Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.02.2003, Az. XI ZR 214/01

XI. Zivilsenat | REWIS RS 2003, 4488

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[X.] DES VOLKESURTEIL[X.] ZR 214/01Verkündet am:11. Februar 2003Weber,[X.] Geschäftsstellein dem [X.]. Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche [X.] vom 11. Februar 2003 durch [X.] [X.] Bungeroth, [X.], [X.] und Dr. Applfür Recht erkannt:Auf die Rechtsmittel der [X.]n werden das [X.] 8. Zivilsenats des [X.] 17. Mai 2001 aufgehoben und das Urteil [X.] Zivilkammer des [X.] vom26. Oktober 2000 abgeändert.Die Klage wird abgewiesen.Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tra-gen.Von Rechts [X.]:Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Bürgschaft. [X.] folgender Sachverhalt zugrunde:Der Ehemann der [X.]n - Inhaber eines Schmuckhandelsge-schäfts - war Schuldner mehrerer von der klagenden Bank ausgereichter- 3 -Betriebsmittelkredite, darunter zwei Darlehen über 50.000 [X.] mit Zinssätzen von ursprünglich 10,25% sowie 7,75% p.a..Für beide Kredite übernahm die [X.] am 3. Januar 1998 eine selbst-schuldnerische Höchstbetragsbürgschaft über 320.000 DM. [X.] die Geschäftseinrichtung und das Warenlager des [X.] ihres Ehemannes sowie dessen Forderungen aus zwei [X.] der Klägerin als Sicherheit.Anfang 1999 gründete die [X.] die [X.] [X.] leitete in der Folgezeit das Unternehmen in den [X.] nicht mehr als Einzelkaufmann tätigen Ehemannes. Am [X.] kündigte die Klägerin die mit ihm bestehende Geschäftsverbindungwegen Verschlechterung der Vermögenslage und Aufgabe seines [X.] fristlos und stellte die Kredite fällig. Nach Verwertung der [X.] Sicherheiten geht sie gegen die [X.] aus dem [X.] vom 3. Januar 1998 vor.Die [X.] hält die Bürgschaft wegen krasser finanzieller Über-forderung für sittenwidrig. Bei Abgabe der Bürgschaftserklärung habe sieals Aushilfsverkäuferin im Schmuckhandelsgeschäft ihres Ehemannesein monatliches Nettogehalt von 466,36 DM erzielt und über kein eigenesVermögen verfügt.Das [X.] hat der auf Zahlung von 257.414,57 DM nebstZinsen gerichteten Klage in Höhe von 249.034,42 DM zuzüglich Zinsenstattgegeben. Die Berufung der [X.]n ist erfolglos geblieben. Mit [X.] verfolgt sie ihren [X.] 4 -Entscheidungsgründe:Die Revision der [X.]n ist begründet; sie führt zur [X.] Berufungsurteils und zur Abweisung der Klage.[X.] Berufungsgericht hat den Bürgschaftsvertrag der Parteien [X.] erachtet und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt:Die Bürgschaft sei nicht sittenwidrig. Die [X.] werde durch [X.] über 320.000 DM nicht finanziell kraß überfor-dert. Zwar habe sie ausweislich der vorgelegten Lohnabrechnungen [X.] für das [X.] als Aushilfskraft im Betrieb ihresEhemannes im Monat durchschnittlich nur rund 800 DM brutto verdientund demnach nicht einmal die laufenden Zinsen für die verbürgten [X.] allein aufbringen können. Die Klägerin habe aber bei [X.] im Januar 1998 mit einer erheblichen Ausweitung der beruf-lichen Tätigkeit der [X.]n rechnen können. Durch die Mitarbeit imUnternehmen ihres Ehemannes sei die [X.] hinreichend geschäfts-erfahren und die Betreuung der damals schon 14 und 15 Jahre altenKinder in naher Zukunft nicht mehr erforderlich gewesen. Dafür sprecheauch, daß sie seit Februar 1999 als Geschäftsführerin-Gesellschafterinder [X.] GmbH ein eigenes Geschäft betreibe und aus-weislich der vorgelegten Lohnabrechnung im November desselben [X.] 2.557,66 DM netto verdient [X.] -Im übrigen sei das Mithaftungsbegehren des Kreditgebers nachder gegenwärtigen Rechtsprechung des [X.]