Bundesfinanzhof, Beschluss vom 08.01.2010, Az. V B 99/09

5. Senat | REWIS RS 2010, 10621

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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

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Gegenstand

Vertagung der mündlichen Verhandlung - Glaubhaftmachung erheblicher Gründe bei Verhinderung des Prozessbevollmächtigten - Anforderungen an das Ablehnungsgesuch eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit - Entscheidung über das Ablehnungsgesuch - Berichtigung des Rubrums im Beschwerdeverfahren


Leitsatz

1. NV: Einem Verfahrensbeteiligten wird rechtliches Gehör versagt, wenn das Gericht mündlich verhandelt und in der Sache entscheidet, obwohl er einen Antrag auf Terminverlegung gestellt und dafür erhebliche Gründe geltend und glaubhaft gemacht hat .

2. NV: Das Gericht ist im Falle der Verhinderung eines Prozessbevollmächtigten nicht an der Durchführung des Termins gehindert, wenn die Prozessvollmacht auf eine Sozietät ausgestellt ist und der Termin durch ein anderes Mitglied der Sozietät sachgerecht wahrgenommen werden kann .

3. NV: Hinderungsgründe für eine Wahrnehmung des Termins durch eine andere Person als den zuständigen Sachbearbeiter müssen, sofern sie nicht offenkundig sind, im Einzelnen vorgetragen werden. Die bloße Behauptung, nicht nur der Sachbearbeiter, sondern auch alle anderen Sozien seien verhindert, reicht insoweit nicht aus .

4. NV: Für die Zulässigkeit eines auf eine vorangegangene Entscheidung gestützten Ablehnungsgesuchs reicht die Rechtswidrigkeit der vorangegangenen Entscheidung nicht aus. Die Entscheidung muss vielmehr einen Begründungsüberhang erkennen lassen, der bei dem Prozessbeteiligten von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger, objektiver Betrachtung die Befürchtung rechtfertigt, dass der Richter voreingenommen entscheiden werde .

Tatbestand

1

I. [X.]er Kläger und [X.]eschwerdeführer (Kläger) erhob durch seine Prozessbevollmächtigten "Rechtsanwälte A, [X.], [X.], [X.], [X.]" Klage gegen den Umsatzsteuerbescheid 2005 in Gestalt der [X.]inspruchsentscheidung vom 13. Mai 2008.

2

Mit Gerichtsbescheid vom 25. Mai 2009 wies das Finanzgericht ([X.]) die Klage ab. Mit Schriftsatz vom 26. Juni 2009 beantragten die Prozessbevollmächtigten die [X.]urchführung einer mündlichen Verhandlung. Mit [X.]eschluss vom 30. Januar 2009 übertrug das [X.] den Rechtsstreit auf den [X.]inzelrichter. Mit Verfügung vom 2. Juli 2007, die den Prozessbevollmächtigten ausweislich des zu den [X.]-Akten gelangten [X.]mpfangsbekenntnisses am selben Tag zuging, lud das [X.] die [X.]eteiligten zur mündlichen Verhandlung am 22. Juli 2009 um 10:15 Uhr. [X.]ie Ladung enthielt den Hinweis, dass gemäß § 91 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) beim Ausbleiben eines [X.]eteiligten auch ohne diesen verhandelt und entschieden werden kann.

3

Mit einem am 7. Juli 2009 beim [X.] eingegangenen Schriftsatz beantragten die Prozessbevollmächtigten die Verlegung dieses Termins, weil Rechtsanwalt A am 22. Juli 2009 um 9:00 Uhr einen bereits länger feststehenden Termin vor dem Amtsgericht (AG) X wahrzunehmen habe. Mit Verfügung vom 7. Juli 2009 wies der [X.]inzelrichter darauf hin, dass der für eine Verlegung des Termins erforderliche erhebliche Grund nicht glaubhaft gemacht worden sei und die Vertretung in der mündlichen Verhandlung durch ein anderes Mitglied der Sozietät zumutbar sei. Mit einem am 8. Juli 2009 beim [X.] eingegangenen Schriftsatz legten die Prozessbevollmächtigten die bei ihnen am 2. Juni 2009 eingegangene Ladung des [X.] zum 22. Juli 2009 um 9:00 Uhr vor. [X.]as [X.] teilte den Prozessbevollmächtigten am 10. Juli 2009 mit, dass der Termin zur mündlichen Verhandlung bestehen bleibe, weil die Vertretung durch ein anderes [X.] zumutbar erscheine. Mit einem am 13. Juli 2009 beim [X.] eingegangenen Schriftsatz lehnten die Prozessbevollmächtigten den [X.]inzelrichter [X.] wegen [X.]esorgnis der [X.]efangenheit ab. Mit Schriftsatz vom 20. Juli 2009 wies das [X.] nochmals darauf hin, dass der Termin zur mündlichen Verhandlung aufrechterhalten bleibe, weil eine Verhinderung der anderen [X.]er nicht glaubhaft gemacht worden sei.

