Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 28.01.2015, Az. 2 B 15/14

2. Senat | REWIS RS 2015, 16452

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Gegenstand

Zur Bewertung der Folgen eines regelmäßigen Cannabiskonsums sowie eines regelmäßigen Parallelkonsums von Alkohol und Cannabis


Tenor

Das Urteil des [X.] vom 10. Dezember 2013 wird aufgehoben. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe

1

[X.]ie [X.]eschwerde des [X.]eklagten hat mit der Maßgabe Erfolg, dass die Sache gemäß § 133 Abs. 6 VwGO, § 69 [X.] und § 41 des [X.] - [X.] - an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen ist. [X.]as [X.]erufungsurteil kann auf dem vom [X.]eklagten geltend gemachten Verfahrensmangel der unzureichenden Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts beruhen.

2

1. [X.]er 1964 geborene [X.]eklagte stand bis zu seiner antragsgemäßen Versetzung in den Ruhestand wegen Polizei- und allgemeiner [X.]ienstunfähigkeit zum 1. April 2009 als Polizeihauptmeister im [X.]ienst des [X.]. Seit Ende Februar 2005 war der [X.]eklagte dienstunfähig erkrankt gewesen. Seit dem August 2007 ist ein Grad der [X.]ehinderung von 40 festgestellt. [X.] wurde der [X.]eklagte wegen des Vortäuschens einer Straftat und wegen [X.]etrugs zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt. [X.]er [X.]eklagte hatte im Mai 2003 Anzeige gegen Unbekannt wegen des angeblichen [X.]iebstahls seines Motorrads erstattet. Tatsächlich hatte er das Motorrad zuvor einem [X.]ritten mit der Maßgabe übergeben, dieses auseinanderbauen zu lassen, um die Einzelteile weiterverkaufen zu können. Ferner zeigte der [X.]eklagte den angeblichen [X.]iebstahl seines Motorrads seiner Versicherung an, die ihm die Versicherungssumme von 8 000 € auszahlte. Eine erste im sachgleichen [X.]isziplinarverfahren erhobene [X.] hatte das Oberverwaltungsgericht durch [X.]eschluss mit der [X.]egründung abgewiesen, die Klage sei nicht von der dafür zuständigen Stelle erhoben worden. Auf die zweite [X.] hat das Verwaltungsgericht dem [X.]eklagten das Ruhegehalt aberkannt. [X.]as Oberverwaltungsgericht hat die [X.]erufung des [X.]eklagten zurückgewiesen. Zur [X.]egründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:

3

[X.]er erneuten [X.] stehe die Rechtskraft des [X.]eschlusses, mit dem die erste [X.] abgewiesen worden sei, nicht als Prozesshindernis entgegen. [X.]enn die Abweisung sei ausschließlich auf die Unzulässigkeit der Klage gestützt worden, weil diese nicht von der zuständigen Stelle erhoben worden sei. Vor der Erhebung der [X.] sei die [X.]eteiligung des Personalrats nicht erforderlich gewesen, weil der [X.]eklagte vor Erhebung der Klage in den Ruhestand versetzt worden sei. [X.]ei der Erhebung der Klage gegen [X.] müsse der Personalrat nicht mitwirken. [X.]as außerdienstliche [X.]ienstvergehen des [X.]eklagten sei [X.]. Es erfordere unter [X.]erücksichtigung aller be- und entlastenden Umstände die Aberkennung des Ruhegehalts. [X.]er [X.]eklagte könne sich weder auf den anerkannten Milderungsgrund des Handelns in einer existenzbedrohenden wirtschaftlichen Notlage berufen noch lägen greifbare Anhaltspunkte für die Annahme vor, der [X.]eklagte habe die Pflichtverletzungen in einem Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit begangen.

4

2. [X.]ie Revision ist nicht wegen grundsätzlicher [X.]edeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, § 69 [X.] und § 41 [X.]).

