Bundessozialgericht, Beschluss vom 17.06.2010, Az. B 14 AS 145/09 B

14. Senat | REWIS RS 2010, 5777

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Anforderungen an die Begründung - Geordnetheit des Vortrags - Sichtung und rechtliche Durchdringung des Sach- und Streitstandes


Tenor

Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 24. September 2009 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte zu 2. hat den Klägern ein Drittel der außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. Die Kläger begehren höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.] ([X.]) für den Zeitraum vom 1.1.2005 bis [X.] Sie rügen insbesondere die Verfassungswidrigkeit der Regelungen über die Regelleistung gemäß § 20 [X.]. [X.]eben einer höheren Regelleistung machen sie Kosten für eine Zahnfleischbehandlung in Höhe von 60 Euro und Kosten für eine Versorgung mit Zahnersatz in Höhe von 248,83 Euro als Zuschuss statt als Darlehen, die Kosten einer Hausratversicherung, eine zusätzliche [X.]eihilfe für Gerichtssachen in Höhe von 150 Euro monatlich und Kosten für ihren Kabelanschluss als Sonderbedarf geltend. Schließlich müsse der Abzug von Warmwasserkosten von den Kosten für Unterkunft und Heizung gänzlich unterbleiben. Klage und [X.]erufung sind ohne Erfolg geblieben (Urteil des [X.] vom [X.]; Urteil des Landessozialgerichts <[X.]> Mecklenburg-Vorpommern vom 24.9.2009).

2

Gegen die [X.]ichtzulassung der Revision in dem Urteil des [X.] wenden die Kläger sich mit ihrer [X.]ichtzulassungsbeschwerde. Sie machen hinsichtlich sämtlicher im Klage- und [X.]erufungsverfahren streitig gewesener Punkte die grundsätzliche [X.]edeutung der Rechtssache geltend (§ 160 Abs 2 [X.] 1 Sozialgerichtsgesetz ) und halten die [X.]eschwerde insoweit auch nach Verkündung des Urteils des [X.] ([X.]) vom [X.] (1 [X.]vL 1/09, 3/09 und 4/09) in der Sache aufrecht. Daneben rügen sie die Verletzung rechtlichen Gehörs als Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 [X.] 3 SGG).

3

II. Die [X.]ichtzulassungsbeschwerde ist zulässig, aber unbegründet, soweit die Kläger die Verfassungswidrigkeit der Regelleistung rügen (unter 1.), im Übrigen ist sie unzulässig (unter 2.).

4

1. Die von den Klägern aufgeworfene Rechtsfrage, inwieweit das System der Regelleistungen gemäß § 20 [X.] der Verfassung entspreche, ist durch das Urteil des [X.] vom [X.] (1 [X.]vL 1/09, 3/09 und 4/09, [X.] 193 = [X.]JW 2010, 505) mittlerweile geklärt. Das [X.] hat insofern im Sinne der Kläger entschieden, dass § 20 [X.] gegen Art 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit Art 20 GG verstößt. Eine grundsätzliche [X.]edeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 [X.] 1 SGG) ist damit nicht mehr gegeben.

5

Einer Zulassung der Revision bedarf es aber auch aus Gründen der Rechtsschutzgarantie für die Kläger nicht, denn das [X.] hat in dem genannten Urteil (aaO Rd[X.] 210 ff) klargestellt, dass für die Vergangenheit und für laufende Verfahren eine Erhöhung der Leistungen - trotz der festgestellten Verfassungswidrigkeit des [X.] - nicht in [X.]etracht kommt. Mithin können die Kläger in einem möglichen Revisionsverfahren keine Rechtsansprüche auf höhere Regelleistungen aus dem Urteil des [X.] ableiten. Die [X.]eschwerde war daher insoweit als unbegründet zurückzuweisen.

