Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.04.2015, Az. V ZR 200/14

V. Zivilsenat | REWIS RS 2015, 12158

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS

V ZR 200/14
vom

23.
April
2015

in dem Rechtsstreit

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Der V.
Zivilsenat des [X.] hat am 23. April 2015
durch die
Vor-sitzende Richt[X.] [X.], die Richt[X.] Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und die Richter Dr.
Czub, [X.] und Dr. Göbel

beschlossen:

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des
Beklagten
wird das Urteil des 2.
Zivilsenats des [X.] vom 25. Juli 2014
aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 151.370

Gründe:
I.
Die Kläg[X.] ist Inhab[X.] eines Schlachthofs; der Beklagte
ist Viehhändler. Die Kläg[X.] war Eigentüm[X.] von [X.], die mit [X.] von 300.000 DM und von 200.000 DM belastet sind. Die Grundschulden valutierten nicht mehr; die Grundschuldbriefe befanden sich im Besitz der Kläg[X.].
Die [X.]en standen in einer langjährigen Geschäftsbeziehung. Der [X.] belieferte die Kläg[X.] mit Schlachtvieh. Die daraus entstandenen Forde-rungen des Beklagten konnte die Kläg[X.] in einem großen Umfang nicht [X.], wodurch Zahlungsrü1
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Beklagte wollte im Juni 2003 bereits geliefertes Vieh durch Mitarbeiter von
der Kläg[X.] wieder abholen lassen. Dabei gelangte er
in den Besitz der Grundschuldbriefe. Das gelieferte Vieh blieb bei der Kläg[X.],
und der Beklagte setzte die Lieferungen fort.
Die [X.]en verhandelten danach -
ohne Ergebnis -
u.a. auch über eine Abtretung der Grundschulden an den Beklagten. Die Kläg[X.] forderte im Jahre 2009 ohne Erfolg die Herausgabe der Grundschuldbriefe; ihre Verbindlichkeiten aus [X.] führte sie nicht zurück. Im Jahre 2012 klagte der Beklagte gegen die Kläg[X.] auf Bezahlung seiner Forderungen. Außerhalb dieses Rechtsstreits schlossen die [X.]en am 7. November 2012 einen Vergleich. Danach hat die Kläg[X.] die auf einen Betrag von

Forderung des Beklagten in Raten (ohne Zinsen) zu begleichen. Über die sich in dem Besitz des Beklagten befindenden Grundschuldbriefe wurde bei dem Abschluss des Vergleichs nicht gesprochen.
Die Kläg[X.] hat gegen den Beklagten Klage auf Herausgabe der Grund-schuldbriefe erhoben. Der Beklagte hat zunächst Klageabweisung beantragt. Das [X.] hat ihn zur Herausgabe der Briefe Zug um Zug gegen Zahlung de Klage abgewiesen. Die Kläg[X.] hat Berufung eingelegt und der Beklagte mit seiner Anschlussberufung die -landesgericht hat den Beklagten ohne den Zug um Zug Vorbehalt zur Herausgabe der
Briefe verurteilt. Dagegen wendet er sich mit der Nichtzulassungsbeschwerde.
II.
Das Berufungsgericht meint, dass die Kläg[X.] nach § 985, § 952 Abs. 2 BGB die Herausgabe der Briefe verlangen könne. Auf ein Recht zum Besitz könne sich der Beklagte nicht
berufen, nachdem mit dem Abschluss des 3
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Vergleichs feststehe, dass es zu einer Abtretung der Grundschulden an ihn
nicht mehr kommen werde. Eine weitergehende Sicherungsabrede, nach der der Beklagte so lange im Besitz der Briefe bleiben solle, bis die bei deren Hingabe bestehenden Verbindlichkeiten der Kläg[X.] getilgt seien, sei nicht zustande gekommen. Den Angaben des Geschäftsführers der Kläg[X.] bei seiner Anhörung durch das erstinstanzliche Gericht sei eine derartige Abrede nicht zu entnehmen. Dem Beweisangebot des Beklagten, den Geschäftsführer als [X.] zu vernehmen, müsse nicht nachgegangen werden. Es sei nämlich nichts dafür ersichtlich, dass
für den Geschäftsführer der Kläg[X.] erkennbar gewesen sei, dass die Briefe auch dann bei dem Beklagten verbleiben sollten, wenn es nicht zu einer wirksamen Abtretung komme.

III.
Das angefochtene Berufungsurteil ist auf die Nicht-zulassungsbeschwerde des
Beklagten nach § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben, weil das Berufungsgericht seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs.
1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
1. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Gerichte, erheblichen Beweisanträgen
nachzugehen ([X.] 69, 141, 143; [X.], NJW 1993, 254; [X.], 492, 493). Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots, die im Prozessrecht keine Stütze hat, verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG (Senat, Beschluss vom 28.
April 2011 -
V [X.], juris
Rn. 10; Beschluss vom 12. Juni 2014
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V [X.], juris Rn. 6; [X.], Beschluss vom 11. Mai 2010 -
VIII ZR 212/07, NJW-RR 2010, 1217, 1281
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std. Rspr.).

