Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 05.03.2021, Az. 9 B 8/20

9. Senat | REWIS RS 2021, 8140

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Gegenstand

Billigkeitserlass nach § 227 AO bei Sanierungsgewinnen


Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts des [X.] vom 19. November 2019 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 23 835,61 € festgesetzt.

Gründe

I

1

1. Das Schreiben des Bundesfinanzministeriums zur "[X.](n) Behandlung von [X.]; Steuerstundung und [X.] aus sachlichen Billigkeitsgründen (§§ 163, 222, 227 [X.]) vom 27. März 2003" (BStBl [X.], sog. "[X.]") wurde mit Beschluss des Großen Senats des [X.] vom 28. November 2016 (- [X.] - [X.], 482) als Verstoß gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung angesehen. In dem [X.] ging es um die Frage, unter welchen Voraussetzungen aus Billigkeitsgründen auf die Erhebung der Steuer auf einen nach Ausschöpfen der Verlustverrechnungsmöglichkeiten verbleibenden Sanierungsgewinn verzichtet werden kann.

2

Daraufhin wurde mit dem Gesetz gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen vom 27. Juni 2017 ([X.]) in § 3a und § 3c Abs. 4 [X.] sowie in § 7b [X.] die steuerliche Behandlung von Sanierungsmaßnahmen neu geregelt und die Steuerfreiheit "wiederhergestellt" (vgl. zur Begründung [X.]. 18/12128 [X.] und 36). Es fand allerdings ein Systemwechsel statt: Die Sanierungsbegünstigung wird nicht mehr durch eine Billigkeitsmaßnahme, sondern schon durch eine Steuerbefreiung im Festsetzungsverfahren gewährt; eine Steuer auf einen Sanierungsertrag kommt gar nicht erst zur Entstehung. Mit dem Systemwechsel ist zudem - je nach Fallkonstellation - ein Zuständigkeitswechsel verbunden (vgl. zum Vorstehenden Hasbach, [X.] 2019, 871 ff.). Die Neuregelung gilt ab dem 5. Juli 2017 und ist nach § 36 Abs. 2c Satz 1 [X.] i.d.F. vom 27. Juni 2017 ([X.]) (Zeitlicher Anwendungsbereich) erstmals auf Fälle anzuwenden, in denen die Schulden ganz oder teilweise nach dem 8. Februar 2017 (Datum der Veröffentlichung des Beschlusses des Großen Senats des [X.]) erlassen wurden.

3

Zudem wurde durch Art. 8 Nr. 2 Buchst. b des Gesetzes zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im [X.] und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 11. Dezember 2018 ([X.] I S. 2338) in § 36 Abs. 2c Satz 3 [X.] folgende Regelung für Altfälle geschaffen:

"Auf Antrag des Steuerpflichtigen ist § 7b auch in den Fällen anzuwenden, in denen die Schulden vor dem 9. Februar 2017 erlassen wurden."

4

Mit dieser Regelung der Altfälle sollte dem Umstand Rechnung getragen werden, dass der [X.] auch die Weiteranwendung des o.g. "[X.]es" für die Übergangszeit als "Verstoß gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung" angesehen hatte (vgl. nur [X.], Urteil vom 23. August 2017 - [X.]/14 - [X.]E 259, 20, Beschlüsse vom 16. April 2018 - [X.]/18 - [X.]/NV 2018, 817 und vom 8. Mai 2018 - [X.]/17 - [X.]/NV 2018, 822).

5

2. Die Klägerin begehrt den Erlass der für das Veranlagungsjahr 2005 festgesetzten Gewerbesteuer nach § [X.]. Nachdem das zuständige Finanzamt den [X.] für das [X.] bestandskräftig festgesetzt hatte, setzte die Beklagte die Gewerbesteuer 2005 sowie Nachzahlungszinsen fest. Den Widerspruch der Klägerin gegen die Ablehnung ihres daraufhin gestellten [X.] wies die Beklagte zurück. Die Klage auf Verpflichtung zum [X.], hilfsweise auf Neubescheidung, blieb vor dem Verwaltungsgericht und dem Oberverwaltungsgericht ohne Erfolg. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Nichtzulassungsbeschwerde.

