Bundesgerichtshof, Urteil vom 17.07.2014, Az. 4 StR 158/14

4. Strafsenat | REWIS RS 2014, 3963

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Gegenstand

Rücktritt vom Versuch eines Tötungsdelikts: Korrektur des Rücktrittshorizonts; Abgrenzung zwischen beendetem und unbeendetem Versuch


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 18. Dezember 2013 mit Ausnahme der Entscheidung über den [X.] mit den Feststellungen aufgehoben; hiervon ausgenommen sind jedoch die Feststellungen bis zur Ausführung des [X.] durch den Angeklagten - diese eingeschlossen - sowie zum Geschehen in der Gaststätte und danach.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung von vier Vorverurteilungen zu der [X.] von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt; ferner hat es eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Die hiergegen gerichtete, auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat weitgehend Erfolg.

2

1. Die Ablehnung eines strafbefreienden Rücktritts vom Versuch des heimtückisch begangenen Mordes (§ 24 Abs. 1 StGB) begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

3

a) Nach den Feststellungen versetzte der Angeklagte dem Nebenkläger einen wuchtigen Stich mit einem Küchenmesser - Klingenlänge ca. 17 cm - in den oberen Rückenbereich, um ihn zu töten. Auf Aufforderung des Geschädigten versuchte er anschließend, das Messer wieder herauszuziehen; er ließ den Griff jedoch sofort wieder los, weil der Nebenkläger zu große Schmerzen erlitt. Beide gingen anschließend zu dem bis zu 300 Meter vom Tatort entfernt abgestellten Pkw des [X.], der seinen Wagen aufschloss und den Angeklagten bat, mit dessen im Auto zurückgelassenen Handy einen Krankenwagen herbeizurufen. Der Angeklagte nahm auf dem Fahrersitz Platz, täuschte aber einen Anruf lediglich vor; die Frage des misstrauisch gewordenen [X.], "ob er das mit dem Messer gewesen sei," verneinte er. Dem Wunsch des [X.], den Fahrersitz freizumachen, kam der Angeklagte nicht nach. Er nahm an, sein zögerliches Verhalten werde dazu führen, dass der Geschädigte in absehbarer Zeit vor Ort versterben werde. Der Nebenkläger ging sodann mit dem Messer im Rücken zu einer etwa 700 m entfernten Gaststätte. Der Angeklagte folgte ihm "in einigem Abstand" und schloss, kurz bevor der Geschädigte die Gaststätte erreichte, zu diesem auf. Er betrat die Gaststätte in geringem Abstand zum Nebenkläger; dort anwesende Personen setzten sogleich einen Notruf an die Rettungsleitstelle ab. Letztlich konnte der Nebenkläger durch eine Notoperation gerettet werden.

4

b) Die Annahme des [X.]s, es liege ein beendeter Versuch des Tötungsdelikts vor, von dem der Angeklagte in Ermangelung von [X.] nicht zurückgetreten sei, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Feststellungen der [X.] zum subjektiven Vorstellungsbild des Angeklagten sind in einem entscheidenden Punkt lückenhaft.

