Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.01.2015, Az. II ZB 11/14

II. Zivilsenat | REWIS RS 2015, 16911

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
II ZB 11/14

vom

20. Januar 2015

in dem Musterverfahren

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja

[X.] § 13 Abs. 1 in der bis zum 31. Oktober 2012 geltenden Fassung
Die Parteien können den Gegenstand eines [X.] nur bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem [X.] erweitern.
[X.], Beschluss vom 20. Januar 2015 -
II ZB 11/14 -
[X.]

[X.]

-
2
-

Der I[X.]
Zivilsenat des [X.] hat am 20.
Januar 2015
durch [X.]
[X.], [X.] Dr. Strohn, die Richterin [X.] sowie [X.] und Born
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde des [X.] gegen den Beschluss des 17.
Zivilsenats des [X.]s Karlsruhe vom 17.
März 2014 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des [X.] trägt der [X.].
Der Streitwert des [X.] wird auf

Gründe:
A.
Der [X.] macht als Aktionär der [X.] zu
1 Scha-densersatzansprüche wegen der Verbreitung fehlerhafter Kennzahlen aus [X.] geltend. Die Musterbeklagte zu
1, die M.

AG, ist die Holding der M.

-Gruppe. Der Musterbeklagte zu
2 war Mitglied, zeitweise auch [X.] des Vorstands der [X.] zu
1.
1
-
3
-

Beim [X.] sind mehrere vergleichbare Verfahren gegen die [X.] anhängig. Dem zugrunde liegt die bilanzielle Behandlung der [X.] aus Factoring-
und Rückversicherungsgeschäften bei zwei [X.].
Das [X.] hat auf die von dem [X.] und 31
Beigeladenen gestellten Anträge durch Vorlagebeschluss vom 30. Dezember 2008 eine Ent-scheidung des [X.]s nach dem [X.] herbeigeführt. Nach Beweisaufnahme durch Sachverständigen-gutachten hat das [X.] aufgrund mündlicher Verhandlung vom 24. September 2012, in der es u.a. rechtliche Hinweise zur Reichweite des [X.] erteilt, beiden Seiten die Möglichkeit zur Stellungnahme bis zum 29.
Oktober 2012 eingeräumt und [X.] auf den 16.
November 2012 bestimmt hatte, den [X.] mit [X.] vom 16.
November 2012 ([X.]