II

6

Die allein auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

7

Grundsätzlich bedeutsam im Sinne dieser Vorschrift ist eine Rechtssache nur, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von Bedeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Der Beschwerde lässt sich nicht entnehmen, dass diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sind.

8

Der Frage,

ob der durch die gesetzliche Neuregelung der steuerlichen Privilegierung von [X.] durch § 3a [X.], § 7b [X.], die Anordnung einer Rückwirkung dieser Normen durch § 36 Abs. 2c Satz 3 [X.] sowie die zugehörigen Gesetzgebungsmaterialien zum Ausdruck gebrachte gesetzgeberische Wille, [X.] weder in der Vergangenheit noch zukünftig einer Besteuerung zu unterwerfen, einen Erlass von Gewerbesteuer aus Billigkeitsgründen gemäß § [X.] in den Fällen rechtfertigen kann, in denen Steuerpflichtigen nur aus durch die Finanzverwaltung und den Gesetzgeber verursachten verfahrensrechtlichen Gründen der Zugang zu diesen Regelungen versagt ist, ohne dass es bei einer solchen rückwirkenden gesetzlichen Anordnung im Rahmen ihrer gerichtlichen Überprüfung auf die Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Entscheidung der Verwaltungsbehörde ankommt,

kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu, denn ihre Klärungsbedürftigkeit wird nicht entsprechend den Voraussetzungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dargelegt.

9

Zwar folgt aus der eingangs beschriebenen Reaktion des Gesetzgebers auf den Beschluss des Großen Senats des [X.] vom 28. November 2016 (- [X.] - [X.], 482) der gesetzgeberische Wille, [X.] zukünftig keiner Besteuerung zu unterwerfen. Auch kann aus der [X.] des § 36 Abs. 2c Satz 3 [X.] geschlossen werden, dass der Gesetzgeber die Steuerbefreiung auch rückwirkend sicherstellen wollte. Letzteres hat er aber - wie das Berufungsgericht ausführlich unter Auswertung der Gesetzesmaterialien dargelegt hat - technisch dadurch bewirkt, dass die Neuregelung - einschließlich des beschriebenen Systemwechsels - nur auf hinsichtlich des [X.] noch nicht bestandskräftige Altfälle Anwendung findet; die Berücksichtigung muss beim [X.] erfolgen. Dies ist im Falle der Klägerin wegen der bereits eingetretenen Bestandskraft des Bescheides über den Messbetrag nicht möglich.

Die Beschwerde ist der Auffassung, das Auslegungsergebnis des Berufungsgerichts sei unbillig, da die Steuerfreiheit der [X.] "lediglich aufgrund verfahrensrechtlicher Gründe" nicht (mehr) geltend gemacht werden könne und meint, dass dem durch einen [X.] gemäß § [X.] durch die Beklagte Rechnung getragen werden müsse. Dabei fehlt indes jede Auseinandersetzung mit dem Berufungsurteil, das tragend darauf abstellt, dass durch § 7b [X.] Fälle, in denen es durch eine Sanierung zu einer Steigerung des Gewinns und damit der Gewerbesteuerschuld gekommen ist, [X.] der Festsetzung des [X.]s zugewiesen werden. Eine Berücksichtigung der Fälle, in denen dies aufgrund der Bestandskraft der Gewerbesteuermessbescheide nicht mehr möglich und nur noch das Steuerfestsetzungsverfahren der Gemeinden bzw. deren Erlassverfahren nicht abgeschlossen sei, sei gerade nicht erfolgt. Die gesetzlichen Regelungen seien insgesamt dahin auszulegen, dass der Gesetzgeber aus Gründen der Rechtssicherheit und des Schutzes der finanziellen Interessen der Gemeinden bewusst nur noch hinsichtlich der Festsetzung des [X.] offene Verfahren rückwirkend habe erfassen wollen. Deshalb würde die Annahme sachlicher Unbilligkeit in allen Fällen, in denen nur noch der Erlass der Gewerbesteuer streitig ist, die Wertung des Gesetzes generell und nicht nur in atypischen Ausnahmefällen durchbrechen (UA S. 14 f.).

