Bundessozialgericht, Beschluss vom 28.09.2016, Az. B 6 KA 14/16 B

6. Senat | REWIS RS 2016, 4795

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Gegenstand

Vertragsarzt - Berufsausübungsgemeinschaft - grundsätzliche Verantwortlichkeit für Richtigkeit seiner Abrechnungen


Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 25. November 2015 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 8900 Euro festgesetzt.

Gründe

1

I. Im Streit steht eine Disziplinarmaßnahme.

2

Die Klägerin ist seit 1995 als Praktische Ärztin zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. [X.]is zum 23.3.2011 war sie mit ihrem Ehemann in Gemeinschaftspraxis tätig; seit der bestandskräftigen Entziehung der Zulassung ihres Ehemannes praktiziert sie in Einzelpraxis. Während der Ehemann der Klägerin wegen [X.] aufgrund der Abrechnung nicht erbrachter [X.]ehandlungen in Höhe von insgesamt 246 579 Euro in den [X.]/2005 bis IV/2008 zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren (auf [X.]ewährung) verurteilt wurde, stellte die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gegen die Klägerin ein, da ein Nachweis ihrer Kenntnis von der falschen Abrechnung nicht geführt werden könne. Die beklagte [X.] verhängte mit [X.]escheid vom 12.9.2012 gegen die Klägerin eine Geldbuße in Höhe von 3000 Euro. Klage und [X.]erufung sind erfolglos geblieben (Urteil des [X.] vom 16.5.2014, Urteil des L[X.] vom 25.11.2015).

3

Das L[X.] hat ausgeführt, die Klägerin habe gegen ihre Verpflichtung zur peinlich genauen Abrechnung verstoßen, indem sie die von ihrem Praxispartner und Ehemann erstellten Abrechnungen nicht hinreichend kontrolliert habe. Diesbezüglich sei allerdings festzustellen, dass sich die Angaben der Klägerin hinsichtlich Art und Umfang der Kontrolle der Abrechnungen im Laufe der [X.] nicht unerheblich geändert hätten. Habe sie im Ermittlungsverfahren und nachfolgend noch angegeben, mit den Abrechnungen nichts zu tun und keinen Einblick in das [X.] zu haben - nicht zuletzt dies sei Grundlage der Einstellung des Ermittlungsverfahrens gewesen -, habe sie erstmalig mit Schriftsatz vom 18.11.2015 vorgetragen, ihren Ehemann zur Abrechnung befragt, jeweils die von ihm vorgelegte Abrechnung vor Unterzeichnung auf Plausibilität geprüft und selbstverständlich Nachfragen gestellt zu haben. [X.]ei einer Gesamtbewertung aller von der Klägerin zu ihrer Mitwirkung bei den Abrechnungen gemachten Einlassungen gelange der Senat zu der Auffassung, dass diese die Abrechnungen allenfalls oberflächlich geprüft und daher ebenfalls gegen ihre Pflicht zur peinlich genauen Abrechnung verstoßen habe. Den zeitnächsten Angaben komme dabei besondere Glaubwürdigkeit zu; ihre erstmals mit Schriftsatz vom 18.11.2015 gemachten Angaben seien demgegenüber zu allgemein gehalten, um von einer ausreichenden Überwachung der Abrechnung des Ehemannes auszugehen.

4

Zwar sei grundsätzlich nicht zu beanstanden, dass die Klägerin ihrem Ehemann intern die Abrechnung der Gemeinschaftspraxis gegenüber der [X.]eklagten überlassen habe, doch treffe sie in diesem Fall eine Überwachungspflicht, die über die reine Prüfung der rechnerischen Richtigkeit der Abrechnung hinausgehe. Es wäre aus Sicht des Senats zu erwarten gewesen, dass sich die Klägerin im Hinblick auf die hohe Zahl fiktiver Patienten bzw deren stetes Ansteigen (von 122 Patienten im Quartal II/2005 auf 352 im Quartal II/2008) gewisse [X.]edenken hinsichtlich der Anzahl der abgerechneten und der tatsächlich in der Praxis behandelten Patienten und dem hierbei erzielten Honorar hätten aufdrängen müssen; dies gelte zumindest in dem [X.]raum ab Januar 2008, als die Klägerin wieder ganztätig in der Praxis tätig gewesen sei. Unabhängig davon wären jedenfalls von [X.] zu [X.] Stichproben hinsichtlich Art und Umfang der abgerechneten Leistungen zu erwarten gewesen. Die Klägerin habe auch schuldhaft - unter fahrlässiger Missachtung der vertragsärztlichen Pflichten - gehandelt. Ihr habe bewusst sein müssen, dass eine alleinige Sichtung der Statistiken, Prüfprotokolle und der Anzahl der abgerechneten [X.]ehandlungsfälle keine ausreichende Überwachung der von ihrem Ehemann erstellten, aber auch sie betreffenden Abrechnung darstellen könne.

5

Mit ihrer [X.]eschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil macht die Klägerin die grundsätzliche [X.]edeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 [X.]G) geltend.

