Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 25.03.2010, Az. 2 C 83/08

2. Senat | REWIS RS 2010, 8030

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Gegenstand

Bemessung der Disziplinarmaßnahme; Dienstvergehen des außerdienstlichen sexuellen Missbrauchs eines Kindes


Leitsatz

1. Gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG haben die Verwaltungsgerichte die Disziplinarmaßnahme aufgrund einer prognostischen Gesamtwürdigung aller im Einzelfall bedeutsamen be- und entlastenden Gesichtspunkte zu bestimmen (vgl. Urteil vom 20. Oktober 2005 - BVerwG 2 C 12.04 - BVerwGE 124, 252 <258 ff.>). Bei erheblich verminderter Schuldfähigkeit im Sinne von §§ 20, 21 StGB kommt die Höchstmaßnahme grundsätzlich nicht mehr in Betracht.

2. Die Schwere des Dienstvergehens gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 BDG ist richtungweisend für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Sie indiziert bei einem außerdienstlichen sexuellen Missbrauch eines Kindes gemäß § 176 Abs. 1 StGB, der mit einer Freiheitsstrafe geahndet wurde, die Höchstmaßnahme, wenn es in der Gesamtheit an hinreichend gewichtigen entlastenden Gesichtspunkten fehlt.

Tatbestand

1

Der 1955 geborene Beklagte war als Justizvollzugsobersekretär zuletzt in der [X.] [X.] tätig. Er befindet sich seit dem 1. November 2004 aufgrund einer psychischen Erkrankung wegen dauernder Dienstunfähigkeit im vorzeitigen Ruhestand. Nach dem Ergebnis der amtsärztlichen Untersuchung war der Beklagte durch diese Erkrankung im Jahre 2002 gesundheitlich nicht in der Lage, die Folgen seines unentschuldigten Fehlens im Dienst objektiv zu beurteilen.

2

Der Beklagte war von Mai 1998 bis Oktober 2001 in zweiter Ehe mit einer aus [X.] stammenden Frau verheiratet, die einen 1986 geborenen [X.] und eine 1991 geborene Tochter mit in die Ehe brachte. Während der Ehe litt er unter Alkoholabhängigkeit. Mit rechtskräftigem Strafurteil des [X.] vom 23. Juli 2003 wurde er wegen sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch eines Kindes (§§ 174, 176 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts rief der Beklagte an einem Abend zwischen Juni und August 1998 seine sechs Jahre alte Stieftochter zu sich auf den Balkon, wo er mit herabgelassener Hose und sichtbar erigiertem Penis saß. Er veranlasste sie, sich zu ihm zu setzen. Dann zog er ihr die Hose und Unterhose herunter und hob ihr T-Shirt an, streichelte und küsste sie am Bauch und an den Innenseiten der Oberschenkel und manipulierte mit seiner Hand an ihrer Scheide. Er ergriff eine Hand des Kindes und führte sie in Richtung seines Penis.

3

Wegen dieser Straftat hat das Berufungsgericht im Disziplinarklageverfahren auf die Berufung des Beklagten die Aberkennung des Ruhegehalts durch das Verwaltungsgericht bestätigt. Es hat sich an die tatsächlichen Feststellungen im Strafurteil gebunden gesehen, die auch die Feststellung schuldhaften Handelns umfassten. Der sexuelle Missbrauch stelle ein gravierendes Dienstvergehen dar. Der Beklagte habe während seiner [X.] im aktiven Dienst das Ansehen des Berufsbeamtentums nachhaltig beschädigt, was die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis notwendig mache. Dem entspreche nach der Versetzung in den Ruhestand die Aberkennung des Ruhegehalts. Das strafbare Fehlverhalten sei von einer Reihe erschwerender Umstände gekennzeichnet. Das Eigengewicht der Tat sei erheblich und bewege sich nicht am unteren Rand denkbarer Missbrauchsfälle. Die Tat sei durch eine erhebliche Intensität der intimen Berührungen gekennzeichnet. Seine im gemeinsamen Haushalt lebende Stieftochter sei zum [X.]punkt des Übergriffs erst sechs Jahre alt und dem sexuellen Übergriff schutzlos ausgeliefert gewesen. [X.] Folgewirkungen für das Kind seien nicht ausgeschlossen. Da die strafrechtliche Bedeutung das disziplinarische Gewicht des Fehlverhaltens maßgebend bestimme, zeige schließlich auch das Strafmaß die Schwere des Dienstvergehens.