5

Grundsätzliche [X.]edeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine - vom [X.]eschwerdeführer zu bezeichnende - grundsätzliche, bisher höchstrichterlich nicht beantwortete Rechtsfrage aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder einer Weiterentwicklung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf und die für die Entscheidung des [X.] erheblich sein wird (stRspr, u.a. [X.], [X.]eschluss vom 2. Oktober 1961 - 8 [X.] 78.61 - [X.]E 13, 90 <91 f.>). [X.]as ist hier nicht der Fall.

6

a) [X.]ie [X.]eschwerde sieht die rechtsgrundsätzliche [X.]edeutung der Rechtssache zunächst in der Frage, unter welchen allgemeinen [X.]edingungen eine "existentielle, wirtschaftliche Notlage" im Sinne des anerkannten Milderungsgrundes angenommen werden kann. [X.]iese Frage rechtfertigt die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht, weil dieser [X.]egriff in der Rechtsprechung des [X.], soweit möglich, rechtsgrundsätzlich geklärt ist.

7

Nach der ständigen Praxis des [X.] ist der anerkannte Milderungsgrund des Handels in einer unverschuldet entstandenen, ausweglosen wirtschaftlichen Notlage gegeben, wenn es sich um ein zeitlich begrenztes Fehlverhalten des [X.]eamten handelt und dieser die veruntreuten Gelder oder Güter zur Milderung oder Abwendung einer existenzbedrohenden Notlage verwendet hat, d.h. er ohne die pflichtwidrige Verwertung der Gelder oder Güter von den für den Lebensbedarf notwendigen Leistungen abgeschnitten wäre ([X.], Urteile vom 5. Oktober 1994 - 1 [X.] - [X.]E 103, 177 <179>, vom 27. September 2000 - 1 [X.] - juris Rn. 13 und vom 6. Juni 2007 - 1 [X.] 2.06 - Rn. 28 ff.).

8

Eine weitergehende generelle [X.]estimmung des [X.]egriffs der existenziellen, wirtschaftlichen Notlage wäre in einem Revisionsverfahren nicht möglich. Ob das Oberverwaltungsgericht diese Grundsätze auf den konkreten Einzelfall richtig angewendet hat, ist keine Frage von grundsätzlicher [X.]edeutung.

9

b) Als rechtsgrundsätzlich bedeutsam bezeichnet die [X.]eschwerde ferner die Frage, ob das [X.] Personalvertretungsrecht die Mitwirkung der behördlichen Personalvertretung bei der Erhebung der [X.] gegen [X.] vorschreibt. Auch diese Frage vermag die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher [X.]edeutung nicht zu rechtfertigen. Sie ist aufgrund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung ohne [X.]urchführung eines Revisionsverfahrens im Sinne des Urteils des [X.] dahingehend zu beantworten, dass [X.] nicht erfasst sind.

