Bundessozialgericht, Beschluss vom 11.04.2019, Az. B 13 R 74/18 B

13. Senat | REWIS RS 2019, 8226

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Sachaufklärungsrüge - in der Berufungsinstanz unvertretener Kläger


Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 20. Februar 2018 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. In dem der Beschwerde zugrundliegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten über einen Anspruch des [X.] auf Gewährung einer Halbwaisenrente nach seinem im Februar 2010 verstorbenen Vater. Eine solche Rente hatte der Kläger erstmals am 18.11.2014 beantragt und geltend gemacht, er sei aufgrund eines Herstellungsanspruchs so zu stellen, als habe er den Antrag bereits im März 2010 gestellt. Seine Mutter habe damals bei der Wohnortgemeinde Anträge auf Hinterbliebenenrente gestellt und sei bezüglich seiner Rentenansprüche falsch beraten worden. Das [X.] hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger für die [X.] vom 1.11.2010 bis zum 28.10.2012 eine solche Rente zu zahlen. Auf die Berufung der [X.] hat das L[X.] den Gerichtsbescheid des [X.] aufgehoben und die Klage insgesamt abgewiesen (Urteil vom 20.2.2018).

2

Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des L[X.] hat der Kläger Beschwerde beim B[X.] eingelegt. In seiner Beschwerdebegründung vom 15.6.2018 beruft er sich ausschließlich auf Verfahrensmängel ([X.] nach § 160 Abs 2 [X.] [X.]G).

3

II. Die Beschwerde des [X.] ist als unzulässig zu verwerfen. Der Kläger hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 [X.] [X.]G keinen [X.] hinreichend dargelegt oder bezeichnet.

4

Das B[X.] darf gemäß § 160 Abs 2 [X.]G die Revision gegen eine Entscheidung des L[X.] nur dann zulassen, wenn

-       

die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat ([X.]) oder

-       

das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht ([X.]) oder

-       

bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden ([X.]).

5

Dass der Kläger das Berufungsurteil inhaltlich für unrichtig hält, kann dagegen nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr, vgl zB B[X.] Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - [X.] 4-1500 § 160 [X.]2 Rd[X.] 4; [X.] Beschluss vom [X.] - 1 BvR 96/10 - [X.] 4-1500 § 178a [X.]1 Rd[X.]8 mwN).

6

1. Einen Verfahrensmangel, auf dessen Vorliegen er seine Beschwerde ausschließlich stützt, hat der Kläger nicht formgerecht bezeichnet.

7

Zur Bezeichnung eines [X.] müssen die tatsächlichen Umstände, welche den geltend gemachten [X.] begründen sollen, substantiiert und schlüssig dargelegt und darüber hinaus muss aufgezeigt werden, inwiefern die angefochtene Entscheidung auf diesem Verfahrensmangel beruhen kann (stRspr, vgl B[X.] Beschluss vom 12.12.2003 - [X.] RJ 179/03 B - [X.] 4-1500 § 160a [X.] Rd[X.] 4 mwN; B[X.] Beschluss vom 20.2.2018 - [X.] LW 3/17 B - Juris Rd[X.] 4). Zu beachten ist, dass ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 [X.]G gestützt werden kann (§ 160 Abs 2 [X.] Teils 2 [X.]G) und dass die Rüge einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht nach § 103 [X.]G nur statthaft ist, wenn sie sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das L[X.] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (§ 160 Abs 2 [X.] Teils 3 [X.]G).

8

a) Diese Anforderungen verfehlt die Beschwerdebegründung des [X.], wenn er zunächst eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 103 [X.]G) rügt.

