Bundesgerichtshof, Beschluss vom 03.02.2021, Az. AK 1/21, AK 2/21, AK 1 und 2/21

3. Strafsenat | REWIS RS 2021, 8972

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Gegenstand

Fortdauer der Untersuchungshaft: Dringender Tatverdacht hinsichtlich der Begehung von Kriegsverbrechen gegen eine Person in Syrien im Zusammenhang mit der mitgliedschaftlichen Betätigung in einer terroristischen Vereinigung


Tenor

Die Untersuchungshaft hat [X.].

Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den [X.] findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem [X.] übertragen.

Gründe

I.

1

Die Angeschuldigten sind am 13. Juli 2020 aufgrund Haftbefehlen des Ermittlungsrichters des [X.] vom 10. Juli 2020 (2 [X.] 452/20 bzgl.   [X.], 2 [X.] 448/20 bzgl.   S.  ) festgenommen worden und befinden sich seitdem ununterbrochen in Untersuchungshaft. Das [X.], zu dem der [X.] unter dem 14. Dezember 2020 Anklage wegen des den Haftbefehlen zugrundeliegenden [X.] erhoben hat, hat diese mit Beschlüssen vom 7. Januar 2021 ergänzt ([X.] [X.] 5/20) und den Angeschuldigten am selben Tag verkündet.

2

Gegenstand der ergänzten Haftbefehle ist der Vorwurf, die Angeschuldigten hätten am          in [X.] ([X.]) jeweils durch dieselbe Handlung gemeinschaftlich handelnd im Zusammenhang mit einem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person sowie einen Menschen aus sonstigen niedrigen Beweggründen getötet und - in Bezug auf den Angeschuldigten   [X.]- sich an einer Vereinigung im Ausland beteiligt, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB), Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 [X.]) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder 12 [X.]) zu begehen, beziehungsweise - in Bezug auf den Angeschuldigten   [X.]- eine solche unterstützt.

II.

3

Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.

4

1. Die Angeschuldigten sind der ihnen zur Last gelegten Taten dringend verdächtig.

5

a) Nach dem gegenwärtigen Ermittlungsstand ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:

6

aa) Die in [X.] seit Februar 2011 gegen die Regierung von [X.] schwelenden Proteste eskalierten ab dem 15. März 2011 aufgrund des repressiven und gewaltsamen Vorgehens [X.] Sicherheitskräfte, Milizen sowie der [X.] gegen Demonstranten und Oppositionelle. Die dadurch bewirkte Militarisierung der Protestbewegung entwickelte sich zu einem bewaffneten [X.], der Anfang 2012 schließlich weite Teile des [X.] erfasste und sich zu einem großflächigen [X.] ausweitete. Spätestens seit dieser Zeit herrschte in [X.] ein nichtinternationaler bewaffneter Konflikt.

7

bb) Die "[X.]" ("[X.] al-nusra li-ahli ash-sham" [Hilfsfront für das Volk [X.]]) wurde Ende 2011 von [X.] und anderen [X.] Mitgliedern der seinerzeitigen [X.] im [X.]" ([X.]) im Auftrag deren Anführers [X.] in [X.] gegründet und sollte als Ableger der [X.] Organisation im Nachbarland operieren. Die Gründung wurde im Januar 2012 in einem im [X.] veröffentlichten Video bekannt gegeben. Zwischen den zwei Gruppierungen kam es im April 2013 zum Bruch, als [X.] die [X.] [X.] und [X.] im neu ausgerufenen "[X.] im [X.] und Großsyrien" ([X.]G) verkündete. [X.] wies dies als Anführer der [X.] zurück, betonte die Eigenständigkeit seiner Gruppierung und legte den Treueeid auf [X.] der [X.], [X.], ab; die [X.] fungierte danach als Regionalorganisation von [X.] in [X.].

8

Ziel der [X.] war der Sturz des [X.] in [X.], das sie durch einen [X.] Staat auf der Grundlage ihrer eigenen Interpretation der Scharia ersetzen wollte. Darüber hinaus erstrebte sie die "Befreiung" des historischen Großsyrien, das heißt [X.]s einschließlich von Teilen der südlichen [X.], des [X.], [X.], [X.] und der palästinensischen Gebiete. Diese Ziele verfolgte die Vereinigung mittels militärischer Operationen, aber auch durch Sprengstoffanschläge, Selbstmordattentate, Entführungen, gezielte Tötungen von Angehörigen des [X.] Militär- und Sicherheitsapparats und nicht am Konflikt beteiligten Zivilisten. Insgesamt werden der Gruppierung mehr als 2.000 Anschläge zugerechnet, bei denen mindestens 10.000 Menschen getötet wurden.

