Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22.06.2011, Az. 5 StR 165/11

5. Strafsenat | REWIS RS 2011, 5543

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Gegenstand

Strafverfahren: Belastende Verwertung einer widerlegten Einlassung; Voraussetzungen eines minder schweren Falls des Totschlags


Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 21. Dezember 2010 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben; davon ausgenommen bleiben die Feststellungen zum äußeren Tathergang und zum Tatvorgeschehen, die aufrecht erhalten bleiben; insoweit wird die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschwurgericht zuständige Jugendkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die mit der Sachrüge geführte Revision hat den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg.

2

1. Das [X.] hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

3

a) Der Angeklagte wurde am Abend des 29. Juni 2010 von dem später geschädigten Zeugen [X.]        unter Verwendung eines Mobiltelefons der S.        – einer gemeinsamen Bekannten – fünfmal beleidigend und bedrohend angerufen. Der Angeklagte nahm die Bedrohungen ernst und verließ die elterliche Wohnung, um Hilfe bei seinem Bruder zu suchen. Er traf auf [X.]      , der von der in unmittelbarer Nachbarschaft wohnenden Zeugin S.     kam. Nach einer aggressiv geführten, hinsichtlich der Einzelheiten nicht aufklärbaren Unterhaltung ([X.]) kam es zu einer Schlägerei zwischen dem Angeklagten und [X.]    , der schließlich obsiegte. Der Angeklagte ging in die elterliche Wohnung zurück, zog eine Jogginghose und feste Turnschuhe an und steckte ein kleines Klappmesser mit einer Klingenlänge von 5,5 cm ein. Er verließ die Wohnung, um [X.]  erneut aufzusuchen und diesem die Urheberschaft der Anrufe nachzuweisen. Der Angeklagte traf auf ihn, als er gerade S.       telefonisch von der für ihn erfolgreichen Auseinandersetzung berichtete. „Der Angeklagte forderte den Geschädigten erregt auf, die Anrufliste seines Handys zu zeigen. Damit wollte er den Nachweis erbringen, dass dieser bei ihm angerufen hatte. Der Geschädigte folgte dieser Aufforderung in dem Wissen, dass sein Handy keine Anrufe ausweisen würde, da er dazu das Handy der Zeugin S.     benutzt hatte. Der Angeklagte war daraufhin enttäuscht und wütend, dass es ihm nicht gelungen war, dem Geschädigten die Anrufe nachzuweisen. Er forderte den Geschädigten auf, mit ihm zu der Zeugin S.        zu kommen, um die Geschehnisse aufzuklären. Der Geschädigte lehnte dies ab. Dem Angeklagten wurde nunmehr klar, dass es ihm nicht gelingen würde, den Nachweis zu erbringen, dass und warum der Geschädigte bei ihm angerufen hatte. [X.] griff er mit seiner Hand in die Hosentasche, zog sein Messer hervor und öffnete dieses mit dem Klappmechanismus. Der Geschädigte, der gerade sein Handy einsteckte, bemerkte dies nicht. Der Angeklagte hielt das Messer in der rechten Hand, trat rechts an dem Geschädigten vorbei und stach diesem das Messer mit einer Schwungbewegung über die Schulter gezielt viermal in den oberen, linken Rücken. In der Rückwärtsbewegung stach er [X.] von vorne links in den Oberbauch“ ([X.] f.).

4

b) Das [X.] hat die Einlassung des Angeklagten, er habe in Notwehr gehandelt, um einem Messerangriff des [X.]        zuvorzukommen ([X.]), beweiswürdigend widerlegt. Es hat bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten aufgrund der Empfindlichkeit der getroffenen Körperregion und der Anzahl der Stiche angenommen ([X.]) und auf Folgendes abgestellt:

5

„Vorliegend stach der Angeklagte mit seinem Messer mit einer Klingenlänge von 5,5 cm viermal in den oberen Rücken und einmal in den Bauch des Geschädigten. Der Angeklagte hat glaubhaft angegeben, dass er auch diese Körperregionen anvisiert hat, da er aufgrund der Körperhaltung des Geschädigten keine Chance sah, in dessen Beine zu stechen, was er Stichen in den Rücken vorgezogen hätte“ ([X.] 33).

6

2. Der so begründete Tötungsvorsatz hält der sachlichrechtlichen Prüfung nicht stand. Das [X.] hat maßgeblich neben dem konkreten Einsatz des verhältnismäßig kleinen Messers Vorstellungen des Angeklagten während der Stichabgabe zu seinen Lasten herangezogen, die dieser ausschließlich zum Zweck seiner Verteidigung, zur Begründung der Notwehrlage angegeben hat. Nachdem das [X.] diese Einlassung gänzlich widerlegt hat, durfte es nicht mehr vom Vorliegen eines Geständnisses hinsichtlich einer beabsichtigten Beibringung erheblicher Verletzungen ausgehen und dieses zum Nachteil des Angeklagten verwenden (vgl. [X.], Beschlüsse vom 4. und 24. Mai 2011  – 5 StR 65/11 und 161/11; vgl. auch [X.], Beschluss vom 9. Oktober 1998  – 2 [X.]/98).

7

3. Die Sache bedarf neuer Aufklärung und Bewertung mit Ausnahme der Feststellungen zum äußeren Tathergang und zum Tatvorgeschehen, die aufrechterhalten bleiben können. Diese umfassen auch den Ausschluss von Notwehr.

8

Der Senat weist für den Fall einer erneut notwendig werdenden mittelbaren Heranziehung der Voraussetzungen der Vorschrift des § 213 Alternative 1 StGB darauf hin, dass maßgebend nicht ist, ob sich die Tat als Spontantat darstellt. Es kommt vielmehr darauf an, ob die in den Beleidigungen, den Bedrohungen und dem weiteren Verhalten des [X.] liegende Kränkung einen noch anhaltenden Zorn des Angeklagten hervorgerufen und den Angeklagten zu seiner Tat hingerissen hat (vgl. [X.], Beschlüsse vom 30. Oktober 1990  – 5 [X.], [X.]R StGB § 213 Alternative 1 Hingerissen 1, und vom 28. September 2010 – 5 [X.]). Schon die bisherige Erwägung des [X.]s, dass das bei der Vernehmung des [X.] in der Hauptverhandlung provokant zur Schau getragene Selbstbewusstsein die Kammer nachvollziehen lasse, dass sich durch dessen Auftreten gegenüber dem Angeklagten dessen Wut und Frustration weiter gesteigert und schließlich in den Messerstichen entladen hätte ([X.] 31), deutet auf einen solchen Zusammenhang hin. Dieser steht in einem Spannungsverhältnis zur festgestellten – zudem gar nicht maßgeblichen – „objektiven Entschärfung der Provokationslage“ ([X.] 47).

Basdorf                             Raum                             Brause

                   Schneider                          Bellay

Meta

5 StR 165/11

22.06.2011

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Hamburg, 21. Dezember 2010, Az: 604 Ks 25/10, Urteil

§ 261 StPO, § 212 StGB, § 213 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22.06.2011, Az. 5 StR 165/11 (REWIS RS 2011, 5543)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 5543

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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