Bundessozialgericht, Urteil vom 18.05.2010, Az. B 7 AL 16/09 R

7. Senat | REWIS RS 2010, 6561

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Gegenstand

Rücknahme der Arbeitslosenhilfebewilligung für die Vergangenheit - Erstattung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung ab 1.1.2005 - Gesetzeslücke - gesetzesimmanente Rechtsfortbildung


Tatbestand

1

[X.] ist (noch) der Ersatz geleisteter Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge in Höhe von 4771,50 [X.], die die Beklagte in der [X.] vom 10.10.1997 bis 31.12.2004 wegen der Zahlung von Arbeitslosenhilfe ([X.]) für verschiedene [X.]räume erbracht hat.

2

Der Kläger bezog in der [X.] vom 7.11.1995 bis 31.12.2004 mit Unterbrechungen [X.]. Die Bewilligung von [X.] für die [X.]räume vom 10.10.1997 bis 29.5.1998, vom 12.10.1998 bis 21.5.1999, vom 16.9.1999 bis 23.6.2001, vom [X.] bis 6.11.2003 und vom 7.11.2003 bis 31.12.2004 hob die Beklagte mangels Bedürftigkeit des Klägers auf, verlangte die Erstattung überzahlter [X.] in Höhe von 20 936,22 [X.] sowie den Ersatz der in dieser [X.] gezahlten Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge in Höhe von 4241,71 [X.] und 529,79 [X.], also insgesamt 4771,50 [X.] (Bescheid vom [X.]; Widerspruchsbescheid vom 12.9.2007).

3

Während die Klage insgesamt Erfolg hatte (Urteil des Sozialgerichts <[X.]> Mannheim vom 31.1.2008), hat das [X.] ([X.]) [X.] auf die Berufung der Beklagten das Urteil des [X.] abgeändert und den angefochtenen Bescheid nur insoweit aufgehoben, als er die Erstattung von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen betrifft, und die Klage im Übrigen abgewiesen; die weitergehende Berufung der Beklagten hat das [X.] zurückgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das [X.] ausgeführt, soweit die Beklagte den Ersatz der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung verlange, sei der angegriffene Bescheid rechtswidrig, weil in dem insoweit maßgebenden § 335 Abs 1 [X.] - ([X.]B III) mit der Abschaffung der [X.] ab 1.1.2005 auch das Wort "Arbeitslosenhilfe" gestrichen worden sei und damit eine Pflicht zur Erstattung der Beiträge bei rückwirkender Aufhebung der Leistungsbewilligung nach dem 1.1.2005 nicht mehr bestehe.

4

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 335 Abs 1 Satz 1 [X.]B III in der ab 1.1.2005 geltenden Fassung. Trotz der Streichung des Wortes "Arbeitslosenhilfe" in dieser Vorschrift bestünde weiterhin eine Rechtsgrundlage für die Rückforderung von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen bei rückwirkender Aufhebung der [X.]-Bewilligung.

5

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des [X.] abzuändern und das Urteil des [X.] insgesamt aufzuheben sowie die Klage insgesamt abzuweisen.

6

Der Kläger hat [X.] beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

7

Er hält das Urteil des [X.] hinsichtlich der noch streitigen Ersatzforderung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des [X.] und der Zurückverweisung der Sache an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Zu Unrecht hat das [X.] die Auffassung vertreten, der Ersatz von [X.]ranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen nach § 335 Abs 1 Satz 1 [X.] sei in der ab dem 1.1.2005 geltenden Fassung ausgeschlossen. Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen (§ 163 SGG) kann der [X.] jedoch nicht endgültig in der Sache entscheiden.

9

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.9.2007, (nur noch) soweit die Beklagte damit den Ersatz von [X.]ranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen in Höhe von 4241,71 Euro und 529,79 Euro verlangt. Hiergegen wendet sich der [X.]läger mit der Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG). Nicht mehr im Streit ist die Aufhebung der [X.] und Erstattung der gewährten [X.]. Insoweit ist das Urteil des [X.] rechts- und der zugrundeliegende Bescheid der Beklagten bestandskräftig.