4

[X.]as [X.] wies die Klage ab. [X.]as [X.] führte aus, die mündliche Verhandlung habe ohne Prozessbevollmächtigten des [X.] stattfinden können. [X.]a die Vollmacht auf eine Sozietät ausgestellt sei, sei nicht erkennbar, weshalb der [X.]evollmächtigte sich weder im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem [X.] noch beim AG durch ein anderes [X.] habe vertreten lassen können.

5

[X.]as Ablehnungsgesuch wegen [X.]esorgnis der [X.]efangenheit lehnte der [X.]inzelrichter selbst als rechtsmissbräuchlich ab, weil es allein darauf abziele, das Gericht zu der beantragten Terminsverlegung zu bewegen.

6

Mit der [X.]eschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision macht der Kläger geltend, das Urteil des [X.] beruhe auf [X.] (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O).

Entscheidungsgründe

7

II. Die Beschwerde ist unbegründet.

8

Die geltend gemachten Verfahrensmängel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O liegen nicht vor.

9

a) In der Durchführung der mündlichen Verhandlung ohne den Kläger und seinen Prozessbevollmächtigten liegt im Streitfall keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--, § 96 Abs. 2, § 119 Nr. 3 [X.]O).

Einem Verfahrensbeteiligten wird rechtliches Gehör versagt, wenn das Gericht mündlich verhandelt und in der Sache entscheidet, obwohl er einen Antrag auf Terminsverlegung gestellt und dafür erhebliche Gründe geltend und glaubhaft gemacht hat (§ 155 [X.]O i.V.m. § 227 Abs. 1 und 2 der Zivilprozessordnung --ZPO--).

Zu erheblichen Gründen in diesem Sinne gehört auch die Verhinderung des Prozessbevollmächtigten aufgrund eines gleichzeitig stattfindenden anderen, früher anberaumten [X.], den der Prozessbevollmächtigte wahrnehmen muss. Das Gericht ist aber auch in diesem Fall nicht an der Durchführung des Termins gehindert, wenn die Prozessvollmacht --wie im [X.] einer Sozietät erteilt worden ist, und der Termin durch ein anderes Mitglied der Sozietät sachgerecht wahrgenommen werden kann (Beschlüsse des [X.] --BFH-- vom 25. November 2008 [X.]/07, [X.], 406; vom 26. Oktober 1998 [X.], [X.] 1999, 626; vom 22. Dezember 1997 [X.], [X.] 1998, 726). Hinderungsgründe für eine Wahrnehmung des Termins durch eine andere Person als den zuständigen Sachbearbeiter müssen, sofern sie nicht offenkundig sind, im Einzelnen vorgetragen werden ([X.] in [X.] 1998, 726, und in [X.] 1999, 626); ohne einen solchen Vortrag darf das Gericht von dem Bestehen einer Vertretungsmöglichkeit ausgehen und demgemäß das Vorliegen "erheblicher Gründe" für eine Terminsverlegung verneinen ([X.] in [X.], 406, und vom 7. April 2004 [X.]/03, [X.] 2004, 1282). Die bloße Behauptung, nicht nur der Sachbearbeiter, sondern auch alle anderen Sozien seien verhindert, reicht insoweit nicht aus.

b) Es liegt auch kein Verfahrensfehler darin, dass der wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnte Einzelrichter über das Ablehnungsgesuch im Urteil selbst entschieden hat. Bei einem missbräuchlichen Ablehnungsgesuch entscheidet der Senat in seiner geschäftsplanmäßigen Besetzung unter Mitwirkung des abgelehnten [X.]s ([X.] vom 9. Januar 2009 [X.], [X.], 801; vom 13. November 2008 [X.], [X.], 945); bei Zuständigkeit des Einzelrichters entscheidet dieser selbst ([X.] vom 26. August 1997 [X.]/97, [X.] 1998, 463).

Das Ablehnungsgesuch des [X.] war rechtsmissbräuchlich.

aa) Nach § 51 Abs. 1 Satz 1 [X.]O i.V.m. § 42 ZPO findet die Ablehnung eines [X.]s wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des [X.]s zu rechtfertigen. Dabei kommt es nach ständiger Rechtsprechung darauf an, ob der betroffene Beteiligte von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger objektiver Betrachtung Anlass hat, die Voreingenommenheit des oder der abgelehnten [X.] zu befürchten ([X.] vom 16. Februar 2006 [X.], [X.] 2006, 1123). Gemäß § 44 Abs. 2 ZPO sind die das Misstrauen in die Unparteilichkeit rechtfertigenden Umstände im Ablehnungsgesuch substantiiert darzulegen und glaubhaft zu machen ([X.] in [X.], 801).