. Zivilsenats des [X.], der sich der Senat anschließe, in aller Regel rechtlich vertret-bar, weil er sich so möglichst wirksam vor Vermögensverlagerungen [X.] auf den Ehepartner schützen könne. Die Bürgschaft [X.] sei deshalb selbst bei einer finanziellen Überforderung [X.], zumal die Haftung auf den Höchstbetrag von 320.000 DM be-grenzt sei. Dem [X.]. Zivilsenat des [X.] sei außerdemdarin zu folgen, daß die bei Bürgschaften für Geschäftskredite des [X.] regelmäßig zu erwartenden höheren Unterhaltsleistungen im [X.] einen angemessenen Ausgleich darstellten, sofern der [X.] - wie hier - nicht mit unzulässigen Mitteln herbeigeführt [X.] sei.[X.] Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung in keinem [X.] Punkt stand. Entgegen der Auffassung des [X.] der Bürgschaftsvertrag der Parteien gegen die guten Sitten undist infolgedessen nichtig.1. Nach der inzwischen übereinstimmenden Rechtsprechung des[X.]. und des [X.]. Zivilsenats des [X.] hängt die [X.] § 138 Abs. 1 BGB auf von Kreditinstituten mit privaten Sicherungs-gebern geschlossene Bürgschafts- oder Mithaftungsverträge regelmäßigentscheidend vom Grad des [X.] zwischen dem [X.] 6 -tungsumfang und der finanziellen Leistungsfähigkeit des dem Haupt-schuldner persönlich nahe stehenden Bürgen oder Mitverpflichteten ab([X.], 206, 211; 136, 347, 351; 137, 329, 333 f.; 146, 37, 42; Se-natsurteile vom 13. November 2001 - [X.] ZR 82/01, [X.], 125; vom4. Dezember 2001 - [X.] ZR 56/01, [X.], 223, 224; vom 14. Mai 2002- [X.] ZR 50/01, [X.], 1347, 1348, für [X.], 34 vorgesehen;vom 14. Mai 2002 - [X.] ZR 81/01, [X.], 1350, 1351; vom 28. [X.] - [X.] ZR 199/01, [X.], 1647, 1648; vom 28. Mai 2002 - [X.] ZR205/01, [X.], 1649, 1651 sowie vom 10. Dezember 2002 - [X.] [X.], [X.], 275 f.). Zwar reicht selbst der Umstand, daß der Be-troffene voraussichtlich nicht einmal die von den [X.] festgelegte Zinslast aus dem pfändbaren Teil seines Einkommensoder Vermögens bei Eintritt des Sicherungsfalles dauerhaft tragen kann,regelmäßig nicht aus, um das [X.] der Sittenwidrigkeit zu be-gründen. In einem solchen Falle krasser finanzieller Überforderung istaber nach der allgemeinen Lebenserfahrung ohne Hinzutreten [X.] widerleglich zu vermuten, daß er die ruinöse Bürgschaft oderMithaftung allein aus emotionaler Verbundenheit mit dem Hauptschuld-ner übernommen und der Kreditgeber dies in sittlich anstößiger Weiseausgenutzt hat (st.Rspr., siehe z.B. Senatsurteile vom 14. Mai 2002- [X.] ZR 50/01 aaO S. 1348 und vom 28. Mai 2002 - [X.] ZR 205/01 aaO,jeweils m.w.Nachw.).2. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts war die [X.] bei Vertragsschluß im Januar 1998 noch bei Eintritt des Siche-rungsfalles in der Lage, die in den der [X.] DM zugrunde liegenden Kreditverträgen vereinbarten [X.] -aus eigenem pfändbaren Einkommen und/oder Vermögen auf Dauer [X.] zu tragen.a) Da das monatliche Bruttogehalt der [X.]n für ihre geringfü-gige Aushilfstätigkeit im Schmuckhandelsgeschäft ihres Ehemannes [X.] 800 DM betrug und eigenes nennenswertes Vermögen nicht vor-handen war, konnte sie bei Übernahme der Bürgschaft nicht das Gering-ste zur vertragsgemäßen Erfüllung auch nur der Zinsansprüche der Klä-gerin aus den verbürgten Darlehen beitragen.b) Aus der maßgebenden Sicht eines seriösen und vernünftigenKreditgebers war unter normalen Umständen auch nicht mit einer [X.] und nachhaltigen Verbesserung des