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2.
Ein solcher Verstoß ist dem Berufungsgericht dadurch unterlaufen, dass es dem Beweisantrag des Beklagten, den Geschäftsführer der Kläg[X.] nach § 445 Abs. 1 ZPO,
zu der Behauptung zu vernehmen, es sei vereinbart worden, dass
er die Briefe bis zur vollständigen Tilgung der Schuld der Kläg[X.] behalten dürfe, nicht entsprochen hat.
a) Das Berufungsgericht durfte den Beweisantrag nicht mit der Begründung übergehen, es sei schon nicht ersichtlich, dass für den Geschäftsführer der Kläg[X.] bei der Hingabe der Briefe die Begründung eines so weit gehenden Besitzrechts des Beklagten erkennbar gewesen sei. Denn darin liegt eine unzulässige Würdigung des Sachverhalts vor Feststellung der für die Auslegung der Abreden der [X.]en maßgeblichen Tatsachen.
aa) Das
von dem Beklagten unter Beweis gestellte Vorbringen ist nach den Rechtsausführungen des Berufungsgerichts erheblich. Es nimmt zu Recht an, dass Vereinbarungen über obligatorische Rechte an einem Hypotheken-
oder Grundschuldbrief möglich sind, mit denen denen sich der Inhaber des Grundpfandrechts einem anderen gegenüber verpflichtet, ihm den Brief solange zu belassen, bis dieser wegen seiner Forderung befriedigt ist (vgl. [X.], 24, 27; 91, 155, 158; [X.]/[X.], BGB [2011], § 952 Rn. 22).
bb) Die Auslegung des Vereinbarten nach §§ 133, 157 BGB ist zwar rechtliche Würdigung, ihr hat aber die Feststellung der Tatsachen vorauszugehen, die für die Auslegung wesentlich sein können ([X.], Urteil vom 23. Februar 1956
-
II ZR 207/54, [X.]Z 20, 109, 111;
Urteil vom 19. März 1992 -
IX
ZR 120/91, NJW-RR 1992, 772, 773). Bevor die Auslegung stattfinden kann, müssen die Tatsachen, die der Würdigung zugrunde zu legen sind (der
Wortlaut der Erklärungen und die sonstigen Umstände, die der Aufhellung oder der Aufdeckung des [X.]willens dienen können), mit den üblichen Mitteln des 8
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Beweisverfahrens geklärt werden ([X.], Urteil vom 26.
Oktober 1983
-
IVa ZR 80/82, NJW 1984, 721, 722).
Dabei geht das Zivilprozessrecht von dem Grundsatz der Pflicht des Gerichts zur Erschöpfung der Beweisaufnahme aus. Das Gericht muss grundsätzlich alle angetretenen und angebotenen Beweise erheben, soweit nicht ein bestimmter Grund zur Ablehnung des Antrags gegeben ist ([X.], Urteil vom 19. Februar 1970 -
III ZR 139/67, [X.]Z 53, 245, 259). Ein erhebliches Beweisangebot kann -
wenn es nicht aus besonderen Vorschriften der Zivilprozessordnung (z.B. wegen Verspätung) zurückzuweisen ist -
nur dann außer [X.] bleiben, wenn das Beweismittel ungeeignet ist, weil es im Einzelfall zur Beweisbehauptung erkennbar keine sachdienlichen Ergebnisse erbringen kann,
oder wenn die [X.] ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines

dem Beweis vorgetragener Tatsachen zu dienen bestimmt ist, sondern stattdessen die Ausforschung von Tatsachen bezweckt ([X.], NJW 2009, 1585 Rn. 24 und 26; [X.], 492, 493). An Beidem fehlt es hier.
(1) Die Vernehmung des Geschäftsführers der Kläg[X.] ist ein offensichtlich geeignetes Beweismittel, um das für die Auslegung von Vereinbarungen maßgebende Gesamtverhalten der
Erklärenden einschließlich der Entstehungsgeschichte und des Zwecks der Erklärungen (vgl. Senat, Urteil vom 20. Dezember 1974 -
V [X.], [X.]Z 63, 359, 362; Urteil vom 19.
März 1992 -
IX ZR 120/91, NJW-RR 1992, 772, 773)
zu ermitteln.
(2) Dass den Behauptungen des Beklagten zu dem mit der Aushändigung der Grundschuldbriefe vereinbarten Zweck jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkt fehlt und sich der Vortrag daher als ein nicht beweiserheblicher Rechtsmissbrauch darstellt (vgl. Senat, Urteil vom 12
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13.
Dezember 2002
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V [X.], NJW-RR 2003, 491; Urteil vom
12. Juni 2008 -
V [X.], [X.], 2068 Rn. 9), ist von dem Berufungsgericht nicht festgestellt und liegt nach den getroffenen Feststellungen (hohe Verbindlichkeiten der Kläg[X.] aus vorangegangenen Lieferungen, vorheriges Anbieten der Briefe als
Sicherheit, Aushändigung oder Mitnahme durch Mitarbeiter des Beklagten zur Abwendung der
Abholung bereits gelieferter Tiere) fern.
b) Dem Beweisantrag hätte das Berufungsgericht auch ungeachtet dessen
nachgehen
müssen, dass seiner Ansicht nach den Angaben des in erster Instanz angehörten Geschäftsführers der Kläg[X.] die von dem Beklagten behauptete Abrede
nicht zu entnehmen ist. Eine Anhörung einer [X.] nach §
141 ZPO kann die von dem Gegner beantragte Vernehmung gemäß
§ 445 ZPO nicht ersetzen (vgl. Senat, Urteil vom 16. Oktober 1987 -
V [X.], NJW-RR 1988, 394, 395; Beschluss vom 28. April 2011 -
V [X.], juris Rn.
13; [X.], Urteil vom 3.
Juli 1967 -
VII ZR 48/65, [X.] zu § 141 ZPO).
c) [X.] ist schließlich
nicht -
wie die Erwiderung meint -
gemäß § 445 Abs. 2 ZPO gerechtfertigt. Nach dieser Vorschrift ist ein Beweisantrag, den Gegner als [X.] zu vernehmen (§ 445 Abs. 1 ZPO), nur dann zurückzuweisen, wenn das
Gericht auf Grund einer Würdigung anderer Beweise (§
286 ZPO), der Offenkundigkeit der zu beweisenden Tatsache (§ 291 ZPO) oder gesetzlicher Beweisregeln (§§
415 bis 418 ZPO) bereits von dem Gegenteil der zu beweisenden Tatsache überzeugt ist (vgl. MüKo-ZPO/[X.], 4. Aufl., §
445 Rn. 10; Musielak/[X.]/[X.], ZPO, 12. Aufl., § 445 Rn. 7; [X.]/[X.], ZPO, 30.
Aufl., §
445 Rn. 4). Die Wahrscheinlichkeit des Gegenteils der unter Beweis durch [X.]vernehmung gestellten Tatsache rechtfertigt die Zurückweisung des Beweisantrags dagegen nicht ([X.], Urteil vom 6. Juli 1960 -
IV ZR 322/59, [X.]Z 33, 63, 66; Urteil vom 8. Juni 2012 -
XI [X.], [X.]Z 193, 159 15
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8

Rn.
39). Das Berufungsgericht hätte den Beweisantrag daher nicht mit der Begründung zurückweisen dürfen, dass für die unter Beweis gestellten Behauptungen zum Inhalt der Vereinbarung nichts ersichtlich sei.
IV.
In der neuen Verhandlung wird das Berufungsgericht die unterlassene Beweisaufnahme zu den der Überlassung der Grundschuldbriefe zugrunde liegenden Erklärungen und Umständen nachzuholen haben.
Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass vertragliche Vereinbarungen nach § 157 BGB so auszulegen sind, wie es der Grundsatz von [X.] und Glauben (§ 242 BGB) erfordert. Die Rückforderung eines Grundschuld-
oder Hypothekenbriefs vor Tilgung der Verbindlichkeiten, deretwegen der Brief dem Besitzer als Sicherheit ausgehändigt worden ist, findet jedoch in den Grundsätzen von [X.] und Glauben nicht nur keinen Rückhalt, sondern widerspricht diesen geradezu (vgl. [X.], 155, 158). Dieser Gesichtspunkt könnte bei der Auslegung des Vereinbarten zum Tragen kommen, wenn -
wie der Beklagte vorträgt -
der mit der Aushändigung der Briefe verfolgte Zweck für die Kläg[X.] darin bestanden haben sollte, trotz hoher
Verbindlichkeiten die für ihren Geschäftsbetrieb wichtige Geschäftsbeziehung aufrechtzuerhalten und dem Beklagten mit den
Briefen
eine Sicherheit für weitere Lieferungen an die Hand zu geben. Eine Abtretung der Grundschulden hätte dem Interesse der Kläg[X.] dagegen widersprochen, weil die dann mögliche Kündigung der Grundschulden durch den Beklagten nach § 1193

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BGB und eine anschließende Vollstreckung in ihre [X.] nach §
1192 Abs.1, § 1147 BGB geeignet gewesen wären, ihrem Geschäft die Grundlage zu entziehen.

Stresemann

Schmidt-Räntsch

Czub

Kazele

Göbel
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 18.12.2013 -
11 [X.]/13 -

Hanseatisches OLG in [X.], Entscheidung vom 25.07.2014 -
2 U 5/14 -

Meta

V ZR 200/14

23.04.2015

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.04.2015, Az. V ZR 200/14 (REWIS RS 2015, 12158)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 12158

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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V ZR 200/14

V ZR 308/13

VIII ZR 212/07

XI ZR 262/10

III ZR 139/67

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