1. Senat | REWIS RS 2012, 6960
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Sanierungserlass: Zuständigkeit für die abweichende Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags
Der sog. Sanierungserlass (BMF-Schreiben vom 27. März 2003, BStBl I 2003, 240) ist weder eine allgemeine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung noch eine allgemeine Verwaltungsvorschrift einer obersten Landesfinanzbehörde i.S. des § 184 Abs. 2 AO. Aus dem Sanierungserlass kann sich damit bei der Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags grundsätzlich keine Zuständigkeit des FA zur abweichenden Festsetzung aus sachlichen Billigkeitsgründen nach § 163 Satz 1 AO ergeben; zuständig dafür sind die Gemeinden .
I. Streitig ist die Festsetzung des [X.] im Hinblick auf den sog. [X.] (Schreiben des [X.] --BMF-- zur ertragsteuerlichen Behandlung von [X.] vom 27. März 2003, [X.], 240).
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) beantragte für das Streitjahr (2003) mehrfach eine abweichende Festsetzung von Steuern nach § 163 Satz 1 der Abgabenordnung ([X.]) aus sachlichen Billigkeitsgründen. Sie trug vor, in dem Gewerbeertrag für das Streitjahr in Höhe von 1.710.595 € sei ein Sanierungsgewinn in Höhe von 5.462.906 € aus dem Erlass von Bankschulden enthalten. Zum Zwecke einer Sanierung hätten verschiedene Banken auf Forderungen verzichtet. Entsprechende Unterlagen über die Vereinbarungen mit den Banken einschließlich eines Restrukturierungskonzeptes wurden vorgelegt. Hierdurch seien die Voraussetzungen für einen Steuererlass aus sachlichen Billigkeitsgründen nach dem [X.] erfüllt. Der [X.] sei daher auf 0 € herabzusetzen. Zu berücksichtigende vortragsfähige Fehlbeträge zur Gewerbesteuer lagen nicht vor.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) war zwar der Auffassung, dass ein Sanierungsgewinn i.S. des [X.]es vorliege, setzte den [X.] des Streitjahres aber dennoch mit Bescheid vom 26. März 2010 auf 107.805 € fest. Das [X.] berief sich darauf, dass der [X.] keine allgemeine Verwaltungsvorschrift für die abweichende Festsetzung des [X.] nach § 184 Abs. 2 Satz 1 [X.] sei. Dies entsprach der Auffassung der [X.], die auf eine Anfrage des [X.] mitgeteilt hatte, der [X.] regele in Randnummer 15 in Bezug auf die Gewerbesteuer, dass für Stundung und Erlass der Gewerbesteuer die [X.] zuständig sei; dies entspräche der Regelung in Abschn. 3 Abs. 1 Satz 7 der Gewerbesteuer-Richtlinien 1998. Demnach habe die [X.] im Rahmen der Festsetzung und Erhebung der Gewerbesteuer in eigener Zuständigkeit zu prüfen, ob ein Sanierungsgewinn vorliege.
Das Finanzgericht (FG) [X.] gab der dagegen erhobenen Klage mit Urteil vom 16. März 2011 7 K 3831/10 [X.] (veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 1685) statt.
Mit seiner Revision rügt das [X.] die Verletzung materiellen Rechts. Während des Revisionsverfahrens ist das Finanzministerium des [X.] dem Rechtsstreit gemäß § 122 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) beigetreten.
Das [X.] beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II. Die Revision des [X.] ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 [X.]O). Das [X.] konnte vom [X.] nicht dazu verpflichtet werden, den [X.] für das Streitjahr im Billigkeitswege niedriger festzusetzen (§§ 184 Abs. 2 i.V.m. [X.]); es ist dafür nicht zuständig.
Steuern können nach § 163 Satz [X.] niedriger festgesetzt werden und einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuern erhöhen, bei der Festsetzung der Steuer unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. Nach § 184 Abs. 2 Satz [X.] schließt die Befugnis des Betriebsfinanzamtes (§ 22 Abs. [X.]), [X.] festzusetzen, auch die Befugnis zu [X.] von § 163 Satz [X.] ein, soweit für solche Maßnahmen in einer allgemeinen Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung oder einer obersten Landesfinanzbehörde Richtlinien aufgestellt worden sind. Diese Voraussetzungen des § 184 Abs. 2 Satz [X.] liegen im Streitfall nicht vor.
a) Der [X.] ist weder eine allgemeine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung noch eine allgemeine Verwaltungsvorschrift einer obersten Landesfinanzbehörde i.S. des § 184 Abs. [X.]. Aus dem [X.] kann sich damit grundsätzlich keine Zuständigkeit des [X.] zur abweichenden Festsetzung aus sachlichen Billigkeitsgründen nach § [X.] ergeben.
aa) Bei dem [X.] handelt es sich zwar um eine allgemeine Anordnung des [X.], in der mit bindender Wirkung für die nachgeordneten Landesfinanzbehörden allgemeine Grundsätze dazu niedergelegt sind, wann ein sog. Sanierungsgewinn vorliegt und wie ein solcher ertragsteuerlich zu behandeln ist. Dadurch soll eine einheitliche Verwaltungspraxis sichergestellt werden.