17
Kap
1/09, BeckRS 2012, 23479) teilweise stattgegeben und sie im Übrigen zurückgewiesen.
Die gegen die Zurückweisung der weitergehenden Anträge gerichtete Rechtsbeschwerde des [X.] und
weiterer Beigeladener hat der Senat mit Beschluss vom 1. Juli 2014 ([X.], [X.], 2074) zurückgewiesen.
Am 15.
November 2012 -
einen Tag vor Verkündung des [X.]s des [X.]s am 16. November 2012
-
hat der [X.] beim
[X.] beantragt, den Vorlagebeschluss zu ergänzen. Das [X.] hat den Antrag als unzulässig zurückgewiesen und unter anderem ausge-§
13 Abs. 1 [X.] in der bis zum 31. Oktober 2012 geltenden Fassung (im Folgenden: [X.]) gestellt worden sei, denn darunter sei der Schluss der 2
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mündlichen Verhandlung zu verstehen; jedenfalls hätte er innerhalb der vom [X.] gesetzten Frist bis zum 29.
Oktober 2012 gestellt werden müssen.
Der hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerde des [X.] hat das [X.] nicht abgeholfen und die Sache dem [X.] [X.]. Dieses hat die sofortige Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen.
B.
Das [X.] hat zur Begründung seiner Entscheidung im [X.] ausgeführt:
Die sofortige Beschwerde sei zulässig, insbesondere statthaft. Zwar sei sie in § 13 [X.] aF nicht ausdrücklich genannt. Ihre Statthaftigkeit ergebe sich aber aus § 3 Abs. 1 EGZPO i.V.m. § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO.
Die sofortige Beschwerde sei jedoch unbegründet, da das [X.] den ergänzenden Musterfeststellungsantrag des [X.] zu Recht als verspätet und damit als unzulässig angesehen habe. Die in § 13 Abs. 1 [X.] aF vors-s-zulegen, dass eine Ergänzung nur bis zum Schluss der mündlichen Verhand-lung möglich sei.
Für seine der Auffassung des [X.]s entsprechende Auslegung hat das [X.] unter anderem darauf abgehoben, dass das [X.] gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 [X.] aF im Grundsatz ein den Rege-lungen der Zivilprozessordnung unterworfenes Verfahren sei. Ergänzende Mus-terfeststellungsanträge seien wie [X.] im Sinne von § 261 Abs. 2, 6
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§
297 ZPO in der letzten mündlichen Verhandlung, spätestens jedoch innerhalb einer vom Gericht nach § 139 Abs. 5 ZPO nachgelassenen Schriftsatzfrist zu stellen. Auch das [X.]gesetz messe der mündli-chen Verhandlung eine entscheidende Bedeutung bei, denn das [X.] den Musterentscheid gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 [X.] aF auf-grund mündlicher Verhandlung. Außerdem belegten sowohl die -
von [X.] und [X.] näher dargestellte
-
Entstehungsgeschichte des §
13 [X.] als auch die Gesetzesbegründung zur Novellierung des [X.] diese Sichtweise.
Schließlich entspreche dies auch Sinn und Zweck des [X.]. Zwar sei es richtig, dass das Musterverfahren zu einer möglichst umfassenden Klärung von Fragestellungen führen solle, weshalb es wegen der Sperrwirkung des § 5 [X.] aF gerade die Möglichkeit gebe, dem [X.] durch Erweiterung des [X.] weitere klärungsbedürftige Fragen vorzulegen. Vor allem aber sei grundsätzlicher Zweck des [X.], [X.] und hierfür die Interessen zu bündeln. Die Gewährung effektiven Rechtsschutzes verlange aber eine besondere Beachtung der Beschleuni-gungs-
und Konzentrationsgrundsätze der Zivilprozessordnung. Eine Zulassung von Ergänzungsanträgen bis -
so der [X.] im Beschwerdeverfahren
-