finanziellen Leistungs-vermögens der [X.]n bis zum ungewissen [X.]punkt ihrer Inan-spruchnahme aus der Bürgschaft zu rechnen.aa) Nach der gefestigten Rechtsprechung des erkennenden Se-nats sind bei der gebotenen Prognose grundsätzlich alle erwerbsrele-vanten Umstände und Verhältnisse - wie z.B. Alter, Schul- und Be-rufsausbildung sowie etwaige besondere familiäre oder vergleichbareBelastungen - des erkennbar finanzschwachen Bürgen oder Mithaften-den zu berücksichtigen (vgl. z.B. [X.], 37, 43; [X.] 26. April 1994 - [X.] ZR 184/93, [X.], 1022, 1024 und vom13. November 2001 - [X.] ZR 82/01, [X.], 125, 126). Erst wenn da-nach bei lebensnaher Betrachtung feststeht, daß der Betroffene voraus-sichtlich nicht einmal die von den Darlehensvertragsparteien festgeleg-ten Zinsen aus dem pfändbaren Teil seines eigenen Einkommens- 8 -und/oder Vermögens bis zum Vertragsende allein aufbringen kann, isteine krasse finanzielle Überforderung zu bejahen.bb) So ist es hier. Zwar mag es bei Übernahme der Bürgschaftaufgrund des Alters ihrer 1983 und 1984 geborenen Kinder nahegelegenhaben, daß die damals 44 Jahre alte [X.] alsbald deren Betreuungaufgeben und einer ganztägigen Berufstätigkeit nachgehen werde. [X.] Klägerin ist aber nichts dafür vorgetragen, daß die [X.] in ihremerlernten Beruf als Arzthelferin oder aber als Verkäuferin unter [X.] so viel verdienen konnte, daß sie die Zinsen aus den ver-bürgten Darlehen allein aufbringen konnte oder daß eine andere hinrei-chend gesicherte Aussicht auf eine wesentliche und nachhaltige Verbes-serung der Einkommensverhältnisse bestand. Bei voller Valutierung derverbürgten Darlehen beliefen sich die Zinsen auf fast 2.000 DM monat-lich. Um diese aus dem pfändbaren Teil ihres Einkommens tragen zukönnen, hätte die [X.] selbst ohne Berücksichtigung von Unterhalts-pflichten ein Einkommen von fast 4.000 DM netto im Monat erzielenmüssen. Nichts spricht nach der Lebenserfahrung dafür, daß ihr dies [X.] oder als Verkäuferin möglich gewesen wäre.Daß sie Anfang 1999 die [X.] GmbH gegründetund im November desselben Jahres als deren Geschäftsführerin-Gesellschafterin 2.557,66 DM netto verdient hat, rechtfertigt keine [X.] rechtliche Betrachtung. Nichts spricht dafür, daß die Beteiligten miteiner solchen ungewöhnlichen Entwicklung ernsthaft gerechnet und [X.] - wie es grundsätzlich erforderlich gewesen wäre (vgl. [X.] 132,328, 336) - zum Gegenstand der Vertragsverhandlungen gemacht haben.Davon abgesehen ist nicht ersichtlich, daß die Erträge der [X.]n aus- 9 -der noch jungen Gesellschaft sowie ihr Geschäftsführergehalt von2.557,66 DM netto pro Monat ausreichen, um die von den Darlehensver-tragsparteien festgelegten Zinsen aus dem pfändbaren Teil ihres Ein-kommens bis zum Vertragsende allein aufzubringen.3. Anders als das Berufungsgericht unter ausdrücklicher Berufungauf die "gegenwärtige" Rechtsprechung des [X.]. Zivilsenats des Bundes-gerichtshofs angenommen hat, stehen einer Anwendung des § 138Abs. 1 BGB auch keine anderen Hinderungsgründe entgegen.a) Die tatsächliche Vermutung, daß die [X.] die ruinöse [X.] nur aus emotionaler Verbundenheit mit ihrem Ehemann übernom-men und die Klägerin dies in sittlich anstößiger Weise ausgenutzt hat,hat die Klägerin nicht widerlegt oder entkräftet. Daß das Schmuckhan-delsgeschäft des Ehemanns der [X.]n bei Abschluß des [X.]es die Existenzgrundlage der ganzen Familie bildete, istinsoweit nicht von wesentlicher Bedeutung. Der Erwerb eines bloßenmittelbaren geldwerten