Bundessozialgericht, Urteil vom 24.04.2015, Az. B 4 AS 22/14 R

4. Senat | REWIS RS 2015, 12110

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Antrag auf Arbeitslosengeld II für die Zeit nach Haftentlassung noch während der Inhaftierung - Auszahlung von Überbrückungsgeld am Tag der Haftentlassung - Berücksichtigung als Einkommen - Unzulässigkeit einer nachträglichen Antragsrücknahme oder -beschränkung zwecks Umwandlung in Vermögen - kein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch


Leitsatz

Ein nach dem SGB 2 Leistungsberechtigter ist nicht befugt durch Antragsrücknahme oder Beschränkung des Antrags einseitig in die materiell-rechtliche Rechtslage einzugreifen, um nach der Antragstellung zugeflossenes Einkommen in Vermögen zu wandeln.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 27. Februar 2014 aufgehoben und die Berufung des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 27. Juni 2012 zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungs- und Revisionsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig ist die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.] im [X.]raum vom 5. bis 30.9.2009.

2

Der alleinstehende Kläger war von September 2008 bis September 2009 inhaftiert. Ausweislich des Entlassungsscheins der JVA wurde er am [X.] - entsprechend Art 18 Abs 1 des Gesetzes über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der Jugendstrafe ([X.] Strafvollzugsgesetz ) - im Verlaufe des Vormittags aus der Haft entlassen. Dabei wurde ihm nach Art 51 Abs 1 BayStVollzG ua ein Überbrückungsgeld zur Sicherstellung des notwendigen Lebensunterhalts für die ersten vier Wochen nach der Entlassung in Höhe von 1017,98 Euro ausgezahlt. Durch ein von ihm auf den [X.] datiertes Schreiben beantragte er Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts "ab dem Tag der Haftentlassung" bei dem Beklagten. Durch Bescheid vom [X.] lehnte der Beklagte die Leistungsgewährung für den Monat September 2009 unter Hinweis auf die mangelnde Hilfebedürftigkeit aufgrund des gewährten Überbrückungsgeldes als Einkommen ab. Für die [X.] ab dem 1.10.2009 bewilligte er durch Bescheid vom 5.10.2009 [X.]. Den Widerspruch, mit dem der Kläger geltend machte, er habe das Überbrückungsgeld zur Begleichung eines Teils der sich auf 3027,52 [X.] Kosten für das Strafverfahren verwendet, wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 28.5.2010 zurück.

3

Mit seiner Klage hiergegen ist der Kläger vor dem [X.] erfolglos geblieben (Urteil vom [X.]). Das [X.] hat seiner Berufung stattgegeben. Es hat die angefochtenen Bescheide aufgehoben sowie den Beklagten verurteilt, dem Kläger für die [X.] vom 5. bis 30.9.2009 [X.] in Höhe von 767 Euro zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt, zwar habe der Kläger im Berufungsverfahren keinen Nachweis des Verbrauchs des Überbrückungsgeldes vor dem streitigen [X.]raum durch Verwendung der Leistung zur Tilgung der durch das Strafverfahren entstandenen Kosten erbringen können. Auf Nachfrage des [X.] habe die Staatsanwaltschaft mitgeteilt, erstmals im Oktober 2009 seien 5 Euro zur Begleichung der klägerischen Schuld eingegangen. Letztlich könne es jedoch dahinstehen, ob der Kläger im streitigen [X.]raum noch über das Überbrückungsgeld im Sinne bereiter Mittel verfügt habe. Bei dem Überbrückungsgeld handele es sich vorliegend um bei der Leistungsberechnung nicht zu berücksichtigendes Vermögen. Die Überbrückungsleistung sei vor der Antragstellung zugeflossen. Der Kläger sei so zu stellen, als habe er den Antrag aus August 2009 vor der Bestandskraft des ablehnenden Bescheides vom [X.] wirksam zurückgenommen und erst ab dem [X.] - wie im Klageverfahren vorgebracht - [X.] beantragt. Der Beklagte habe seine Verpflichtung verletzt, den Kläger "spontan" über die beste Gestaltungsmöglichkeit seines Leistungsverhältnisses im Sinne der Antragsrücknahme und späteren Antragstellung zu beraten. Aufgrund der unterlassenen Beratung sei das Überbrückungsgeld zu Lasten des [X.] nach der Zuflusstheorie als Einkommen zu bewerten gewesen (Urteil vom [X.]).