eine Minute vor dem [X.] oder sogar bis zum Eintritt der Rechtskraft des [X.] eröffne dagegen die Möglichkeit, das [X.] bis zur Grenze der Prozessverschleppung (§ 1 Abs. 3 Nr. 2 [X.] aF) zu verzögern. Die Pflicht zur Prozessförderung treffe auch die Parteien, weshalb etwaige Ergänzungsanträge bis zu dem Zeitpunkt, der Grundlage der Entschei-dungsfindung des Gerichts sei, gestellt werden müssten.
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C.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig.
[X.] Nach §
27 des [X.]gesetzes in der seit dem 1.
November 2012 geltenden Fassung (BGBl.
I, S.
2182; im Folgenden: [X.] nF) ist auf das vorliegende Rechtsbeschwerdeverfahren das Kapital-anleger-[X.]gesetz in seiner bis zum 1.
November 2012 geltenden Fassung anzuwenden, weil vor dem 1.
November 2012 mündlich verhandelt worden ist. Der Antrag auf Erweiterung des Gegenstands des ursprünglichen [X.] stellt keinen neuen [X.]antrag dar.
I[X.] Die Rechtsbeschwerde ist statthaft. Zwar findet §
15 Abs.
1 [X.] keine Anwendung; das [X.] hat die Rechtsbeschwerde aber gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO, der über § 3 Abs. 1 EGZPO anwendbar ist, zugelassen. Hieran ist der Senat gemäß § 574 Abs. 3 Satz 2 ZPO gebun-den. Dass nach § 13 Abs. 2 [X.]
aF Erweiterungen eines Vorlagebe-schlusses unanfechtbar sind, führt nicht auch zur Unanfechtbarkeit von die Er-weiterung ablehnenden Beschlüssen (ähnlich bei Zurückweisung eines [X.] gemäß § 4 Abs. 4 [X.] aF [X.], Beschluss vom 21.
April 2008 -
II ZB 6/07, [X.]Z 176, 170 Rn. 4; [X.] in KK-[X.], 1.
Aufl., §
13 Rn.
15, 23; [X.]/[X.], NJW 2005, 2737, 2739; a.A.
Fullenkamp in [X.], [X.], 2007, § 13 Rn. 10 und § 4 Rn. 36).
D.
Die Rechtsbeschwerde ist jedoch unbegründet.
Zu Recht haben Land-
und [X.] angenommen, dass die Parteien den Gegenstand des [X.] nur bis zum Schluss der münd-12
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lichen Verhandlung im Sinne von § 14 Abs. 1 Satz 1 [X.] aF erweitern können. Zwar ist die in § 13 Abs. 1 [X.] aF enthaltene Bestimmung, dass h-Auslegung sprechen aber die Gesetzesmaterialien, der systematische Zusam-menhang und der Sinn und Zweck des § 13 Abs. 1 [X.] aF.
1.
Die Begründung zum Regierungsentwurf des [X.]gesetzes aF geht ausdrücklich davon aus, dass [X.] des Verfahrensgegenstands des [X.] nur bis zum
Schluss der mündlichen Verhandlung möglich seien (BT-Drucks. 15/5091, [X.]). Es ist nichts dafür ersichtlich, dass der Gesetzgeber diese Vorstellung mit der Über-nahme der dem Wortlaut des § 13 Abs. 1 [X.] aF entsprechenden Be-schlussempfehlung des Rechtsausschusses (vgl. BT-Drucks. 15/5695, [X.], 24) aufgegeben hätte. Der Begründung der Beschlussempfehlung des [X.] zu § 13 [X.] aF lässt sich kein Anhaltspunkt dafür entneh-men, dass gegenüber der Fassung des [X.] eine Änderung
be-züglich des maßgebenden Zeitpunkts erfolgen sollte.
Dieser Befund wird bestätigt durch die Gesetzesbegründung zur [X.] vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung zu stellen seien und allenfalls eine Wiedereröffnung nach §
156 ZPO in Betracht komme (BT-Drucks. 17/8799, [X.]). Hätte dies aus Sicht des Gesetzgebers eine Änderung oder jedenfalls eine Klarstellung gegenüber § 13 [X.] aF bedeutet, so wäre zu erwarten gewesen, dass sich in der Gesetzesbegründung eine ausdrückliche Erwähnung finden würde, was aber -
im Gegensatz zu anderen dort angespro-17
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-