6

2. Im Übrigen ist die [X.]ichtzulassungsbeschwerde unzulässig. Ihre [X.]egründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil weder der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen [X.]edeutung noch der geltend gemachte Verfahrensmangel ordnungsgemäß dargetan worden sind (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG).

7

a) Grundsätzliche [X.]edeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Ein [X.]eschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter [X.]erücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums angeben, welche Rechtsfragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt (vgl [X.] § 160 [X.] 17 und § 160a [X.] 7, 11, 31, 59, 65; [X.] 3-1500 § 160a [X.] 16 mw[X.] - stRspr).

8

Die [X.]eschwerdebegründung zur geltend gemachten grundsätzlichen [X.]edeutung der Rechtssache enthält über die pauschal vorgetragene Verfassungswidrigkeit der zugrunde liegenden Vorschriften des [X.] hinaus schon keine geordnete und verständliche Darlegung des entscheidungserheblichen Sachverhalts auf der Grundlage der Feststellungen des [X.], weshalb sie sich als unzulässig darstellt. Die 58 Seiten umfassende [X.]eschwerdebegründung und die 19seitige Ergänzung im [X.] an die Verkündung des Urteils des [X.] vom [X.] bestehen im Wesentlichen aus [X.]erichterstattung Dritter über andere Verfahren (insbesondere einem 11seitigen [X.]ericht über die mündliche Verhandlung vor dem [X.] am [X.]) und wörtlich übernommenen Passagen aus Aufsätzen, Gutachten und Erfahrungsberichten [X.]etroffener aus dem [X.]. Dagegen fehlt die notwendige Sichtung und rechtliche Durchdringung des Sach- und Streitstandes vollständig. So haben die Kläger zwar angekündigt, nach Zulassung der Revision ua auch Kosten einer Zahnfleischbehandlung in Höhe von 60 Euro und Kosten einer Versorgung mit Zahnersatz in Höhe von 248,83 Euro, die die [X.]eklagte zu 2. als Darlehen bewilligt hat, als Zuschuss, hilfsweise als Darlehen mit einer geringeren Tilgungsrate geltend zu machen. In der [X.]eschwerdebegründung wird jedoch an keiner Stelle eine Auseinandersetzung mit diesem Themenkomplex deutlich. Gleiches gilt für die zusätzlich geltend gemachten Kosten einer Hausratversicherung und die im Einzelnen zwar aufgeschlüsselte, aber nicht weiter begründete zusätzliche [X.]eihilfe für Gerichtssachen in Höhe von 150 Euro monatlich. Es ist nicht Aufgabe des [X.]undessozialgerichts ([X.]), sich aus den in die [X.]egründung der [X.]ichtzulassungsbeschwerde teilweise wörtlich übernommenen, teilweise nur zitierten Schriftsätzen der Kläger aus anderen Verfahren und dem im Übrigen vollständig ungeordneten Gemenge das herauszusuchen, was möglicherweise zur [X.]egründung der [X.]eschwerde geeignet sein könnte (vgl nur [X.] [X.] 3-1500 § 160a [X.] 26).

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Soweit sich die Kläger mit ihrer [X.]ichtzulassungsbeschwerde gegen den vorgenommenen Abzug der [X.] von den geltend gemachten Heizkosten wenden, bleibt unklar, inwieweit ausgehend von der zitierten Rechtsprechung eine weitergehende Klärung durch das [X.] für den vorliegenden Fall noch erforderlich sein sollte. Soweit die Kläger geltend machen, die bisherige Rechtsprechung des [X.] hierzu verstoße gegen die Denkgesetze und sei deshalb unzutreffend, ist damit allein die erneute Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage nicht dargelegt. Dazu hätte es einer ausführlichen Auseinandersetzung mit zwischenzeitlich veröffentlichtem juristischen Schrifttum und neuerer Rechtsprechung bedurft. Die erneute Klärungsbedürftigkeit begründen die Kläger dagegen im Wesentlichen mit einem Hinweis ("Link") auf die Dokumentation einer privaten [X.]seite, was den [X.] ersichtlich nicht genügen kann.

