Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.11.2019, Az. I ZR 35/19

1. Zivilsenat | REWIS RS 2019, 1046

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Gegenstand

Grundsatz der Subsidiarität im Zivilprozess


Tenor

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des 20. Zivilsenats des [X.] vom 17. Januar 2019 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 140.000 € festgesetzt.

Gründe

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I. Die Klägerin hat für zwei Kochbücher der Beklagten Fotoaufnahmen gefertigt und für drei ganztägige Fototermine jeweils ein Pauschalhonorar erhalten. Sie verlangt mit ihrer Klage eine Vertragsanpassung nach § 32 UrhG. Das [X.] hat die Beklagte nach Einholung eines Sachverständigengutachtens unter anderem zur Einwilligung in eine Vertragsanpassung verurteilt, nach welcher der Klägerin eine laufende Beteiligung in Höhe von 1% des Nettoverkaufspreises der beiden Kochbücher ab dem jeweils 10.001 Exemplar zu zahlen ist. Die Berufung hatte keinen Erfolg. Mit der angestrebten Revision möchte die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiterverfolgen.

2

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig (§ 544 Abs. 1 und 2 ZPO). Sie hat jedoch keinen Erfolg, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, die auf die Verletzung von Verfahrensgrundrechten gestützten [X.] nicht durchgreifen und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des [X.] nicht erfordern (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

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1. Die Zulassung der Revision ist nicht wegen einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG oder des Anspruchs auf ein rechtsstaatliches Verfahren veranlasst. Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt ohne Erfolg, das Berufungsurteil beruhe auf einer Verletzung dieser Verfahrensgrundrechte, weil das Berufungsgericht sein Urteil auf ein Sachverständigengutachten gestützt habe, obwohl der Sachverständige seine Befundtatsachen nicht angegeben habe.

4

a) Zwar trifft es zu, dass beide Tatgerichte den Sachverständigen hätten dazu anhalten müssen, seine Rechercheergebnisse zu der Vergütungspraxis bei derartigen Buchprojekten darzulegen, damit diese insbesondere im Hinblick auf ihre Vergleichbarkeit mit den streitgegenständlichen Kochbüchern hätten überprüft werden können. Ein Sachverständiger muss die Befundtatsachen jedenfalls insoweit offenlegen, als er seine sachverständige Beurteilung hierauf stützt, damit diese von den Verfahrensbeteiligten nachvollzogen und hinterfragt werden kann (vgl. [X.], Beschluss vom 30. August 2017 - 1 BvR 776/14, juris Rn. 22; [X.], Urteil vom 12. November 1991 - [X.], [X.]Z 116, 47, 58 [juris Rn. 32] - [X.]; Beschluss vom 17. August 2011 - [X.] 128/11, NJW-RR 2011, 1459 Rn. 18; [X.], 34. Edition [Stand: 1. September 2019], § 404a Rn. 10). Der Zugang der [X.]en zu den Befundtatsachen, auf deren Feststellung ein Sachverständiger sein Gutachten gestützt hat, gehört zu den elementaren Verfahrensregeln, die das Rechtsstaatsprinzip in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten gewährleistet (vgl. [X.]E 91, 176, juris Rn. 18; [X.], Beschluss vom 7. Oktober 2000 - 1 BvR 2646/95 [juris Rn. 3]; Beschluss vom 30. August 2017 - 1 BvR 776/14 [juris Rn. 22]). Im Streitfall hat der Sachverständige zu seinen bei Verlagen und Fotografen durchgeführten Befragungen keine näheren Angaben gemacht, so dass diese Befundtatsachen nicht überprüfbar waren. Damit hätte das Sachverständigengutachten als [X.] nicht herangezogen werden dürfen.

5

b) Allerdings steht der Zulassung der Revision der Grundsatz der Subsidiarität entgegen, der nicht nur für die Verfassungsbeschwerde, sondern auch für die Nichtzulassungsbeschwerde gilt. Danach muss ein Beteiligter im Instanzenzug alle prozessual zulässigen und nicht offensichtlich aussichtslosen Möglichkeiten ausschöpfen, um die Grundrechtsverletzung zu verhindern oder ihre Korrektur zu bewirken (vgl. [X.], Beschluss vom 20. Mai 2013 - 1 BvR 1024/12, juris Rn. 7). Dies entspricht auch § 295 ZPO, wonach eine [X.] einen Verfahrensverstoß nicht mehr rügen kann, wenn sie die ihr nach Erkennen des Verstoßes verbliebene Möglichkeit zu einer Rüge nicht genutzt hat ([X.], Beschluss vom 15. Juli 2015 - I[X.] 10/15, NJW-RR 2015, 1150 Rn. 7; Beschluss vom 26. September 2017 - [X.]/17, NJW-RR 2018, 404 Rn. 8).

