Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 06.10.2015, Az. 2 BvR 2113/11

2. Senat 1. Kammer | REWIS RS 2015, 4385

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Stattgebender Kammerbeschluss: Parallelentscheidung


Tenor

Der Beschluss des [X.] für das [X.] vom 29. August 2011 - 6 A 965/11 -, das Urteil des [X.] vom 12. April 2011 - 4 K 2032/09 - und der Bescheid der [X.] vom 7. September 2009 - 47.5.6 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 33 Absatz 2 des Grundgesetzes. Der Beschluss des [X.] und das Urteil des [X.] werden aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.

Das [X.] hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.

Der Gegenstandswert für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 60.000 € (in Worten: sechzigtausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen die Ablehnung der Verbeamtung aufgrund einer Höchstaltersgrenze. Er ist angestellter Lehrer im öffentlichen Schuldienst des [X.] und begehrt die Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe, obwohl er das 40. Lebensjahr und damit die laufbahnrechtliche Altersgrenze für die Einstellung bereits überschritten hat.

2

1. Lehrerinnen und Lehrer an öffentlichen Schulen werden in [X.], sofern die laufbahn- und sonstigen beamtenrechtlichen Voraussetzungen vorliegen, in der Regel verbeamtet (§ 57 Abs. 4 Satz 2 des Schulgesetzes für das Land [X.] vom 15. Februar 2005 in der Fassung des [X.] ). Sie können auch als Tarifbeschäftigte nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) angestellt werden (Runderlass des [X.] vom 23. April 2007 - BASS 21-01 Nr. 11). Die Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe richtet sich unter anderem nach den Vorschriften der Verordnung über die Laufbahnen der Beamtinnen und Beamten im Lande [X.] ([X.] - LVO).

3

2. Der Beschwerdeführer durchlief von 1971 bis 1974 eine Ausbildung zum Bankkaufmann und war danach bei einer Sparkasse angestellt. Nach Absolvierung des Abiturs am Abendgymnasium studierte er von 1976 bis 1983 Elektrotechnik, Physik und Musik und legte 1983 die Erste sowie 1986 die Zweite Staatsprüfung für das Lehramt (Sekundarstufe II) ab. Von 1986 bis 2000 war er Dozent an der [X.]. Danach wurde er zunächst befristet und seit 2001 unbefristet als Lehrer im Schuldienst des [X.] angestellt. Einen Antrag auf Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe lehnte die [X.] mit Bescheid vom 20. Februar 2001 ab.

4

3. Das [X.] erklärte mit Urteil vom 19. Februar 2009 - 2 C 18.07 - (BVerwGE 133, 143) die Einstellungshöchstaltersgrenzen der [X.] vom 23. November 1995 (GVBl 1996 S. 1) in der Fassung des [X.] (GVBl S. 498) für unwirksam. Da Einstellungshöchstaltersgrenzen im Beamtenrecht den [X.] aus Art. 33 Abs. 2 GG einschränkten, dürften sie nicht voraussetzungslos im Ermessen der Verwaltung stehen. Der Gesetzgeber müsse ihre Regelung einschließlich der Ausnahmetatbestände selbst treffen.

5

4. Aufgrund von § 5 Abs. 1 [X.]beamtengesetz ([X.]) in der Fassung vom 21. April 2009 ([X.]) beschloss die [X.]regierung mit Wirkung zum 18. Juli 2009 in Artikel 1 der Verordnung zur Änderung der [X.] und anderer dienstrechtlicher Vorschriften ([X.]) eine teilweise Neuregelung der [X.] (im Folgenden [X.]). Sie hob die Altersgrenze zur Einstellung oder Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe an; in das Beamtenverhältnis konnte danach berufen werden, wer das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte. Zugleich normierte sie die Möglichkeiten des Überschreitens der Höchstaltersgrenze neu.

6

5. Nach dem Urteil des [X.]s vom 19. Februar 2009 (2 C 18.07) beantragte der Beschwerdeführer im Juni 2009 erneut die Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe. Die Bezirksregierung lehnte den Antrag mit Bescheid vom 7. September 2009 unter Bezugnahme auf die Neuregelung der [X.] ab. Die hiergegen erhobene Klage wies das [X.] mit Urteil vom 12. April 2011 ab. Der Beschwerdeführer habe das 40. Lebensjahr und damit die laufbahnrechtliche Höchstaltersgrenze überschritten. Maßgebend sei insoweit die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung. Der Beschwerdeführer habe nicht darauf vertrauen dürfen, das Land werde keine neue [X.] treffen. Bedenken gegen die Neuregelung der Altersgrenzen in den §§ 6, 52, 84 [X.] bestünden nicht. Auch kämen Ausnahmetatbestände zugunsten des Beschwerdeführers nicht in Betracht. Zwar sei die Ablehnung seines [X.] im Jahr 2001 rechtswidrig gewesen, die Entscheidung sei aber bestandskräftig geworden. Eine Verpflichtung zum Wiederaufgreifen des damaligen Verfahrens bestehe nicht, das Land habe sein Ermessen insoweit auch beanstandungsfrei ausgeübt.