5

aa) Ein beendeter Versuch liegt vor, wenn der Täter nach der letzten Ausführungshandlung den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs für möglich hält (sog. Rücktrittshorizont; vgl. nur [X.] - Großer Senat -, Beschluss vom 19. Mai 1993 - [X.], [X.]St 39, 221, 227). Eine Korrektur des Rücktrittshorizonts ist allerdings in engen Grenzen möglich. Der Versuch eines Tötungsdelikts ist daher nicht beendet, wenn der Täter zunächst irrtümlich den Eintritt des Todes für möglich hält, aber "nach [X.] Erkenntnis seines Irrtums" von weiteren Ausführungshandlungen Abstand nimmt ([X.], Urteile vom 1. Dezember 2011 - 3 StR 337/11, [X.]R StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, beendeter 14, und vom 19. März 2013 - 1 [X.], [X.], 273, 274; Beschluss vom 7. Mai 2014 - 4 [X.]; vgl. weiter [X.], Beschluss vom 8. Juli 2008 - 3 [X.], [X.], 335, 336; [X.], StGB, 61. Aufl., § 24 Rn. 15a; [X.]/[X.]/[X.], 2. Aufl., § 24 Rn. 80: "kurzzeitige Fehlvorstellung"). Die Frage, ob nach diesen Rechtsgrundsätzen von einem beendeten oder unbeendeten Versuch auszugehen ist, bedarf insbesondere dann eingehender Erörterung, wenn das angegriffene Tatopfer nach der letzten Ausführungshandlung noch - vom Täter wahrgenommen - zu körperlichen Reaktionen fähig ist, die geeignet sind, Zweifel daran aufkommen zu lassen, das Opfer sei bereits tödlich verletzt ([X.], Beschluss vom 7. November 2001 - 2 [X.], [X.], 73, 74; Urteil vom 6. März 2013 - 5 StR 526/12, [X.], 463). So liegt es nach der Rechtsprechung des [X.] etwa in dem Fall, dass das Opfer noch in der Lage ist, sich vom Tatort wegzubewegen ([X.], Beschluss vom 19. Dezember 2000 - 4 StR 525/00; vgl. dazu etwa [X.], Beschluss vom 15. August 2001 - 3 [X.]: das Opfer verfolgte den Täter "über eine längere Strecke"; Urteil vom 11. November 2004 - 4 StR 349/04, [X.], 331 f.: das Opfer lief die Treppe von der Empore zum Eingangsbereich der Diskothek hinunter; s. weiter [X.], Urteile vom 19. Juli 1989 - 2 StR 270/89, [X.]St 36, 224, vom 29. September 2004 - 2 StR 149/04, [X.], 150, 151, und vom 8. Februar 2007 - 3 [X.], [X.], 399 f.). Ein solcher Umstand kann geeignet sein, die Vorstellung des [X.] zu erschüttern, alles zur Erreichung des gewollten Erfolgs getan zu haben ([X.], Urteil vom 11. November 2004, aaO; Beschluss vom 8. Juli 2008 - 3 [X.], [X.], 335, 336).

6

bb) Diese zur Korrektur des Rücktrittshorizonts entwickelten Grundsätze hat das [X.] erkennbar nicht bedacht. Es ist zwar rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass der Angeklagte, nachdem er dem Nebenkläger das Messer in den Rücken gestoßen hatte, den [X.] für möglich hielt ([X.]); auch ging er nach Rückkehr zum PKW des Verletzten davon aus, dass dieser alsbald versterben werde ([X.]). Die [X.] hat aber keine Feststellungen zu den subjektiven Vorstellungen des Angeklagten getroffen, als dieser bemerkte, dass sich der Nebenkläger zu der Gaststätte begab. Seinem nicht stark blutenden ([X.]) und noch nicht in akuter Lebensgefahr befindlichen ([X.]) Opfer, das nach dem Stich bereits bis zu seinem Auto gelaufen war und dort nachdrücklich die Hilfe des Angeklagten eingefordert hatte, gelang es nämlich, aus [X.] die Strecke von ca. 700 Metern zu bewältigen. Unterwegs bat er noch vier Personen - vergeblich - um Hilfe. Diese Feststellungen lassen es jedenfalls als möglich erscheinen, dass der Angeklagte infolge des Verhaltens des Geschädigten sogleich oder jedenfalls alsbald nicht mehr davon ausging, diesen tödlich verletzt zu haben. Das Urteil rechtfertigt auch nicht die Annahme, der Nebenkläger habe sich bereits so weit vom Angeklagten entfernt, dass aus dessen Sicht zur Vollendung eines Tötungsdelikts ein erneuter Geschehensablauf hätte in Gang gesetzt werden müssen (vgl. [X.], Urteil vom 8. Mai 2012 - 5 [X.], [X.], 688, 689).