Nach § 90 Nr. 8 des [X.] in der Fassung der [X.]ekanntmachung vom 14. Juli 1974 (- [X.] - GV[X.]l. [X.]) wirkt die Personalvertretung bei der Erhebung der [X.] gegen [X.]eamte mit. Gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 [X.] bestimmen die [X.]eamtengesetze, wer [X.]eamter ist. [X.]ie für die Statusrechte und -pflichten der [X.]eamten des [X.] maßgebliche Vorschrift des § 21 Nr. 4 [X.]eamtStG regelt, dass das [X.]eamtenverhältnis durch Eintritt oder Versetzung in den Ruhestand endet. [X.]araus folgt, dass das [X.], wenn es von [X.]eamten und [X.]eamtenverhältnis spricht, den aktiven [X.]eamten und dessen Rechte und Pflichten und nicht den [X.]n und dessen sich an das aktive [X.]eamtenverhältnis anschließende [X.]nverhältnis meint (Plog/Wiedow, [X.]eamtStG, § 21 Rn. 2 sowie [X.] 2009 § 30 Rn. 7; [X.]/[X.]aden/[X.]/[X.]/[X.], [X.], 8. Aufl. 2013 § 78 Rn. 33). [X.]ass das [X.] Personalvertretungsgesetz die Mitwirkung des Personalrats bei der Erhebung der [X.] gegen einen [X.]eamten nicht auch auf [X.]n erstreckt, folgt auch aus der gesetzlichen Aufgabenstellung der Personalvertretung. Nach § 2 Abs. 1 [X.] arbeiten die [X.] mit den [X.]ienststellen, den [X.]ienstbehörden und den obersten [X.]ienstbehörden zum Wohle der [X.]ienstkräfte und zur Erfüllung der dienstlichen Aufgaben zusammen. [X.] dagegen sind - mangels [X.]ienstleistungspflicht - keine [X.]ienstkräfte mehr, sie wirken auch nicht mehr an der Erfüllung der dienstlichen Aufgaben der [X.]eschäftigungsbehörden mit und sind deshalb vom Anwendungsbereich dieses Gesetzes nicht mehr erfasst.

3. [X.]ie vom [X.]eklagten erhobene Verfahrensrüge ist begründet und führt zur Aufhebung des [X.]erufungsurteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung nach § 133 Abs. 6 VwGO.

a) Allerdings ist die Verfahrensrüge, das Oberverwaltungsgericht habe mit seinem Urteil die Rechtskraft seines die erste [X.] abweisenden [X.]eschlusses missachtet (§ 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 2 [X.] und § 41 [X.]), unbegründet (vgl. [X.], [X.]eschluss vom 30. Juni 2014 - 2 [X.] 99.13 - juris). [X.]enn der [X.]eschluss des [X.] vom 17. April 2012 entfaltet keine [X.] dahingehend, dass er die erneute Erhebung der [X.] und eine Verurteilung des [X.]eklagten im gerichtlichen [X.]isziplinarverfahren ausschließt.

Nach § 59 Abs. 2 [X.] und § 41 [X.] steht der rechtskräftige [X.]eschluss nach § 59 Abs. 1 [X.] einem rechtskräftigen Urteil im Sinne von § 60 Abs. 2 Satz 2 [X.] gleich. Gemäß § 121 Nr. 1 VwGO, § 3 [X.] und § 3 [X.] werden die [X.]eteiligten durch rechtskräftige Urteile gebunden, "soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist". [X.]ie Rechtskraft eines Urteils soll verhindern, dass die aus einem festgestellten Tatbestand hergeleitete Rechtsfolge, über die durch ein Urteil rechtskräftig entschieden worden ist, bei unveränderter Sach- und Rechtslage - mit der Gefahr unterschiedlicher Ergebnisse - erneut zum Gegenstand eines Verfahrens zwischen denselben [X.]eteiligten gemacht wird. [X.]as Gericht ist im [X.] an einer erneuten Sachprüfung gehindert ([X.], Urteile vom 8. [X.]ezember 1992 - 1 [X.] 12.92 - [X.]E 91, 256 <258>, vom 10. Mai 1994 - 9 [X.] 501.93 - [X.]E 96, 24 <26> m.w.N. und vom 25. Oktober 2012 - 2 [X.] 41.11 - NVwZ-RR 2013, 320 Rn. 24; [X.]GH, Urteil vom 17. Februar 1983 - [X.]/81 - NJW 1983, 2032).

