Bundessozialgericht, Urteil vom 16.12.2015, Az. B 14 AS 33/14 R

14. Senat | REWIS RS 2015, 538

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 5. Mai 2014 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Umstritten sind Leistungen nach dem [X.] - ([X.]) vom [X.] bis zum 30.11.2011.

2

Die 1977 geborene Klägerin zu 1 ist die Mutter der am 24.3.1998 geborenen Klägerin zu 2. Zusammen mit weiteren Familienangehörigen reisten sie am [X.] unter falschen Namen in [X.] ein und gaben an, [X.] Staatsangehörige zu sein. Sie erhielten bis zum [X.] und bis zum Februar 2010 Leistungen nach dem [X.] (AsylbLG). Am [X.] wurde dem [X.] ihre zutreffende Identität und ihre [X.] Staatsangehörigkeit bekannt. Die Klägerinnen lebten mit den Eltern sowie dem Bruder der Klägerin zu 1 in einer gemeinsamen Wohnung in einem Übergangswohnheim und die Klägerin zu 2 war in der strittigen [X.] Schülerin.

3

Am 10.9.2010 stellten die Klägerinnen einen ersten und am [X.] einen zweiten Leistungsantrag bei der Rechtsvorgängerin des beklagten [X.] (im Folgenden: Beklagter). Der zweite Antrag wurde vom Beklagten abgelehnt, weil die Klägerinnen nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 [X.] von Leistungen nach dem [X.] ausgeschlossen seien (Bescheid vom 18.3.2011). Ein weiterer Antrag der Klägerinnen vom 5.8.2011 für die [X.] ab 15.7.2011 wurde ebenfalls vom Beklagten abgelehnt (Bescheid vom 11.8.2011). Die Widersprüche der Klägerinnen wurden mit Widerspruchsbescheid vom 10.11.2011 zurückgewiesen. Kurz zuvor - Mitte September 2011 - wurden auf dem Konto der Klägerin zu 1 zunächst 1656 Euro und am [X.] weitere 7972 Euro Nachzahlungen an Kindergeld für die Klägerin zu 2 gut geschrieben.

4

Das Sozialgericht (SG) [X.] hat unter Abänderung der angefochtenen Bescheide den Beklagten verurteilt, den Klägerinnen vom [X.] bis zum 30.11.2011 Leistungen nach dem [X.] zu gewähren und die Klagen im Übrigen abgewiesen (Urteil vom 27.11.2012). Das [X.] ([X.]) hat die Berufung des Beklagten, mit der dieser eine Abweisung der Klagen insgesamt angestrebt hat, zurückgewiesen (Urteil vom 5.5.2014). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin zu 1 habe im strittigen [X.]raum die Voraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 [X.] erfüllt. Sie sei als [X.] Staatsangehörige unabhängig von der Erteilung einer Arbeitsgenehmigung erwerbsfähig iS des § 8 Abs 2 [X.] und zumindest damals auch gesundheitlich erwerbsfähig gewesen. Sie habe ihren gewöhnlichen Aufenthalt in [X.] gehabt und sei trotz der Kindergeldnachzahlung in Höhe von 1656 Euro Mitte September 2011 hilfebedürftig gewesen, weil dieser Betrag nach § 11 Abs 3 Satz 3 [X.] auf sechs Monate zu verteilen sei. § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 [X.] stehe ihrem Leistungsanspruch nicht entgegen, weil die Klägerin zu 1 sich in der strittigen [X.] nicht auf ein solches Aufenthaltsrecht habe berufen können. Ein Aufenthaltsrecht ihrerseits nach § 2 Abs 2 [X.] des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern ([X.]/[X.]) scheide aus, weil die Dreimonatsfrist für ein voraussetzungsloses Aufenthaltsrecht abgelaufen sei und ihre Arbeitsuche ohne jede begründete Aussicht auf Erfolg gewesen sei. Zudem habe sie als [X.] Staatsangehörige eine "Arbeitserlaubnis [X.]" oder eine "Arbeitsberechtigung [X.]" nach § 284 [X.] - ([X.]I) benötigt. Auf ein anderes Aufenthaltsrecht habe die Klägerin zu 1 sich nicht berufen können. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 [X.] finde auf [X.]-Bürger ohne materielles Aufenthaltsrecht keine Anwendung. Die Klägerin zu 2 habe Anspruch auf Sozialgeld, weil sie mit der Klägerin zu 1 eine Bedarfsgemeinschaft bilde und nicht über ausreichendes Einkommen und Vermögen verfüge.

