Bundesfinanzhof, Urteil vom 20.02.2019, Az. X R 33/17

10. Senat | REWIS RS 2019, 10100

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Gegenstand

(Teilweise inhaltsgleich mit BFH-Urteilen vom 20.02.2019 X R 28/17 und X R 32/17 - Vereinbarkeit der Regelung über das Verspätungsgeld mit dem Grundgesetz und der Europäischen Menschenrechtskonvention)


Leitsatz

NV: Die Regelung über das --in Fällen verspäteter oder unterbliebener Übermittlung von Rentenbezugsmitteilungen festzusetzende-- Verspätungsgeld (§ 22a Abs. 5 EStG) verstößt weder gegen das Verbot der Doppelbestrafung noch gegen die Unschuldsvermutung .

Tenor

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 22. Juni 2017  5 K 5102/16 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist ein berufsständisches Versorgungswerk und nach § 1 Abs. 1 seiner Satzung eine teilrechtsfähige Einrichtung einer Kammer, die als Körperschaft des öffentlichen Rechts organisiert ist.

2

Für den Veranlagungszeitraum 2014 reichte er 13 [X.] jeweils sieben Monate verspätet und vier weitere [X.] jeweils zwei Monate verspätet bei der Beklagten und Revisionsbeklagten, der [X.], [X.] ([X.]) ein. Die [X.] setzte gegen den Kläger mit dem angefochtenen Bescheid vom 20. November 2015 ein [X.] von insgesamt 990 € fest. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.

3

Im Klageverfahren rügte der Kläger die Zulässigkeit des [X.] mit der Begründung, § 22a Abs. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sei als Bußgeldtatbestand anzusehen, so dass gemäß § 33 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) der [X.] nicht eröffnet sei. Auch im finanzverfassungsrechtlichen Sinne sei das [X.] nicht als steuerliche Nebenleistung anzusehen. Zudem sei es unverhältnismäßig, auch für kleinste Fehler ein [X.] festzusetzen, zumal § 22a EStG den Kläger zur Erbringung einer unentgeltlichen Leistung zugunsten der Finanzverwaltung in den Dienst nehme.

4

Das Finanzgericht (FG) entschied über die Eröffnung des [X.] nicht vorab, sondern wies sogleich die Klage ab (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2018, 962). Der [X.] sei gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 FGO eröffnet, weil es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit über eine Abgabenangelegenheit handele. Das Verbot der Doppelbestrafung (Art. 103 Abs. 3 des Grundgesetzes --GG--) sei nicht berührt, weil weder § 22a Abs. 5 noch § 50f EStG dem Kriminalstrafrecht zuzurechnen seien. Auch genüge die Regelung dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz; insbesondere ermögliche sie im Einzelfall die Darlegung des fehlenden [X.]. Im Streitfall seien auch die materiell-rechtlichen Voraussetzungen des § 22a Abs. 5 EStG erfüllt; Anhaltspunkte für ein fehlendes Vertretenmüssen des [X.] seien nicht ersichtlich.

5

Mit seiner Revision rügt der Kläger erneut die Zulässigkeit des [X.]. In der Sache selbst hält er an seiner Auffassung fest, Art. 103 Abs. 3 GG sei --zumindest in einer völkerrechtsfreundlichen Interpretation unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des [X.]. 6, 7 der [X.] zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten ([X.])-- verletzt. Auch verstoße die in § 22a Abs. 5 Satz 3 EStG enthaltene Regelung, wonach der Mitteilungspflichtige sein fehlendes Vertretenmüssen darzulegen habe, gegen die Unschuldsvermutung, die sowohl im Rechtsstaatsprinzip des nationalen Verfassungsrechts als auch in Art. 6 Abs. 2 [X.] verankert sei. Schließlich sei § 22a Abs. 5 EStG dem Grunde und der Höhe nach unverhältnismäßig.

6

Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil, die Einspruchsentscheidung vom 23. März 2016 und den Bescheid über die Festsetzung eines [X.]s für 2014 vom 20. November 2015 aufzuheben.