4

Durchgreifende Entlastungsgründe lägen nicht vor. Insbesondere handele es sich nicht um eine persönlichkeitsfremde Augenblickstat in einer besonderen Versuchungssituation. Zwar sei zu Gunsten des Beklagten davon auszugehen, dass er bei der Tatbegehung vermindert schuldfähig gewesen sei. Dies wirke sich aber nicht mildernd aus, weil der Beklagte selbstverständliche Grundpflichten des Beamtenverhältnisses verletzt habe.

5

Hiergegen wendet sich der Beklagte mit der Revision, mit der er beantragt,

die Urteile des [X.] vom 27. Juni 2006 und des [X.] vom 15. Mai 2007 aufzuheben und dem Beamten das Ruhegehalt zu kürzen.

6

Der Kläger verteidigt das angegriffene Berufungsurteil und beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

7

Der Vertreter des [X.] verteidigt ebenfalls das angegriffene Berufungsurteil.

Entscheidungsgründe

8

[X.]ie Revision des [X.] ist begründet. [X.]as Berufungsurteil verletzt [X.] (§ 49 Abs. 1 Satz 1, § 41 des [X.] ([X.]) i.[X.]. §§ 69, 70 [X.]). [X.]as Berufungsgericht hat die vom Verwaltungsgericht ausgesprochene Aberkennung des Ruhegehalts aufgrund einer Bemessungsentscheidung bestätigt, die gegen die gesetzlichen Vorgaben gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4, Abs. 2 Satz 1 [X.] verstößt. [X.]a die Tatsachenfeststellungen des Berufungsurteils nicht ausreichen, um dem Senat eine abschließende Entscheidung über die [X.] zu ermöglichen, ist das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO, § 41 [X.] i.[X.]. § 70 Abs. 2 [X.]).

9

[X.]ie Verwaltungsgerichte erkennen aufgrund einer eigenen Bemessungsentscheidung gemäß § 13 Abs. 1 und 2 [X.] (entspricht § 13 [X.]) auf die erforderliche [X.]isziplinarmaßnahme, wenn sie nach umfassender Sachaufklärung (§ 41 [X.] i.[X.]. § 58 [X.], § 86 Abs. 1 und 2 VwGO) zu der Überzeugung gelangen, dass der Beamte die ihm in der [X.]schrift zur Last gelegten dienstpflichtwidrigen Handlungen begangen hat, und dem Ausspruch der [X.]isziplinarmaßnahme kein rechtliches Hindernis entgegensteht (§ 41 [X.] i.[X.]. § 60 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 [X.], § 5 [X.]). Sie sind dabei an die tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Wertungen des klagenden [X.]ienstherrn nicht gebunden (Urteil vom 3. Mai 2007 - BVerwG 2 [X.] 9.06 - [X.] 235.1 § 13 [X.] Nr. 3 Rn. 11 und Beschluss vom 14. Juni 2005 - BVerwG 2 B 108.04 - [X.] 235.1 § 58 [X.] Nr. 1 S. 2).

Welche [X.]isziplinarmaßnahme im Einzelfall erforderlich ist, richtet sich gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 [X.] nach der Schwere des [X.]ienstvergehens unter angemessener Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten und des Umfangs der durch das [X.]ienstvergehen herbeigeführten Vertrauensbeeinträchtigung.

