Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.03.2017, Az. AnwZ (Brfg) 3/17

Senat für Anwaltssachen | REWIS RS 2017, 13730

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Gegenstand

Kanzleipflicht des Rechtsanwalts: Zulässigkeit des Betriebs einer Immobilienverwaltung in den Räumen der Anwaltssozietät


Tenor

Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das am 24. Oktober 2016 verkündete Urteil des 4. Senats des Bayerischen Anwaltsgerichtshofs wird abgelehnt.

Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Wert des Zulassungsverfahrens wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Kläger wendet sich gegen einen von der [X.]eklagten ausgesprochenen belehrenden Hinweis vom 31. März 2016. Darin wird beanstandet, der Kläger verstoße gegen die in § 27 Abs. 1 [X.] verankerte Kanzleipflicht, weil seine Rechtsanwaltssozietät in ihren Kanzleiräumen eine Immobilienverwaltung beherberge, die unter Nutzung der gleichen Anschrift und der gleichen Kommunikationsverbindungen vom Kläger als namensgebendem Sozius der Rechtsanwaltssozietät betrieben werde.

2

Der [X.] hat den belehrenden Hinweis aufgehoben. Die [X.]eklagte beantragt die Zulassung der [X.]erufung gegen das Urteil des [X.]s.

II.

3

Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg. Die von der [X.]eklagten geltend gemachten Zulassungsgründe (§ 112e Satz 2 [X.], § 124 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO) liegen nicht vor.

4

1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen nicht (§ 112e Satz 2 [X.], § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (st. Rspr.; vgl. etwa [X.], [X.]eschluss vom 28. Oktober 2011 - [X.] ([X.]) 30/11, NJW-RR 2012, 189 Rn. 5 mwN). Daran fehlt es. Ein Verstoß des [X.] gegen die Kanzleipflicht gemäß § 27 Abs. 1 [X.] liegt nicht vor.

5

a) Nach § 27 Abs. 1 [X.] muss der Rechtsanwalt im [X.]ezirk der Rechtsanwaltskammer, deren Mitglied er ist, eine Kanzlei einrichten und unterhalten. Die Kanzlei dient dazu, die Erreichbarkeit des Anwalts für das rechtsuchende Publikum, [X.]erufskollegen, Gerichte und [X.]ehörden sicherzustellen. Von einer Kanzlei im Rechtssinne kann daher nur bei Vorhandensein organisatorischer Maßnahmen gesprochen werden, die der Öffentlichkeit den Willen des Anwalts offenbaren, anwaltliche Dienstleistungen bereitzustellen (Senat, [X.]eschlüsse vom 20. Oktober 2014 - [X.] ([X.]) 32/13, [X.]eckRS 2014, 20924 Rn. 11 und vom 6. Juli 2009 - [X.] ([X.]) 26/09, NJW-RR 2009, 1577 Rn. 5). Der Rechtsanwalt muss dem rechtsuchenden Publikum in den Praxisräumen zu angemessenen Zeiten für anwaltliche Dienste zur Verfügung stehen (Senat, [X.]eschluss vom 6. Juli 2009 aaO). Letzteres erscheint fraglich, wenn die Praxisräume zur Wahrung anwaltlicher Pflichten - wie der Verschwiegenheitspflicht gemäß § 43a Abs. 2 [X.] - ungeeignet sind (vgl. hierzu [X.] in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches [X.]erufsrecht, 2. Aufl., § 27 [X.] Rn. 19).

6

b) Dies kann jedoch vorliegend dahinstehen. Denn der [X.] ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Ausübung der Immobilienverwaltung durch den Kläger in den Räumen seiner Rechtsanwaltssozietät nicht die Gefahr einer Verletzung der Verschwiegenheitspflicht gemäß § 43a Abs. 2 [X.] birgt.

7

aa) Entgegen der Auffassung der [X.]eklagten erfordert die Sicherung der strafprozessualen [X.]eschlagnahmeverbote (§ 97 [X.] i.V.m. § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 [X.]) nicht eine räumliche Trennung von Kanzlei und Immobilienverwaltung.