5

Mit seiner Revision rügt der Beklagte eine Verletzung des § 7 Abs 1 Satz 2 [X.]. [X.] von [X.]n Staatsangehörigen habe während der Übergangsphase nur unter den Voraussetzungen des § 5 Abs 5 bis 7 [X.]/[X.] beendet werden können. Ohne dieses Verwaltungsverfahren bestände ein Aufenthaltsrecht. Solange bestehe eine Freizügigkeitsvermutung und ein rechtmäßiger Aufenthalt. Bei Personen wie der Klägerin zu 1, die von ihrem Freizügigkeitsrecht als arbeitsuchende Unionsbürger Gebrauch machten, seien die Erfolgsaussichten, eingestellt zu werden, nicht zu prüfen. Eine andere Auslegung - wie sie das [X.] getroffen habe - führe zu dem vom Gesetzgeber nicht beabsichtigten Ergebnis, dass Personen, die auf dem [X.] Arbeitsmarkt nicht integrierbar seien, nicht vom Leistungsausschluss betroffen seien.

6

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des [X.]s Nordrhein-Westfalen vom 5. Mai 2014 aufzuheben und die Klagen unter Änderung des Urteils des Sozialgerichts [X.] vom 27. November 2012 insgesamt abzuweisen.

7

Die Klägerinnen beantragen,
die Revision zurückzuweisen.

8

Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend und rügen hilfsweise die nicht erfolgte Beiladung des Sozialhilfeträgers.

Entscheidungsgründe

9

Auf die zulässige Revision des Beklagten ist das Urteil des [X.] vom 5.5.2014 aufzuheben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz <[X.]G>).

1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens ist die Aufhebung des genannten Urteils des [X.], das die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des [X.] zurückgewiesen hat, welches seinerseits den Beklagten unter Aufhebung seiner Bescheide vom 18.3. und 11.8.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.11.2011 verurteilt hat, den [X.] vom [X.] bis zum 30.11.2011 "dem Grunde nach Leistungen nach dem [X.]B II" zu gewähren, und damit letztlich das Begehren des Beklagten, die Klagen insgesamt abzuweisen.

2. Verfahrensrechtliche Hindernisse stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen, weil von Amts wegen zu beachtende Verfahrensmängel nicht zu erkennen sind und von Seiten der Beteiligten keine Verfahrensrügen - mit Ausnahme der von den [X.] hilfsweise gerügten, nicht erfolgten Beiladung des Sozialhilfeträgers - erhoben wurden.

3. Rechtsgrundlage der von den [X.] begehrten und von [X.] und [X.] zugesprochenen "Leistungen nach dem [X.]B II" in der strittigen [X.] ist neben den Voraussetzungen für die einzelnen Leistungen nach §§ 19 ff [X.]B II insbesondere § 7 [X.]B II über die [X.] dem Grunde nach.

Die Klägerin zu 1 erfüllt zwar die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 [X.]B II (dazu 4.), unterliegt jedoch dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 [X.]B II, der die [X.] umfasst, die weder über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung noch ein Aufenthaltsrecht verfügen (dazu 5.), was bei der Klägerin zu 1 der Fall ist, trotz des Schulbesuchs der Klägerin zu 2 (dazu 6.). Diesem Leistungsausschluss stehen nicht das [X.] Fürsorgeabkommen ([X.]) (dazu 7.), das Recht der [X.]n Union ([X.]) (dazu 8.) oder das Grundgesetz (GG) (dazu 9.) entgegen. Für die Klägerin zu 1 kommen aber Leistungen der Sozialhilfe in Betracht, weswegen der Rechtsstreit mangels ausreichender Feststellungen des [X.] zurückzuverweisen und der zuständige Sozialhilfeträger auf ihre hilfsweise erhobene Rüge beizuladen ist (dazu 10.). Für die Klägerin zu 2 gilt im Ergebnis nichts anderes (dazu 11. und 12.).

