Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.10.2022, Az. AK 34/22

3. Strafsenat | REWIS RS 2022, 5995

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Tenor

Die Untersuchungshaft hat [X.].

Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den [X.] findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem [X.] übertragen.

Gründe

I.

1

[X.] ist am 31. März 2022 festgenommen worden und befindet sich seitdem aufgrund Haftbefehls des Ermittlungsrichters des [X.] vom 1. März 2022 (2 [X.] 102/22), neu gefasst durch Beschluss des Ermittlungsrichters des [X.] vom 12. Mai 2022 (10 [X.] 30/22), ununterbrochen in Untersuchungshaft.

2

Gegenstand des aktuellen Haftbefehls ist der Vorwurf, die Angeschuldigte habe sich von Ende September 2013 bis März 2019 in [X.] in drei Fällen als Mitglied an den ausländischen terroristischen Vereinigungen "[X.]" und "[X.]" ([X.]) beteiligt, deren Zwecke und deren Tätigkeit darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder 12 [X.]) zu begehen, in einem Fall davon in Tateinheit mit der Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht, strafbar gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2, § 171, §§ 52, 53 StGB.

3

Die Generalstaatsanwaltschaft [X.] hat mit Anklageschrift vom 18. August 2022 wegen der dem Haftbefehl zugrundeliegenden Tatvorwürfe Anklage zum Oberlandesgericht [X.] erhoben.

II.

4

Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.

5

1. [X.] ist jedenfalls der ihr zur Last gelegten mitgliedschaftlichen Beteiligung an der ausländischen terroristischen Vereinigung [X.] dringend verdächtig.

6

a) Nach dem gegenwärtigen Ermittlungsstand ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:

7

aa) Die [X.] ("[X.] al-nusra li-ahli ash-sham" [Hilfsfront für das Volk [X.]]) wurde Ende 2011 von Abu [X.] [X.] und anderen [X.] Mitgliedern der seinerzeitigen Organisation "[X.] im [X.]" ([X.]I) im Auftrag deren Anführers [X.] in [X.] gegründet und sollte als Ableger der [X.] Organisation im Nachbarland operieren. Die Gründung wurde im Januar 2012 in einem im [X.] veröffentlichten Video bekannt gegeben. Zwischen den zwei Gruppierungen kam es im April 2013 zum Bruch, als [X.] die [X.] [X.]I und [X.] im neu ausgerufenen "[X.] im [X.] und Großsyrien" ([X.]IG) verkündete. [X.] wies dies als Anführer der [X.] zurück, betonte die Eigenständigkeit seiner Gruppierung und legte den Treueeid auf [X.] der [X.], [X.], ab; die [X.] fungierte danach als Regionalorganisation von [X.] in [X.].

8

Ziel der [X.] war der Sturz des [X.] in [X.], das sie durch einen [X.] Staat auf der Grundlage ihrer eigenen Interpretation der Scharia ersetzen wollte. Darüber hinaus erstrebte sie die "Befreiung" des historischen Großsyrien, das heißt [X.]s einschließlich von Teilen der südlichen [X.], des [X.], [X.], [X.] und der palästinensischen Gebiete. Diese Ziele verfolgte die Vereinigung mittels militärischer Operationen, aber auch durch Sprengstoffanschläge, Selbstmordattentate, Entführungen, gezielte Tötungen von Angehörigen des [X.] Militär- und Sicherheitsapparats und nicht am Konflikt beteiligten Zivilisten. Insgesamt werden der Gruppierung mehr als 2.000 Anschläge zugerechnet, bei denen mindestens 10.000 Menschen getötet wurden.