Die Beschwerde legt nicht dar, dass zu dieser tragenden Begründung weiterer Klärungsbedarf besteht.

Unter welchen Voraussetzungen die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen können, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre (§ [X.]), ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung bereits grundsätzlich geklärt. Danach ist die Festsetzung einer Steuer aus sachlichen Gründen unbillig, wenn sie zwar dem Wortlaut des Gesetzes entspricht, aber den Wertungen des Gesetzes zuwiderläuft. Das setzt voraus, dass der Gesetzgeber die Grundlagen für die Steuerfestsetzung anders als tatsächlich geschehen geregelt hätte, wenn er die zu beurteilende Frage als regelungsbedürftig erkannt hätte. Auch wenn demnach Härten, die der Gesetzgeber bei der Regelung des gesetzlichen Tatbestands bedacht und in Kauf genommen hat, grundsätzlich keine Billigkeitsmaßnahme rechtfertigen, so ist eine derartige Maßnahme gleichwohl geboten, wenn ohne die begehrte Billigkeitsmaßnahme das Verhalten des Gesetzgebers aus verfassungsrechtlichen Gründen zu beanstanden wäre. Dies ist der Fall, wenn ein Gesetz, das in seinen generalisierenden Wirkungen verfassungsgemäß ist, bei der Steuerfestsetzung im Einzelfall zu Grundrechtsverstößen führt.

Allgemeine Folgen eines verfassungsgemäßen Gesetzes, die den gesetzgeberischen Planvorstellungen entsprechen und die der Gesetzgeber ersichtlich in Kauf genommen hat, vermögen einen Billigkeitserlass allerdings nicht zu rechtfertigen. Denn [X.] dürfen nicht die einem gesetzlichen Steuertatbestand innewohnende Wertung des Gesetzgebers generell durchbrechen oder korrigieren, sondern nur einem ungewollten Überhang des gesetzlichen Steuertatbestands abhelfen. Mit verfassungsrechtlich gebotenen [X.] darf also nicht die Geltung des ganzen Gesetzes unterlaufen werden. Wenn solche Maßnahmen ein derartiges Ausmaß erreichen müssten, dass sie die allgemeine Geltung des [X.], wäre das Gesetz als solches verfassungswidrig (zum Ganzen: BVerwG, Urteil vom 19. Februar 2015 - 9 C 10.14 - BVerwGE 151, 255 Rn. 13 m.w.N.; nachgehend [X.], [X.] vom 28. Februar 2017 - 1 BvR 1103/15 - NVwZ 2017, 954 Rn. 11).

Als bislang noch nicht in der obergerichtlichen Rechtsprechung geklärte Rechtsfrage kommt hier allenfalls die Frage in Betracht, ob die Klägerin eine Änderung des Gewerbesteuermessbescheids nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.] erreichen könnte (vgl. hierzu Hasbach, [X.] 2019, 871 <874 f.>); dies ist indes nicht Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwertes auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG.

Meta

9 B 8/20

05.03.2021

Bundesverwaltungsgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 19. November 2019, Az: 4 L 103/18, Urteil

§ 227 AO, § 175 Abs 1 S 1 Nr 2 AO, § 3a EStG, § 7b GewStG, § 36 Abs 2c S 3 GewStG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 05.03.2021, Az. 9 B 8/20 (REWIS RS 2021, 8140)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 8140

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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1 BvR 1103/15

I R 52/14

X B 13/18

VIII B 124/17

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