[X.]en Bedeutungsgehalt dieser gesetzlichen Begriffe hat der Senat für die wortgleiche Vorschrift des § 13 [X.] in den Urteilen vom 20. Oktober 2005 - BVerwG 2 [X.] 12.04 - (BVerwGE 124, 252 <258 ff.> = [X.] 235.1 § 13 [X.] Nr. 1) und vom 3. Mai 2007 - BVerwG 2 [X.] 9.06 - (a.a.[X.]; seitdem stRspr) näher bestimmt. [X.]anach ist [X.] für die Bestimmung der [X.]isziplinarmaßnahme gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 [X.] die Schwere des [X.]ienstvergehens. Sie beurteilt sich zum einen nach Eigenart und Bedeutung der verletzten [X.]ienstpflichten, [X.]auer und Häufigkeit der Pflichtenverstöße und den Umständen der Tatbegehung (objektive Handlungsmerkmale), zum anderen nach Form und Gewicht des Verschuldens und den Beweggründen des Beamten für sein pflichtwidriges Verhalten (subjektive Handlungsmerkmale) sowie nach den unmittelbaren Folgen der Pflichtenverstöße für den dienstlichen Bereich und für [X.]ritte, insbesondere nach der Höhe des entstandenen Schadens. [X.]as [X.] "Umfang der Beeinträchtigung des Vertrauens des [X.]ienstherrn oder der Allgemeinheit" gemäß § 13 Abs. 1 Satz 4 [X.] erfordert eine Würdigung des Fehlverhaltens des Beamten im Hinblick auf seinen allgemeinen Status, seinen Tätigkeitsbereich innerhalb der Verwaltung und seine konkret ausgeübte Funktion.

Aus § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 [X.] folgt die Verpflichtung der Verwaltungsgerichte, über die erforderliche [X.]isziplinarmaßnahme aufgrund einer prognostischen Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung aller im Einzelfall belastenden und entlastenden Gesichtspunkte zu entscheiden. Gegenstand der disziplinarrechtlichen Bewertung ist die Frage, welche [X.]isziplinarmaßnahme in Ansehung der Persönlichkeit des Beamten geboten ist, um die Funktionsfähigkeit des öffentlichen [X.]ienstes und die Integrität des [X.]s zu gewährleisten (Urteil vom 3. Mai 2007 a.a.[X.] Rn. 16).

1. [X.]as rechtskräftig festgestellte außerdienstliche Sexualdelikt des [X.] gegen ein Kind ist in besonderem Maße geeignet, Achtung und Vertrauen der Allgemeinheit gegenüber dem Beamten in einer für sein Amt und das Ansehen des öffentlichen [X.]ienstes bedeutsamen Weise gravierend zu beeinträchtigen (zu a). [X.]er sexuelle Missbrauch eines Kindes ist aufgrund der Schwere des Fehlverhaltens und der damit verbundenen Ansehensschädigung auch dann geeignet, die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis bzw. die Aberkennung des Ruhegehalts zu rechtfertigen, wenn die Tat keinen dienstlichen Bezug aufweist (zu b). [X.]ies entbindet die Gerichte nicht von einer Prüfung der sonstigen relevanten subjektiven und objektiven Handlungsmerkmale im Sinne des § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 [X.] (zu c und 2.).

a) Auch strafbares außerdienstliches Verhalten stellt nur dann ein disziplinarrechtlich relevantes Fehlverhalten dar, wenn die besonderen qualifizierenden Voraussetzungen des § 40 Abs. 1 Satz 2 LBG a.F. (seit 1. April 2009 § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG) erfüllt sind, d.h. es nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet ist, Achtung und Vertrauen in einer für das Amt des Beamten oder das Ansehen des [X.] bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen.

Für die entsprechenden bundesrechtlichen Vorschriften in § 54 Satz 3 [X.] a.F. und § 77 Abs. 1 Satz 2 [X.] hat der [X.]isziplinarsenat (Urteil vom 30. August 2000 - BVerwG 1 [X.] 37.99 - BVerwGE 112, 19 <23 ff.> = [X.] 232 § 54 Satz 3 [X.] Nr. 23) hervorgehoben, dass der Gesetzgeber mit der Einführung des § 77 Abs. 1 Satz 2 [X.] dem Wandel der gesellschaftlichen Anschauungen über die Stellung der Beamten Rechnung tragen wollte. [X.]iese werden nicht mehr als Vorbild in allen Lebenslagen angesehen, die besonderen Anforderungen an Moral und Anstand unterliegen. [X.]aher ist ein außerdienstliches Fehlverhalten nur dann disziplinarisch bedeutsam, wenn es die Achtung und das Vertrauen beeinträchtigt, die der Beruf des Beamten erfordern. [X.]ie Beeinträchtigung muss sich auf das konkrete Amt des Beamten beziehen oder das Ansehen des [X.] nachhaltig beschädigen.