9

Die [X.] war militärisch-hierarchisch organisiert. Dem Anführer [X.] war ein aus fünf bis sechs Personen gebildeter [X.] zugeordnet. Unterhalb dieser Führungsebene standen die Kommandeure der insgesamt aus mehreren Tausend Personen bestehenden kämpfenden Einheiten, die ihrerseits in die vor Ort agierenden Kampfgruppen untergliedert waren. Ihre militärische Ausbildung erhielten die Kämpfer in einem verzweigten Netz von Trainingslagern. Daneben gab es Hinweise auf sogenannte "[X.]" in den von der Organisation kontrollierten Gebieten, die religiöse Angelegenheiten regelten und den Aufbau eines eigenen Justiz- und Verwaltungssystems vorantrieben. Für ihre Öffentlichkeitsarbeit bediente sie sich einer eigenen Medienstelle, über die sie im [X.] Verlautbarungen, Operationsberichte und [X.] verbreitete. Darüber hinaus unterhielt sie ein Netzwerk von "Korrespondenten" in [X.], die ihre Berichte über [X.] veröffentlichten.

Spätestens im Juni 2012 gliederte sich die in der Region um die syrische Stadt [X.] aktive, bewaffnete Gruppierung "Ghurabaa [X.]" der [X.] an und wurde in deren Organisationsstruktur eingegliedert.

cc) Der Angeschuldigte   [X.]schloss sich in den ersten Monaten des Jahres 2012 der Gruppe Ghurabaa [X.] an und wusste später um deren Anbindung an die [X.]. Am          wirkte er ebenso wie der die Oppositionsbewegung unterstützende Angeschuldigte   [X.]in [X.] neben weiteren Tätern an der abgestimmten Hinrichtung eines Oberstleutnantes der [X.] Streitkräfte mit, die unter Leitung der Ghurabaa [X.] stand. Der mit einem Schnellfeuergewehr bewaffnete Angeschuldigte   [X.]war unmittelbar vor der Erschießung im Rahmen eines arbeitsteiligen Vorgehens damit befasst, den Gefangenen zu bewachen und durch seine Präsenz etwaige Widerstands- oder Fluchtgedanken als aussichtslos erscheinen zu lassen. Der Angeschuldigte   [X.]filmte als "Medienaktivist" das Geschehen, kommentierte es verherrlichend als Sieg der Beteiligten Gruppen über das Regime und stellte das Material der [X.] für ihre Propaganda zur Verfügung.

b) Der dringende Tatverdacht beruht hinsichtlich des Konflikts in [X.] und der außereuropäischen terroristischen Vereinigung [X.] insbesondere auf islamwissenschaftlichen Gutachten des Sachverständigen Dr. St.    , einem detaillierten Auswertebericht des [X.] sowie einer Behördenerklärung des [X.]. Die Eingliederung der Gruppierung Ghurabaa [X.] lässt sich einem durch die Medienstelle der [X.] veröffentlichten Video sowie mehreren Zeugenaussagen entnehmen. Zu den Handlungen der Angeschuldigten haben sich diese insofern teilgeständig eingelassen, als der Angeschuldigte   [X.]einen Anschluss an die Ghurabaa [X.] und der Angeschuldigte   [X.]nach anfänglichem Bestreiten das Filmen der Erschießung eingeräumt haben. Das Geschehen wird im Wesentlichen durch verschiedene Videodateien und die Beteiligung des Angeschuldigten   [X.]durch ein Lichtbildvergleichgutachten belegt. Wegen weiterer Einzelheiten zur vorläufigen Bewertung der Beweislage wird auf die Haftbefehle und die Darstellung des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen in der Anklageschrift des [X.]s Bezug genommen.

c) In rechtlicher Hinsicht folgt daraus:

aa) Der Angeschuldigte   [X.]hat sich mit hoher Wahrscheinlichkeit wegen eines Kriegsverbrechens gegen Personen in Tateinheit mit Mord und mit Beteiligung als Mitglied an einer terroristischen Vereinigung im Ausland strafbar gemacht (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 [X.], § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2, § 211 Abs. 2, § 52 StGB).

(1) Die Tötung des Offiziers stand im Sinne des § 8 Abs. 1 [X.] im Zusammenhang mit einem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt. Bei dem Gefangenen handelte es sich um eine gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 6 Nr. 2 [X.] nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person, da er nicht unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnahm und sich in der Gewalt einer gegnerischen Partei befand. Die Tötung ist dem Angeschuldigten aufgrund des bislang anzunehmenden Sachverhalts als Mittäter nach § 25 Abs. 2 StGB, § 2 [X.] zuzurechnen, da die Bewachung in unmittelbarer Nähe einen wesentlichen Tatbeitrag darstellte (vgl. etwa [X.], Beschlüsse vom 22. Februar 2018 - StB 29/17 u.a., juris Rn. 33; vom 20. Februar 2019 - AK 4/19, juris Rn. 23 f.).

(2) Die Tat ist zugleich angesichts der Motivlage ein Mord aus niedrigen Beweggründen (vgl. [X.], Beschluss vom 21. September 2020 - StB 28/20, juris Rn. 37 mwN). Für dieses in Tateinheit mit dem Kriegsverbrechen stehende Delikt ist [X.] Strafrecht sowohl nach § 1 Satz 1 [X.] (s. [X.], Beschluss vom 22. Februar 2018 - StB 29/17 u.a., juris Rn. 36) als auch nach § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB anwendbar.