4. Die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 [X.]B II erfüllte die 1977 geborene Klägerin zu 1 in der strittigen [X.] vom [X.] bis zum 30.11.2011 nach den Feststellungen des [X.].

Sie war damals trotz gewisser gesundheitlicher Probleme erwerbsfähig nach § 8 Abs 1 [X.]B II und die fehlende [X.] Staatsangehörigkeit stand ihrer Erwerbsfähigkeit nach § 8 Abs 2 [X.]B II nicht entgegen, weil für sie als [X.] Staatsangehörige die Möglichkeit, dass eine Beschäftigung erlaubt werden könnte, bestand und ausreicht (B[X.] Urteil vom [X.] [X.]/12 R - B[X.]E 113, 60 = [X.]-4200 § 7 [X.], Rd[X.]3 ff), worauf auch § 8 Abs 2 [X.]B II hinweist. Auf einen Antrag oder das Vorliegen einer "Arbeitserlaubnis [X.]" nach § 284 [X.]B III kommt es in solchen Fällen nicht an.

Die Klägerin zu 1 war hilfebedürftig nach §§ 9, 11 ff [X.]B II, weil sie selbst nicht durchgehend über zur Bedarfsdeckung ausreichendes zu berücksichtigendes Einkommen oder Vermögen verfügte und mit niemandem außer ihrer Tochter, der Klägerin zu 2, eine Bedarfsgemeinschaft bildete. Die Kindergeldnachzahlung für die Tochter in Höhe von 1656 Euro Mitte September 2011 verringerte allenfalls die Hilfebedürftigkeit der Klägerin zu 1, ließ diese im strittigen [X.]raum vorübergehend, aber nicht völlig entfallen (vgl zur Berücksichtigung von Kindergeld § 11 Abs 1 Satz 4, 3 [X.]B II). Anhaltspunkte für ein Einkommen oder Vermögen ihrer Eltern oder ihres Bruders, mit denen sie in einer Wohnung lebte und das nach § 9 Abs 5 [X.]B II im Rahmen einer entsprechenden Vermutung zu berücksichtigen wäre, sind nicht zu erkennen.

Die seit dem [X.] in [X.] lebende Klägerin zu 1 hatte hier einen gewöhnlichen Aufenthalt (vgl § 30 Abs 3 Satz 2 [X.] -).

5. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 [X.]B II ist auf die Klägerin zu 1 anzuwenden, weil diese sich weder auf eine Freizügigkeitsberechtigung nach dem [X.]/[X.], die nicht von diesem Leistungsausschluss umfasst ist, noch auf ein Aufenthaltsrecht nach dem [X.] ([X.]) berufen kann, das eine Ausnahme von dem Leistungsausschluss zu rechtfertigen vermag.

Nach § 7 Abs 1 Satz 2 [X.]B II sind "ausgenommen" - also keine leistungsberechtigten Personen iS des § 7 Abs 1 Satz 1 [X.]B II und ohne [X.] nach dem [X.]B II - nach [X.] Ausländerinnen und Ausländer, die in [X.] keine Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbstständige sind oder nicht nach § 2 Abs 3 [X.]/[X.] freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen in den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts, nach [X.] 2 Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen sowie nach [X.] 3 Leistungsberechtigte nach dem [X.], wobei diese letzte Variante bei der Klägerin zu 1 von vornherein ausscheidet.