Eine allgemeine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung i.S. der 1. Alternative des § 184 Abs. 2 Satz [X.] ist der [X.] aber nicht. Denn dafür bedürfte es der Entschließung der Bundesregierung als Kollegium und einer Zustimmung des Bundesrates (vgl. im Einzelnen [X.]/[X.] in: v. [X.]/ [X.], Grundgesetz, 6. Aufl., 2012, Rz 45 ff. zu Art. 84, m.w.N.). Die entsprechenden Erfordernisse ergeben sich aus Art. 108 Abs. 7, Art. 84 Abs. 2 sowie Art. 85 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG), welche auch für das Rechtsverständnis des § 184 Abs. 2 Satz [X.] einschlägig sind. [X.]ier wie dort geht es darum, die [X.] zwischen Bund und [X.] im Bereich der Steuerverwaltung rational und effektiv zu verteilen. Dafür, dass der Gesetzgeber davon abweichend in § 184 Abs. 2 Satz [X.] den Verwaltungserlass eines [X.] hätte genügen lassen wollen, ist nichts ersichtlich. Die prinzipiell zu beachtende Einheit der Rechtsordnung gebietet das Gegenteil.
Die einschlägigen Regelungsanforderungen werden für den [X.] nicht erfüllt. Dieser ist weder von der Bundesregierung noch mit Zustimmung des Bundesrates erlassen worden (im Ergebnis ebenso Verwaltungsgericht --VG-- [X.], Urteil vom 22. Juni 2011 5 A 289/09, juris, Rz 36 ff.). Dass in [X.] 1.5. Abs. 1 im Amtlichen Gewerbesteuer-[X.]andbuch 2009 ausdrücklich auf den [X.] verwiesen wird, ändert daran nichts. Zum einen ergehen die "[X.]inweise" im Gegensatz zu den Gewerbesteuer-Richtlinien nicht im Verfahren nach Art. 108 Abs. 7 GG. Zum anderen genügt der bloße [X.]inweis auf den [X.] ohnehin nicht, um eine allgemeine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung annehmen zu können.
bb) Bei dem [X.] handelt es sich auch nicht um eine allgemeine Verwaltungsvorschrift einer obersten Landesfinanzbehörde i.S. der 2. Alternative des § 184 Abs. [X.]. Der [X.] muss nicht entscheiden, ob dem Begriff der allgemeinen Verwaltungsvorschrift in diesem Zusammenhang eine andere Bedeutung zukommt als im Zusammenhang mit einer allgemeinen Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung. Denn [X.] ist jedenfalls keine oberste Landesfinanzbehörde. Der [X.] ergeht zwar --ausweislich des [X.] im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der Länder. Gleichwohl bleibt es dabei, dass [X.] allein das [X.] ist und dass dies nicht die obersten Länderfinanzbehörden sind. Bestätigt wird dies durch die Regelung des § 21a des Gesetzes über die Finanzverwaltung (Finanzverwaltungsgesetz). Dort ist ausdrücklich vorgesehen, dass das [X.] mit Zustimmung der obersten Finanzbehörden der Länder einheitliche Verwaltungsgrundsätze bestimmen kann.
Für die im Streitfall maßgebende Rechtsfrage nach der Zuständigkeit für die Festsetzung und Erhebung der Gewerbesteuer in [X.] sind überdies §§ 1 und 3 des Gesetzes über die Zuständigkeit für die Festsetzung und Erhebung der Realsteuern vom 16. Dezember 1981 ([X.] 1981, 732) einschlägig. Darin ist die Zuständigkeit der Gemeinden festgelegt und werden der Finanzminister und der Innenminister ermächtigt, Verwaltungsvorschriften zur Durchführung dieses Gesetzes zu erlassen. Auch daran fehlt es hier.
b) Dementsprechend erübrigen sich die weiteren Überlegungen der Vorinstanz, inwieweit der [X.] in Randnummer 15 des [X.]es ausschließlich die Stundung und den Erlass nach §§ 222, 227 AO, nicht aber auch die abweichende Steuerfestsetzung gemäß §§ 163, 184 AO (vgl. [X.], [X.] 2010, 306, 310) regeln wollte und dies auch nur bezogen auf die Gewerbesteuer, nicht aber auf den [X.]. Gleiches gilt für die Ausführungen zur [X.] (s. auch VG [X.], a.a.[X.], juris, Rz 46).
Unbeantwortet bleiben können ebenso die nach wie vor umstrittenen Fragen danach, ob der [X.] den Erfordernissen des allgemeinen Gesetzesvorbehalts sowie des unionsrechtlichen [X.] (vgl. z.B. [X.]/[X.], Gmb[X.]-Rundschau --Gmb[X.]R-- 2011, 673 Fußn. 94; [X.]/[X.], Gmb[X.]R 2010, 1193) uneingeschränkt genügt.
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25.04.2012
Urteil
vorgehend FG Düsseldorf, 16. März 2011, Az: 7 K 3831/10 AO, Urteil
Art 85 Abs 2 GG, Art 108 Abs 7 GG, § 163 S 1 AO, § 184 Abs 2 S 1 AO, § 3 Nr 66 EStG 1990, H 1.5 Abs 1 GewStH 2009, § 14 GewStG 2002, Art 87 Abs 1 EG
Zitiervorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 25.04.2012, Az. I R 24/11 (REWIS RS 2012, 6960)
Papierfundstellen: REWIS RS 2012, 6960
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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
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