Bundesgerichtshof, Urteil vom 06.08.2019, Az. X ZR 165/18

10. Zivilsenat | REWIS RS 2019, 4749

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ZIVIL- UND ZIVILVERFAHRENSRECHT BUNDESGERICHTSHOF (BGH) FLUGGASTRECHTE SCHADENSERSATZ

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Gegenstand

Ausgleichsanspruch nach der Fluggastrechteverordnung: Anrechnung auf Schadensersatzansprüche wegen Verletzung des Beförderungsvertrags aufgrund derselben großen Verspätung


Leitsatz

Nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung sind nach der Fluggastrechteverordnung wegen großer Verspätung gewährte Ausgleichsansprüche auf Schadensersatzansprüche wegen Verletzung des Beförderungsvertrags aufgrund derselben großen Verspätung anzurechnen.

Tenor

Die Revision gegen das Urteil der 24. Zivilkammer des [X.] vom 26. September 2018 wird auf Kosten des [X.] zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger und seine beiden Mitreisenden buchten bei dem beklagten Luftverkehrsunternehmen für den 15. September 2016 einen Flug von [X.] nach [X.], wo sie eine Rundreise durch [X.] antreten wollten. Der Abflug verzögerte sich, so dass die Fluggäste ihr Reiseziel einen Tag später als vorgesehen erreichten. Die Beklagte zahlte wegen der Flugverspätung an den Kläger und seine Mitreisenden auf der Grundlage der Fluggastrechteverordnung (Verordnung ([X.]) Nr. 261/2004, [X.]. [X.] vom 17. Februar 2004, [X.] ff.) Ausgleichsleistungen in Höhe von jeweils 600 Euro.

2

Der Kläger macht geltend, er und seine Mitreisenden hätten die für die erste Nacht gebuchte Unterkunft in einer Lodge wegen der verspäteten Ankunft nicht mehr erreichen können und stattdessen in einem Hotel in [X.] übernachten müssen. Er verlangt von dem beklagten Luftverkehrsunternehmen aus eigenem und abgetretenen Recht seiner Mitreisenden insgesamt 841,07 Euro als Erstattung der Kosten für die nicht in Anspruch genommene, aber nach seinem Vortrag in Rechnung gestellte Unterkunft in der Lodge sowie der Hotelkosten für die Übernachtung in [X.]. Die Beklagte macht geltend, die von ihr erbrachten Ausgleichszahlungen seien auf die in der Höhe dahinter zurückbleibenden Forderungen des [X.] nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 [X.] anzurechnen.

3

Das Amtsgericht hat die Ausgleichszahlungen angerechnet und die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung des [X.] hatte keinen Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine [X.] weiter.

Entscheidungsgründe

4

Die zulässige Revision hat keinen Erfolg.

5

I. Das Berufungsgericht hat angenommen, die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche seien aufgrund der von der Beklagten erklärten Anrechnung der von ihr auf der Grundlage der Fluggastrechteverordnung geleisteten Ausgleichszahlungen erloschen. Die Kosten für die Übernachtung in der Lodge, die die Reisenden aufgrund der Flugverspätung nicht hätten nutzen können, sowie die Kosten für das stattdessen in Anspruch genommene Hotelzimmer in [X.] seien adäquat kausal auf die Verspätung des Fluges nach [X.] zurückzuführen. Der Fluggast könne bei einer erheblichen Flugverspätung wählen zwischen der Ausgleichszahlung nach der Fluggastrechteverordnung, die zum Ausgleich entstandener Unannehmlichkeiten einen pauschalierten Ersatz für materielle und immaterielle Schäden biete, und der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen nach nationalem Recht, für die Schadenseintritt und -höhe konkret darzulegen seien. Beanspruche der Fluggast eine Ausgleichszahlung nach der Fluggastrechteverordnung, sei diese nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung auf wegen desselben Ereignisses geltend gemachte Schadensersatzansprüche nach nationalem Recht anzurechnen, unabhängig davon, ob diese auf den Ersatz materieller oder immaterieller Schäden gerichtet seien.