4

Mit der vom [X.] zugelassenen Revision hat der Beklagte vorgebracht, dass eine Antragsrücknahme dann nicht möglich sei, wenn dadurch materiell-rechtliche Leistungsvoraussetzungen verändert werden sollten. Funktion der Gestaltungsmöglichkeiten des [X.] sei die Vermeidung, nicht jedoch die Herbeiführung von Hilfebedürftigkeit. Insoweit bestehe keine Dispositionsfreiheit des Leistungsberechtigten im Hinblick auf die materiell-rechtlichen Folgen seiner Antragstellung.

5

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Bayerischen [X.] vom [X.] aufzuheben und die Berufung des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom [X.] zurückzuweisen.

6

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Er hält die Ausführungen des Bayerischen [X.] für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision des Beklagten ist begründet.

9

Der Kläger hat keinen Anspruch auf [X.] für den [X.]raum vom 5. bis [X.]. Er war nicht hilfebedürftig, denn er konnte seinen Bedarf aus dem ihm am Tag der Haftentlassung am [X.] ausgezahlten Überbrückungsgeld vollständig decken. Insoweit handelt es sich um bei der Berechnung des [X.] zu berücksichtigendes Einkommen im Sinne des Grundsicherungsrechts und nicht um [X.] Vermögen.

1. Streitgegenstand ist die durch Bescheid des Beklagten vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom [X.] erfolgte Ablehnung der Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.] für den [X.]raum vom 5. bis [X.]. Der Kläger hat mit seinem Antrag im Berufungsverfahren den Beginn des streitigen [X.]raums zulässigerweise auf den Tag nach der Haftentlassung bestimmt. Insoweit unterliegt es seiner Disposition, ab welchem [X.]punkt er im Klageverfahren [X.] erstreiten will.

2. Die Voraussetzungen des § 7 Abs 1 S 1 [X.], 2 und 4 [X.] (idF des [X.] an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung vom 20.4.2007, [X.]) erfüllt der Kläger nach den für den Senat bindenden Feststellungen des [X.] (§ 163 SGG). Er hat jedoch gleichwohl keinen Anspruch auf [X.] im [X.]raum vom 5. bis [X.]. Er war nicht hilfebedürftig iS des § 7 Abs 1 S 1 [X.] [X.]. [X.] ist nach § 9 Abs 1 [X.] (idF des [X.] am Arbeitsmarkt vom [X.], [X.] 2954), wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann. Dies war vorliegend im Monat September 2009 jedoch der Fall. Der Lebensunterhalt des [X.] war im streitigen [X.]raum durch das bei der Haftentlassung am [X.] ausgezahlte Überbrückungsgeld in Höhe von 1017,98 [X.] gewährleistet.

a) Mit dem Überbrückungsgeld ist der Bedarf des [X.] nach den für den Senat bindenden Feststellungen des [X.] (§ 163 SGG) zwischen dem 5. und dem [X.] vollständig gedeckt worden. Der Kläger hatte einen monatlichen Unterkunftsbedarf von 532,81 [X.] und als Alleinstehender Anspruch auf eine Regelleistung in Höhe von 359 [X.] monatlich (Regelleistungsstufe 1 zum [X.], Bekanntmachung des [X.] nach § 20 Abs 4 S 3 [X.] vom [X.], [X.] 1342), zusammen 891,81 [X.]. Ein Hinweis auf Mehrbedarfe oder anderweitig ungedeckte Bedarfe ergibt sich aus den Feststellungen des [X.] nicht. Dem so bemessenen Bedarf ist nach § 9 Abs 1 [X.] das Überbrückungsgeld in Höhe von 1017,98 [X.] abzüglich der gesetzlich vorgesehenen Absetzbeträge anteilig für den [X.]raum vom 5. bis [X.] als Einkommen gegenüberzustellen. Das Überbrückungsgeld überstieg den Bedarf des [X.] insoweit.