chenen Punkten wie der Verlagerung der Entscheidungskompetenz auf das r-ver

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gerade nicht der Fall ist.
Demgegenüber spricht nichts für die Auffassung des [X.], dass

[X.] sogar erst den des Eintritts der Rechtskraft. Nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung ist die Erhebung einer neuen Klageforderung oder einer Klageerweiterung
durch einen nach Schluss der mündlichen Verhandlung ein-gereichten Schriftsatz unzulässig, weil [X.] spätestens in der letzten mündlichen Verhandlung gestellt werden müssen (vgl. nur [X.], Beschluss vom 19. März 2009 -
IX [X.]/08 Rn. 8, NJW-RR 2009, 853 Rn. 8 mwN). [X.] können sie zu einer Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung ge-mäß § 156 ZPO führen. Hätte der Gesetzgeber von diesen allgemein anerkann-ten Grundsätzen abweichen wollen, obwohl er noch in der Begründung des Re-gierungsentwurfs
eben hiervon ausgegangen war, wären entsprechende [X.] zu erwarten gewesen.
2.
Auch die in § 9 [X.] aF angeordnete Anwendung der im ersten Rechtszug für das Verfahren vor den [X.]en geltenden Vorschriften der Zivilprozessordnung stützt diese Auslegung des § 13 [X.] aF. So ist eine Klageänderung im Sinne von § 263 ZPO nach Schluss der mündlichen [X.] vorbehaltlich einer Wiedereröffnung gemäß § 156 ZPO grundsätzlich ausgeschlossen. Zwar lassen sich die Begrifflichkeiten der Zivilprozessordnung nicht ohne weiteres auf das Verfahren nach dem [X.]gesetz übertragen. Auch sollte § 13 [X.] aF nach der Vorstellung des Gesetzgebers gerade eine [X.] zu § 263 ZPO sein 19
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(BT-Drucks. 15/5091, [X.]). Gleichwohl zeigt schon die ausdrückliche Erwäh-nung des § 263 ZPO in der Begründung des [X.], dass ein Vergleich der Erweiterung des Gegenstands des [X.] gemäß § 13 [X.] aF mit einer Klageänderung im Sinne von § 263 ZPO jedenfalls
nahe liegt.
Entgegen der Auffassung des Rechtsbeschwerdeführers spricht auch die Sperrwirkung des § 5 [X.] aF für kein anderes Ergebnis. Zwar ist es richtig, dass die Einleitung eines weiteren [X.] in allen gemäß §
7 [X.] auszusetzenden Verfahren mit Erlass des [X.] unzulässig ist (so auch weiterhin §§ 7 f. [X.] nF). Hieraus lässt sich aber auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten -
mit Blick auf die Gebote der Gewährung effektiven Rechtsschutzes und rechtlichen Gehörs
-
nicht von § 13 [X.] aF der Eintritt der Bindungswirkung gemäß § 16 [X.] aF gemeint sein müsse, um es den Parteien zu ermöglichen, bis dahin -
unter Um-ständen also sogar während eines laufenden [X.] gegen den Musterentscheid
-
eine Erweiterung des Gegenstands des [X.]s zu erwirken. Denn eine Einführung neuer Gesichtspunkte in die Ausgangsverfahren bleibt vorbehaltlich der dort anzuwendenden [X.] grundsätzlich ebenso möglich wie die Erhebung einer neuen Klage im Falle einer beabsichtigten, aber nach Schluss der mündlichen Verhandlung grundsätzlich ausgeschlossenen Klageänderung.
3. Im Übrigen widerspräche -
bei unterstellter Möglichkeit der Erweite-rung des [X.] noch nach Schluss der mündlichen Verhandlung
-
der Erlass eines Teilmusterentscheids entgegen der Auffassung des [X.] und Zweck des [X.]. Das Ziel des [X.], 21
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den

[X.], würde konterkariert, wenn ein Teil des [X.] noch beim [X.] und ein anderer Teil bereits beim [X.] anhän-gig wäre. Selbst bei Eintritt der
-
dann nur teilweisen
-
Bindungswirkung gemäß § 16 [X.] aF erschiene die Fortführung der Ausgangsverfahren vor der endgültigen Entscheidung über alle im Musterverfahren zu klärenden Fragen zumindest unpraktikabel und weniger sinnvoll als die Einführung der beabsich-tigten Erweiterungen in die jeweiligen Ausgangsverfahren nach rechtskräftigem Abschluss des -
nicht erweiterten
-
[X.].

Bergmann
Strohn
Reichart

Drescher
Born
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 25.07.2013 -
11 [X.]/08 KfH -

[X.], Entscheidung vom 17.03.2014 -
17 Kap 1/13 -

Meta

II ZB 11/14

20.01.2015

Bundesgerichtshof II. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.01.2015, Az. II ZB 11/14 (REWIS RS 2015, 16911)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 16911

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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II ZB 11/14

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