Über diese wortwörtlich geregelten Fälle hinaus umfasst der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 [X.]B II erst recht die Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten der [X.], die keine [X.] Staatsangehörigkeit besitzen ([X.]) und nicht über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem [X.]/[X.] oder ein Aufenthaltsrecht nach dem [X.] verfügen. Der erkennende 14. Senat schließt sich dem 4. Senat an, der dies unter Bezugnahme auf die Entstehungsgeschichte des [X.], seine systematischen Zusammenhänge sowie den Sinn und Zweck der Vorschrift begründet hat (B[X.] Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in B[X.]E und [X.]-4200 § 7 [X.] 43, Rd[X.]9 ff). Es kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, dass einerseits [X.], die zB über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung zur Arbeitsuche verfügen, von Leistungen nach dem [X.]B II, die auch der Integration in den Arbeitsmarkt dienen sollen, ausgeschlossen sind, andererseits aber [X.]n, die ohne Bereitschaft zu arbeiten oder ohne Aussicht auf Arbeit, also ohne materielle Freizügigkeitsberechtigung, und ohne ausreichende eigene finanzielle Mittel sich in [X.] aufhalten, Leistungen nach dem [X.]B II zu erbringen sind.

Da die materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem [X.]/[X.] oder das materielle Aufenthaltsrecht nach dem [X.] entscheidend sind, kommt es auf den Besitz einer Freizügigkeitsbescheinigung nach dem [X.]/[X.] nicht an, weil diese nur deklaratorische Bedeutung hat und keine materielle Freizügigkeitsberechtigung begründet (vgl nur Begründung des Gesetzentwurfs zum [X.]/[X.] in BT-Drucks 15/420 S 101 f). Im Übrigen wurde die Freizügigkeitsbescheinigung durch Änderung des § 5 [X.]/[X.] mittlerweile abgeschafft. Von den materiellen Freizügigkeitsberechtigungen nach dem [X.]/[X.] zu unterscheiden ist die generelle Freizügigkeitsvermutung für [X.], für deren rechtmäßige Einreise nach [X.] ein gültiger Pass genügt (§ 2 Abs 5 [X.]/[X.]). Aufgrund dieser generellen Freizügigkeitsvermutung muss der Aufenthalt eines [X.]s zumindest solange als rechtmäßig angesehen werden, bis die zuständige Ausländerbehörde das Nichtbestehen des Freizügigkeitsrechts in entsprechender Anwendung des § 5 Abs 5 [X.]/[X.] in der bis Januar 2013 geltenden Fassung oder nunmehr aufgrund von § 5 Abs 4 [X.]/[X.] bzw der Missbrauchstatbestände in § 2 Abs 7 [X.]/[X.] festgestellt hat (B[X.] Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in B[X.]E und [X.]-4200 § 7 [X.] 43, Rd[X.] mwN).

6. Auf eine materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem [X.]/[X.], die nicht von diesem Leistungsausschluss umfasst ist, oder ein Aufenthaltsrecht nach dem [X.] kann sich die Klägerin zu 1 für die strittige [X.] nicht berufen.

a) [X.] als Arbeitnehmerin oder als Selbstständige nach § 2 Abs 2 [X.] oder [X.] 2 [X.]/[X.] scheidet mangels dahin gehender Aktivitäten der Klägerin zu 1 aus. Das Gleiche gilt für eine nachwirkende Freizügigkeitsberechtigung als Arbeitnehmerin oder selbstständige Erwerbstätige nach § 2 Abs 3 [X.]/[X.].

b) Die Voraussetzungen für eine Freizügigkeitsberechtigung als Familienangehörige nach § 2 Abs 2 [X.] 6, § 3 [X.]/[X.] sind den Feststellungen des [X.] ebenfalls nicht zu entnehmen.

Insbesondere sind auch die Voraussetzungen für eine aus einer Freizügigkeitsberechtigung der Tochter abgeleitete Freizügigkeitsberechtigung als Elternteil nach § 2 Abs 2 [X.] 6, § 3 Abs 4 [X.]/[X.] für die Klägerin zu 1 nicht gegeben.