Nach den bindenden Feststellungen des [X.] (§ 163 SGG), die der Kläger nicht angegriffen hat, stand ihm das Überbrückungsgeld im streitigen [X.]raum auch als bereites Mittel zur Verfügung. Die im Verlaufe des Klageverfahrens behauptete Verwendung zur Begleichung der "Schulden" aus dem Strafverfahren ist nach den Feststellungen des [X.] nicht erfolgt.

b) Eine Berücksichtigung des Überbrückungsgeldes bei der Berechnung des [X.] scheidet auch nicht deswegen aus, weil es vorliegend nicht als Einkommen iS des § 11 [X.] (idF des [X.] von Kommunen nach dem [X.] vom 30.7.2004, [X.] 2014 mWv 1.1.2005) zu qualifizieren ist, sondern als Vermögen, das wegen der Unterschreitung der "Freibetragsgrenzen" des § 12 [X.] (idF des [X.] vom 20.4.2007, [X.]) außer Betracht gelassen werden müsste.

aa) Das Überbrückungsgeld ist Einkommen iS des § 11 Abs 1 [X.]. Es ist dem Kläger nach der Antragstellung im August 2009, dem maßgeblichen [X.]punkt für die Unterscheidung von Einkommen und Vermögen im [X.], bei der Haftentlassung am [X.] zugeflossen. Nach der ständigen Rechtsprechung der für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des [X.] ist Einkommen iS des § 11 Abs 1 [X.] grundsätzlich alles das, was jemand nach der Antragstellung wertmäßig dazu erhält und Vermögen das, was der Leistungsberechtigte vor der Antragstellung bereits hatte (modifizierte Zuflusstheorie siehe [X.] vom 30.7.2008 - [X.]/11b [X.] - Rd[X.]0 ff; siehe auch [X.] vom 30.9.2008 - B 4 AS 29/07 R - [X.], 291 = [X.] 4-4200 § 11 [X.], Rd[X.]8; [X.] vom 6.10.2011 - [X.] [X.]/10 R - [X.] 4-4200 § 11 [X.] Rd[X.]8).

bb) An der Maßgeblichkeit des zuvor dargelegten [X.] zwischen Einkommen und Vermögen ist auch für das Überbrückungsgeld nach § 51 [X.] - hier in der Umsetzung durch § 51 Bay[X.] - festzuhalten. Der erkennende Senat folgt insoweit dem 14. Senat des [X.] ([X.] vom 28.10.2014 - [X.] [X.]/13 R - Rd[X.]4, zur Veröffentlichung in [X.] und [X.] 4-4200 § 37 [X.] vorgesehen, unter Hinweis auf [X.] [X.] [X.]/12 R - [X.] 4-4200 § 11 [X.] Rd[X.]4 mwN). Denn vor der Haftentlassung und Auszahlung durch die Justizverwaltung kann der Gefangene über das Überbrückungsgeld nicht frei verfügen; das Überbrückungsgeld-Konto ist nicht einem Sparbuch vergleichbar, auf dem mit bereits erlangten Einkünften von dem Gefangenen ein gezielter "Vermögensaufbau" betrieben wurde (vgl dazu bereits [X.] [X.] [X.]/12 R - [X.] 4-4200 § 11 [X.] Rd[X.]8 bis 30 mwN; [X.] vom 28.10.2014 - [X.] [X.]/13 R - Rd[X.]5, zur Veröffentlichung in [X.] und [X.] 4-4200 § 37 [X.] vorgesehen; siehe zur ausnahmsweise vorherigen Inanspruchnahme nach "Gestattung" durch die Justizverwaltung nach § 51 Abs 3 [X.], [X.], [X.], 3. Aufl 2011, § 51 Rd[X.]0). Die Höhe des Überbrückungsgeldes setzt die Justizverwaltung fest. Sie soll nach der [X.] zu § 51 [X.] ([X.] 1976, 581, 2088 und [X.] 1977, 436) das "Vierfache des Regelsatzes nach dem [X.]" nicht unterschreiten, aufgrund der Umstände des Einzelfalls kann ein höherer Betrag festgesetzt werden (abgedruckt zB von [X.]/[X.] in Feest/[X.], [X.], 6. Aufl 2012, bei § 51). Das Überbrückungsgeld soll ein gewisses "Polster" bilden, um die Wiedereingliederung des Gefangenen in das normale Leben zu erleichtern ([X.]/[X.], aaO, § 51 Rd[X.]), weswegen es auch dem Pfändungsschutz unterliegt (§ 51 Abs 4 S 1 [X.]). Inwieweit diese Beurteilung auch für das [X.] und/oder Hausgeld gilt, das dem Kläger am Tag der Entlassung ebenfalls ausgezahlt worden ist, kann hier dahinstehen, denn er konnte seinen Bedarf bereits allein aus dem Überbrückungsgeld decken.