Vorteils aus der Aufnahme des verbürgten [X.] - wie etwa eine häufig nur schwer feststellbare und flüchtige [X.] des allgemeinen Lebensstandards oder die vorläufige Erhal-tung des Arbeitsplatzes - wiegt nach gefestigter Rechtsprechung des er-kennenden Senats das bei [X.] regelmäßig ganz [X.] große [X.] bei weitem nicht auf. Zudem würde dergegenteilige Standpunkt zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Be-nachteiligung der Ehepartner selbständiger Unternehmer führen (Senat[X.] 146, 37, 45 f. m.w.Nachw.). Dem hat sich der vormals für [X.] zuständige [X.]. Zivilsenat des [X.] je-denfalls für die Fälle krasser finanzieller Überforderung des Bürgen in- 10 -seinem schon lange vor der angefochtenen Entscheidung ergangenenUrteil vom 27. Januar 2000 ([X.] ZR 198/98, [X.], 410, 412, 413)ausdrücklich angeschlossen.b) Des weiteren stellt das Interesse des Gläubigers, sich mit [X.] Bürgschaften oder Mithaftungsabreden möglichst wirksam vor etwai-gen Vermögensverschiebungen zwischen Eheleuten zu schützen, [X.] die Sittenwidrigkeit ausschließenden Umstand dar.Nach gefestigter Rechtsprechung des erkennenden Senats (siehezuletzt Urteile vom 14. Mai 2002 - [X.] ZR 50/01, aaO S. 1349 f. und [X.] [X.]/01, aaO S. 1351 f., jeweils m.w.Nachw.) rechtfertigt das Ziel, etwai-gen Vermögensverschiebungen zwischen den Eheleuten vorzubeugen,eine an sich wirtschaftlich sinnlose Bürgschaft oder [X.] dann, wenn es durch Vereinbarung der Parteien zum Vertragsinhaltgemacht wird. Ohne besondere, vom Kreditgeber darzulegende undnotfalls zu beweisende Anhaltspunkte kann grundsätzlich nicht davonausgegangen werden, daß eine kraß überfordernde Bürgschaft oder [X.] inhaltlich von vornherein nur eine erhebliche Vermö-gensverlagerung zwischen Hauptschuldner und Sicherungsgeber [X.] soll. Die gegenteilige Auffassung verstößt gegen allgemein [X.] und das im Bereich der [X.] geltende Verbot der geltungserhaltenden Reduktion.Dieser Standpunkt wird inzwischen im Grundsatz auch vom [X.]. Zivilsenatdes [X.] geteilt (vgl. Urteil vom 8. Oktober 1998 - [X.] ZR257/97, [X.], 2327, 2329 f.). Soweit dies nicht für Bürgschaftsver-träge aus der [X.] vor dem 1. Januar 1999 gelten soll, weil für die [X.] damals noch nicht hinreichend klar gewesen sei, inwieweit sie- 11 -ihr Interesse an einem möglichst wirksamen Schutz vor Vermögensver-schiebungen über die bloße Hereinnahme der Bürgschaft hinaus [X.] vertragliche Regelungen absichern mußten, ist dem nicht zufolgen. Wie der erkennende Senat in den zitierten Urteilen vom 14. [X.] ([X.] ZR 50/01, aaO und [X.] ZR 81/01, aaO) im einzelnen dargelegthat, war es angesichts des [X.] beider Senate von [X.] ausgeschlossen, daß sich aus dem Blickwinkel eines [X.] Gläubigers ein schützenswertes Vertrauen in den Fortbestandder höchstrichterlichen Rechtsprechung bilden konnte. Etwas anderes istim übrigen auch von der Klägerin in den Tatsacheninstanzen nicht gel-tend gemacht [X.] 12 -II[X.] Berufungsurteil war daher aufzuheben (§ 564 Abs. 1 ZPOa.[X.]). Da weitere Feststellungen nicht zu treffen sind, konnte der Senatin der Sache selbst entscheiden (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO a.[X.]) und [X.] abweisen.[X.]Müller Wassermann Appl

Meta

XI ZR 214/01

11.02.2003

Bundesgerichtshof XI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.02.2003, Az. XI ZR 214/01 (REWIS RS 2003, 4488)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2003, 4488

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