In Reaktion auf diese Rechtsprechung erwähnt § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG den Ansehensverlust nicht mehr. Insoweit wird in der Gesetzesbegründung hervorgehoben, dass die vorkonstitutionelle Auffassung, Beamte seien "immer im [X.]ienst", in dieser Allgemeinheit nicht mehr gelte. Es gehe allein um das Vertrauen in eine objektive, rechtmäßige und effiziente Aufgabenerfüllung (vgl. BT[X.]rucks 16/4027). Eine Rechtsänderung ergibt sich hieraus nicht. [X.]ie Wahrung des "Ansehens des [X.]" dient allein der Erhaltung eines allgemeinen Vertrauens in eine rechtsstaatliche Verwaltung. [X.]as [X.] soll eine stabile gesetzestreue Verwaltung sichern, die freiheitlich-demokratische Rechtsordnung verteidigen und durch Unabhängigkeit und Unparteilichkeit einen ausgleichenden Faktor gegenüber den das Staatsleben gestaltenden politischen Kräften darstellen. [X.]as Vertrauen, dass er diesem Auftrag gerecht wird und dessen er zur Erfüllung seiner Aufgabe bedarf, darf der Beamte durch sein Verhalten nicht beeinträchtigen (Urteil vom 30. August 2000 a.a.[X.] m.w.N.).

[X.]er mit der Gesetzesänderung nachvollzogene Wertungswandel bei der Beurteilung außerdienstlichen Verhaltens als [X.]ienstvergehen ist zu berücksichtigen, entsprach aber bereits zum Tatzeitpunkt der Auslegung der seinerzeit geltenden § 20 Satz 3 und § 40 Abs. 1 Satz 2 LBG a.F. durch das [X.]. Für die Frage, ob der Beamte im angeschuldigten Tatzeitraum seine [X.]ienstpflichten schuldhaft verletzt hat, ist daher weiterhin die damalige Sach- und Rechtslage maßgebend, weil es auch im Hinblick auf den Rechtsgedanken des § 2 Abs. 3 StGB kein für den [X.] materiellrechtlich günstigeres neues Recht gibt (vgl. dazu zuletzt: Urteil vom 25. August 2009 - BVerwG 1 [X.] 1.08 - [X.] 232.0 § 77 [X.] 2009 Nr. 1, m.w.N.).

Vorsätzlich begangene schwerwiegende Straftaten, die mit einer Freiheitsstrafe geahndet worden sind, führen allerdings auch ohne Bezug auf das konkrete Amt in der Regel zu einer Ansehensschädigung wie die gesetzgeberische Wertung in § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtStG (bzw. § 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.], vormals § 48 Satz 1 Nr. 1 [X.] a.F. bzw. § 83 Satz 1 Nr. 1 LBG a.F.) zeigt (Urteil vom 30. August 2000 a.a.[X.]). Um eine solche schwerwiegende Straftat handelt es sich bei einem vorsätzlich begangenen außerdienstlichen Sexualdelikt gegen ein Kind im Sinne des § 176 Abs. 1 StGB, das mit einer Freiheitsstrafe geahndet worden ist. Eine solche Straftat ist - unabhängig vom konkreten Amt, das der Beamte innehat - geeignet, das Ansehen des [X.]s derart schwerwiegend zu beeinträchtigen, dass als Richtschnur für die Maßnahmebemessung die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis bzw. die Aberkennung des Ruhegehalts zugrunde gelegt werden kann.