cc) Darauf, dass der Kläger einen Teil des [X.] noch inhaftiert war, kommt es für die Differenzierung zwischen Einkommen und Vermögen hier nicht streitentscheidend an. Es kann auch offen bleiben, ob er den gesamten Tag der Haftentlassung vom Leistungsausschluss des § 7 Abs 4 S 1, 2 [X.] idF des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende (vom [X.], [X.] 1706) betroffen war. Nach dieser Regelung ist zwar der in einer Einrichtung - und dem gleichgesetzt in einer JVA - Untergebrachte von Leistungen nach dem [X.] ausgeschlossen. Unabhängig davon entfaltet der Antrag im Hinblick auf die Abgrenzung zwischen Einkommen und Vermögen jedoch weiterhin Wirkung (vgl hierzu [X.] vom 28.10.2014 - [X.] [X.]/13 R - Rd[X.]0, 26, zur Veröffentlichung in [X.] und [X.] 4-4200 § 37 [X.] vorgesehen). Dies ist gleichsam die Kehrseite der Freiheit, über den [X.] disponieren und damit nach dem bis zum 31.12.2010 geltenden Recht dem Antrag auch leistungsrechtliche Wirkungen etwa im Hinblick auf die Abgrenzung von Einkommen und Vermögen innerhalb eines Monats beigeben zu können (vgl hierzu auch BT-Drucks 17/3404, [X.] zu § 37). Der Antrag setzt als "Türöffner" das Verwaltungsverfahren in Gang. Ab diesem [X.]punkt hat der Leistungsträger die Verpflichtung, die materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Leistungsgewährung zu prüfen und auf deren Grundlage - unter Berücksichtigung der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls - zu bescheiden ([X.] vom 30.9.2008 - B 4 AS 29/07 R - [X.], 291 = [X.] 4-4200 § 11 [X.], Rd[X.]0; siehe auch [X.] vom [X.] - B 4 [X.]/09 R - [X.] 4-4200 § 22 [X.] Rd[X.]4; [X.] vom 18.1.2011 - B 4 [X.]/10 R - [X.] 4-4200 § 37 [X.] Rd[X.]7); ggf ist der Anspruch ganz oder teilweise zu verneinen, beispielsweise weil der Antragsteller von Leistungen ausgeschlossen ist oder er seinen Bedarf durch nach dem [X.]punkt der Antragstellung zugeflossenes Einkommen decken kann.

dd) Der Senat hat im Rahmen der revisionsrechtlichen Prüfung auch keine Zweifel daran, dass der Kläger mit dem von ihm gestellten Antrag die Leistungen ab dem Tag der Haftentlassung begehrt hat. Dies ergibt sich aus der Auslegung des in dieser Sache vom [X.] festgestellten Antragsschreibens in Verbindung mit den damit zusammenhängenden Umständen (vgl zur Auslegung einer Willenserklärung durch das Revisionsgericht: [X.] - B 4 AS 29/13 R - [X.] 115, 225 = [X.] 4-4200 § 37 [X.], Rd[X.]6; [X.] vom 11.9.2001 - B 2 U 41/00 R - [X.] 3-2200 § 1150 [X.], juris Rd[X.]; [X.] vom 24.11.1976 - 1 RA 151/75 - [X.] 43, 37, 39 = [X.] 2200 § 1265 [X.], juris Rd[X.]3; [X.] vom 24.10.1975 - 5 [X.] - [X.] 1500 § 163 [X.], juris Rd[X.]5).