Diese Freizügigkeitsberechtigung des Kindes eines freizügigkeitsberechtigten [X.]s, der stirbt oder wegzieht, muss auch auf die Fälle angewandt werden, in denen nach der Rechtsprechung des [X.]n Gerichtshofs ([X.]) das Recht des Kindes auf Zugang zum Unterricht aus Art 12 der Verordnung ([X.]) [X.]612/68, der mittlerweile durch Art 10 der Verordnung ([X.]) [X.] 492/2011 abgelöst wurde, ein eigenständiges Aufenthaltsrecht des Kindes eines Wanderarbeitnehmers oder ehemaligen Wanderarbeitnehmers begründet, wenn das Kind seine Ausbildung im Aufnahmemitgliedstaat fortsetzen möchte. Aus diesem Aufenthaltsrecht des Kindes folgt ein entsprechendes Aufenthaltsrecht des Elternteils, der die elterliche Sorge für dieses Kind tatsächlich ausübt (vgl nur [X.] Urteil vom 13.6.2013 - [X.]/12 - Rd[X.] 46 mwN sowie B[X.] Urteil vom 3.12.2015 - B 4 [X.]/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in B[X.]E und [X.], Rd[X.] 29 ff mwN).

Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt, weil die Klägerin zu 2 sich nicht auf die Rechtsstellung eines Kindes eines ([X.] nach den genannten Verordnungen berufen kann, da ihre Mutter - die Klägerin zu 1 - nach den Feststellungen des [X.] nie berufstätig war und über den Vater der im [X.] eingereisten Klägerin zu 2 nichts bekannt ist, was auf einen Status als Wanderarbeitnehmer in diesem Sinne hindeutet.

c) Auch die Voraussetzungen einer Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 Abs 2 [X.]/[X.] nach der [X.] 3 oder 4 (Erbringer oder Empfänger von Dienstleistungen) sowie [X.] 7 (Inhaber eines Daueraufenthaltsrechts) sind mangels dahin gehender Feststellungen des [X.] hinsichtlich der Klägerin zu 1 im strittigen [X.]raum nicht zu erkennen.

d) Ein Aufenthaltsrecht der Klägerin zu 1 nach dem [X.], insbesondere vermittels der Günstigkeitsregelung in § 11 Abs 1 [X.]/[X.], ist nicht ersichtlich.

7. Das Gleichbehandlungsgebot des Art 1 [X.] steht dem Leistungsausschluss der Klägerin zu 1 nach § 7 Abs 1 Satz 2 [X.]B II nicht entgegen (vgl zum [X.] das Ausführungsgesetz vom 15.5.1956, [X.] 563; zu dessen früherer Anwendbarkeit im Rahmen des [X.]B II bei einem [X.] Staatsangehörigen: B[X.] Urteil vom 19.10.2010 - [X.] AS 23/10 R - B[X.]E 107, 66 = [X.]-4200 § 7 [X.] 21; zu dessen Nichtanwendbarkeit nach dem 1.2.2012: B[X.] Urteil vom 3.12.2015 - B 4 [X.]/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in B[X.]E und [X.], Rd[X.]8 ff). Denn die Klägerin zu 1 ist [X.] Staatsangehörige und [X.] ist kein Unterzeichnerstaat dieses Abkommens.

Durchgreifende Gründe, dieses völkerrechtliche Abkommen zwischen bestimmten [X.], die zwar (mittlerweile) größtenteils zur [X.] gehören, auf die Staatsangehörigen auch anderer Mitgliedstaaten der [X.] auszudehnen (so wohl [X.] in seiner Anmerkung zu dem Urteil des B[X.] vom 19.10.2010, aaO, [X.]b 2011, 458 ff), sind nicht zu erkennen. Im Übrigen ist die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit, auf die die dahin gehenden Überlegungen gestützt werden, ein typisches Merkmal völkerrechtlicher Verträge und in der Konsequenz müssten alle völkerrechtlichen Verträge, die [X.] geschlossen hat, automatisch auch für alle in [X.] lebenden [X.] gelten, was zB für die sozialrechtskoordinierenden Vorschriften innerhalb der [X.] erhebliche Probleme nach sich ziehen dürfte.