6

II. Dies hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand. Das Berufungsgericht hat zu Recht entschieden, dass die Ausgleichszahlungen der Beklagten wegen Flugverspätung auf die geltend gemachten Ersatzansprüche anzurechnen sind und der Kläger daher von der Beklagten keinen weiteren Ersatz verlangen kann.

7

1. Die vom Kläger geltend gemachten Ersatzansprüche ergeben sich aus dem [X.], den er und seine Mitreisenden mit der Beklagten geschlossen haben. Dieser unterliegt gemäß Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung ([X.]) Nr. 593/2008 vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht ("Rom-I-Verordnung") [X.] Sachrecht. Danach steht dem Kläger aus eigenem und abgetretenem Recht gemäß § 280 Abs. 1, § 249 Abs. 1, § 398 BGB ein Anspruch auf Ersatz der durch die verspätete Luftbeförderung hervorgerufenen Beeinträchtigungen zu, die zum einen in durch die verspätete Ankunft am Reiseziel nutzlos gewordenen Aufwendungen, zum anderen in Zusatzkosten für eine notwendig gewordene andere Hotelunterkunft bestehen. Dementsprechend handelt es sich bei den eingeklagten Ansprüchen um Ansprüche auf weitergehenden Schadensersatz, auf die nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 [X.] eine nach dieser Verordnung wegen großer Verspätung gewährte Ausgleichszahlung angerechnet werden kann.

8

2. Die Anrechnung der dem Kläger und seinen Mitreisenden auf der Grundlage der Fluggastrechteverordnung gewährten Ausgleichszahlungen auf die Schadensersatzansprüche der Reisenden richtet sich mangels gesetzlicher Regelung im [X.] Recht im Streitfall nach den von der Rechtsprechung zum Schadensersatzrecht entwickelten Grundsätzen der Vorteilsausgleichung.

9

Nach diesen Grundsätzen sind dem Geschädigten in gewissem Umfang diejenigen Vorteile zuzurechnen, die ihm in adäquatem Zusammenhang mit dem Schadensereignis zugeflossen sind. Es soll ein gerechter Ausgleich zwischen den bei einem Schadensfall widerstreitenden Interessen herbeigeführt werden. Der Geschädigte darf einerseits im Hinblick auf das schadensersatzrechtliche Bereicherungsverbot nicht besser gestellt werden, als er ohne das schädigende Ereignis stünde. Andererseits sind nur diejenigen durch das Schadensereignis bedingten Vorteile auf den Schadensersatzanspruch anzurechnen, deren Anrechnung mit dem jeweiligen Zweck des Ersatzanspruchs übereinstimmt, also dem Geschädigten zumutbar ist und den Schädiger nicht unangemessen entlastet ([X.], Urteil vom 30. September 2014 - [X.], NJW 2015, 553 Rn. 14; Urteil vom 28. Juni 2007 - [X.], [X.]Z 173, 83 Rn. 18).

a) Die Ausgleichszahlung nach der Fluggastrechteverordnung dient nicht nur dem pauschalierten Ersatz immaterieller Schäden in Form von Unannehmlichkeiten infolge des durch die Flugverspätung erlittenen [X.] (vgl. [X.], Urteil vom 23. Oktober 2012, [X.]/10 und [X.]/10, NJW 2013, 671 Rn. 74 - [X.]), sondern soll dem Fluggast ermöglichen, auch Ersatz seiner materiellen Schäden zu erlangen, ohne im Einzelnen aufwändig deren Höhe darlegen und beweisen zu müssen ([X.], Urteil vom 13. Oktober 2011 - [X.]/10, NJW 2011, 3776 Rn. 39 - [X.]; [X.], aaO Rn. 46).

b) Die geltend gemachten beförderungsvertraglichen Ersatzansprüche beruhen wie die dem Kläger und seinen Mitreisenden auf der Grundlage der Fluggastrechteverordnung gewährten Ausgleichszahlungen auf der großen Verspätung des Fluges von [X.] nach [X.], und dienen dem Ausgleich derselben durch die spätere Ankunft am Reiseziel entstandenen Schäden. Eine Kumulierung der Ausgleichszahlungen nach der Fluggastrechteverordnung und des Schadensersatzes nach § 280 Abs. 1, § 249 Abs. 1 BGB führte zu einer nicht gerechtfertigten Überkompensation der dem Kläger und seinen Mitreisenden durch dasselbe Ereignis entstandenen Schäden. Der Kläger muss sich daher die bereits erhaltenen Ausgleichszahlungen anrechnen lassen, mit der Folge, dass die beförderungsvertraglichen Ersatzansprüche, deren Höhe dahinter zurückbleibt, erloschen sind.

