Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 17.08.2015, Az. 2 BvR 1996/12

2. Senat 1. Kammer | REWIS RS 2015, 6599

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Stattgebender Kammerbeschluss: Versagung der Übernahme eines Lehrers in das Beamtenverhältnis wegen Überschreitung der Höchstaltersgrenze verletzt Art 33 Abs 2 GG - Gegenstandswertfestsetzung


Tenor

Der Beschluss des [X.] für das [X.] vom 26. Juli 2012 - 6 A 2987.11 -, das Urteil des [X.] vom 17. November 2011 - 2 K 2264/10 - und der Bescheid der [X.] vom 18. Juni 2010 - 47.5-1004/K… - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 33 Absatz 2 des Grundgesetzes. Der Beschluss des [X.] und das Urteil des [X.] werden aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.

Das [X.] hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.

Der Gegenstandswert für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 60.000 € (in Worten: sechzigtausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der im Jahr 1969 geborene Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen die Ablehnung der Verbeamtung aufgrund einer Höchstaltersgrenze. Er ist angestellter Lehrer im öffentlichen Schuldienst des [X.] und begehrt die Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe, obwohl er das 40. Lebensjahr und damit die laufbahnrechtliche Altersgrenze für die Einstellung bereits überschritten hat.

2

1. Lehrerinnen und Lehrer an öffentlichen Schulen werden in [X.], sofern die laufbahn- und sonstigen beamtenrechtlichen Voraussetzungen vorliegen, in der Regel verbeamtet (§ 57 Abs. 5 Satz 2 des Schulgesetzes für das Land [X.] vom 15. Februar 2005 ). Sie können auch als Tarifbeschäftigte nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) angestellt werden (Runderlass des [X.] vom 23. April 2007 - BASS 21-01 Nr. 11). Die Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe richtet sich unter anderem nach den Vorschriften der Verordnung über die Laufbahnen der Beamtinnen und Beamten im Lande [X.] ([X.] - LVO).

3

2. Der Beschwerdeführer leistete nach dem Erwerb der allgemeinen Hochschulreife in den Jahren 1991 und 1992 15 Monate Zivildienst ab und nahm anschließend ein Studium der Forstwissenschaften auf, das er aus gesundheitlichen Gründen abbrach. Von 1993 bis 1995 studierte er Geschichte, Philosophie und Politikwissenschaft und begann 1995 ein Lehramtsstudium (Sekundarstufe I und II, Fächer Geschichte und Philosophie). 2003 bestand er die Erste und 2006 die Zweite Staatsprüfung für das Lehramt. Anfang 2007 wurde er - zunächst als Vertretungs- beziehungsweise Aushilfslehrer - im öffentlichen Schuldienst des [X.] angestellt. Seine Übernahme in das Beamtenverhältnis wurde mit Rücksicht auf die damals geltende Höchstaltersgrenze von 35 Jahren abgelehnt.

4

3. Das [X.] erklärte mit Urteil vom 19. Februar 2009 - 2 C 18/07 - (BVerwGE 133, 143) die [X.]sgrenzen der [X.] vom 23. November 1995 (GVBl 1996 S. 1) in der Fassung des [X.] (GVBl S. 498) für unwirksam. Da [X.]sgrenzen im Beamtenrecht den [X.] aus Art. 33 Abs. 2 GG einschränkten, dürften sie nicht voraussetzungslos im Ermessen der Verwaltung stehen. Der Gesetzgeber müsse ihre Regelung einschließlich der Ausnahmetatbestände selbst treffen.

5

4. Auf Grund von § 5 Abs. 1 [X.]beamtengesetz ([X.]) in der Fassung vom 21. April 2009 ([X.]) beschloss die [X.]regierung mit Wirkung zum 18. Juli 2009 in Artikel 1 der Verordnung zur Änderung der [X.] und anderer dienstrechtlicher Vorschriften ([X.]) eine teilweise Neuregelung der [X.] (im Folgenden [X.]). Sie hob die Altersgrenze zur Einstellung oder Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe an; in das Beamtenverhältnis konnte danach berufen werden, wer das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte. Zugleich normierte sie die Möglichkeiten des Überschreitens der Höchstaltersgrenze neu.