9

Die Rüge der unzureichenden Sachaufklärung durch das L[X.] muss folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrags, dem das L[X.] nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des L[X.], aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen und zu weiterer Sachaufklärung drängen müssen, (3) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (4) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des L[X.] auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das L[X.] mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigen Ergebnis hätte gelangen können (stRspr, vgl B[X.] Beschluss vom 19.11.2007 - [X.]/5 R 382/06 B - [X.] 4-1500 § 160a [X.]1 Rd[X.] 5; B[X.] Beschluss vom 28.2.2018 - [X.] R 73/16 B - Juris Rd[X.] 9 mwN).

Hierzu gehört nach ständiger Rechtsprechung des B[X.] ferner die Darlegung, dass ein anwaltlich vertretener Beteiligter einen Beweisantrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt und noch zumindest hilfsweise aufrechterhalten hat (vgl B[X.] Beschluss vom [X.] - B 9a [X.]/06 B - [X.] 4-1500 § 160 [X.]3 Rd[X.]1 mwN; B[X.] Beschluss vom 21.2.2018 - [X.] R 28/17 R, [X.] R 285/17 B - Juris Rd[X.]4 mwN). Zwar sind an Form, Inhalt, Formulierung und Präzisierung eines Beweisantrags verminderte Anforderungen zu stellen, wenn der Kläger in der Berufungsinstanz durch keinen rechtskundigen Prozessbevollmächtigten vertreten war (vgl B[X.] [X.] 4-1500 § 160 [X.] Rd[X.] 5; B[X.] Beschluss vom [X.] - B 2 U 403/05 B - Juris Rd[X.] 5). Auch ein [X.] Kläger muss aber dem Gericht deutlich machen, dass er noch Aufklärungsbedarf sieht (vgl B[X.] Beschluss vom [X.] U 103/12 B - Juris Rd[X.] 7; B[X.] Beschluss vom 22.7.2010 - [X.] R 585/09 B - Juris Rd[X.]1; B[X.] Beschluss vom [X.] - B 1 KR 38/16 B - BeckRS 2016, 71397 Rd[X.] 4). Erfolgt eine mündliche Verhandlung in Anwesenheit eines unvertretenen [X.], hat er diese Verdeutlichung grundsätzlich in der mündlichen Verhandlung vorzunehmen. Schweigt darüber die Sitzungsniederschrift, genügt es, dass ausnahmsweise besondere Umstände den Schluss nahelegen, dass er auch in der mündlichen Verhandlung an der Forderung nach weiterer Beweiserhebung festgehalten hat (B[X.] Beschluss vom [X.] - B 1 KR 3/18 B - Juris Rd[X.] 5).

Die Beschwerdebegründung des [X.] genügt diesen Anforderungen nicht. Zwar benennt er einen bereits mit der Klageschrift vom 24.11.2015 gestellten Antrag auf Vernehmung seiner Mutter zu den Umständen ihrer Vorsprache beim Gemeindeamt [X.] im April 2010. Diese habe dort nach [X.] für sie selbst und ihre Kinder gefragt. Jedoch fehlt es an Ausführungen des [X.], dass er diesen Antrag im Berufungsverfahren wiederholt habe (vgl hierzu B[X.] Beschluss vom [X.] U 100/12 B - [X.] 4-1500 § 160 [X.]4 Rd[X.]4 = BeckRS 2012, 73252 Rd[X.]4). Ebenso wenig wird ausgeführt, er habe gegenüber dem L[X.] in der mündlichen Verhandlung deutlich gemacht, noch weiteren Aufklärungsbedarf gesehen zu haben. Somit werden schon die Voraussetzungen einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht des L[X.] gegenüber einem unvertretenen Kläger nicht schlüssig dargelegt. Daher kann dahinstehen, ob sich der im Berufungsverfahren von [X.] am [X.] vertretene Kläger überhaupt darauf berufen kann, "nicht anwaltlich oder ähnlich rechtskundig vertreten" gewesen zu sein.

b) Auch mit der Rüge einer Verletzung rechtlichen Gehörs wird ein Verfahrensmangel nicht hinreichend bezeichnet.