Bei dem Antrag handelt es sich um eine einseitige, empfangsbedürftige, öffentlich-rechtliche Willenserklärung, auf die - sofern das Sozialrecht keine speziellen Regelungen trifft - die Vorschriften des [X.], insbesondere § 133 [X.], Anwendung finden ([X.] vom 17.7.1990 - 12 RK 10/89 - [X.] 3-1200 § 16 [X.] mwN, juris Rd[X.]0). Maßgebend für die Auslegung eines Antrags ist daher - unter Berücksichtigung aller Umstände - der erkennbare wirkliche Wille des Antragstellers ([X.] - B 4 AS 29/13 R - [X.] 115, 225 = [X.] 4-4200 § 37 [X.], Rd[X.]6, unter Hinweis auf [X.] - [X.] 3100 § 48 [X.], juris Rd[X.]7; [X.] vom 23.2.1973 - 3 RK 44/71 - [X.] 35, 220, 221 = [X.] [X.] zu § 173a [X.], juris Rd[X.]8). Die Auslegung selbst hat nach dem Grundsatz der [X.] zu erfolgen (vgl [X.] vom [X.] - [X.] [X.]/09 R - [X.] 4-4200 § 28 [X.] Rd[X.]4). Danach ist, sofern eine ausdrückliche Beschränkung auf eine bestimmte Leistung nicht vorliegt, davon auszugehen, dass der Antragsteller die nach der Lage des Falls ernsthaft in Betracht kommenden Leistungen begehrt, unabhängig davon welchen Antragsvordruck er hierfür benutzt oder welchen Ausdruck er gewählt hat ([X.] vom 11.9.2001 - B 2 U 41/00 R - [X.] 3-2200 § 1150 [X.], juris Rd[X.]; [X.] - [X.] 3100 § 48 [X.], juris Rd[X.]7; [X.] vom 15.11.1979 - 7 [X.]/78 - [X.] 49, 114 = [X.] 4100 § 100 [X.], juris Rd[X.]3).

Im vorliegenden Fall spricht gegen eine Auslegung des Antrags des [X.] in dem Sinne, dass er mit "Tag der Haftentlassung" den Tag "nach der Haftentlassung" gemeint haben könnte, bereits der klare Wortlaut seines Begehrens. Abgesehen davon passt sich eine derartige Wirksamkeitsbestimmung auch in die tatsächlichen Umstände, die Gegebenheiten bei der Haftentlassung, ein. Denn diese soll, wie zuvor bereits dargelegt, im Verlaufe des Vormittags erfolgen, sodass für den weiteren Verlauf des Tages, den folgenden Abend sowie die Nacht Leistungen zur Existenzsicherung benötigt werden - soweit nicht der Hilfebedarf aus [X.] gedeckt werden kann. Es entspricht mithin der [X.], wenn der [X.]e zum frühestmöglichen [X.]punkt Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts begehrt. Dabei kommt es nicht darauf an, dass ein Verständnis des Antrags im Sinne des Wirksamwerdens erst nach dem Tag der Haftentlassung zu einer anderen materiell-rechtlichen Rechtslage führen würde, denn zu erforschen ist der Wille des Leistungsberechtigten, der zunächst einmal unabhängig davon ist, ob er seinen Anspruch auch durchsetzen kann.

ee) Auch eine [X.] nur für den Tag der Haftentlassung oder eine nachträgliche Beschränkung des Leistungsantrags aus August 2009 auf die [X.] ab dem [X.], führt nicht dazu, das Überbrückungsgeld als Vermögen zu qualifizieren. Zwar wäre das Überbrückungsgeld dann vor der vom Kläger erklärten Wirksamkeit des Antrags zugeflossen. Eine derartige nachträgliche Disposition über die Gestaltung des [X.] ist jedoch grundsätzlich nur zulässig, soweit sie einseitige Rechte und Vergünstigungen des Berechtigten betrifft. Dies ist hier nicht der Fall.