[X.]er Inhalt des formell rechtskräftigen Urteils und damit der Umfang der Rechtskraft ist der Entscheidung im Ganzen zu entnehmen. Maßgebend ist in erster Linie die Urteilsformel. Lässt die Urteilsformel den Inhalt der Entscheidung nicht mit Sicherheit erkennen, sind Tatbestand und Entscheidungsgründe, erforderlichenfalls auch das Parteivorbringen ergänzend heranzuziehen (vgl. [X.], Urteile vom 17. [X.]ezember 1963 - 2 [X.] 20.63 - [X.]E 17, 293 <299> und vom 21. September 1984 - 8 [X.] 4.82 - [X.]E 70, 159 <161>; [X.]GH, Urteile vom 27. Februar 1961 - [X.] - [X.]GHZ 34, 337 <339>, vom 3. Juli 1961 - [X.] - [X.]GHZ 35, 338 <340> und vom 17. Februar 1983 - [X.]/81 - NJW 1983, 2032).

[X.]as Oberverwaltungsgericht hat mit seinem rechtskräftigen [X.]eschluss vom 17. April 2012 das Urteil des [X.] geändert und die [X.] abgewiesen. [X.]iese Entscheidung hat das Oberverwaltungsgericht damit begründet, dass die diesem Verfahren zugrunde liegende [X.] nicht von der nach § 34 Abs. 2 Satz 1 [X.] zuständigen Stelle erhoben worden ist. Nach den ergänzend heranzuziehenden Entscheidungsgründen des [X.]eschlusses erstreckt sich dessen [X.] lediglich auf die [X.]. Eine Sachentscheidung über eine [X.]isziplinarmaßnahme, die in materielle Rechtskraft hätte erwachsen und damit zum Verbrauch der [X.]isziplinargewalt des [X.] hätte führen können, hat das Oberverwaltungsgericht nicht getroffen. [X.]ass dieser [X.]eschluss zugleich die entgegenstehende Entscheidung des [X.] geändert hat, macht ihn nicht zu einer Sachentscheidung. [X.]amit steht die Rechtskraft des [X.]eschlusses vom 17. April 2012 der erneuten Erhebung der [X.] nicht entgegen.

b) [X.]emgegenüber ist die weitere Verfahrensrüge des Verstoßes gegen die aus § 86 Abs. 1 VwGO, § 58 Abs. 1 [X.] und § 41 [X.] folgende Pflicht zur Erhebung der erforderlichen [X.]eweise begründet.

Nach diesen Vorschriften obliegt den [X.] die Pflicht, jede mögliche Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts bis zur Grenze der Zumutbarkeit zu versuchen, sofern dies nach ihrem materiellrechtlichen Rechtsstandpunkt für die Entscheidung des Rechtsstreits erforderlich ist (vgl. [X.], Urteile vom 6. Februar 1985 - 8 [X.] 15.84 - [X.]E 71, 38 <41> und vom 6. Oktober 1987 - 9 [X.] 12.87 - [X.]uchholz 310 § 98 VwGO Nr. 31 S. 1).

[X.]estehen tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass die Fähigkeit des [X.]eamten, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, wegen einer seelischen Störung im Sinne von § 20 StG[X.] erheblich gemindert war, so darf das Verwaltungsgericht diesen Aspekt nicht ohne Sachaufklärung zu Gunsten des [X.]eamten unterstellen, ihm aber bei der [X.]estimmung der [X.]isziplinarmaßnahme kein Gewicht beimessen. Vielmehr muss es die Frage einer Minderung der Schuldfähigkeit des [X.]eamten aufklären.

Hat der [X.]eamte zum Tatzeitpunkt an einer krankhaften seelischen Störung im Sinne von § 20 StG[X.] gelitten oder kann eine solche Störung nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" nicht ausgeschlossen werden und ist die Verminderung der Schuldfähigkeit des [X.]eamten erheblich, so ist dieser Umstand bei der [X.]ewertung der Schwere des [X.]ienstvergehens mit dem ihm zukommenden erheblichen Gewicht heranzuziehen. [X.]ei einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit kann die [X.] regelmäßig nicht mehr ausgesprochen werden ([X.], Urteil vom 25. März 2010 - 2 [X.] 83.08 - [X.]E 136, 173 Rn. 29 ff.; [X.]eschluss vom 20. Oktober 2011 - 2 [X.] 61.10 - juris Rn. 9).