c) Die Zumutbarkeit der Anrechnung ist auch nicht deshalb zu verneinen, weil einem Fluggast die wegen einer Flugverspätung auf der Grundlage der Fluggastrechteverordnung gewährte Ausgleichszahlung ungeschmälert verbleibt, wenn er anders als im Streitfall weder nutzlos gewordene Aufwendungen noch Zusatzkosten für eine eventuell notwendig gewordene andere Unterkunft tragen muss. Dies ist als einer pauschalierten Abgeltung immanent hinzunehmen.

3. Es handelt sich auch um eine hinreichend geklärte Rechtslage, so dass es keiner Vorlage an den [X.] nach Art. 267 A[X.]V zur Auslegung von Art. 12 Abs. 1 [X.] bedarf.

a) Der [X.] hat in einem früheren Verfahren für klärungsbedürftig gehalten, ob eine Anrechnung dem Zweck der Ausgleichsleistung nach der Fluggastrechteverordnung entspricht, und deshalb dem [X.] eine entsprechende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt (Beschluss vom 30. Juli 2013 - [X.]); das Verfahren hat sich jedoch anderweitig erledigt.

b) Eine erneute Vorlage an den [X.] ist im Streitfall nicht erforderlich. Durch Erwägungsgrund 36 und Art. 14 Abs. 5 der am 31. Dezember 2015 in [X.] getretenen neuen Pauschalreiserichtlinie (Richtlinie ([X.]) 2015/2302) ist geklärt worden, dass jedenfalls seit Inkrafttreten dieser Richtlinie Ausgleichszahlungen nach der Fluggastrechteverordnung auf vertragliche Ersatzansprüche gegen den Reiseveranstalter anzurechnen sind und umgekehrt, um eine Überkompensation zu vermeiden. Für das geltende [X.] Pauschalreiserecht ist dies mit der Regelung in § 651p Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 BGB umgesetzt worden. Die neue Pauschalreiserichtlinie ist am 31. Dezember 2015 und damit vor Abschluss des [X.] in [X.] getreten. Zwar sind die Vorschriften des Pauschalreiserechts im Streitfall nicht anwendbar. Der in Art. 14 Abs. 5 der Pauschalreiserichtlinie zum Ausdruck kommende Rechtsgedanke, dass Ausgleichszahlungen nach der Fluggastrechteverordnung und reisevertragliche Ersatzansprüche wechselseitig anrechenbar sind, beansprucht indessen auch Gültigkeit im Verhältnis zu Ansprüchen wegen Verletzung eines [X.], die dieselbe Zielrichtung haben. Damit entfällt auch für Ansprüche aus dem Beförderungsvertrag, wie sie im Streitfall in Rede stehen, ein aus dem Sinn und Zweck der Ausgleichsleistung nach der Fluggastrechteverordnung abzuleitendes Hindernis für eine Anrechnung, wie es der [X.] vor Inkrafttreten der neuen Pauschalreiserichtlinie für denkbar gehalten hat.

III. [X.] beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

[X.]     

      

Gröning     

      

Grabinski

      

Bacher     

      

Kober-Dehm     

      

Meta

X ZR 165/18

06.08.2019

Bundesgerichtshof 10. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG Frankfurt, 26. September 2018, Az: 2-24 S 338/17

§ 249 Abs 1 BGB, § 280 Abs 1 BGB, Art 12 Abs 1 S 2 EGV 261/2004, Art 14 Abs 5 EURL 2015/2302

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 06.08.2019, Az. X ZR 165/18 (REWIS RS 2019, 4749)

Papier­fundstellen: MDR 2019, 1437-1438 REWIS RS 2019, 4749

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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