Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 22.05.2012, Az. 2 BvR 2207/10

2. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2012, 6250

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Verletzung der Rechtsschutzgarantie (Art 19 Abs 4 GG) bei Verwerfung der Rechtsbeschwerde (§ 116 Abs 1 StVollzG) aufgrund bloßer Vermutung künftigen rechtmäßigen Verhaltens der Vorinstanz - hier: Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde bei unzureichender Darlegung der Rechtswegerschöpfung


Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde, die verschiedene Maßnahmen im Strafvollzug betrifft, wird gemäß § 93a Abs. 2 [X.] nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie keine Aussicht auf Erfolg hat (vgl. [X.] 90, 22 <25 f.>).

2

1. Allerdings begegnet die Erwägung des [X.], selbst wenn die Strafvollstreckungskammer den umfangreichen Vortrag des [X.] ausgewertet haben sollte, handele es sich nur um einen Fehler im Einzelfall, der die Rechtsbeschwerde nicht eröffne, verfassungsrechtlichen Bedenken.

3

a) Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (vgl. [X.] 67, 43 <58>; stRspr). Dabei fordert Art. 19 Abs. 4 GG keinen Instanzenzug (vgl. [X.] 87, 48 <61>; 92, 365 <410>; stRspr). Eröffnet das Prozessrecht aber eine weitere Instanz, so gewährleistet Art. 19 Abs. 4 GG dem Bürger auch insoweit die Effektivität des Rechtsschutzes im Sinne eines Anspruchs auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl. [X.] 40, 272 <274 f.>; 54, 94 <96 f.>). Hieraus ergeben sich verfassungsrechtliche Anforderungen sowohl für den Gesetzgeber als auch für die gerichtliche Auslegung der prozessrechtlichen Vorschriften. Der Gesetzgeber muss für die Rechtsmittel, die er bereitstellt, die Voraussetzungen ihrer Zulässigkeit in einer dem Grundsatz der Rechtsmittelklarheit entsprechenden Weise bestimmen (vgl. [X.] 49, 148 <164>; 87, 48 <65>; 107, 395 <416>; 108, 341 <349>). Dieser Grundsatz verbietet es, den Rechtssuchenden mit einem unübersehbaren "Annahmerisiko" und dessen Kostenfolgen zu belasten (vgl. [X.] 49, 148 <164>). Die Rechtsmittelgerichte dürfen ein von der jeweiligen Rechtsordnung eröffnetes Rechtsmittel nicht durch die Art und Weise, in der sie die gesetzlichen Voraussetzungen für den Zugang zu einer Sachentscheidung auslegen und anwenden, ineffektiv machen und für den Beschwerdeführer leerlaufen lassen (vgl. [X.] 96, 27 <39>; 117, 244 <268>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 11. April 2008 - 2 BvR 866/06 - juris Rn. 16).

4

Gegen gerichtliche Entscheidungen der Strafvollstreckungskammern ist gemäß § 116 Abs. 1 [X.] die Rechtsbeschwerde zulässig, wenn es geboten ist, die Nachprüfung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen. Zwar ist anerkannt, dass es auch in Fällen, in denen die Strafvollstreckungskammer ihre Entscheidung ausdrücklich oder implizit auf eine unzutreffende oder von der Rechtsprechung anderer Gerichte abweichende Rechtsauffassung gestützt hat, an der Erforderlichkeit der Nachprüfung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung fehlen kann, weil nicht zu erwarten ist, dass der Rechtsfehler in weiteren Fällen Bedeutung erlangen wird (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 11. April 2008 - 2 BvR 866/06 -, juris Rn. 19 m.w.N.). Die Zulässigkeit einer Rechtsbeschwerde kann danach insbesondere dann verneint werden, wenn die Strafvollstreckungskammer ihren Rechtsfehler nachträglich erkannt und dies aktenkundig gemacht oder wenn das [X.] in anderer Sache zu der Rechtsfrage Stellung genommen und sie anders beantwortet hat als die Strafvollstreckungskammer, diese das aber bei der Entscheidung noch nicht wissen konnte (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 11. April 2008 - 2 BvR 866/06 -, [X.] Rn. 19; [X.]/Volckart, in: [X.], [X.]-Kommentar,5. Aufl. 2006, § 116 Rn. 7; s. außerdem für die Möglichkeit, dass der Rechtsfehler einer Wiederholung deshalb nicht zugänglich ist, weil er eine singuläre Fallgestaltung betrifft, [X.]/[X.], [X.], 11. Aufl. 2008, § 116 Rn. 2). Die Annahme, die Strafvollstreckungskammer werde einen bestimmten Fehler nicht wiederholen, setzt vor dem Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 GG allerdings voraus, dass tatsächliche Umstände eine solche Prognose rechtfertigen. Könnte bei im Übrigen erfüllten Zulässigkeitsvoraussetzungen die Erforderlichkeit obergerichtlicher Nachprüfung allein mit dem Ausspruch der Erwartung verneint werden, das Ausgangsgericht werde einen festgestellten Rechtsfehler künftig vermeiden, so wäre für den [X.] nicht mehr erkennbar, in welchen Fällen er überhaupt noch mit einer Behandlung seiner Rechtsbeschwerde als zulässig rechnen dürfte (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 11. April 2008 - 2 BvR 866/06 -, juris Rn. 20).