[X.]aran gemessen muss geklärt werden, ob der [X.]eamte im Tatzeitraum an einer seelischen Störung im Sinne von § 20 StG[X.] gelitten hat, die seine Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, vermindert hat. Hierfür bedarf es in der Regel besonderer medizinischer Sachkunde. Erst wenn die seelische Störung und ihr Schweregrad feststehen oder nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" nicht ausgeschlossen werden können, kann beurteilt werden, ob die Voraussetzung für eine erheblich geminderte Schuldfähigkeit vorliegen. [X.]enn von den Auswirkungen der krankhaften seelischen Störung auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit in [X.]ezug auf das Verhalten des [X.]eamten hängt im [X.]isziplinarrecht die [X.]eurteilung der Erheblichkeit einer verminderten Schuldfähigkeit im Sinne von § 21 StG[X.] ab. [X.]ie Frage, ob die Verminderung der Steuerungsfähigkeit aufgrund einer krankhaften seelischen Störung "erheblich" war, ist eine Rechtsfrage, die die Verwaltungsgerichte in eigener Verantwortung zu beantworten haben. Hierzu bedarf es einer Gesamtschau der Persönlichkeitsstruktur des [X.]etroffenen, seines Erscheinungsbildes vor, während und nach der Tat und der [X.]erücksichtigung der Tatumstände, insbesondere der Vorgehensweise (stRspr, vgl. [X.], Urteil vom 29. Mai 2008 - 2 [X.] 59.07 - juris Rn. 30).

Aufgrund des Vorbringens des [X.]eklagten auch im [X.]erufungsverfahren bestand hinreichender Anlass, der entscheidungserheblichen Frage der erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit des [X.]eklagten zum Tatzeitpunkt (Mai 2003) nachzugehen. Auch hat der [X.]eklagte in der [X.]erufungsverhandlung für den Fall, dass sein Antrag auf Änderung des Urteils des [X.] und Abweisung der Klage erfolglos bleibt, beantragt, ein Gutachten eines forensischen Psychiaters zum [X.]eweis der Tatsache einzuholen, dass er sich im [X.]punkt der Tat aufgrund starken Alkohol- und [X.]rogenkonsums im Verbund mit einer [X.]epression in einem Zustand zumindest erheblich verminderter Schuldfähigkeit befand.

