Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.07.2014, Az. AnwZ (Brfg) 45/13

Senat für Anwaltssachen | REWIS RS 2014, 3824

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Gegenstand

Verwaltungsrechtliche Anwaltssache: Erfordernis der Bestellung eines Zustellungsbevollmächtigten bei Verlegung des Kanzleisitzes ins Ausland


Tenor

Der Antrag des [X.] auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des [X.] Senats des Anwaltsgerichtshofs in der [X.] vom 14. Juni 2013 wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Wert des Zulassungsverfahrens wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

[X.]

1

Der Kläger ist seit dem 20. Juni 1968 zugelassener Rechtsanwalt und Mitglied der beklagten Rechtsanwaltskammer. Er verlegte seinen Wohnsitz und seine Kanzlei nach [X.]    ([X.]). Mit [X.]escheid vom 23. September 1994 befreite ihn die seinerzeit zuständige Justizbehörde                 H.     von der Pflicht, eine Kanzlei im [X.]ezirk der [X.]eklagten zu unterhalten.

2

Mit [X.]escheid vom 10. November 2011 gab die [X.]eklagte dem Kläger unter Anordnung des [X.] auf, für die Dauer der [X.]efreiung von der Kanzleipflicht einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen. Widerspruch und Klage des [X.] gegen diesen [X.]escheid blieben erfolglos. Der Kläger hat nunmehr einen als "Nichtzulassungsbeschwerde" bezeichneten Rechtsbehelf eingelegt, mit welchem er die Zulassung der [X.]erufung erreichen will.

I[X.]

3

Der Antrag des [X.] kann als Antrag auf Zulassung der [X.]erufung ausgelegt werden. Als solcher ist er nach § 112e Satz 2 [X.], § 124a Abs. 4 VwGO statthaft. Er bleibt jedoch ohne Erfolg.

4

1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen nicht (§ 112e Satz 2 [X.], § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

5

a) Ein Rechtsanwalt, der von der Pflicht befreit worden ist, eine Kanzlei zu unterhalten, hat der Rechtsanwaltskammer einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen, der im Inland wohnt oder dort einen Geschäftsraum hat (§ 30 Abs. 1 [X.]); Ausnahmen sind nicht vorgesehen. Der Kläger ist mit [X.]escheid vom 23. September 1994 von der Kanzleipflicht befreit worden. Die Kanzleipflicht wird in § 27 Abs. 1 [X.] dahingehend bestimmt, dass der Rechtsanwalt verpflichtet ist, im [X.]ezirk der Rechtsanwaltskammer, deren Mitglied er ist, eine Kanzlei einzurichten und zu unterhalten. Ein Rechtsanwalt, der seine Kanzleien ausschließlich in anderen [X.] einrichtet, wird gemäß § [X.] Abs. 2 [X.] ebenso von der Kanzleipflicht des § 27 Abs. 1 [X.] befreit wie ein Rechtsanwalt, der weder im Inland noch im Ausland eine Kanzlei unterhält und nach § 29 Abs. 1 [X.] zur Vermeidung von Härten von der Pflicht des § 27 Abs. 1 [X.] befreit werden kann. Dass die Vorschrift des § 30 Abs. 1 [X.] auch für Anwälte mit (ausschließlichem) Kanzleisitz im Ausland gilt, folgt hinreichend deutlich aus § [X.] Abs. 2 [X.], der auf § 27 [X.] [X.]ezug nimmt. Überdies kann nach § 14 Abs. 3 Nr. 3 [X.] die Zulassung eines Anwalts zur Rechtsanwaltschaft widerrufen werden, der nicht binnen drei Monaten, nachdem er gemäß § [X.] Abs. 2 [X.] von der Kanzleipflicht befreit worden ist, einen Zustellungsbevollmächtigten benennt.

6

b) Auf einen "[X.]estandsschutz" kann sich der Kläger nicht berufen. Die in § 30 [X.] normierte Pflicht, einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen, ist fortlaufend zu erfüllen, solange der Rechtsanwalt von der Kanzleipflicht des § 27 Abs. 1 [X.] befreit ist. Sie gilt damit auch in Fällen, in denen die Rechtsanwaltskammer zunächst davon abgesehen hatte, die [X.]enennung eines Zustellungsbevollmächtigten zu verlangen. Ein Rechtsanwalt, der jahrelang keinen Zustellungsbevollmächtigten beauftragt hatte, wird durch die Erfüllung der ihm gemäß § 30 [X.] obliegenden Pflicht zur [X.]estellung des Zustellungsbevollmächtigten nicht mehr oder anders belastet als ein Anwalt, der unverzüglich nach der [X.]efreiung von der Kanzleipflicht einen Zustellungsbevollmächtigten bestellt hat. Im Jahre 2009 ist dem Kläger wegen seiner Weigerung, einen Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen, gemäß § 74 [X.] eine Rüge erteilt worden; sein Antrag auf anwaltsgerichtliche Entscheidung (§ 74a [X.]) ist erfolglos geblieben.

7

c) Der nicht näher belegten [X.]ehauptung des [X.], nur ihm allein sei die [X.]estellung eines Zustellungsbevollmächtigten aufgegeben worden, geht der [X.] nicht nach. Auf die Frage, welche Folgen ein Vollzugsdefizit nach sich ziehen könnte und welches Ausmaß dieses angenommen haben müsste, um rechtlich von [X.]elang zu sein, kommt es wegen des Fehlens ausreichender tatsächlicher Anhaltspunkte nicht an.