Auch hinsichtlich der geltend gemachten Kabelgebühren genügt die [X.]eschwerdebegründung nicht den Darlegungserfordernissen. Die Kläger machen insoweit sinngemäß lediglich geltend, die Entscheidung des [X.] sei unzutreffend. Sie zitieren zwar die Entscheidung des [X.] ([X.]E 102, 274 = [X.] 4-4200 § 22 [X.] 18), setzen sich aber nicht mit den dort aufgestellten rechtlichen Grundsätzen auseinander, wonach tatsächliche Aufwendungen für einen Kabelanschluss und die [X.]nutzungsgebühren grundsätzlich nur dann erstattungsfähig sind, wenn die Verpflichtung zur Zahlung durch den Mietvertrag begründet worden ist (aaO Rd[X.] 19). Ausgehend von dieser Rechtsprechung ist mit dem Vortrag, in [X.] sei alternativ zu einem Kabelanschluss der [X.] Empfang nur über eine Dachantenne möglich, die der Vermieter aber nicht erlaube, keine Rechtsfrage formuliert, die vorliegend höchstrichterlich zu klären wäre.

b) Die Kläger haben auch keinen Verfahrensmangel hinreichend bezeichnet, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs 2 [X.] 3 iVm § 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Zur ordnungsgemäßen [X.]ezeichnung eines [X.] gehört, dass die verletzte Rechtsnorm und die eine Verletzung begründenden Tatsachen substantiiert und schlüssig dargelegt werden (stRspr; ua [X.] [X.] 3-1500 § 73 [X.] 10).

Zum Vorliegen einer Überraschungsentscheidung und damit einer Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG) hätten die Kläger unter [X.]ezugnahme auf den Gang des erst- und zweitinstanzlichen Verfahrens und das Vorbringen der [X.]eteiligten sowie unter Hervorhebung von Äußerungen des [X.]erufungsgerichts darlegen müssen, dass die Entscheidung des [X.], nämlich die Entscheidung in der Sache anstelle der Vertagung des Rechtsstreits, nach dem bisherigen Sach- und Streitstand von keiner Seite als möglich vorausgesehen werden konnte (vgl [X.]E 86, 133, 144 f; [X.], [X.]eschluss vom [X.] KR 24/06 [X.]). Ausgehend von dem allgemeinen Verfahrensgrundsatz, dass das Gericht nicht verpflichtet ist, die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gründe zuvor mit den [X.]eteiligten zu erörtern (vgl [X.], [X.]eschlüsse vom 23.4.2009 - [X.] 13 R 15/09 [X.] -; vom 5.3.2007 - [X.] 4 RS 58/06 [X.] und vom [X.] KR 24/06 [X.]), fehlt es an Darlegungen dazu, warum ein gewissenhafter Prozessbeteiligter unter [X.]erücksichtigung aller vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte hier nicht davon ausgehen musste, dass das [X.] von der Verfassungswidrigkeit der zugrunde liegenden Regelungen möglicherweise nicht überzeugt sein und deshalb in der Sache entscheiden würde.

3. [X.] beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG. Das [X.] hat insoweit angeregt, dass der Verfassungswidrigkeit der Regelungen des § 20 [X.] im Rahmen der Kostenentscheidung Rechnung getragen werden kann. Dies hat der Senat mit einer teilweisen Kostenentscheidung zugunsten der Kläger berücksichtigt.

Meta

B 14 AS 145/09 B

17.06.2010

Bundessozialgericht 14. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Neubrandenburg, 20. September 2005, Az: S 7 AS 3/05 NB

§ 160a Abs 1 S 1 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 17.06.2010, Az. B 14 AS 145/09 B (REWIS RS 2010, 5777)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 5777

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1 BvL 1/09

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