6

5. Bezugnehmend auf das Urteil des [X.]s vom 19. Februar 2009 (BVerwGE 133, 143) und unter Hinweis auf die Ableistung des Zivildienstes und Kindererziehungszeiten beantragte der Beschwerdeführer im August 2009 erneut die Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe, was die [X.] mit Bescheid vom 18. Juni 2010 auf Grundlage der Neuregelung der [X.] ablehnte. Die hiergegen erhobene Klage wies das [X.] mit Urteil vom 17. November 2011 - 2 K 2264/10 - ebenfalls wegen Überschreitung der laufbahnrechtlichen Höchstaltersgrenze ab. Ein Ausnahmetatbestand greife zugunsten des Beschwerdeführers nicht ein. Der erforderliche Kausalzusammenhang zwischen der Zivildienstleistung und dem Einstellungszeitpunkt sei aufgrund des Forstwirtschafts- und Magisterstudiums unterbrochen worden. Auch (unterstellte) Kinderbetreuungszeiten seien nicht kausal für die Überschreitung der Altersgrenze. Eine Ausnahme aus Billigkeitsgründen wegen nicht zu vertretender Verzögerung des beruflichen Werdegangs nach § 84 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 [X.] sei demnach nicht anzunehmen.

7

6. Den gegen die Entscheidung des [X.] gerichteten Antrag auf Zulassung der Berufung wies das Oberverwaltungsgericht für das Land [X.] mit Beschluss vom 26. Juli 2012 - 6 A 2987/11 - zurück. Der Beschwerdeführer lege insbesondere ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht dar. Die Neuregelung der [X.]sgrenzen sei mit Art. 33 Abs. 2 GG vereinbar. Dies gelte auch für die normierten Ausnahmetatbestände und das darin enthaltene [X.].

II.

8

1. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich unmittelbar gegen die verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen sowie den Bescheid der Bezirksregierung, mittelbar gegen § 6, § 52 Abs. 1 und § 84 Abs. 2 [X.]. Der Beschwerdeführer rügt insbesondere die Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 33 Abs. 2 und Abs. 4 GG sowie Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip. Das [X.] stelle zudem eine nicht gerechtfertigte Altersdiskriminierung nach der Richtlinie 2000/78/[X.] vom 27. November 2000 ([X.] L 303 vom 2. Dezember 2000, [X.] ff.) dar.

9

2. Die Verfassungsbeschwerde wurde gemeinsam mit den Verfahren 2 BvR 1322/12 und 2 BvR 1989/12 zugestellt, nicht aber zur gemeinsamen Entscheidung verbunden. Zu dem Verfahren haben die [X.]regierung [X.], der [X.] ([X.] - [X.] und [X.]), der [X.] ([X.]) gemeinsam mit dem Verein [X.] ([X.]) sowie die [X.] Stellung genommen.

a) Die [X.]regierung [X.] hält die [X.] für unbegründet. § 5 Abs. 1 [X.] sei als hinreichende Ermächtigungsgrundlage für die Festlegung von Höchstaltersgrenzen in der [X.] anzusehen. Es begegne keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, die Höchstaltersgrenzen nicht durch ein formelles Gesetz, sondern durch Rechtsverordnung festzulegen.

b) Der [X.] ([X.] - [X.] und [X.]) hält die Höchstaltersgrenzen für verfassungs- und unionsrechtlich zulässig, sofern bestimmte Maßgaben beachtet würden. Der [X.] des Art. 33 Abs. 2 GG müsse zu dem Lebenszeitprinzip und den übrigen hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums im Sinne von Art. 33 Abs. 5 GG zu einem Ausgleich im Wege der praktischen Konkordanz gebracht werden. Das bedeute, dass im aktiven Dienstverhältnis im Regelfall der Zeitraum verbracht werden müsse, innerhalb dessen die sogenannte Mindestversorgung erdient werde.