Die gewählte Gestaltung bewirkt - zumindest wenn sie innerhalb des [X.] erfolgt - einen im Grundsicherungsrecht unzulässigen nachträglichen Eingriff in die materiell-rechtliche Rechtslage. Als einseitiges Recht ist es dem Antragsteller zwar unbenommen, durch die Antragstellung den Leistungsbeginn zu bestimmen (vgl hierzu [X.] vom 28.10.2014 - [X.] [X.]/13 R - Rd[X.]0, zur Veröffentlichung in [X.] und [X.] 4-4200 § 37 [X.] vorgesehen). Die Zulässigkeit dessen folgt bereits aus dem gesetzlichen Antragsgrundsatz und -erfordernis. Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende werden nicht ohne Rücksicht auf ein konkretes Leistungsbegehren erbracht. Der Staat ist zwar verpflichtet, die Existenz eines jeden Grundrechtsträgers zu gewährleisten ([X.] vom [X.] - 1 BvL 1/09, 1 [X.], 1 [X.] - [X.]E 125, 175 = [X.] 4-4200 § 20 [X.], Rd[X.]37). Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.] dürfen einem [X.]en jedoch nicht aufgezwungen werden. Denn mit der Erbringung dieser Leistungen sind nicht nur Rechte, sondern ebenso Pflichten für den Leistungsempfänger verbunden. Er unterwirft sich mit deren Bezug auch dem System des Förderns und Forderns sowie der materiell-rechtlichen Rechtslage zur Entscheidung über den von ihm geltend gemachten Anspruch. Die Entscheidung über die Inanspruchnahme von Leistungen und den damit verbundenen Eintritt in den Pflichtenkreis des [X.] bleibt daher zwar dem Antragsteller vorbehalten, der dabei grundsätzlich auch über den Beginn der [X.] bestimmen kann. Ebenso steht es ihm grundsätzlich frei seinen Antrag zurückzunehmen, um nicht dem Regime des [X.] zu unterfallen (vgl hierzu im Rentenrecht: [X.] - 13/5 RJ 18/89 - [X.] 68, 144 = [X.] 3-1200 § 53 [X.], [X.] 3-1200 § 16 [X.], juris Rd[X.]; im Arbeitsförderungsrecht: [X.] vom 16.9.1998 - B 11 [X.] 17/98 R - juris Rd[X.]1 mwN; [X.] vom [X.] [X.]/84 - [X.] 60, 79 = [X.] 4100 § 100 [X.]1; [X.] vom 5.8.1999 - B 7 [X.] 38/98 R - [X.] 3-4100 § 110 [X.], juris Rd[X.]0).

Der rechtlich zulässigen Disposition des Antragstellers unterfällt hingegen nicht die nachträgliche Beschränkung des einmal gestellten Antrags, wenn dadurch die materiell-rechtlichen Leistungsvoraussetzungen innerhalb des [X.] zugunsten des Antragstellers verändert werden sollen (so wohl auch [X.] in [X.]Voelzke, jurisPK-[X.], 3. Aufl 2012, § 37 Rd[X.]0; siehe darüber hinaus zur Begründung des [X.] über den Ablauf des Bewilligungszeitraumes hinaus und nach erneuter Antragstellung: [X.] vom 30.9.2008 - B 4 AS 29/07 R - [X.], 291 = [X.] 4-4200 § 11 [X.], Rd[X.]9). Abgesehen davon, dass eine derartige Veränderung immer zu Lasten der Steuerzahler ginge (vgl zu dem vergleichbaren Argument des 11. Senats des [X.] im Bereich des Arbeitsförderungsrechts für die Beschränkung der Zulässigkeit der [X.] bis zum [X.]punkt des Wirksamwerdens der Verwaltungsentscheidung, wenn er für die [X.] danach auf die Belastung der Versichertengemeinschaft durch die [X.] hinweist: [X.] vom 16.9.1998 - B 11 [X.] 17/98 R - juris Rd[X.]1, unter Hinweis auf [X.] vom [X.] [X.]/84 - [X.] 60, 79 = [X.] 4100 § 100 [X.]1), widerspräche sie auch dem Nachranggrundsatz des § 2 Abs 2 S 1 [X.], wonach die Leistungsberechtigten ihren Lebensunterhalt zuvörderst aus eigenen Mitteln und Kräften zu bestreiten haben (vgl auch Begründung des Gesetzentwurfes für eine Änderung des § 37 Abs 2 [X.] durch das [X.]/[X.]/[X.], BT-Drucks 17/3404, [X.]). Erst wenn ihnen dies aus tatsächlichen Gründen nicht möglich ist, liegt [X.]keit iS des § 9 Abs 1 [X.] vor, die einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auslösen kann. [X.]keit soll jedoch nicht erst durch eine rechtliche Disposition des Antragstellers geschaffen werden können, zumindest wenn er sich mit dem Antrag als "Türöffner" bereits in das Regime des [X.] begeben hat und eine Einnahme nach dem von ihm bestimmten [X.]punkt des [X.] zufließt (im Gegensatz zu einer tatsächlichen Disposition, die etwa dazu führt, dass einstmals vorhandene bereite Mittel nicht mehr als solche zur Verfügung stehen, vgl nur [X.] vom 29.11.2012 - [X.] [X.]3/12 R - [X.] 112, 229 = [X.] 4-4200 § 11 [X.]7, Rd[X.]4). So läge der Fall jedoch hier.