(3) Schließlich stellt sich die Tat für den Angeklagten   [X.]überdies als mitgliedschaftlicher Beteiligungsakt an der terroristischen Vereinigung [X.] dar. Die gemäß § 129b Abs. 1 Satz 3 StGB erforderliche Verfolgungsermächtigung liegt vor. [X.] Strafrecht gilt insoweit ebenfalls (vgl. auch [X.], Beschluss vom 30. Juni 2020 - AK 14/20, juris Rn. 27 mwN).

bb) Der Angeklagte   [X.]hat sich hinsichtlich des derzeit maßgeblichen Sachverhalts wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland strafbar gemacht. Die letztlich aufgrund einer wertenden Gesamtbetrachtung aller festgestellten Umstände zu beantwortende Frage, ob er in Tateinheit damit das Kriegsverbrechen gegen Personen und den Mord als Mittäter oder lediglich als Gehilfe begangen hat (vgl. allgemein [X.], Beschluss vom 28. April 2020 - 3 [X.], juris Rn. 4 mwN), bedarf für die Entscheidung über die [X.] keiner abschließenden Klärung. Mit Blick auf den vom Angeschuldigten   [X.]vorsätzlich erbrachten Beitrag liegt wenigstens eine Beihilfe zu dem Kriegsverbrechen gegen Personen und dem Mord vor (vgl. [X.], Beschluss vom 21. September 2020 - StB 28/20, juris Rn. 28 ff.).

cc) Da die hochwahrscheinlich verwirklichten Tatbestände jeweils die [X.] tragen und der [X.] im Übrigen die Strafverfolgung gemäß § 154a Abs. 1 Nr. 1 StPO beschränkt hat, ist die Erörterung etwaiger weiterer Delikte entbehrlich.

2. Es bestehen der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO sowie - auch bei der gebotenen restriktiven Auslegung des § 112 Abs. 3 StPO (s. [X.], Beschluss vom 24. Januar 2019 - AK 57/18, juris Rn. 30 ff.) - derjenige der [X.]. Selbst wenn der Tatbeitrag des Angeschuldigten   [X.]zu dem Kriegsverbrechen und dem Mord lediglich als Beihilfe gewertet werden sollte, haben beide Angeschuldigte aufgrund der ihnen zur Last gelegten Taten mit einer empfindlichen Freiheitsstrafe zu rechnen. Den Fluchtanreiz wesentlich mindernde Umstände fehlen. Beide leben, ebenso wie ihre Ehefrauen und Kinder, erst seit einigen Jahren in [X.], gehen keiner festen Berufstätigkeit nach und haben weiterhin enge Verwandtschaftsbezüge im Ausland. Obschon sie nach ersten Durchsuchungen und Kenntnis vom Ermittlungsverfahren in [X.] verblieben sind, ist es im Ergebnis überwiegend wahrscheinlich, dass sie sich im Falle ihrer Freilassung dem weiteren Verfahren durch Flucht entzögen. Dieser Gefahr kann durch andere fluchthemmende Maßnahmen nicht in gleicher Form begegnet werden, weshalb der Zweck der Untersuchungshaft nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen im Sinne des § 116 StPO erreicht werden kann.

3. Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) sind gegeben. Die besondere Schwierigkeit und der Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die [X.]. Der [X.] beläuft sich auf 29 Ordner. Der [X.] hat bereits Anklage erhoben. Nach der Festnahme der Angeschuldigten sind weitere Ermittlungen geführt worden. Insbesondere ist ein aus [X.] stammender Zeuge vernommen und die bei der Festnahme der Angeschuldigten sichergestellten Mobiltelefone sind ausgewertet worden. Das [X.] hat nach Eingang der Anklageschrift unverzüglich deren Zustellung und Übersetzung veranlasst. Zudem hat es zur weiteren Verfahrensförderung für den Fall der Eröffnung des Hauptverfahrens bereits 18 Hauptverhandlungstermine ab dem 4. März 2021 mit den Verteidigern abgestimmt.

4. Schließlich steht die Untersuchungshaft nach Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht der Angeschuldigten einerseits sowie dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit andererseits nicht zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

Schäfer                    Spaniol                     Anstötz

Meta

AK 1/21, AK 2/21, AK 1 und 2/21

03.02.2021

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: und

§ 1 S 1 VStGB, § 2 VStGB, § 6 Nr 2 VStGB, § 8 Abs 1 Nr 1 VStGB, § 8 Abs 6 Nr 1 VStGB, § 8 Abs 6 Nr 2 VStGB, § 7 Abs 2 Nr 2 StGB, § 25 Abs 1 StGB, § 129a Abs 1 Nr 1 StGB, § 129b Abs 1 S 1 StGB, § 129b Abs 1 S 2 StGB, § 211 Abs 2 StGB, § 112 Abs 2 Nr 2 StPO, § 121 Abs 1 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 03.02.2021, Az. AK 1/21, AK 2/21, AK 1 und 2/21 (REWIS RS 2021, 8972)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 8972

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3 StR 85/20

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