9

Die [X.] war militärisch-hierarchisch organisiert. Dem Anführer [X.] war ein aus fünf bis sechs Personen gebildeter [X.] zugeordnet. Unterhalb dieser Führungsebene standen die Kommandeure der insgesamt aus mehreren Tausend Personen bestehenden kämpfenden Einheiten, die ihrerseits in die vor Ort agierenden Kampfgruppen untergliedert waren. Ihre militärische Ausbildung erhielten die Kämpfer in einem verzweigten Netz von Trainingslagern. Daneben gab es Hinweise auf sogenannte "[X.]" in den von der Organisation kontrollierten Gebieten, die religiöse Angelegenheiten regelten und den Aufbau eines eigenen Justiz- und Verwaltungssystems vorantrieben. Für ihre Öffentlichkeitsarbeit bediente sie sich einer eigenen Medienstelle, über die sie im [X.] Verlautbarungen, Operationsberichte und [X.] verbreitete. Darüber hinaus unterhielt sie ein Netzwerk von "Korrespondenten" in [X.], die ihre Berichte über Twitter-Kanäle veröffentlichten.

bb) Der [X.] ist eine Organisation mit militant-fundamentalistischer [X.]r Ausrichtung, die es sich ursprünglich zum Ziel gesetzt hatte, einen das Gebiet des [X.] und die historische Region "ash-Sham" - die heutigen [X.] [X.], [X.] und [X.] sowie [X.] - umfassenden und auf ihrer Ideologie gründenden "Gottesstaat" unter Geltung der Scharia zu errichten und dazu die schiitisch dominierte Regierung im [X.] und das Regime des [X.] Präsidenten [X.] zu stürzen. Zivile Opfer nahm und nimmt sie bei ihrem fortgesetzten Kampf in Kauf, weil sie jeden, der sich ihren Ansprüchen entgegenstellt, als "Feind des [X.]lam" begreift; die Tötung solcher "Feinde" oder ihre Einschüchterung durch Gewaltakte sieht der [X.] als legitimes Mittel des Kampfes an.

Die Führung der Vereinigung, die sich mit dem Ausrufen des "Kalifats" im Juni 2014 von "[X.] im [X.] und in Großsyrien" ([X.]IG/[X.]) in [X.] umbenannte, hatte seit 2010 bis zu seinem Tod im Oktober 2019 der "Emir" [X.] inne. [X.] war von seinem Sprecher zum "Kalifen" erklärt worden, dem die Muslime weltweit Gehorsam zu leisten hätten. Dem "Kalifen" unterstehen ein Stellvertreter sowie "Minister" als Verantwortliche für einzelne Bereiche, so ein "[X.]" und ein "Propagandaminister". Zur Führungsebene gehören außerdem beratende "[X.]". Veröffentlichungen werden in der Medienabteilung "[X.]" produziert und über die Medienstelle "[X.]’tisam" verbreitet, die dazu einen eigenen Twitter-Kanal und ein [X.]forum nutzt. Das auch von Kampfeinheiten verwendete Symbol der Vereinigung besteht aus dem "Prophetensiegel" (einem weißen Oval mit der Inschrift: "[X.] - [X.] - [X.]") auf schwarzem Grund, ergänzt um das [X.] Glaubensbekenntnis. Die zur Tatzeit mehreren Tausend Kämpfer waren dem "[X.]" unterstellt und in lokale Kampfeinheiten mit jeweils einem Kommandeur gegliedert.

Die Vereinigung teilte die von ihr besetzten Gebiete in [X.] ein und richtete einen [X.] ein; diese Maßnahmen zielten auf das Schaffen totalitärer staatlicher Strukturen. Angehörige der [X.] Armee, aber auch von in Gegnerschaft zum [X.] stehenden Oppositionsgruppen, ausländische Journalisten und Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen sowie Zivilisten, die den Herrschaftsbereich des [X.] in Frage stellten, sahen sich Verhaftung, Folter und Hinrichtung ausgesetzt. Zu Zwecken der Einschüchterung veröffentlichte der [X.] Filmaufnahmen von besonders grausamen Tötungen. Darüber hinaus beging die Vereinigung immer wieder Massaker an Teilen der Zivilbevölkerung und außerhalb ihres Machtbereichs Terroranschläge. So hat sie etwa für Anschläge in [X.], [X.] und [X.] die Verantwortung übernommen.