8. Mit [X.]-Recht ist dieser Leistungsausschluss der Klägerin zu 1 nach § 7 Abs 1 Satz 2 [X.]B II vereinbar, wie sich aus den Entscheidungen des [X.] vom 11.11.2014 ([X.]/13 - [X.], NJW 2015, 145 ff) und vom 15.9.2015 ([X.]/14 - [X.], [X.]b 2015, 638 ff) ergibt. Auch wenn [X.] und Sozialgeld nach dem [X.]B II als besondere beitragsunabhängige Geldleistungen iS des Art 70 VO [X.] 883/2004/[X.] und als "Sozialhilfe" iS des Art 24 Abs 2 [X.] 2004/38/[X.] eingeordnet werden, stehen Art 24 Abs 1 iVm Art 7 Abs 1 Buchst b [X.] 2004/38/[X.] und Art 4 VO [X.] 883/2004/[X.] der Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegen, nach der Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten vom Bezug dieser Leistungen ausgeschlossen werden, sofern diesen Staatsangehörigen im Aufnahmemitgliedstaat kein Aufenthaltsrecht nach der [X.] 2004/38/[X.] zusteht ([X.] Urteil vom 11.11.2014, aaO, Rd[X.] 84). Gleiches gilt für Unionsbürger anderer [X.]-[X.] (einschließlich ihrer Familienangehörigen), die nach [X.] eingereist sind, um Arbeit zu suchen, wenn sie nicht Arbeitnehmer oder Selbstständige sind oder ihnen dieser Status erhalten geblieben ist ([X.] Urteil vom 15.9.2015, aaO, Rd[X.] 63).

9. Verfassungsrechtliche Bedenken stehen diesem Leistungsausschluss der Klägerin zu 1 nach § 7 Abs 1 Satz 2 [X.]B II nicht entgegen. Der Leistungsausschluss ist insbesondere schon deshalb mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art 1 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip des Art 20 Abs 1 GG vereinbar, weil für die Klägerin zu 1 Leistungen der Sozialhilfe seitens des zuständigen, vom [X.] im wiedereröffneten Berufungsverfahren beizuladenden Sozialhilfeträgers nach dem [X.] - ([X.]B XII) in Betracht kommen.

Die Leistungsvoraussetzungen nach § 19 Abs 1, § 27 Abs 1 [X.]B XII erfüllte die Klägerin zu 1 nach den Feststellungen des [X.] zu den Voraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 [X.]B II. Hinsichtlich der nach § 18 Abs 1 [X.]B XII erforderlichen Kenntnis des Sozialhilfeträgers ist auf die Kenntnis des beklagten Jobcenters zu verweisen (B[X.] Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in B[X.]E und [X.]-4200 § 7 [X.] 43, Rd[X.] 39 mwN).

Die Klägerin zu 1 war nicht nach § 21 [X.]B XII von Leistungen zum Lebensunterhalt ausgeschlossen, weil die "Systemabgrenzung" zwischen [X.]B II und [X.]B XII nicht auf das schlichte Kriterium Erwerbsfähigkeit reduziert werden kann, sondern differenzierter ist (B[X.] Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in B[X.]E und [X.]-4200 § 7 [X.] 43, Rd[X.] 40 ff mwN; vgl aus der Literatur mit stationär Untergebrachten und Strafgefangenen als Beispielen nur: Grube in Grube/[X.], [X.]B XII, 5. Aufl 2014, § 21 Rd[X.] 5, der in Rd[X.] ff die Probleme der Abgrenzung und wiederholten Änderungen der einschlägigen Vorschriften darstellt, aber andererseits in Rd[X.] 8 fordert, die Systeme "scharf voneinander abzugrenzen"; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.]B XII, 19. Aufl 2015, § 21 Rd[X.] 9: Erwerbsfähigkeit ist nicht das alleinige, ausschließliche Abgrenzungsmerkmal; Fasselt in [X.]/[X.], [X.]B XII, 4. Aufl 2009, § 21 Rd[X.] 2, die zudem Ausländer anführt, deren Erwerbsfähigkeit nach § 8 Abs 2 [X.]B II ausgeschlossen ist).