7

c) Auf dem aufgezeigten [X.] beruht der Schuldspruch wegen versuchten Mordes. Die bisher getroffenen Feststellungen zu dem Vorstellungsbild des Angeklagten im Rücktrittshorizont lassen einen sicheren Schluss auf einen Fehlschlag des Versuchs (vgl. dazu [X.], Beschlüsse vom 7. Mai 2014 - 4 StR 82/14 und 4 [X.]) nicht zu. Erst im Zusammenhang mit dem passiven Verhalten des Angeklagten in der Gaststätte hält das [X.] dafür, "dass der Angeklagte in diesem Moment erkannt hat, dass sein Vorhaben gescheitert ist, den Tod (des [X.]) herbeizuführen und ihn diese Erkenntnis niederdrückt" ([X.]); das vermag jedoch die erforderlichen Feststellungen zu einem zeitlich vorgelagerten Zeitpunkt nicht zu ersetzen (vgl. [X.], Beschluss vom 11. März 2014 - 1 StR 735/13, NStZ-RR 2014, 201, 202). Zwar hat das [X.] bei der Erörterung eines Rücktritts auch ausgeführt, der Angeklagte habe nach seiner Vorstellung keine naheliegenden weiteren Möglichkeiten gehabt, auf den Geschädigten einzuwirken: "Wegen seiner Unfähigkeit mit Blut umzugehen, war er nicht in der Lage, etwa das Messer herauszuziehen und erneut einzusetzen oder andere blutige Verletzungen hervorrufende Hilfsmittel einzusetzen" ([X.]). Es ist aber schon fraglich, ob die [X.] mit diesen Ausführungen einen auf einen früheren Zeitpunkt bezogenen Fehlschlag begründen wollte. Denn die zitierte Wendung schließt unmittelbar an die Bejahung eines beendeten Versuchs an. Die tatsächliche Bewertung der weiteren Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten steht zudem - wie der [X.] mit Recht ausgeführt hat - in einem nicht aufgelösten Widerspruch zu den weiteren Feststellungen. Es war der Angeklagte, der mit direktem Vorsatz ([X.]) unter Verwendung eines Küchenmessers mit einer langen Klinge auf den Nebenkläger einstach und ferner - auf die Bitte des Geschädigten - versuchte, das Messer aus dem Rücken herauszuziehen. Diesen Versuch brach er nicht etwa deswegen ab, weil er "kein Blut sehen kann" ([X.]), sondern weil der Nebenkläger hierdurch große Schmerzen erlitt. Dass sich der Angeklagte, der naheliegend weiterhin Zugriff auf die im Rücken des [X.] steckende Tatwaffe hatte, an einer Tatvollendung auf dem Weg zur Gaststätte gehindert sah, versteht sich deshalb nicht von selbst.

8

2. Der dargelegte Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung des Schuldspruchs insgesamt. Die Aufhebung erfasst auch die für sich genommen rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen tateinheitlich begangener gefährlicher Körperverletzung (vgl. [X.], Urteil vom 20. Februar 1997 - 4 [X.], [X.]R [X.] § 353 Aufhebung 1).

9

Allerdings bedarf es nur der Aufhebung der Feststellungen zu dem dem Messerstich nachfolgenden Geschehen, bis der Nebenkläger die Gaststätte erreichte (§ 353 Abs. 2 [X.]).

Die Aufhebung erfasst nicht den Adhäsionsausspruch ([X.]/[X.], [X.], 57. Aufl., § 406a Rn. 8).

Mutzbauer                                  Roggenbuck                                  Cierniak

                          Bender                                           [X.]

Meta

4 StR 158/14

17.07.2014

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Magdeburg, 18. Dezember 2013, Az: 22 Ks 2/13

§ 22 StGB, § 23 StGB, § 24 Abs 1 S 1 Alt 1 StGB, § 211 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 17.07.2014, Az. 4 StR 158/14 (REWIS RS 2014, 3963)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 3963

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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