7

Die [X.] beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Sie bringt vor, allein bei § 50f EStG handele es sich um einen Bußgeldtatbestand. Demgegenüber folge aus den Gesetzesmaterialien, dass die Regelung über das [X.] in erster Linie einen präventiven Zweck verfolge (Anreiz zur rechtzeitigen Erfüllung der gesetzlichen Mitteilungspflicht) und ersatzweise --in Fällen der nicht rechtzeitigen [X.] einen finanziellen Ausgleich für den dann entstehenden Verwaltungsmehraufwand bewirken solle. Eine Doppelbestrafung sei vorliegend schon in tatsächlicher Hinsicht ausgeschlossen, weil gegen den Kläger kein Bußgeld verhängt worden sei. Ohnehin habe die [X.] von der Regelung des § 50f EStG bisher noch nie Gebrauch gemacht.

9

Die Vorschrift des § 22a Abs. 5 EStG sei zudem verhältnismäßig. Auch der Grundsatz einer möglichst effizienten Verwaltung habe nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung Verfassungsrang; dies rechtfertige bei einem Massenverfahren mit über 30 Mio. [X.] jährlich die vom Gesetzgeber vorgenommenen Pauschalierungen. Darüber hinaus sei für den Kläger als Körperschaft des öffentlichen Rechts schon der persönliche Schutzbereich derjenigen Grundrechtsnormen, die im Streitfall Grundlage für eine Verhältnismäßigkeitsprüfung sein könnten, nicht eröffnet.

Das [X.] ist dem Revisionsverfahren beigetreten. Es unterstützt in der Sache die Auffassung der [X.], hat aber keinen Antrag gestellt. Insbesondere weist es darauf hin, dass das Verbot der Doppelbestrafung nicht in der [X.] selbst, sondern in Art. 4 Abs. 1 des 7. Zusatzprotokolls zur [X.] geregelt sei, das die [X.] bisher aber nicht ratifiziert habe. Die Eignung und Erforderlichkeit der präventiven Regelung über das [X.] zeige sich schon daran, dass die Quote fristgerecht übermittelter [X.] von 72,25 % im Jahr des Inkrafttretens des § 22a Abs. 5 EStG (2010) kontinuierlich bis auf 97,8 % im Jahr 2016 gestiegen sei.

Entscheidungsgründe

II.

Der [X.] ist eröffnet. Wegen der Einzelheiten verweist der Senat auf die ausführlichen Darlegungen unter [X.] seines in einem Parallelverfahren ergangenen Urteils vom 20. Februar 2019 [X.], [X.], 184 (www.bundesfinanzhof.de

III.

Die Revision ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 [X.]O zurückzuweisen.

Das [X.] hat die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids zutreffend bejaht. Der Kläger ist keiner unzulässigen Doppelbestrafung ausgesetzt (dazu unten 1.). Die gesetzliche Regelung über das [X.] verstößt auch nicht gegen die Unschuldsvermutung (unten 2.). Die von der Revision gerügten Verstöße gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz liegen nicht vor (unten 3.). Die einfachgesetzlichen Voraussetzungen des § 22a Abs. 5 EStG sind im Streitfall erfüllt (unten 4.).

1. Der Kläger ist keiner Doppelbestrafung im verfassungsrechtlichen, menschenrechtlichen oder unionsrechtlichen Sinne ausgesetzt. Wegen der Einzelheiten verweist der Senat auf die ausführlichen Darlegungen unter [X.]. seines in einem Parallelverfahren ergangenen Urteils vom 20. Februar 2019 [X.] [X.], 165 (www.bundesfinanzhof.de

2. Die Regelung des § 22a Abs. 5 Satz 3 EStG, wonach den Mitteilungspflichtigen die Darlegungslast für ein fehlendes Vertretenmüssen trifft, verstößt nicht gegen die Unschuldsvermutung, und zwar weder in deren Gewährleistung durch das nationale Verfassungsrecht noch durch die [X.]. Auch insoweit verweist der Senat wegen der Einzelheiten auf sein Urteil vom 20. Februar 2019 [X.], [X.], 184 (unter [X.]I.).