c) Der Verein [X.] ([X.]) hat gemeinsam mit dem [X.] ([X.]) Stellung genommen. Die in der [X.] [X.] festgelegte Höchstaltersgrenze bezüglich der Verbeamtung von Lehrkräften verstoße gegen Verfassungsrecht. Insbesondere seien diese Normen als Verstoß gegen die Wesentlichkeitsrechtsprechung des [X.] sowie gegen Art. 33 Abs. 2, Art. 20 Abs. 3, Art. 3 und Art. 80 GG anzusehen.

d) Die [X.] hat sich den Ausführungen in der [X.] inhaltlich angeschlossen.

III.

1. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b [X.]). Die Verfassungsbeschwerde ist mit Blick auf die für den vorliegenden Fall maßgeblichen und durch das [X.] bereits hinreichend geklärten Fragen offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 Satz 1 [X.]).

2. Die angegriffenen Entscheidungen greifen in Grundrechte des Beschwerdeführers ein. Da das [X.] in seinem Beschluss vom 21. April 2015 - 2 BvR 1322/12 und 2 BvR 1989/12 - festgestellt hat, dass die durch die Verordnung des [X.] in der Fassung vom 30. Juni 2009 auf der Grundlage des § 5 Abs. 1 Satz 1 [X.] festgelegten Höchstaltersgrenzen für die Einstellung in das Beamtenverhältnis auf Probe mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sind, fehlt es auch für den ablehnenden Bescheid gegenüber dem Beschwerdeführer an einer Ermächtigungsgrundlage. Die Regelungen der § 6 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 und § 84 Abs. 2 [X.], nach denen die Einstellung aufgrund des erreichten Lebensalters verweigert werden kann, verstoßen insoweit gegen Art. 33 Abs. 2 GG. Die auf diesen Vorschriften beruhenden gerichtlichen und behördlichen Entscheidungen verletzen daher den Beschwerdeführer in seinem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 33 Abs. 2 GG.

3. Gemäß § 95 Abs. 2 [X.] sind die angegriffenen Entscheidungen des [X.] für das Land [X.] und des [X.] Arnsberg aufzuheben. Die Sache wird an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen, weil zu erwarten ist, dass der [X.] dort auf der Grundlage des vorliegenden Urteils zum Abschluss gebracht werden kann. Bei einer Zurückverweisung an das Oberverwaltungsgericht müsste dieses, bevor es zu einer das Verfahren beendenden Entscheidung gelangen könnte, erst über den Antrag des Beschwerdeführers befinden, die Berufung gemäß §§ 124 ff. VwGO zuzulassen (vgl. [X.] 104, 337 <356>).

4. Die Anordnung der Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 [X.].

5. Grundlage der Festsetzung des Gegenstandswerts für das Verfassungsbeschwerdeverfahren ist § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. [X.] 79, 365 <366 ff.>). Die Erhöhung des Gegenstandswertes gegenüber den Festsetzungen der Instanzgerichte ergibt sich aus der objektiven Bedeutung der Verfahren im Hinblick auf die Regelungen beamtenrechtlicher [X.]sgrenzen.

Meta

2 BvR 1996/12

17.08.2015

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 1. Kammer

Stattgebender Kammerbeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 26. Juli 2012, Az: 6 A 2987/11, Beschluss

Art 33 Abs 2 GG, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, § 5 Abs 1 BG NW, § 6 Abs 1 S 1 LBV NW 1995, § 52 Abs 1 LBV NW 1995, § 84 Abs 2 LBV NW 1995, § 14 Abs 1 RVG, § 37 Abs 2 S 2 RVG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 17.08.2015, Az. 2 BvR 1996/12 (REWIS RS 2015, 6599)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 6599

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