b) [X.]as folgt aus der in hohem Maße schädlichen Wirkung eines sexuellen Missbrauchs für die Persönlichkeit des Kindes (Art. 2 Abs. 1 GG) verbunden mit einer schweren Verletzung seiner Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), die auch in dem hohen Strafrahmen des § 176 Abs. 1 StGB zum Ausdruck kommt. [X.]er strafbare sexuelle Missbrauch eines Kindes ist in hohem Maße persönlichkeitsschädigend, weil er in den Reifeprozess eines jungen Menschen eingreift und nachhaltig die Entwicklung seiner Gesamtpersönlichkeit gefährdet. Ein Kind oder Jugendlicher kann wegen seiner fehlenden bzw. noch nicht hinreichenden Reife das Erlebte intellektuell und gefühlsmäßig in der Regel gar nicht oder nur sehr schwer verarbeiten. Zugleich benutzt der Täter sein kindliches Opfer als Mittel zur Befriedigung seines [X.]. In dieser Herabminderung zum bloßen Objekt seines eigenen Sexualverhaltens liegt eine grobe Missachtung der Menschenwürde und der Persönlichkeitsrechte des betroffenen Kindes. Sexualdelikte gegen Kinder unterliegen mittlerweile durchgängig einer starken gesellschaftlichen Ächtung. [X.]er Gesetzgeber hat in Reaktion hierauf Kinder unter 14 Jahren unter einen uneingeschränkten strafrechtlichen Schutz gestellt. [X.]ie Tatbestände des sexuellen Missbrauchs von Kindern (§§ 176, 176a, 176b, ebenso § 184b, vgl. auch § 5 Nr. 8b StGB) bezwecken, die Entwicklung des Kindes vor vorzeitigen sexuellen Erlebnissen zu schützen. [X.]eshalb führt auch der außerhalb des [X.]ienstes begangene sexuelle Missbrauch eines Kindes durch einen Beamten in der Vorstellungswelt eines vorurteilsfrei wertenden Betrachters zu einer erheblichen Ansehensbeeinträchtigung des Beamten, wenn nicht zu völligem Ansehensverlust, also zu einem Verlust des Vertrauens der Allgemeinheit in die Integrität des [X.]. Insbesondere in einem freiheitlich- [X.] Rechtsstaat ist das Vertrauen der Allgemeinheit in die Integrität der Beamtenschaft für den geordneten Ablauf der öffentlichen Verwaltung unabdingbar. [X.]ieses Vertrauen wird auch durch das persönliche Ansehen eines jeden Beamten bestimmt (vgl. zuletzt Urteil vom 24. Februar 1999 - BVerwG 1 [X.] 72.97 - juris, m.w.N.).

c) [X.]ies entbindet die Gerichte jedoch nicht davon, die Umstände des Einzelfalls ausreichend zu würdigen. Für die Zumessungsentscheidung müssen die in § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 [X.] genannten Bemessungskriterien mit dem ihnen zukommenden Gewicht ermittelt und eingestellt werden. [X.]ieses Erfordernis beruht auf dem im [X.]isziplinarverfahren geltenden [X.] und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (stRspr, vgl. zuletzt [X.], Beschluss vom 18. Januar 2008 - 2 BvR 313/07 - NVwZ 2008, 669 f., m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 3. Mai 2007 - BVerwG 2 [X.] 9.06 - [X.] 235.1 § 13 [X.] Nr. 3 Rn. 30). [X.]anach muss die gegen den Beamten ausgesprochene [X.]isziplinarmaßnahme unter Berücksichtigung aller belastenden und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des [X.]ienstvergehens stehen, die maßgebend auch vom Verschulden des Beamten abhängt. Insbesondere entfällt die Indizwirkung dann, wenn sich im Einzelfall aufgrund des Persönlichkeitsbildes des Beamten Entlastungsgründe von solchem Gewicht ergeben, dass die prognostische Gesamtwürdigung den Schluss rechtfertigt, der Beamte habe das Vertrauensverhältnis noch nicht vollends zerstört (dazu sogleich zu 2.).

Ungeachtet der Schwere des mit einer Freiheitsstrafe geahndeten sexuellen Missbrauchs eines Kindes im Sinne des § 176 Abs. 1 StGB können über das Eigengewicht der Tat hinaus weitere erschwerende Umstände hinzutreten. [X.]arauf kommt es an, wenn dem Beamten nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" mildernde Umstände von erheblichem Gewicht zugute kommen.