cc) Am 28. September 2013 reisten die damals zwanzigjährige Angeschuldigte sowie ihr Ehemann aus [X.] aus und begaben sich aufgrund ihrer gemeinsamen religiösen, salafistisch geprägten Überzeugung nach [X.]. In der dortigen [X.]schlossen sich die Eheleute der [X.] an. Der Ehemann stand der Organisation als bewaffneter Kämpfer zur Verfügung und verteilte Hilfsmittel für sie. Dies entsprach ihrem Bestreben, durch die Versorgung der Zivilbevölkerung deren Wohlwollen zu gewinnen. Dementsprechend verteilte die Angeschuldigte ebenfalls Sachspenden wie Kleidung und Lebensmittel. Zudem führte sie in [X.] den gemeinsamen Haushalt und versorgte die am 18. Februar 2014 geborene Tochter. Infolge von Auseinandersetzungen zwischen der [X.] und dem rivalisierenden [X.] begab sich die Familie im Mai oder Juni 2014 in die [X.], um nach [X.] zurückzukehren. Als es nicht gelang, in [X.].    für die Tochter eine Geburtsurkunde oder einen Pass zu erhalten, reisten sie im November 2019 abermals nach [X.] und nahmen die Tochter mit in das Konfliktgebiet.

Der Ehemann der Angeschuldigten gliederte sich in den [X.] ein und absolvierte rund einen halben Monat eine militärische Ausbildung. Während dieser [X.] war die Angeschuldigte mit ihrer Tochter in einem Gästehaus untergebracht. Danach zog die Familie gemeinsam nach   S.    , wo der Ehemann in der Finanzverwaltung des [X.] tätig war und von diesem eine regelmäßige Alimentation in Höhe von insgesamt 135 US-Dollar für sich, seine Frau und die Tochter erhielt. [X.] kümmerte sich erneut um den Haushalt. Nach drei bis vier Monaten siedelte die Familie wegen der Tätigkeiten des Ehemannes für den [X.] nach [X.], Mitte 2016 nach   M.    um. Ab Mitte 2017 flüchteten die Eheleute mehrfach mit ihren - schließlich vier - Kindern aufgrund zunehmender Kämpfe. [X.] wurde im Februar 2019 von kurdischen Kräften festgenommen und mit den Kindern bis zu ihrer Rückführung nach [X.] am 30. März 2022 in zwei Lagern festgehalten.

b) Der dringende Tatverdacht beruht hinsichtlich der außereuropäischen terroristischen Vereinigungen [X.] und [X.] insbesondere auf islamwissenschaftlichen Gutachten des Sachverständigen   St.     und detaillierten Auswerteberichten des [X.] sowie den dort in Bezug genommenen und dargestellten weiteren Quellen.

[X.] hat sich im Strafverfahren nicht zur Sache eingelassen, allerdings bei einer Befragung auf dem Rückflug nach [X.] allgemein die Ausreise nach [X.], die Rückreise in die [X.] und die anschließende Rückkehr nach [X.] geschildert. Ihr Ehemann hat sich zu dem Geschehen gegenüber einer sachverständigen Zeugin geäußert und dabei Aktivitäten für den [X.] ausdrücklich eingeräumt.

Für eine Tätigkeit der Eheleute für die [X.] spricht neben weiteren Umständen die Aussage einer Zeugin, dass die Angeschuldigte und ihr Ehemann etwa von April bis Mai 2014 bei der Zeugin in [X.] gewohnt hätten; [X.] müsse "auch zu uns … also zur [X.]" gehört haben. Zudem habe die Angeschuldigte mit einer anderen Frau "die Spenden gemacht". Da sie diese Aktivität in einem von der [X.] kontrollierten Gebiet vornahm, sie mit ihrem Ehemann bei einer der Organisation zugehörigen Zeugin lebte und diese dem Ehemann die Rolle eines Mudschahed beimaß, liegt nach den Gesamtumständen nahe, dass die Angeschuldigte bewusst innerhalb des Zusammenschlusses mit dessen Billigung handelte.