Die Begründetheit der Revision misst sich an § 335 Abs 1 Satz 1, Abs 5 [X.] in der ab dem 1.1.2005 geltenden Fassung des [X.] am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 ([X.] 2954). Danach hat der Bezieher von Arbeitslosengeld [X.]) oder Unterhaltsgeld die von der [X.] ([X.]) für ihn gezahlten Beiträge zur gesetzlichen [X.]ranken- und Pflegeversicherung zu ersetzen, soweit die Entscheidung über die Leistung rückwirkend aufgehoben und die Leistung zurückgefordert worden ist. Nicht maßgebend ist hingegen die bis 31.12.2004 geltende Fassung des [X.] am Arbeitsmarkt vom 23.12.2003 ([X.] 2848), die anders als § 335 [X.] nF ausdrücklich auch den (unrechtmäßigen) Bezieher von [X.] nannte, weil nach den Grundsätzen des intertemporalen Rechts für die Entstehung des originären Ersatzanspruchs für gezahlte [X.]ranken- und Pflegeversicherungsbeiträge der Zeitpunkt, zu dem die Entscheidung über die das [X.]ranken- und Pflegeversicherungsverhältnis begründende Leistung rückwirkend aufgehoben und die Leistung zurückgefordert wird, maßgebend ist ([X.]-4300 § 335 [X.], Rd[X.]4; BSG, Urteil vom [X.] - [X.] AL 31/08 R - Rd[X.]3).

Entgegen der Auffassung des [X.] scheidet die Erstattung der [X.]ranken- und Pflegeversicherungsbeiträge nicht deshalb aus, weil der Bezieher (unrechtmäßiger) [X.] in § 335 Abs 1 Satz 1, Abs 5 [X.] nF nicht mehr genannt ist. Wie der 11. [X.] bereits entschieden hat (BSG, Urteile vom [X.], aaO, und vom 5.5.2010 - [X.] AL 17/09 R), ist die ab dem 1.1.2005 geltende Fassung des § 335 Abs 1 Satz 1 [X.] wegen eines Versehens oder Übersehens eines Tatbestands lückenhaft. Diese Lücke ist im Wege der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung durch eine entsprechende Anwendung des § 335 Abs 1 Satz 1 [X.] nF zu schließen. Der [X.] schließt sich der Rechtsprechung des 11. [X.]s insoweit ausdrücklich an.

Ob die weiteren Voraussetzungen des entsprechend anzuwendenden § 335 Abs 1 Satz 1 [X.] nF vorliegen, kann nicht abschließend beurteilt werden. Der Erstattungsanspruch nach § 335 Abs 1 Satz 1, Abs 5 [X.] setzt voraus, dass die [X.] für den Leistungsbezieher, hier den [X.]läger als Bezieher von [X.], Beiträge zur gesetzlichen [X.]rankenversicherung bzw zur [X.] Pflegeversicherung bezahlt hat, die Entscheidung über die Leistung, die den Grund für die Beitragszahlung gebildet hat, rückwirkend aufgehoben und die Leistung (durch Verwaltungsakt) zurückgefordert worden ist. Der Ersatzanspruch setzt nach der Rechtsprechung des BSG darüber hinaus voraus, dass der Leistungsempfänger pflichtwidrig gehandelt hat ([X.]-4300 § 335 [X.] ff; [X.] 4-4300 § 335 [X.] Rd[X.]4) und für den Zeitraum, für den die Leistung zurückgefordert worden ist, kein weiteres [X.]ranken- oder Pflegeversicherungsverhältnis iS des § 335 Abs 1 Satz 2, Abs 5 [X.] bestanden hat und (deshalb) kein Anspruch der [X.] gegen die auf Grund des Leistungsbezuges zuständigen [X.]ranken- oder Pflegekasse nach § 335 Abs 1 Satz 2, Abs 5 [X.] besteht. Erforderlich ist schließlich, dass die [X.] die Beiträge dem Grunde und der Höhe nach auch zu Recht gezahlt hat ([X.]-4300 § 335 [X.] S 8; [X.] in [X.], [X.], § 335 RdNr 47, Stand November 2009; [X.] in [X.]/[X.], [X.], [X.] § 335 RdNr 98, Stand V/09; [X.], [X.], 4. Aufl 2007, § 335 Rd[X.]1).

Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, kann der [X.] nicht abschließend beurteilen. Der [X.]läger war in dem Zeitraum, in dem er [X.] bezogen hat, gesetzlich kranken- und pflegeversichert (§ 5 Abs 1 [X.] Fünftes Buch - Gesetzliche [X.]rankenversicherung - , § 20 Abs 1 Satz 2 [X.] Elftes Buch - Soziale Pflegeversicherung - ). Für diese Zeiträume hat die Beklagte nach den Feststellungen des [X.] auch [X.]ranken- und Pflegeversicherungsbeiträge in Höhe von 4241,71 Euro und 529,79 Euro erbracht und mit dem hier streitgegenständlichen Bescheid die dem [X.]läger gewährte [X.] nach Aufhebung der zu Grunde liegenden Bewilligung zurückgefordert. Der [X.]läger hat sich hinsichtlich des Leistungsbezugs nach den bindenden Feststellungen des [X.] auch pflichtwidrig verhalten, weil er zumindest grob fahrlässig unvollständige bzw unrichtige Angaben über sein Vermögen gemacht hat. Ob der [X.]läger in den Zeiträumen, für die die [X.] aufgehoben und der Ersatz von [X.]ranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen verlangt wird, lediglich durch den Bezug von [X.] kranken- und pflegeversichert war, so dass auch kein Erstattungsanspruch der Beklagten nach § 335 Abs 1 Satz 2, Abs 5 [X.] gegen die [X.]ranken- und Pflegeversicherung in Betracht kommt, der einen Ersatzanspruch gegen den [X.]läger ausschließt, kann der [X.] mangels Feststellungen des [X.] hingegen nicht beurteilen. Zwar bestehen für ein weiteres [X.]ranken- und Pflegeversicherungsverhältnis keine Anhaltspunkte, es fehlen aber auch Feststellungen dazu, ob die Beiträge in zutreffender Höhe geleistet wurden. Für die zutreffende Beitragshöhe kommt es insbesondere auf die zu Grunde zu legenden beitragspflichtigen Einnahmen (vgl § 232a Abs 1 SGB V, § 57 Abs 1 SGB XI) sowie auf den jeweiligen Beitragssatz an. Das [X.] hat aber keine Feststellungen zu dem maßgebenden Arbeitsentgelt (§ 232a Abs 1 iVm § 226 Abs 1 Satz 1 [X.] SGB V) getroffen, das der Beitragsbemessung zu Grunde zu legen war, so dass dem [X.] eine abschließende Prüfung verwehrt ist.

Das [X.] wird diese Feststellung nachzuholen und ggf auch über die [X.]osten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Meta

B 7 AL 16/09 R

18.05.2010

Bundessozialgericht 7. Senat

Urteil

Sachgebiet: AL

vorgehend SG Mannheim, 31. Januar 2008, Az: S 11 AL 3408/07, Urteil

§ 335 Abs 1 S 1 SGB 3 vom 24.12.2003, § 335 Abs 1 S 1 SGB 3 vom 23.12.2003, § 335 Abs 5 SGB 3, § 190 SGB 3, § 45 Abs 2 S 3 Nr 2 SGB 10

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 18.05.2010, Az. B 7 AL 16/09 R (REWIS RS 2010, 6561)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 6561

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