8

Der [X.] hat zutreffend darauf hingewiesen, dass Gegenstände [X.]. § 97 Abs. 1 [X.], die sich im [X.] eines Rechtsanwalts in dessen Kanzleiräumen befinden, auch dann vor einem staatlichen Zugriff geschützt sind, wenn der nichtanwaltliche Sozius an ihnen unmittelbaren [X.]esitz hat (vgl. [X.]VerfG, NJW 2016, 700 Rn. 76). Der Schutz vor staatlichem Zugriff besteht bei solchen [X.] unabhängig davon, ob es sich bei demjenigen, der neben dem Rechtsanwalt [X.]esitz oder Mitbesitz an den betreffenden Gegenständen hat, um einen Sozius des Rechtsanwalts oder einen [X.]erufsträger handelt, der sich seinerseits auf ein Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 53 Abs. 1 Satz 1 [X.] berufen kann. Eine derartige [X.]egrenzung des Schutzes vor staatlichem Zugriff ergibt sich auch nicht aus dem [X.]eschluss des [X.]undesverfassungsgerichts vom 12. Januar 2016 (aaO). Dort wird - nach Erörterung des Schutzes bestimmter nichtanwaltlicher [X.]erufsgruppen vor einer [X.]eschlagnahme - ausgeführt, dass sich unabhängig hiervon ("zudem") der Schutz vor einem staatlichen Zugriff auch aus dem Gewahrsam des Rechtsanwalts ergebe, der kein [X.] sein müsse. Die Erwähnung des nichtanwaltlichen "Sozius" dient dabei nicht der [X.]egrenzung des (Mit-)[X.]esitz ausübenden Personenkreises. Sie folgt allein aus dem Zusammenhang der zur Entscheidung stehenden Rechtsfrage eines Sozietätsverbots nach § 59a Abs. 1 Satz 1 [X.]. In der Entscheidung des [X.]undesverfassungsgerichts wird vielmehr auf strafprozessuale Rechtsprechung verwiesen, in der - ohne eine weitere [X.]egrenzung des [X.] der nichtanwaltlichen [X.]sinhaber - zur [X.]egründung des [X.]eschlagnahmeverbots gemäß § 97 Abs. 1 [X.] der [X.] des Rechtsanwalts als ausreichend erachtet wird, sofern nicht der [X.]eschuldigte [X.] inne hat ([X.]VerfG aaO unter Hinweis auf [X.], [X.]eschluss vom 4. August 1964 - 3 St[X.] 12/63, [X.]St 19, 374 und Urteil vom 28. März 1973 - 3 [X.], [X.]St 25, 168, 169; [X.], [X.] 1981, 603).

9

Auch im strafprozessualen Schrifttum wird einhellig die Auffassung vertreten, dass für das [X.]eschlagnahmeverbot gemäß § 97 Abs. 1 [X.] der [X.] des Zeugnisverweigerungsberechtigten genügt, soweit nicht der weitere [X.] dem [X.]eschuldigten zusteht. Eine darüber hinausgehende [X.]egrenzung des [X.] der nichtanwaltlichen (Mit-)Gewahrsamsinhaber erfolgt ebenfalls nicht (vgl. [X.] in [X.], [X.], 26. Aufl., § 97 Rn. 29; MüKo[X.]/[X.], 1. Aufl., § 97 Rn. 20; [X.]eckOK[X.]/[X.], § 97 Rn. 6b [Stand: 01.01.2017]).

Greift aber das [X.]eschlagnahmeverbot des § 97 Abs. 1 [X.] im Fall eines Rechtsanwalts, der neben einem anderen in den Kanzleiräumen tätigen, selbst nicht zeugnisverweigerungsberechtigten Gewahrsamsinhaber [X.] ausübt, so gilt das [X.]eschlagnahmeverbot erst recht in dem vorliegenden Fall eines Rechtsanwalts, der Mit- oder [X.] an den von einem [X.]eschlagnahmeverbot betroffenen Gegenständen innehat und zugleich in seinen Kanzleiräumen einen [X.]eruf ausübt, der nicht zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt (vgl. zum Gewahrsam eines [X.], der seine Verteidigungsunterlagen im [X.]üro des Unternehmens aufbewahrt: [X.], [X.], 47, 48; [X.] in [X.] aaO).