6

Die Beklagte hätte hier zur Aufklärung der Befundtatsachen des Gutachtens die persönliche Anhörung des Sachverständigen gemäß §§ 402, 397 ZPO oder zumindest die weitere schriftliche Ergänzung des Gutachtens gemäß § 411 Abs. 3 Satz 2 ZPO beantragen können. Unabhängig von prozessualer Präklusion oder Verspätung darf das Berufungsgericht einen Antrag auf mündliche Anhörung des Sachverständigen nicht zurückweisen, wenn die Anhörung bei pflichtgemäßer Ermessensausübung von Amts wegen durchzuführen ist (vgl. [X.], Urteil vom 10. Januar 1989 - [X.], [X.], 378 [juris Rn. 7]; Urteil vom 10. Dezember 1991 - [X.], [X.], 722 [juris Rn. 11]; [X.] in Musielak/[X.], ZPO, 16. Aufl., § 411 Rn. 9a). Die Beklagte hat stattdessen nur den Umstand der fehlenden Offenbarung der befragten Verlage und Fotografen gerügt. Nachdem das [X.] sich für seine Bemessung der angemessenen Vergütung maßgeblich auf die Beurteilung des Sachverständigen bezogen hatte, hätte die Beklagte spätestens in der Berufungsinstanz die mündliche Befragung des Sachverständigen zu seinen Beurteilungsgrundlagen beantragen können, um einen Grundrechtsverstoß durch das Berufungsgericht zu vermeiden. Bei der Beantragung der persönlichen Vernehmung des Sachverständigen handelt es sich um ein prozessual übliches Vorgehen derjenigen [X.], die dessen schriftliches Gutachten für ganz oder teilweise unrichtig oder unzureichend hält. Ein solches Vorgehen war auch nicht aussichtslos. Der Sachverständige hatte die Auskunft über die Befundtatsachen nicht verweigert, sondern diese Rüge lediglich übergangen.

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Der Anwendung des Subsidiaritätsgrundsatzes steht nicht die aus § 411 Abs. 3 ZPO folgende Verpflichtung des Tatgerichts entgegen, den Sachverständigen bei Unklarheiten oder Zweifeln an seiner schriftlichen Begutachtung von Amts wegen zur mündlichen Erläuterung des Gutachtens zu laden (vgl. dazu: [X.], [X.], 722; [X.], Urteil vom 15. Juli 1998 - [X.], NJW-RR 1998, 1527, 1528 [juris Rn. 8]; [X.] in Musielak/[X.] aaO § 411 Rn. 9a). Das Fragerecht der [X.]en und die Verpflichtung des Gerichts zur Aufklärung des Sachverhalts stehen nebeneinander ([X.], Beschluss vom 7. Dezember 2010 - [X.], NJW-RR 2011, 704 Rn. 9; [X.] in [X.], ZPO, 23. Aufl., § 411 Rn. 16). Nach dem Grundsatz der Subsidiarität ist die betroffene [X.] trotz der Verletzung der Amtsermittlungspflicht des Gerichts zur Ergreifung aller prozessualen Möglichkeiten zur Vermeidung des [X.] gehalten. Eine [X.] muss deshalb ihre Angriffe gegen das gerichtliche Vorgehen im Berufungsverfahren bereits so vortragen, dass ihre Prüfung in diesem Verfahren unabhängig davon gewährleistet ist, ob das Verfahren der [X.]maxime oder dem Amtsermittlungsgrundsatz unterliegt (vgl. [zu finanz- und verwaltungsgerichtlichen Verfahren] [X.]E 79, 174, 189 [juris Rn. 52]; [X.], [X.] 2016, 1186 Rn. 8). Dies ist im Streitfall unterblieben.

8

2. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO abgesehen.

9

III. [X.] folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Koch     

        

Schaffert     

        

Löffler

        

Feddersen     

        

Schmaltz     

        

Meta

I ZR 35/19

28.11.2019

Bundesgerichtshof 1. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Düsseldorf, 17. Januar 2019, Az: I-20 U 166/17

Art 103 Abs 1 GG, § 32 UrhG, § 397 ZPO, § 402 ZPO, § 411 Abs 3 S 2 ZPO, § 543 Abs 2 S 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.11.2019, Az. I ZR 35/19 (REWIS RS 2019, 1046)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 1046


Verfahrensgang

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Az. I ZR 35/19

Bundesgerichtshof, I ZR 35/19, 28.11.2019.


Az. 20 U 166/17

Oberlandesgericht Düsseldorf, 20 U 166/17, 17.01.2019.


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Referenzen
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Zitiert

1 BvR 1024/12

1 BvR 776/14

V ZB 128/11

IV ZB 10/15

VI ZR 81/17

VIII ZR 96/10

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