6

II. Die [X.]eschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg. Sie ist zwar zulässig, jedoch unbegründet. Die Revisionszulassung wegen grundsätzlicher [X.]edeutung setzt eine Rechtsfrage voraus, die in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von [X.]edeutung ist (vgl [X.][X.] [X.]-1500 § 153 [X.] RdNr 13 mwN; [X.][X.] [X.]-1500 § 160 [X.] Rd[X.]). Die Klärungsbedürftigkeit fehlt dann, wenn die Rechtsfrage bereits geklärt ist und/oder wenn sie sich ohne Weiteres aus den Rechtsvorschriften und/oder aus der bereits vorliegenden Rechtsprechung klar beantworten lässt (hierzu s z[X.] [X.][X.] SozR 3-1500 § 146 [X.]; [X.][X.] SozR 3-2500 § 75 [X.]; [X.][X.] SozR 3-1500 § 160a [X.]; vgl auch [X.][X.] SozR 3-4100 § 111 [X.] f sowie [X.][X.] SozR 3-2500 § 240 [X.]3 S 151 f mwN). Nichts anderes gilt, wenn kein vernünftiger Zweifel an der Richtigkeit der vom L[X.] dazu gegebenen Auslegung bestehen kann, weil sich die [X.]eantwortung bereits ohne Weiteres aus der streitigen Norm selbst ergibt (vgl hierzu [X.][X.] [X.]eschluss vom [X.] - [X.] [X.]/02 [X.] - Juris RdNr 4). Die [X.]edeutung über den Einzelfall hinaus ist nicht gegeben, wenn die Rechtsfrage aufgrund besonderer Gestaltung des vorliegenden Einzelfalls einer verallgemeinerungsfähigen [X.]eantwortung nicht zugänglich ist (vgl z[X.] [X.][X.] [X.]eschluss vom 5.11.2008 - [X.] [X.]/07 [X.] - Rd[X.] iVm 11). Diese Anforderungen sind verfassungsrechtlich unbedenklich (s die [X.] in [X.][X.] [X.]-1500 § 153 [X.] RdNr 13 sowie [X.] [X.]-1500 § 160a [X.] RdNr 4 f).

7

Die Rechtsfrage,

        

in welchem Umfang die Organisations- und Überwachungspflicht im Zusammenhang mit der Verpflichtung zur peinlich genauen Abrechnung bei Mitgliedern einer [X.]erufsausübungsgemeinschaft ([X.]) besteht, wenn die Organisation und Vornahme der Abrechnung und die Vorbereitung der Abrechnungssammelerklärungen im Rahmen der Arbeitsteilung überwiegend von einem [X.]-Mitglied übernommen wird bzw übertragen wurde,

ist - sofern sie trotz ihrer Allgemeinheit überhaupt klärungsfähig sein sollte - jedenfalls nicht klärungsbedürftig.

8

Es entspricht ständiger Rechtsprechung des [X.][X.], dass eine gewissenhafte, peinlich genaue Leistungsabrechnung zu den Grundpflichten eines Vertragsarztes gehört (vgl [X.][X.] Urteil vom 18.8.1972 - 6 [X.] 28/71 - Juris RdNr 11 = USK 72117; [X.][X.]E 110, 269 Rd[X.]4, insoweit nicht abgedruckt in [X.]-2500 § 95 [X.]). Diese Pflicht hat hohen Stellenwert, weil das Abrechnungs- und Honorierungssystem der vertragsärztlichen Versorgung auf Vertrauen aufbaut; das Vertrauen auf die Richtigkeit der Angaben der Leistungserbringer stellt ein Fundament des Systems der vertragsärztlichen Versorgung dar ([X.][X.]E 110, 269 = [X.]-2500 § 95 [X.], Rd[X.]5; s schon [X.][X.] SozR 3-5550 § 35 [X.]). Die ihm obliegenden Pflichten muss ein Vertragsarzt jederzeit erfüllen ([X.][X.]E 110, 269 = [X.]-2500 § 95 [X.], Rd[X.]2). Hieraus ergibt sich, dass jeder einzelne Vertragsarzt verpflichtet ist, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um das in die Richtigkeit seiner Abrechnung gesetzte Vertrauen zu rechtfertigen. Für die korrekte Abrechnung seiner Leistungen ist der Vertragsarzt selbst verantwortlich ([X.][X.] [X.]eschluss vom 11.12.2013 - [X.] [X.] 36/13 [X.] - Juris Rd[X.]). Wie der Senat ebenfalls bereits dargelegt hat, entlastet es den Vertragsarzt nicht von seiner Verantwortung, wenn und soweit er sich bei der Abrechnung personeller und/oder technischer Hilfe bedient ([X.][X.] aaO). In welcher Form er sich personeller Hilfe bedient, welcher Personen er sich hierzu bedient oder in welchem Umfang dies der Fall ist, spielt in [X.]ezug auf die ihm obliegenden Pflichten keine Rolle.