7

6. Den Antrag auf Zulassung der Berufung wies das Oberverwaltungsgericht für das Land [X.] mit Beschluss vom 29. August 2011 zurück. Der Beschwerdeführer habe ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht dargelegt. Er habe damit rechnen müssen, dass auch nach dem Urteil des [X.]s am laufbahnrechtlichen Institut einer Höchstaltersgrenze festgehalten werde. Eine Übergangsregelung, welche die Übernahme rechtswidrig, aber bestandskräftig abgelehnter Bewerber ermögliche, habe der Verordnungsgeber von Verfassungs wegen nicht schaffen müssen. Mit seinem Einwand, Höchstaltersgrenzen könnten durch eine Änderung des Versorgungsrechts vermieden werden, verkenne der Beschwerdeführer den Gestaltungsspielraum des Verordnungsgebers.

II.

8

1. Der Beschwerdeführer rügt mit seiner Verfassungsbeschwerde die Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 20 Abs. 3 GG sowie Art. 33 Abs. 2 GG und wendet sich mittelbar auch gegen die Neuregelungen in §§ 6 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 1, 84 Abs. 2 [X.]. [X.] der [X.] schränke den [X.] des Art. 33 Abs. 2 GG unzulässig ein und sei schon daher unwirksam. Das Land habe darüber hinaus auch insofern gegen den Vorbehalt des Gesetzes verstoßen, weil es seinen vor Erlass der Neuregelung gestellten erneuten Antrag auf Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe auf der Grundlage der erst später neu gefassten [X.] beschieden habe. Die Neuregelung genüge ferner nicht den Vorgaben des [X.]s, lasse die notwendige Normenklarheit vermissen und sei nicht hinreichend bestimmt. Angesichts der verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe - insbesondere in § 84 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 [X.] - überlasse sie die Generierung von [X.] nach wie vor der Verwaltung.

9

2. Die Verfassungsbeschwerde wurde der [X.]regierung [X.] unter Hinweis auf die Entscheidung in den Senatsverfahren 2 BvR 1322/12 und 2 BvR 1989/12 zugestellt. Eine über die vorgenannten Verfahren hinausgehende weitere Stellungnahme ist nicht erfolgt. Die Gerichtsakten der Vorinstanzen haben der Kammer vorgelegen.

III.

1. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b [X.]). Die Verfassungsbeschwerde ist mit Blick auf die für den vorliegenden Fall maßgeblichen und durch das [X.] bereits hinreichend geklärten Fragen offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 Satz 1 [X.]).

2. Die angegriffenen Entscheidungen greifen in Grundrechte des Beschwerdeführers ein. Da das [X.] in seinem Beschluss vom 21. April 2015 - 2 BvR 1322/12 und 2 BvR 1989/12 - festgestellt hat, dass die durch die Verordnung des [X.] in der Fassung vom 30. Juni 2009 auf der Grundlage des § 5 Abs. 1 Satz 1 [X.] festgelegten Höchstaltersgrenzen für die Einstellung in das Beamtenverhältnis auf Probe mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sind, fehlt es auch für den ablehnenden Bescheid gegenüber dem Beschwerdeführer an einer Ermächtigungsgrundlage. Die Regelungen der § 6 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 und § 84 Abs. 2 [X.], nach denen die Einstellung aufgrund des erreichten Lebensalters verweigert werden kann, verstoßen insoweit gegen Art. 33 Abs. 2 GG. Die auf diesen Vorschriften beruhenden gerichtlichen und behördlichen Entscheidungen verletzen daher den Beschwerdeführer in seinem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 33 Abs. 2 GG.

3. Gemäß § 95 Abs. 2 [X.] sind die angegriffenen Entscheidungen des [X.] für das Land [X.] und des [X.] aufzuheben. Die Sache wird an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen, weil zu erwarten ist, dass der [X.] dort auf der Grundlage des vorliegenden Urteils zum Abschluss gebracht werden kann. Bei einer Zurückverweisung an das Oberverwaltungsgericht müsste dieses, bevor es zu einer das Verfahren beendenden Entscheidung gelangen könnte, erst über den Antrag des Beschwerdeführers befinden, die Berufung gemäß §§ 124 ff. VwGO zuzulassen (vgl. [X.] 104, 337 <356>).

4. Die Anordnung der Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 [X.].

5. Grundlage der Festsetzung des Gegenstandswerts für das Verfassungsbeschwerdeverfahren ist § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. [X.] 79, 365 <366 ff.>). Die Erhöhung des Gegenstandswertes gegenüber den Festsetzungen der Instanzgerichte ergibt sich aus der objektiven Bedeutung der Verfahren im Hinblick auf die Regelungen beamtenrechtlicher Einstellungshöchstaltersgrenzen.

Meta

2 BvR 2113/11

06.10.2015

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 1. Kammer

Stattgebender Kammerbeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 29. August 2011, Az: 6 A 965/11, Beschluss

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 06.10.2015, Az. 2 BvR 2113/11 (REWIS RS 2015, 4385)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 4385

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