Eine vermeintlich oder tatsächlich rechtsfehlerhafte Entscheidung rechtfertigt für sich genommen die Besorgnis der Befangenheit nicht (vgl. Beschluss des [X.] vom 20. März 2007  2 BvR 1730/06, nicht amtlich veröffentlicht, unter [X.] der Gründe; [X.] in [X.], 945). Das [X.] dient allein dazu, den Beteiligten vor der Mitwirkung eines [X.]s zu bewahren, an dessen Unparteilichkeit Zweifel begründet sind (vgl. § 51 Abs. 1 Satz 1 [X.]O i.V.m. § 42 Abs. 2 ZPO; [X.] vom 24. November 2000 [X.]/00, [X.] 2001, 621, m.w.N.).

Behauptete Rechtsfehler eines [X.]s können nur dann eine Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen, wenn Gründe dargetan werden, die dafür sprechen, dass die mögliche Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des [X.]s gegenüber dem ablehnenden Beteiligten oder auf Willkür beruht ([X.] in [X.], 945, m.w.N.).

Ob die Entscheidung eines Gerichts auf Willkür, also auf einem Fall grober Missachtung oder grober Fehlanwendung des Gesetzes beruht oder ob sie darauf hindeutet, dass ein Gericht die Bedeutung und Tragweite der durch die Verfassung garantierten Rechte grundlegend verkennt, kann nur anhand der besonderen Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (vgl. BVerfG-Beschluss vom 20. Juli 2007  1 BvR 3084/06, Neue Juristische [X.] Zivilrecht 2008, 72, unter [X.] der Gründe).

Deshalb ist ein ausschließlich auf eine beanstandete vorangegangene Entscheidung gestütztes Ablehnungsgesuch dann als rechtsmissbräuchlich anzusehen, wenn sich aus den Einzelheiten der Begründung und insbesondere aus der Art und Weise der Begründung der vorangegangenen Entscheidung keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die beteiligten [X.] voreingenommen sein könnten.

bb) Derartige Gründe hat der Kläger nicht vorgetragen. Die im Streitfall vom Kläger angeführten Gründe für die Ablehnung liegen nicht in einzelnen Verhaltensweisen des [X.]s, sondern im Inhalt seiner Entscheidung über den [X.]. Gründe für die Besorgnis der Befangenheit ergeben sich nach Auffassung des [X.] nämlich "... aus dem willkürlichen Ignorieren des Terminsverlegungsantrags, bezogen auf den Termin vom [X.], trotz Glaubhaftmachung der Verhinderungsgründe des Prozessbevollmächtigten des [X.] und aller seiner Sozien am Verhandlungstag zur angesetzten Verhandlung. Anzeichen für eine willkürliche Benachteiligung des [X.] ergaben sich daraus, dass der abgelehnte [X.] keinen erheblichen Grund i.S. von § 227 I ZPO darin gesehen hat, dass sowohl der Sachbearbeiter, wie auch dessen Kollegen am [X.] verhindert waren und eine Terminswahrnehmung insoweit unmöglich war".

Darauf, dass die Rechtsauffassung des [X.] zum Anspruch auf Terminsverlegung aus den zu [X.] genannten Gründen zudem rechtlich unzutreffend ist, weil die Verhinderung nur des Sachbearbeiters, nicht aber die Unzumutbarkeit der Vertretung durch ein anderes [X.] glaubhaft gemacht wurde, kommt es insoweit nicht mehr an.

c) Im Rubrum des Urteils bezeichnete das [X.] den Streitgegenstand offensichtlich, wie sich aus Tatbestand und Urteilsgründen ergibt, unzutreffend mit "Umsatzsteuer 2002 bis 2004", anstatt mit Umsatzsteuer 2005. Die offensichtlich unrichtige Bezeichnung des Streitgegenstandes ist dahin zu berichtigen, dass "Umsatzsteuer 2005" als Streitgegenstand bezeichnet wird. Der Senat ist dazu im Rahmen des anhängigen Beschwerdeverfahrens zuständig ([X.] vom 24. Mai 2007 [X.]/06, [X.] 2007, 1902).

Meta

V B 99/09

08.01.2010

Bundesfinanzhof 5. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 22. Juli 2009, Az: 12 K 2724/08, Urteil

§ 51 Abs 1 FGO, § 96 Abs 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 119 Nr 3 FGO, Art 103 Abs 1 GG, § 107 Abs 1 FGO, § 42 ZPO, § 44 Abs 2 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 08.01.2010, Az. V B 99/09 (REWIS RS 2010, 10621)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 10621

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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B 13 R 172/15 B

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