Mai 2009  10 K 160/06, [X.] 2009, 1303).

Meta

III R 1/11

19.04.2012

Bundesfinanzhof 3. Senat

Urteil

vorgehend FG Köln, 26. Oktober 2010, Az: 1 K 2939/10, Urteil

§ 26a Abs 2 S 2 EStG 2002, § 33b Abs 5 EStG 2002, Art 20 Abs 3 GG, Art 3 Abs 1 GG, Art 6 Abs 1 GG, § 26 Abs 1 EStG 2002

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 19.04.2012, Az. III R 1/11 (REWIS RS 2012, 7092)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 7092

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