Hier kann sich der Umstand, dass in Tateinheit mit dem Kindesmissbrauch der Missbrauch einer Schutzbefohlenen (§ 174 StGB) verwirklicht wurde, neben dem Eigengewicht der Tat nicht zusätzlich erschwerend auswirken. Etwas anderes könnte dann gelten, wenn dem Beamten - etwa einem Lehrer - dienstlich Kinder anvertraut sind, da dann dem außerdienstlichen Fehlverhalten zugleich eine Indizwirkung für die Erfüllung der [X.]ienstpflichten zukommt.

Irrelevant sind auch die weiteren vom Berufungsgericht hervorgehobenen Umstände, dass das Tatgeschehen durch eine erhebliche Intensität der intimen Berührungen gekennzeichnet sei, es sich um ein erst sechs Jahre altes Kind gehandelt habe und eine hohe Freiheitsstrafe ausgesprochen worden sei. [X.]iese Umstände begründen die Schwere des [X.]ienstvergehens und fallen deshalb nicht zusätzlich ins Gewicht.

Bemessungsrelevant sind dagegen solche Umstände, die auch nach der Wertung im Strafrecht zu berücksichtigen sind - etwa die Intensität und Häufigkeit der sexuellen Beziehungen und die Folgen für das Kind - wie dies durch die § 176 Abs. 3, § 176a und § 176b StGB zum Ausdruck kommt. Weniger schwerwiegend sind etwa die in § 176 Abs. 4 und 5 StGB beschriebenen Straftaten.

[X.]ie Ausführungen des Berufungsgerichts zu den negativen Folgewirkungen für das Kind verletzen § 13 Abs. 1 [X.] in mehrfacher Hinsicht:

Negative Folgewirkungen für das Kind sind disziplinarisch nur dann - im Gleichklang mit dem Strafrecht - als erschwerend anzusehen, wenn das Kind durch die Tat in die Gefahr einer erheblichen Schädigung der seelischen oder körperlichen Entwicklung des Kindes gebracht wird (vgl. § 176a Abs. 2 Nr. 3 StGB). [X.]iese strafschärfende Qualifikation hat das Amtsgericht jedoch nicht festgestellt. Unabhängig davon genügt es nicht, wenn negative Folgewirkungen lediglich nicht ausgeschlossen werden können. Zum einen ist die Gefahr einer seelischen Schädigung mit einem sexuellen Missbrauch immer verbunden, lässt sich also nie ausschließen. Gerade deshalb sind die Tatbestände des sexuellen Missbrauchs von Kindern als abstrakte Gefährdungsdelikte ausgestaltet. Zum anderen führt die Wendung, negative Folgewirkungen für das Kind seien nicht ausgeschlossen, in einen Konflikt mit dem auch im [X.]isziplinarrecht geltenden Grundsatz "in dubio pro reo". Eine Gefahr setzt voraus, dass hinreichende und konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sich diese verwirklichen wird. Worin diese bestehen, muss aufgezeigt werden.

Hinzu kommt Folgendes: [X.]em Strafurteil lässt sich zu Folgewirkungen für das Kind nichts entnehmen, so dass das Berufungsgericht hierzu den Sachverhalt hätte selbst aufklären und die erforderlichen Beweise erheben müssen (§ 41 [X.] i.[X.]. § 58 Abs. 1 [X.], § 65 Abs. 1 Satz 1 [X.], § 3 [X.] i.[X.]. § 86 Abs. 1, § 108 Abs. 2 VwGO, vgl. Beschluss vom 29. Mai 2009 - BVerwG 2 [X.] - [X.] 235.1 § 58 [X.] Nr. 5). [X.]as Berufungsgericht stellt in diesem Zusammenhang auf die polizeiliche Vernehmung des Kindes ab. [X.]er erkennende Senat vermag dieser Vernehmung nichts dergleichen zu entnehmen. Eine besondere eigene Sachkunde hat das Berufungsgericht nicht geltend gemacht. [X.]ie von ihm in diesem Zusammenhang herangezogenen Stellungnahmen der behandelnden Pädagogin und der Soziologin (nicht: Psychotherapeutin) lassen nicht erkennen, dass der sexuelle Missbrauch als Hauptursache für die Leistungs- und Verhaltensprobleme des Kindes anzusehen ist. [X.]ie Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutin des Jugendamtes hat ausgeführt, dass das Kind während der Therapiestunden nicht über einen sexuellen Missbrauch gesprochen habe und auch keine Hinweise in seinem Verhalten vorlägen, die eindeutig auf sexuellen Missbrauch zurückzuführen seien. Auch angesichts dessen hätte das Berufungsgericht, wollte es diesem Umstand maßgebende Bedeutung beimessen, hierzu den Sachverhalt weiter aufklären müssen.