5

b) Demnach durfte das [X.] die Rechtsbeschwerde jedenfalls nicht ohne Weiteres mit der Begründung verwerfen, selbst bei einem Gehörsverstoß durch die Strafvollstreckungskammer läge nur ein Fehler im Einzelfall vor. Dies gilt im vorliegenden Fall unabhängig davon, dass ein Verstoß gegen elementare Verfahrensgrundsätze nach der ganz herrschenden Auffassung in Literatur und Rechtsprechung die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde begründet [X.]/[X.], in: Schwind/ [X.]/[X.]/[X.], [X.], 5. Aufl. 2009, § 116 Rn. 7; [X.], [X.], 3. Aufl. 2011, § 116 Rn 3; [X.]/[X.], [X.], 11. Aufl. 2008, § 116 Rn. 3 jew. m.w.N.), und ungeachtet der Frage, ob eine Rechtsbeschwerde schon deswegen zulässig sein kann, weil die angegriffene Entscheidung andernfalls vom [X.] aufgehoben werden müsste [X.]/[X.],in: Schwind/[X.]/ [X.]/[X.], [X.], 5. Aufl. 2009, § 116 Rn. 7 m.w.N.). Die Annahme des [X.], es habe sich nur um einen Fehler im Einzelfall gehandelt, hat ersichtlich keine andere Grundlage als die Vermutung, die Strafvollstreckungskammer werde sich durch die Erwägungen des [X.]s in der Beschlussbegründung belehren lassen und bei künftigen Entscheidungen den Vortrag der Verfahrensbeteiligten sorgfältiger auswerten. Mit der bloßen Vermutung künftigen rechtmäßigen Verhaltens des Ausgangsgerichtkann die Verwerfung der Rechtsbeschwerde aber nicht ohne Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG begründet werden, denn damit würden die gesetzlichen Zulassungsgründe in einer Weise ausgelegt und angewendet, die jede Vorhersehbarkeit zunichte machen würde und die Möglichkeit der Rechtsbeschwerde im Ergebnis leerlaufen ließe (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 11. April 2008 - 2 BvR 866/06 -, juris Rn. 18 ff.).

6

2. Der angegriffene Beschluss des [X.]s ist jedoch zusätzlich auf die Annahme gestützt, dass die vom Beschwerdeführer mit seiner Rechtsbeschwerde erhobene [X.] nicht hinreichend ausgeführt sei. Insoweit ist nicht ersichtlich, dass der Beschwerdeführer den Grundsatz der Subsidiarität gewahrt hätte.

7

Zur hinreichenden Begründung einer Verfassungsbeschwerde gehört die Darlegung, dass der Rechtsweg in gehöriger Weise erschöpft wurde, der Beschwerdeführer also die zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten zur Vermeidung oder Beseitigung eines Grundrechtsverstoßes genutzt hat (vgl. [X.] 112, 304 <314 f.>). Insbesondere muss das [X.] erkennen können, ob statthafte Rechtsmittel in zulässiger Weise eingelegt wurden. Der Beschwerdeführer hat jedoch seine Rechtsbeschwerde weder vorgelegt noch deren Inhalt wiedergegeben. Daher lässt sich nicht beurteilen, ob das [X.] mit der Annahme, die [X.] des Beschwerdeführers sei nicht ausreichend begründet gewesen, die Anforderungen an die Begründung einer Rechtsbeschwerde überspannt oder ob vielmehr der Beschwerdeführer selbst den Erfolg seines Rechtsmittels durch eine dem Subsidiaritätsgrundsatz nicht genügende Rechtsbeschwerde insgesamt vereitelt hat.

8

3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

9

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

2 BvR 2207/10

22.05.2012

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 3. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend OLG Frankfurt, 22. Juli 2010, Az: 3 Ws 465/10 (StVollz), Beschluss

Art 19 Abs 4 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 90 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 116 Abs 1 StVollzG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 22.05.2012, Az. 2 BvR 2207/10 (REWIS RS 2012, 6250)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 6250

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

2 BvR 3071/14

1 BvR 3078/15

B 13 R 19/12 R

2 BvR 455/17

1 BvR 2437/18

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