8

2. Rechtsfragen von grundsätzlicher [X.]edeutung wirft die Sache nicht auf (§ 112e Satz 2 [X.], § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Dieser Zulassungsgrund ist gegeben, wenn der Rechtsstreit eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt ([X.], [X.]eschluss vom 27. März 2003 - [X.], [X.]Z 154, 288, 291; [X.], [X.], 515, 518; [X.]VerwG, NVwZ 2005, 709).

9

a) Die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage nach dem Anwendungsbereich des § 30 Abs. 1 [X.] lässt sich, wie gezeigt, ohne weiteres aus den Vorschriften der §§ 27, [X.], 30, 14 Abs. 3 Nr. 3 [X.] beantworten. Demgegenüber trägt der Kläger ohne Angaben genauer Fundstellen vor, das Urteil des [X.] stehe im Widerspruch zu führender Kommentarliteratur. Nicht jede in der Literatur geäußerte Einzelmeinung begründet jedoch die Notwendigkeit einer höchstrichterlichen Leitentscheidung. Die Mehrzahl der Kommentatoren geht wie der [X.] und der [X.] davon aus, dass die Pflicht des § 30 Abs. 1 [X.] auch in den Fällen des § [X.] Abs. 2 [X.] gilt (vgl. etwa [X.] in [X.]/Wolf/Göcken, Anwaltliches [X.]erufsrecht, § 30 [X.] Rn. 8; [X.], aaO, § [X.] [X.] Rn. 19; [X.], aaO, § 14 Rn. 50; [X.] in Henssler/Prütting, [X.], 4. Aufl., § [X.] Rn. 12; Prütting, aaO, § 30 Rn. 7; [X.] in [X.]/[X.], [X.], 8. Aufl., § 14 Rn. 92a; [X.], aaO, § [X.] Rn. 15; Kleine/[X.], [X.], 6. Aufl., § 30 Rn. 1).

b) Die verfassungsrechtlichen [X.]edenken des [X.] teilt der [X.] nicht. Die Vorschrift des § 30 [X.] verstößt nicht gegen Art. 12 Abs. 1 GG. Sie enthält eine [X.]erufsausübungsregelung, die dem [X.] des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG genügt und durch vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls, nämlich die Erleichterung der Zustellung an Anwälte ohne Kanzlei im Sinne von § 27 Abs. 1 [X.], gerechtfertigt ist. Nach der amtlichen [X.]egründung des Entwurfs einer [X.]undesrechtsanwaltsordnung vom 24. November 1954 dient die [X.]estellung eines Zustellungsbevollmächtigten der Sicherung des [X.] in den besonderen Formen, welche die Prozessordnungen für Zustellungen an Anwälte vorsehen ([X.]T-Drucks. 2/1014, [X.] zu § 42 [X.]-E, nach welchem nur ein zugelassener Rechtsanwalt als Zustellungsbevollmächtigter benannt werden konnte). Auch § 30 Abs. 1 [X.] in der jetzt geltenden Fassung soll gewährleisten, dass Zustellungen in den in § 30 Abs. 2 [X.] genannten erleichterten Formen der Zivilprozessordnung erfolgen können und Auslandszustellungen vermieden werden (vgl. die amtliche [X.]egründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen [X.]erufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung, der Finanzgerichtsordnung und kostenrechtlicher Vorschriften vom 17. Dezember 2008, [X.]T-Drucks. 16/11385, [X.] zu [X.]). Der [X.] hat auch in früheren Entscheidungen keinen Anlass für eine Vorlage nach Art. 100 GG gesehen (vgl. [X.], [X.]eschluss vom 18. November 2013 - [X.] ([X.]) 3/13, NJW-RR 2014, 377). Eine Vorlage an den [X.] ist ebenfalls nicht veranlasst. Die Vorschrift des § 30 Abs. 1 [X.] ist schließlich auch inhaltlich hinreichend bestimmt. Der Kläger hat der [X.]eklagten einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen. Auf weiteres kommt es nicht an.

3. Die Rechtssache weist keine besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten auf (§ 112e Satz 2 [X.], § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Der Sachverhalt ist übersichtlich; die Rechtslage ist eindeutig.

4. Der Kläger hat schließlich keinen Verfahrensfehler dargelegt, auf dem die Entscheidung des [X.] beruhen kann (§ 112e Satz 2 [X.], § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO). Soweit der Kläger beanstandet, dass sich die [X.]eklagte im Hinblick auf § 46 [X.] nicht durch eine bei ihr angestellte Rechtsanwältin hätte vertreten lassen dürfen, ist nicht ersichtlich, dass das Urteil des [X.] hierauf beruht (vgl. § 102 Abs. 2 VwGO). Entgegen der Ansicht des [X.] stellen der [X.] und der [X.]undesgerichtshof, [X.] für Anwaltssachen, keine verbotenen Ausnahmegerichte im Sinne von Art. 101 Abs. 1 Satz 1 GG dar.

II[X.]

Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 [X.], § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 1 Satz 1 [X.], § 52 Abs. 2 GKG.

Limperg                         [X.]

                   Stüer                                  Kau

Meta

AnwZ (Brfg) 45/13

23.07.2014

Bundesgerichtshof Senat für Anwaltssachen

Beschluss

Sachgebiet: False

vorgehend Anwaltsgerichtshof Hamburg, 14. Juni 2013, Az: AGH I ZU 2/12

§ 27 Abs 1 BRAO, § 29a Abs 2 BRAO, § 30 Abs 1 BRAO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.07.2014, Az. AnwZ (Brfg) 45/13 (REWIS RS 2014, 3824)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 3824

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