Ob das Oberverwaltungsgericht den erwähnten [X.] verfahrensfehlerfrei mit der [X.]egründung hätte ablehnen können, dass es sich - jedenfalls bei den erstmals in der mündlichen Verhandlung vom [X.]eklagten behaupteten [X.]annabis-[X.] (vgl. Sitzungsprotokoll S. 5) - um gesteigertes, daher unglaubhaftes Vorbringen handelte und deshalb keine hinreichenden Anhaltspunkte für den behaupteten [X.] vorlagen, kann dahinstehen. [X.]iesen Weg ist das Oberverwaltungsgericht nicht gegangen. Es hat vielmehr seiner rechtlichen Würdigung die Angaben des [X.]eklagten zu dem von ihm behaupteten Alkohol- und [X.]etäubungsmittelkonsum zugrunde gelegt ([X.] ff.). Nach diesen tatsächlichen Annahmen des [X.] hat der [X.]eklagte während eines [X.]raums von sechs Monaten vor dem Tatzeitpunkt regelmäßig täglich [X.]ier und Kräuterlikör sowie [X.]annabis konsumiert. Hierzu hat das Oberverwaltungsgericht ausgeführt, es sei auszuschließen, dass der damit vom [X.]eklagten beschriebene Missbrauch in Gestalt des Alkohol- und [X.]etäubungsmittelkonsums während dieser vergleichsweise kurzen [X.]spanne eine schwere psychische Persönlichkeitsveränderung nach sich gezogen haben könnte. Für eine solche [X.]ewertung der Folgen eines regelmäßigen [X.]annabiskonsums sowie eines regelmäßigen Parallelkonsums von Alkohol und [X.]annabis bedarf es medizinischer Sachkunde, über die ein Gericht nicht verfügt. [X.]ementsprechend muss das Gericht zur [X.]ewertung der Auswirkungen in aller Regel sachverständige Hilfe in Anspruch nehmen. [X.] das Gericht, die erforderliche medizinische Sachkunde ausnahmsweise selbst zu besitzen und auf sachverständige Hilfestellung verzichten zu können, muss es dies darlegen (stRspr, vgl. etwa [X.], [X.]eschlüsse vom 21. Februar 2014 - 2 [X.] 24.12 - IÖ[X.] 2014, 100 Rn. 10 und vom 26. Mai 2014 - 2 [X.] 69.12 - NJW 2014, 2971 Rn. 10 m.w.N.). [X.]em [X.]erufungsurteil ist aber nicht zu entnehmen, woraus sich dieser vom Oberverwaltungsgericht für sich in Anspruch genommene Sachverstand - ausnahmsweise - ergibt. Auch hat das Oberverwaltungsgericht nicht ermittelt, welche Mengen Alkohol und [X.]annabis der [X.]eklagte, der in der [X.] vom 25. April bis zum 26. Mai 2003 dienstunfähig erkrankt war, täglich konsumiert hat. Es hat sich ferner nicht mit der [X.] auseinandergesetzt, dass der kombinierte [X.] von [X.]annabis und Alkohol zu einer Potenzierung der Wirkungen beider Stoffe führt und deshalb psychotische Störungen oder [X.]eeinträchtigungen des Herz-Kreislauf-Systems zur Folge haben kann ([X.], Urteil vom 12. März 2012 - 11 [X.] 10.955 - SVR 2012, 396 Rn. 54 m.w.N. und [X.], [X.]eschluss vom 19. August 2013 - 10 [X.]/13 - NJW 2014, 410 Rn. 6 m.w.N.).

Ferner ergibt sich aus den Feststellungen des [X.], dass dem Attest des den [X.]eklagten im Tatzeitraum behandelnden Facharztes Hinweise darauf zu entnehmen sind, dass der [X.]eklagte bereits im April 2003 an einem [X.]urnout-Syndrom gelitten habe, welches durch eine deutlich depressive Stimmung dominiert gewesen sei. Auch dieser [X.]iagnose hat das Oberverwaltungsgericht jegliche [X.]edeutung für die forensische [X.]ewertung des psychischen Zustands des [X.]eklagten im Mai 2003 abgesprochen, ohne seine für eine solche [X.]ewertung erforderliche medizinische Sachkunde darzulegen.

Soweit das Oberverwaltungsgericht hinsichtlich der Frage einer schweren psychischen Persönlichkeitsveränderung auf die dienstliche [X.]eurteilung des [X.]eklagten vom 10. September 2003 abgestellt hat, nach der beim [X.]eklagten keinerlei Einschränkungen bei der [X.]ienstausübung festzustellen seien, ist zu beachten, dass der [X.]eklagte zum Tatzeitpunkt Ende Mai 2003 bereits seit einem Monat dienstunfähig erkrankt war. [X.]amit können aus der unauffälligen [X.]ienstausübung des [X.]eklagten nur eingeschränkt Rückschlüsse auf seinen gesundheitlichen Zustand zum [X.]punkt der Taten gezogen werden.

Meta

2 B 15/14

28.01.2015

Bundesverwaltungsgericht 2. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 10. Dezember 2013, Az: OVG 80 D 4.13, Urteil

§ 98 VwGO, § 402 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 28.01.2015, Az. 2 B 15/14 (REWIS RS 2015, 16452)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 16452

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38 K 1330/22

NotSt (Brfg) 1/18

M 13 DK 14.5352

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