9

Die grundsätzliche Verantwortlichkeit des einzelnen Arztes für die Richtigkeit seiner Abrechnungen entfällt auch nicht dadurch, dass die Partner einer [X.] die Abrechnung der von ihnen erbrachten Leistungen auf eines ihrer Mitglieder übertragen haben (zur Zurechnung von Pflichtverstößen innerhalb einer [X.] s auch [X.][X.] [X.]eschluss vom 25.11.1999 - [X.] [X.]/98 [X.]). Zwar ist die Gemeinschaftspraxis bzw [X.] durch die gemeinschaftliche Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit geprägt und stellt rechtlich eine Praxis dar (stRspr des [X.][X.], vgl [X.][X.] [X.]-2500 § 106 [X.] RdNr 21). Dies ändert jedoch nichts am individuellen Pflichtenkreis ihrer einzelnen Mitglieder. Übertragen diese die ihnen grundsätzlich persönlich obliegende Aufgabe der Leistungsabrechnung auf einen der [X.]-Partner, haben sie durch geeignete (Überprüfungs-)Maßnahmen sicherzustellen, dass sie ihrer Verantwortung weiterhin gerecht werden. Dass sich einzelne Mitglieder einer [X.] nicht hinter dieser bzw den [X.]esonderheiten der gemeinschaftlichen [X.]erufsausübung "verstecken" können, verdeutlicht nicht zuletzt der Umstand, dass eine Haftung im Falle sachlich-rechnerischer Richtigstellungen oder anderer gegenüber der [X.] bestehender (Rück-)Forderungen nicht allein die [X.] trifft, sondern daneben eine Einstandspflicht ihrer einzelnen Gesellschafter besteht, welcher jeder für sich in Anspruch genommen werden kann (stRspr, vgl [X.][X.] [X.]-2500 § 106 [X.] RdNr 22; [X.][X.] [X.]-2500 § 106 [X.] Rd[X.]).

Der Rechtsfrage,

        

in welchem Umfang diese Organisations- und Überwachungspflicht im Zusammenhang mit der Verpflichtung zur peinlich genauen Abrechnung bei Mitgliedern einer [X.] insbesondere dann besteht, wenn ein [X.]-Mitglied Abrechnungsbetrug begeht und diesen in der Weise gestaltet, dass eine Manipulation nicht erkennbar wird und die [X.]-Kollegen bewusst über die Korrektheit der erstellten Abrechnung getäuscht werden,

fehlt schon die Klärungsfähigkeit in einem Revisionsverfahren, weil die Fragestellung impliziert, dass der Ehemann der Klägerin den Abrechnungsbetrug in einer Weise gestaltet hat, dass die Manipulation seitens der Klägerin nicht erkennbar war. Derartiges hat das [X.]erufungsgericht jedoch nicht festgestellt. Im Gegenteil legen dessen Ausführungen, dass die Klägerin die Abrechnungen allenfalls oberflächlich geprüft und damit gegen ihre Pflicht zur peinlich genauen Abrechnung verstoßen hat, es nahe, dass die Klägerin bei pflichtgemäßem Verhalten die Abrechnungsmanipulationen hätte erkennen können.

Schließlich bedarf auch die Rechtsfrage,

        

ob in diesem Fall eine verringerte Überwachungspflicht genügt, wenn die Mitglieder einer [X.] miteinander verheiratet sind und deshalb ein besonders hohes Vertrauen zueinander besteht,

keiner Klärung in einem Revisionsverfahren. Es liegt auf der Hand, dass sich die Intensität vertragsärztlicher Pflichten nicht danach richtet, in welchem Verhältnis die Partner einer [X.] zueinander stehen. Ein möglicherweise bestehendes besonderes Vertrauensverhältnis - sei es aufgrund einer Lebensgemeinschaft oder sonstiger freundschaftlicher oder verwandtschaftlicher [X.]eziehungen - entbindet Praxispartner nicht davon, das Handeln ihrer Kollegen sowohl in [X.]ezug auf medizinische Aspekte als auch auf Abrechnungsgesichtspunkte erforderlichenfalls mit der gleichen Professionalität zu hinterfragen, zu der sie auch gegenüber anderen Praxispartnern verpflichtet sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 [X.]G iVm §§ 154 ff VwGO. Danach hat die Klägerin auch die Kosten des von ihr ohne Erfolg durchgeführten Rechtsmittels zu tragen (§ 154 Abs 2 VwGO).

Die Festsetzung des Streitwerts entspricht der Festsetzung der Vorinstanz vom 25.11.2015, die von keinem der [X.]eteiligten in Frage gestellt worden ist (§ 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 [X.]G iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1, § 47 Abs 1 und 3 GKG).

Meta

B 6 KA 14/16 B

28.09.2016

Bundessozialgericht 6. Senat

Beschluss

Sachgebiet: KA

vorgehend SG München, 16. Mai 2014, Az: S 28 KA 1448/12, Urteil

§ 81 Abs 5 SGB 5

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 28.09.2016, Az. B 6 KA 14/16 B (REWIS RS 2016, 4795)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 4795

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