2. [X.]as Berufungsgericht hat es rechtsfehlerhaft unterlassen, die Frage einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit des [X.] bei der Tat im Sinne des § 21 StGB aufzuklären und entsprechend ihrer rechtlichen Bedeutung bei der Würdigung der subjektiven Handlungsmerkmale und des Persönlichkeitsbildes des [X.] zu berücksichtigen.

a) [X.]as Berufungsgericht ist zu Gunsten des [X.] davon ausgegangen, dass seine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit im Zeitpunkt des sexuellen Übergriffs im Sinne des § 21 StGB vermindert war ([X.] 14u), verneint aber gleichwohl die Relevanz, also die Erheblichkeit dieser Annahme, weil der [X.] die leicht einsehbare Pflicht verletzt habe, die sexuelle Integrität [X.]ritter, insbesondere von Kindern nicht zu verletzen. [X.]ies verstößt nicht nur gegen die [X.] nach § 13 Abs. 1 Satz 1 bis 4 [X.], sondern auch gegen das verfassungsrechtlich fundierte [X.] (vgl. Urteil vom 3. Mai 2007 a.a.[X.] Rn. 30). Erheblich verminderte Schuldfähigkeit gemäß §§ 20, 21 StGB setzt voraus, dass die Fähigkeit, das Unrecht einer Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, wegen einer Störung im Sinne von § 20 StGB bei Tatbegehung erheblich eingeschränkt war. Für die Steuerungsfähigkeit kommt es darauf an, ob das Hemmungsvermögen so stark herabgesetzt war, dass der Betroffene den [X.] erheblich weniger Widerstand als gewöhnlich entgegenzusetzen vermochte (vgl. Urteile vom 3. Mai 2007 a.a.[X.] Rn. 31 und vom 29. Mai 2008 - BVerwG 2 [X.] 59.07 - [X.] 235.1 § 70 [X.] Nr. 3 m.w.N.; stRspr). [X.]ie daran anknüpfende Frage, ob die Verminderung der Steuerungsfähigkeit aufgrund der krankhaften seelischen Störung erheblich im Sinne des § 21 StGB war, ist eine Rechtsfrage, die die Verwaltungsgerichte in eigener Verantwortung zu beantworten haben. Hierzu bedarf es einer Gesamtschau der Persönlichkeitsstruktur des Betroffenen, seines Erscheinungsbildes vor, während und nach der Tat und der Berücksichtigung der Tatumstände (Urteil vom 3. Mai 2007 a.a.[X.] Rn. 33).

Für die Annahme einer erheblichen Minderung der Schuldfähigkeit sind schwerwiegende Gesichtspunkte heranzuziehen wie etwa [X.], [X.], Triebstörungen, leichtere Formen des Schwachsinns, altersbedingte Persönlichkeitsveränderungen, Affektzustände sowie Folgeerscheinungen einer Abhängigkeit von Alkohol, [X.]rogen oder Medikamenten. Alkoholabhängigkeit kommt, auch wenn sie pathologischer Natur ist, hinsichtlich des Schweregrades einer krankhaften seelischen Störung im Sinne von § 20 StGB nur gleich, wenn sie entweder zu schwerwiegenden psychischen Persönlichkeitsveränderungen geführt hat oder der Betroffene die Tat im akuten Rausch begangen hat. Nur unter diesen Voraussetzungen kann eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit im Sinne von §§ 20, 21 StGB in Betracht kommen.