Der Kläger sieht sein Recht auf rechtliches Gehör (§ 62 [X.]G; Art 103 Abs 1 GG) dadurch verletzt, dass das L[X.] im angegriffenen Urteil ohne vorherigen Hinweis davon ausgegangen sei, seine Mutter habe nur einen [X.] gestellt und ihn nicht gegenüber der Gemeinde [X.] wegen möglicher Rentenansprüche vertreten. Für ihn sei nicht erkennbar gewesen, dass das L[X.] diesen von ihm unter Beweisantritt bestrittenen Vortrag der [X.] übernehme.

Damit hat der Kläger eine Gehörsverletzung aufgrund einer jedenfalls sinngemäß gerügten Überraschungsentscheidung entgegen § 160a Abs 2 [X.] [X.]G nicht hinreichend schlüssig und nachvollziehbar dargelegt. Eine allgemeine Verpflichtung des Gerichts, die Beteiligten vor einer Entscheidung auf eine in Aussicht genommene Tatsachen- und Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gründe zuvor mit den Beteiligten zu erörtern, gibt es nicht. Sie wird weder durch den allgemeinen Anspruch auf rechtliches Gehör aus § 62 [X.]G bzw Art 103 Abs 1 GG noch durch die Regelungen zu richterlichen Hinweispflichten (§ 106 Abs 1 bzw § 112 Abs 2 S 2 [X.]G) begründet. Denn die tatsächliche und rechtliche Würdigung ergibt sich regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung (vgl B[X.] Beschluss vom 24.1.2018 - [X.] R 377/15 B - Juris Rd[X.]9; B[X.] Urteil vom 17.4.2013 - B 9 SB 3/12 R - Juris Rd[X.] 44; [X.], [X.], 2. Aufl 2010, Rd[X.] 590 mwN).

Von einer Überraschungsentscheidung kann nur ausgegangen werden, wenn sich das Gericht ohne vorherigen richterlichen Hinweis auf einen Gesichtspunkt stützt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (stRspr, vgl zB [X.] Beschluss vom 5.4.2012 - 2 BvR 2126/11 - NJW 2012, 2262 - Juris Rd[X.]8 mwN). Die Rüge des [X.] einer Überraschungsentscheidung ist deshalb nur dann schlüssig bezeichnet, wenn im Einzelnen vorgetragen wird, aus welchen Gründen auch ein gewissenhafter Prozessbeteiligter aufgrund des bisherigen Prozessverlaufs nicht damit rechnen musste, dass das Gericht seine Entscheidung auf einen bestimmten Gesichtspunkt stützt. Daran fehlt es hier. Im Gegenteil wird in der Beschwerdebegründung ausdrücklich ausgeführt, dass die Frage, ob die Mutter des [X.] bei der Gemeinde [X.] nur eine Witwenrente beantragt oder auch ihn vertreten hat, zwischen den Beteiligten schriftsätzlich streitig erörtert worden ist. Dass eine besondere Situation vorgelegen hätte, die zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung ausnahmsweise einen vorherigen Hinweis des Gerichts auf seine Rechtsauffassung geboten hätte, ist der Beschwerdebegründung nicht zu entnehmen. Der Kläger trägt keine Umstände vor, aufgrund derer er davon hätte überzeugt sein dürfen, dass sich das L[X.] seine Position und nicht etwa die der [X.] zu eigen macht.

2. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 [X.]G).

Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 2 und 3 [X.]G durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 [X.]G.

Meta

B 13 R 74/18 B

11.04.2019

Bundessozialgericht 13. Senat

Beschluss

Sachgebiet: R

vorgehend SG Frankfurt, 3. Januar 2017, Az: S 31 R 766/15, Gerichtsbescheid

§ 62 SGG, § 103 SGG, § 106 Abs 1 SGG, § 112 Abs 2 S 2 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 11.04.2019, Az. B 13 R 74/18 B (REWIS RS 2019, 8226)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 8226

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1 BvR 96/10

2 BvR 2126/11

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