Ergänzende Erkenntnisse, namentlich zu dem zwischenzeitlichen Aufenthalt in der [X.], ergeben sich aus überwachter sowie auf einem sichergestellten Mobiltelefon gespeicherter Telekommunikation und Behördenerklärungen des [X.]. Wegen weiterer Einzelheiten zur vorläufigen Bewertung der Beweislage wird auf den Haftbefehl und die Darstellung des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen in der Anklageschrift der Generalstaatsanwaltschaft Bezug genommen.

c) In rechtlicher Hinsicht folgt daraus, dass sich die Angeschuldigte mit hoher Wahrscheinlichkeit zumindest wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland strafbar gemacht hat (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2 StGB).

aa) Sowohl unter Zugrundelegung des bis zum 21. Juli 2017 nach der Rechtsprechung des [X.] maßgeblichen Vereinigungsbegriffs als auch auf der Grundlage der Legaldefinition des seit dem Folgetag gültigen § 129 Abs. 2 i.V.m. § 129a Abs. 1 StGB setzt die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer Vereinigung zum einen eine gewisse einvernehmliche Eingliederung des [X.] in die Organisation (die Mitgliedschaft) und zum anderen eine aktive Tätigkeit zur Förderung ihrer Ziele (die Beteiligungshandlungen) voraus (s. im Einzelnen etwa [X.], Beschluss vom 21. April 2022 - AK 14/22, juris Rn. 27 ff. mwN).

bb) Daran gemessen belegen die bislang ermittelten Tatsachen eine Eingliederung der Angeschuldigten in die [X.] ebenso wie vereinigungstypische Tätigkeiten für deren Zwecke mit ausreichender Wahrscheinlichkeit. Dies ergibt sich insbesondere daraus, dass die Angeschuldigte mit ihrem für die Organisation als Kämpfer zur Verfügung stehenden Ehemann vor Ort bei einem anderen Mitglied längerfristig wohnte und im Interesse der Vereinigung Bedarfsgüter verteilte.

d) Ob darüber hinaus eine mitgliedschaftliche Beteiligung der Angeschuldigten am [X.] (vgl. zu möglichen Beteiligungshandlungen [X.], Beschluss vom 21. April 2022 - AK 18/22, juris Rn. 21 f.) und eine Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht (§ 171 StGB) gegeben sind, bedarf für die [X.] derzeit keiner Entscheidung.

2. Es liegt wenigstens - auch bei der gebotenen restriktiven Auslegung des § 112 Abs. 3 StPO - der Haftgrund der [X.] vor. Danach kann schon die zwar nicht mit bestimmten Tatsachen belegbare, aber nach den Umständen des Falls doch nicht auszuschließende Fluchtgefahr genügen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist die Feststellung, dass eine verhältnismäßig geringe oder entfernte Gefahr dieser Art besteht ([X.], Beschluss vom 24. Januar 2019 - AK 57/18, juris Rn. 31).

Eine derartige Gefahr ist vor dem Hintergrund gegeben, dass die Angeschuldigte bereits im Falle einer Verurteilung wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an der [X.] eine deutliche Freiheitsstrafe oder Jugendstrafe für den Fall der Anwendung von Jugendstrafrecht zu erwarten hat. Zudem hat sie in [X.] nach langjähriger Abwesenheit keine solchen Bindungen, die einer etwaigen Flucht entgegenstünden. Ihre familiären Beziehungen hielten sie nicht von der Ausreise nach [X.] ab. Dass ihre minderjährigen Kinder bewirken, sich dem Strafverfahren mit einer drohenden zu vollstreckenden Strafe und damit einhergehender weiterer Trennung von ihnen zu stellen, ist nicht abzusehen. Soweit sie sich um die Rückholung aus dem kurdischen Lager nach [X.] bemühte, war naheliegender Beweggrund, der dortigen Situation zu entkommen, nicht, einem Strafverfahren in [X.] zur Verfügung zu stehen.