Die Rücknahme des Antrags für den [X.] oder die Beschränkung des [X.] durch den Kläger auf eine Wirksamkeit erst ab dem [X.] sollte dazu dienen, das Überbrückungsgeld von Einkommen zu Vermögen werden zu lassen, mit der Folge, dass das Überbrückungsgeld nach § 12 [X.] bei der Berechnung des [X.] nicht zu berücksichtigendes Vermögen wäre (vgl zum Fall des Mutierens von Einkommen zu Vermögen, bei der Erforderlichkeit einer erneuten Antragstellung, weil der [X.] sich über den Bewilligungszeitraum erstreckt, [X.] vom 30.9.2008 - B 4 AS 29/07 R - [X.], 291 = [X.] 4-4200 § 11 [X.], Rd[X.]9). Rücknahme oder Beschränkung des Antrags entfalten somit eine - im soeben dargelegten Sinne - nicht einseitig disponible materiell-rechtliche Wirkung, indem dadurch der [X.]punkt des Zuflusses mit Auswirkungen auf die Differenzierung zwischen Einkommen und Vermögen zugunsten eines steuerfinanzierten Leistungsanspruchs des [X.] verschoben würde.

c) Andere Gründe, die gegen eine Berücksichtigung des Überbrückungsgeldes im September 2009 als Einkommen sprechen, liegen nicht vor. Insbesondere handelt es sich dabei nicht um eine Einnahme iS des § 11 Abs 3 [X.] Buchst a [X.]. Danach ist eine Einnahme dann nicht als Einkommen zu berücksichtigen, wenn sie als zweckbestimmte Einnahme einem anderen Zweck als die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.] dient. Bei dem Überbrückungsgeld handelt es sich um eine zweckbestimmte Einnahme; sie dient mit dem in § 51 Abs 1 S 1 [X.] benannten Zweck jedoch demselben wie das [X.]. Auch die Leistung nach dem [X.] soll "den notwendigen Lebensunterhalt - hier des Gefangenen und seiner Unterhaltsberechtigten - … sichern" (vgl [X.] vom 6.10.2011 - [X.] [X.]/10 R - [X.] 4-4200 § 11 [X.] Rd[X.]7 ff; [X.] vom 28.10.2014 - [X.] [X.]/13 R - Rd[X.]5, zur Veröffentlichung in [X.] und [X.] 4-4200 § 37 [X.] vorgesehen; vgl zur Literatur [X.] in LPK-[X.], 4. Aufl 2011, § 11a Rd[X.]0; [X.] in [X.]/[X.], [X.], Stand der Einzelkommentierung Januar 2015, § 11a Rd[X.]05; [X.] zum [X.], Stand der Einzelkommentierung März 2013, § 11a Rd[X.]18 f; [X.] in Eicher, [X.], 3. Aufl 2013, § 11a Rd[X.]0).

3. Ebenso wenig ist der Kläger auf Grundlage eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen, als habe er den [X.]-Antrag für den [X.] wirksam zurückgenommen bzw den Antrag insoweit beschränkt. Es mangelt hier bereits an einer Verletzung einer Beratungspflicht des Beklagten nach § 14 SGB I.

Nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] kann die Verletzung von Pflichten, die dem Sozialleistungsträger gegenüber den Leistungsberechtigten aus dem Sozialrechtsverhältnis obliegen, für Leistungsberechtigte einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch begründen (vgl ausführlich [X.] vom 15.12.1994 - 4 RA 64/93 - [X.] 3-2600 § 58 [X.], juris Rd[X.]9 ff). Eine umfassende Beratungspflicht des Sozialversicherungsträgers bzw des [X.] besteht zunächst regelmäßig bei einem entsprechenden Beratungs- und Auskunftsbegehren des Leistungsberechtigten (vgl [X.] vom [X.] [X.] R - juris Rd[X.]; [X.] vom 14.11.2002 - B 13 RJ 39/01 R - [X.] 3-2600 § 115 [X.] 9, juris Rd[X.] 43). Ausnahmsweise besteht nach ständiger Rechtsprechung des [X.] auch dann eine Hinweis- und Beratungspflicht des Leistungsträgers, wenn anlässlich einer konkreten Sachbearbeitung in einem Sozialrechtsverhältnis dem jeweiligen Mitarbeiter eine naheliegende Gestaltungsmöglichkeit ersichtlich ist, die ein verständiger Versicherter/Leistungsberechtigter wahrnehmen würde, wenn sie ihm bekannt wäre ([X.] - B 4 AS 29/13 R - [X.] 115, 225 = [X.] 4-4200 § 37 [X.], Rd[X.]9; [X.] vom [X.] [X.] 22/06 R - [X.] 98, 108 = [X.] 4-4100 § 324 [X.]; stRspr des [X.]: vgl [X.] vom 27.7.2004 - B 7 SF 1/03 R - [X.] 4-1200 § 14 [X.] mit [X.], [X.] 2005, 239; [X.] vom 10.12.2003 - [X.] VJ 2/02 R - [X.] 92, 34 = [X.] 4-3100 § 60 [X.]; [X.] vom 14.11.2002 - B 13 RJ 39/01 R - [X.] 3-2600 § 115 [X.] 9 mit [X.], [X.] 2003, 407; [X.] vom [X.] - [X.] RJ 56/97 R - [X.] 1999, 26). An einer derartigen Gestaltungsmöglichkeit, über die der Beklagte hätte beraten müssen, fehlt es hier jedoch (vgl zur Bestimmung einer Gestaltungsmöglichkeit [X.] vom 26.10.1994 - 11 [X.] - [X.] 3-1200 § 14 [X.]6). Es wird insoweit auf die Ausführungen unter 2.b) verwiesen.

Selbst wenn man annehmen wollte, für den Kläger hätte zwischen Antragstellung und dem Tag vor der Haftentlassung noch eine derartige Gestaltungsmöglichkeit bestanden, führt dies - im Gegensatz zur Auffassung des [X.] - nicht zu einem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch gegen den Beklagten. Der Beklagte hätte den Kläger nicht auf eine derartige Gestaltungsmöglichkeit aufmerksam machen müssen (vgl zur Problematik des Lohnsteuerklassenwechsels bei der Bemessung des [X.] [X.] vom 1.4.2004 - B 7 [X.] 52/03 R - [X.] 92, 267 = [X.] 4-4300 § 137 [X.], Rd[X.]9 ff). Wie bereits dargelegt, ist Zweck beider Leistungen - Überbrückungsgeld nach dem Bay[X.] und [X.] nach dem [X.] -, der Verpflichtung des Staates Genüge zu tun, die Existenzsicherung eines jeden Grundrechtsträgers durch Deckung seines Hilfebedarfs zu gewährleisten. Wird dieser Zweck durch eine steuerfinanzierte Leistung mit ausdrücklicher Zweckbestimmung insoweit erfüllt, stellt die Nichtgewährung einer weiteren derartig zweckbestimmten Leistung zumindest keinen sozialrechtlichen Nachteil dar, auf dessen Vermeidung der Grundsicherungsträger verpflichtet wäre, hinzuweisen.

4. [X.] beruht auf § 193 SGG.

Meta

B 4 AS 22/14 R

24.04.2015

Bundessozialgericht 4. Senat

Urteil

Sachgebiet: AS

vorgehend SG München, 27. Juni 2012, Az: S 54 AS 1805/10, Urteil

§ 7 Abs 1 S 1 Nr 3 SGB 2, § 9 Abs 1 SGB 2, § 11 Abs 1 S 1 SGB 2, § 12 Abs 1 SGB 2, § 37 Abs 1 SGB 2 vom 24.12.2003, § 37 Abs 2 S 1 SGB 2 vom 24.12.2003, § 2 Abs 2 S 1 SGB 2, § 14 S 1 SGB 1, § 133 BGB, Art 51 StVollzG BY

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 24.04.2015, Az. B 4 AS 22/14 R (REWIS RS 2015, 12110)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 12110

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