Entgegen der Auffassung der [X.]eklagten folgt aus der - zutreffenden - Auffassung des [X.]s nicht, dass der Rechtsanwalt [X.]eschlagnahmeschutz für alle Unterlagen und sonstigen Gegenstände erlangt, die nicht seiner anwaltlichen Tätigkeit, sondern einem beliebigen Zweitberuf zuzuordnen sind. Geschützt sind stets nur die in § 97 Abs. 1 [X.] genannten Gegenstände, die dem Gewahrsam des Rechtsanwalts als gemäß § 53 Abs. 1 Satz 1 [X.] Zeugnisverweigerungsberechtigtem unterliegen. Dieser Schutz wird dadurch, dass der Rechtsanwalt in seinen Kanzleiräumen einen weiteren, nicht zur Zeugnisverweigerung berechtigenden [X.]eruf ausübt, weder erweitert noch beeinträchtigt.

bb) Zu Recht ist der [X.] davon ausgegangen, dass auch eine etwaige im Hinblick auf die Immobilienverwaltung des [X.] durchgeführte Telefonüberwachung nicht die Gefahr einer Verletzung seiner anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht begründet. Erkenntnisse, die durch eine Ermittlungsmaßnahme erlangt werden, die sich nicht gegen den zeugnisverweigerungsberechtigten Rechtsanwalt richtet, über die letzterer jedoch das Zeugnis verweigern dürfte, dürfen gemäß § 160a Abs. 1 Satz 2 und 5 [X.] nicht verwendet werden. Aufzeichnungen hierüber sind gemäß § 160a Abs. 1 Satz 3 und 5 [X.] unverzüglich zu löschen. Damit dürfen aber auch Erkenntnisse nicht verwendet werden, die aus einer sich gegen den Rechtsanwalt als Immobilienverwalter richtenden Telefonüberwachung erlangt werden, indes seine Tätigkeit als Rechtsanwalt betreffen und deswegen gemäß § 53 Abs. 1 [X.] seinem Zeugnisverweigerungsrecht unterliegen. Hierdurch wird der Gefahr einer Verletzung der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht hinreichend vorgebeugt.

2. Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche [X.]edeutung (§ 112e Satz 2 [X.], § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Dieser Zulassungsgrund ist gegeben, wenn der Rechtsstreit eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (vgl. nur [X.], [X.]eschluss vom 6. Februar 2012 - [X.] ([X.]) 42/11, juris Rn. 25 mwN).

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die von der [X.]eklagten zur [X.]egründung ihres Antrags auf Zulassung der [X.]erufung formulierte Rechtsfrage ist, soweit sie sich in vorliegendem Zusammenhang konkret stellt und entscheidungserheblich ist, eindeutig zu verneinen und nicht klärungsbedürftig. Auf die vorstehenden Ausführungen wird [X.]ezug genommen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 [X.], § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 1 [X.], § 52 Abs. 2 GKG.

Kayser     

       

[X.]ünger     

       

Remmert

       

Schäfer     

       

Wolf     

       

Meta

AnwZ (Brfg) 3/17

21.03.2017

Bundesgerichtshof Senat für Anwaltssachen

Beschluss

Sachgebiet: False

vorgehend Anwaltsgerichtshof München, 24. Oktober 2016, Az: BayAGH III - 4 - 1/16, Urteil

§ 27 Abs 1 BRAO, § 43a Abs 2 BRAO, § 97 Abs 1 StPO, § 53 Abs 1 S 1 Nr 2 StPO, § 53 Abs 1 S 1 Nr 3 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.03.2017, Az. AnwZ (Brfg) 3/17 (REWIS RS 2017, 13730)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 13730

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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