[X.]as Berufungsgericht durfte daher die Frage, aufgrund welcher Tatsachen die Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB ernsthaft in Betracht kommen ("in dubio pro reo") nicht offen lassen oder zugunsten des [X.] ohne tatsächliche Grundlagen eine erhebliche Minderung unterstellen. Vielmehr musste es selbst die hierfür erforderlichen Umstände aufklären. [X.]ie Frage, ob der Beamte im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit im Sinne von §§ 20, 21 StGB gehandelt hat, darf nicht quasi schematisch als unbeachtlich behandelt werden (stRspr, Urteile vom 29. Mai 2008 a.a.[X.], vom 3. Mai 2007 - BVerwG 2 [X.] 9.06 - a.a.[X.] und vom 3. Mai 2007 - BVerwG 2 [X.] 30.05 - [X.] 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 50).

Hier ergaben sich Anhaltspunkte dafür, dass der [X.] möglicherweise schon zum Tatzeitpunkt psychisch erkrankt war und unter Alkoholmissbrauch litt. Ferner gab es einen Beweisantrag zu § 21 StGB, so dass für das Berufungsgericht begründeter Anlass bestand, diesen entscheidungserheblichen Fragen nachzugehen.

b) [X.]as Berufungsgericht wird daher zunächst durch Einholung von Sachverständigengutachten zu prüfen haben, ob hinreichende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der [X.] im Tatzeitraum an einer krankhaften seelischen Störung im Sinne von § 20 StGB gelitten hat. Sollte eine solche Störung nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" nicht ausgeschlossen werden können, so stellt sich die Frage nach der Erheblichkeit einer dadurch bewirkten Verminderung der Schuldfähigkeit.

Liegt allerdings eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Beamten im Sinne des § 21 StGB tatsächlich vor, so ist dieser Umstand bei der Bewertung der Schwere des [X.]ienstvergehens mit dem ihm zukommenden erheblichen Gewicht heranzuziehen. Auch insoweit leidet das Berufungsurteil an einem Abwägungsmangel. Es hat zwar eine Verminderung der Schuldfähigkeit des [X.] im Sinne des § 21 StGB ohne eigene Tatsachenfeststellung unterstellt, diesen Umstand aber dann als unbeachtlich gewertet. [X.]ies ist in sich widersprüchlich. Wenn eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit vorliegt, wird die [X.] regelmäßig nicht mehr ausgesprochen werden können.

Unter Umständen kann dann der Umstand, dass die Tat in eine zeitlich begrenzte und mittlerweile abgeschlossene Lebensphase verstärkten Alkoholkonsums fiel, ebenfalls Gewicht erlangen.

Litt der Beamte tatsächlich an einer Störung im Sinne des § 20 StGB bereits zum Zeitpunkt der [X.], ist nicht auszuschließen, dass er bereits seinerzeit schuldunfähig war, wie dies das Berufungsgericht (und bereits das Verwaltungsgericht) für die weiter angeklagten Taten des unentschuldigten Fernbleibens vom [X.]ienst und der Versäumung der amtsärztlichen Untersuchungen angenommen hat. Erhebliche Fehlzeiten und der Verdacht eines Alkoholmissbrauchs waren bereits zum Tatzeitpunkt gegeben. [X.]as Amtsgericht ist dem Alkoholkonsum nicht näher nachgegangen, die psychische Erkrankung des Beamten, die schließlich zu seiner [X.]ienstunfähigkeit geführt hat, wurde nicht problematisiert. Insoweit könnte das Ergebnis der Ermittlungen des Berufungsgerichts zu § 21 StGB sogar Anlass zu einer Lösung von den Feststellungen des Strafgerichts zu § 20 StGB geben. [X.]iese Feststellungen wären dann nicht mehr nach § 41 [X.] i.[X.]. § 57 Abs. 1 Satz 1 [X.] bindend, weil sie sich als offenbar unrichtig im Sinne des Satzes 2 dieser Vorschrift erwiesen hätten.

Meta

2 C 83/08

25.03.2010

Bundesverwaltungsgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 15. Mai 2007, Az: 80 D 4.06, Urteil

§ 13 Abs 1 S 2 BDG, § 13 Abs 1 S 3 BDG, § 13 Abs 1 S 4 BDG, § 20 StGB, § 21 StGB, § 176 Abs 1 StGB, § 174 StGB, § 13 Abs 1 DiszG BE, § 47 Abs 1 BeamtStG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 25.03.2010, Az. 2 C 83/08 (REWIS RS 2010, 8030)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 8030

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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