Der durch die Straferwartung begründete [X.] wird nicht dadurch gesenkt, dass eine etwaige Verbüßungsdauer durch die Anrechnung in kurdischen Lagern verbrachter [X.]en herabgesetzt wäre. Ungeachtet der Frage, ob bei den Lagern ein Festhalten durch eine öffentliche Gewalt und damit überhaupt eine Freiheitsentziehung im Sinne von § 51 Abs. 3 Satz 2, Abs. 1 StGB gegeben sind, setzt eine Anrechnung regelmäßig voraus, dass die Freiheitsentziehung auf ein in- oder ausländisches Strafverfahren zurückzuführen ist (vgl. [X.], Beschluss vom 13. Oktober 2021 - AK 44/21, juris Rn. 45 f.). Nach aktueller Erkenntnislage ergibt sich nicht, dass die Inhaftierung repressive und nicht präventive Zwecke verfolgte (s. [X.], Beschlüsse vom 13. Oktober 2021 - AK 44/21, juris Rn. 45; vom 21. April 2022 - AK 14/22, juris Rn. 44; vom 20. September 2022 - AK 30/22, juris Rn. 29). Dass die Angeschuldigte laut vorliegender Urkunden in [X.] "unter dem Verdacht terroristischer Vereinigungen/Aktivitäten" biometrisch erfasst wurde, lässt für den Grund ihrer Inhaftierung keinen näheren Rückschluss zu; denn ein solcher Verdacht kann Anlass für eine Maßnahme sowohl zum Zwecke einer späteren Strafverfolgung als auch zur Abwehr weiterer terroristischer Handlungen geben. Eine Einordnung des konkreten Freiheitsentzugs folgt auch nicht aus der in einem Schriftsatz der Verteidigerin zitierten allgemein gehaltenen Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage, nach der "die sogenannte kurdische 'Selbstverwaltung' in Nordost-[X.] im Jahr 2020" gegenüber der Bundesregierung angekündigt habe, "dass sie ihrerseits Strafverfahren gegen ausländische [X.]-Anhängerinnen anstrebt" (BT-Drucks. 19/26668 S. 7). Hierbei ist zudem zu beachten, dass die Angeschuldigte bereits im Februar 2019 von kurdischen Kräften festgenommen wurde und diese nach der Auskunft augenscheinlich lediglich künftig Strafverfahren anstreben.

Eine - bei verfassungskonformer Auslegung auch im Rahmen des § 112 Abs. 3 StPO mögliche - Außervollzugsetzung des Haftbefehls (§ 116 StPO) ist nicht erfolgversprechend. Unter den genannten Umständen kann der Zweck der Untersuchungshaft nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen als ihren Vollzug erreicht werden.

3. Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) sind gegeben. Die besondere Schwierigkeit und der Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die [X.]. Die Generalstaatsanwaltschaft hat die Anklage nicht einmal zwei Wochen nach Übersendung eines - ohne Verzögerung erstellten - vorläufigen klinisch-rechtsmedizinischen Gutachtens zu einer etwaigen Schussverletzung der ältesten Tochter der Angeschuldigten erhoben, das sich auf den vom Haftbefehl umfassten Vorwurf der Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht bezieht. Der mit der Sache befasste Strafsenat des [X.] hat mit Zustellung der Anklage eine angemessene Erklärungsfrist gesetzt.

Soweit die bereits bei [X.] beantragte mündliche Haftprüfung - wie von der Verteidigerin in ihrer Stellungnahme näher vorgebracht - vom Ermittlungsrichter des [X.] zunächst auf den 19. April 2022 terminiert worden ist und dann nach einem Befangenheitsantrag erst am 12. Mai 2022 stattgefunden hat, hat dies den [X.] nicht beeinträchtigt. Insbesondere haben sich daraus weder Verzögerungen des Ermittlungsverfahrens noch eine längere Dauer der Untersuchungshaft ergeben. Entsprechendes gilt für die Bescheidung weiterer haftbezogener Anträge der Angeschuldigten.

4. Schließlich steht die Untersuchungshaft nach Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht der Angeschuldigten einerseits sowie dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit andererseits nicht zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

Schäfer                    Hohoff                    Anstötz

Meta

AK 34/22

20.10.2022

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: False

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.10.2022, Az. AK 34/22 (REWIS RS 2022, 5995)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 5995

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