Ob einem Anspruch der Klägerin zu 1 auf Sozialhilfe der Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 Satz 1 Alt 1 [X.]B XII - eingereist, um Sozialhilfe zu erlangen - entgegensteht, kann mangels Feststellungen des [X.] nicht beurteilt werden. Im Weiteren ist zu beachten, dass ebenso wie nach dem [X.]B II aufgrund von § 23 Abs 3 Satz 1 Alt 2 [X.]B XII Ausländer, die weder materiell freizügigkeitsberechtigt nach dem [X.]/[X.] noch aufenthaltsberechtigt nach dem [X.] sind, keinen Anspruch auf Sozialhilfe haben (B[X.] Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in B[X.]E und [X.]-4200 § 7 [X.] 43, Rd[X.] 48 ff). § 23 Abs 3 Satz 1 [X.]B XII beinhaltet, wie schon dem Wortlaut entnommen werden kann, jedoch nur einen Ausschluss von einem Anspruch auf Sozialhilfe, nicht aber von im Wege des Ermessens zu gewährenden Leistungen auf Sozialhilfe, wie sie § 23 Abs 1 Satz 3 [X.]B XII vorsieht (B[X.] Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in B[X.]E und [X.]-4200 § 7 [X.] 43, Rd[X.] 51 mwN, auch auf die Rspr des [X.] zur Vorläufervorschrift in § 120 Bundessozialhilfegesetz).

Hinsichtlich der Leistungen im Einzelnen, insbesondere ob vorliegend die Voraussetzungen für eine Ermessensreduzierung auf null vorliegen (vgl dazu B[X.] Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in B[X.]E und [X.]-4200 § 7 [X.] 43, Rd[X.] 53 ff), sind weitere Feststellungen notwendig, die das [X.] im wiedereröffneten Berufungsverfahren zu treffen hat.

10. Aufgrund dieses möglichen Anspruchs der Klägerin zu 1 gegen den Sozialhilfeträger und dessen nicht erfolgter Beiladung, die die [X.] hilfsweise gerügt haben, ist das Urteil des [X.] aufzuheben und der Rechtsstreit an dieses zurückzuverweisen.

Nach § 75 Abs 2 Alt 2 [X.]G ist, wenn sich in einem Verfahren ergibt, dass bei der Ablehnung des Anspruchs ein Träger der Sozialhilfe als leistungspflichtig in Betracht kommt, dieser Träger beizuladen (zur Verurteilung des Beigeladenen siehe § 75 Abs 5 [X.]G). Die im Revisionsverfahren grundsätzlich unzulässige Beiladung ist vorliegend auch nicht mit Zustimmung des Beigeladenen nachzuholen (vgl § 169 [X.]G), weil der Rechtsstreit mangels Feststellungen des [X.] ohnehin nicht entscheidungsreif, sondern zurückzuverweisen ist.

11. Für die Klägerin zu 2 gilt im Ergebnis nichts anderes. Sie hat keinen Anspruch auf Leistungen nach dem [X.]B II.

Da sie 1998 geboren wurde, war sie in der strittigen [X.] vom [X.] bis zum 30.11.2011 keine leistungsberechtigte Person nach § 7 Abs 1 Satz 1 [X.] [X.]B II. Abgesehen von dem hier nicht einschlägigen § 7 Abs 2 Satz 3 [X.]B II könnte sie einen Anspruch auf Leistungen nach dem [X.]B II nur im Rahmen einer Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs 3 [X.]B II mit einer leistungsberechtigten Person haben. Die dafür vorliegend allein infrage kommende Klägerin zu 1 ist aber keine leistungsberechtigte Person nach dem [X.]B II aufgrund des zuvor Gesagten.

12. In Betracht kommen für die Klägerin zu 2 jedoch ebenfalls Leistungen nach dem [X.]B XII, was zunächst eine Beiladung des Sozialhilfeträgers voraussetzt.

Das [X.] wird im wiedereröffneten Berufungsverfahren auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Meta

B 14 AS 33/14 R

16.12.2015

Bundessozialgericht 14. Senat

Urteil

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Köln, 27. November 2012, Az: S 11 AS 4730/11, Urteil

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 16.12.2015, Az. B 14 AS 33/14 R (REWIS RS 2015, 538)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 538

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