3. Die vom Kläger gerügten Verstöße gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz liegen nicht vor.

Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz kann nicht "abstrakt" geprüft werden, sondern ist stets Teil der Prüfung eines bestimmten Grundrechts. Dies folgt schon daraus, dass die im Einzelfall zu stellenden Anforderungen an die Rechtfertigung einer belastenden gesetzlichen Regelung im Rahmen einer solchen grundrechtsimmanenten Verhältnismäßigkeitsprüfung von dem jeweiligen Grundrecht abhängig sind.

Der Kläger hat sich nicht ausdrücklich auf ein bestimmtes Grundrecht berufen. Von ihrem sachlichen Schutzbereich her kommen vorliegend die Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 und --als Auffanggrundrecht-- Art. 2 Abs. 1 GG in Betracht. Ob der Kläger --als Teil einer Körperschaft des öffentlichen [X.] in den persönlichen Schutzbereich dieser Grundrechte fällt (vgl. Beschluss des [X.] vom 31. Oktober 1984  1 BvR 35/82, 1 BvR 356/82, 1 BvR 794/82, [X.] 68, 193, unter [X.]1., betreffend Handwerker-Innung; [X.] vom 23. Januar 1997  1 BvR 1317/86, Neue Juristische Wochenschrift 1997, 1634, betreffend berufsständisches Versorgungswerk; [X.] vom 6. Dezember 2016  1 BvR 2821/11 u.a., [X.] 143, 246, Rz 187 f.), kann vorliegend offenbleiben.

Jedenfalls hat der Senat mit Urteil vom 20. Februar 2019 [X.], [X.], 165 (unter [X.]I.) in Bezug auf eine privatrechtliche Körperschaft die Verfassungsmäßigkeit des § 22a Abs. 5 EStG auch im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG und unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bejaht. Dabei hat er in seine Prüfung auch die vom Kläger des vorliegenden Verfahrens gegen die Verhältnismäßigkeit der Regelung dem Grunde und der Höhe nach vorgebrachten Bedenken sowie den besonderen Aspekt der unentgeltlichen Indienstnahme der Mitteilungspflichtigen einbezogen.

4. Die einfachgesetzlichen Voraussetzungen des § 22a Abs. 5 EStG in der im Streitjahr 2014 geltenden Fassung sind vorliegend erfüllt.

Nach § 22a Abs. 5 Satz 1 EStG ist, wenn eine [X.] nicht innerhalb der in § 22a Abs. 1 Satz 1 EStG genannten Frist (1. März des Jahres, das auf das Jahr des Zuflusses der Rentenleistung folgt) übermittelt wird, für jeden angefangenen Monat, in dem die [X.] noch aussteht, ein Betrag in Höhe von 10 € für jede ausstehende [X.] an die zentrale Stelle zu entrichten. Von der Erhebung dieses [X.]s ist abzusehen, soweit die Fristüberschreitung auf Gründen beruht, die der Mitteilungspflichtige nicht zu vertreten hat (§ 22a Abs. 5 Satz 3 EStG).

Das [X.] hat im Einzelnen festgestellt, dass der Kläger die streitgegenständlichen 17 [X.]en verspätet übermittelt hat und die vom Kläger --ohnehin nur zu einem Teil der verspäteten [X.] vorgebrachten Tatsachen nicht darauf schließen lassen, dass er die Gründe für die Fristüberschreitung nicht zu vertreten hat. Gegen diese das Revisionsgericht gemäß § 118 Abs. 2 [X.]O bindende Tatsachenwürdigung der Vorinstanz wendet der Kläger sich im Revisionsverfahren nicht mehr.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

X R 33/17

20.02.2019

Bundesfinanzhof 10. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 22. Juni 2017, Az: 5 K 5102/16, Urteil

§ 22a Abs 5 EStG 2009, Art 103 Abs 3 GG, Art 6 MRK, Art 7 MRK, EStG VZ 2014, § 33 FGO, Art 2 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 20.02.2019, Az. X R 33/17 (REWIS RS 2019, 10100)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 10100

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