Bundesgerichtshof, Urteil vom 07.12.2011, Az. IV ZR 50/11

4. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 738

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GESETZGEBUNG BUNDESGERICHTSHOF (BGH) KÜNDIGUNG VERSICHERUNGSRECHT VERSICHERUNGEN

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Gegenstand

Private Krankenversicherung: Zulässigkeit einer außerordentlichen Kündigung des Versicherers


Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 8. Zivilsenats des [X.] vom 24. Februar 2011 wird auf Kosten des [X.] zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger unterhielt bei der Beklagten seit dem 1. August 1995 eine private Krankheitskosten- und Pflegepflichtversicherung als Restkostenversicherung zu seinem Beihilfeanspruch. Eine private Krankenversicherung bestand darüber hinaus bereits seit dem 1. Januar 1984. Mit Schreiben vom 7. Juli 2009 kündigte die Beklagte den [X.] fristlos gemäß § 314 BGB, da der Kläger in den Jahren 2007 bis 2009 insgesamt 168 angebliche Medikamentenbezüge zur Abrechnung eingereicht habe, tatsächlich viele der Medikamente aber nicht bezogen und bezahlt worden seien, so dass eine Überzahlung von 3.813,21 € vorgelegen habe. Der Kläger widersprach dieser Kündigung und machte geltend, wegen seines schlechten gesundheitlichen Zustandes infolge einer Karzinomerkrankung habe seit Beginn des Jahres 2007 seine Ehefrau die Abrechnungen vorgenommen. Ihm seien mögliche Manipulationen nicht bekannt gewesen. Berechtigte Ansprüche der Beklagten seien allenfalls in Höhe von 1.246,81 € gegeben. Die Beklagte verrechnete in der Folgezeit den von ihr geltend gemachten Rückzahlungsanspruch mit weiteren Erstattungsansprüchen des Klägers.

2

Der Kläger hat die Beklagte zunächst auf Feststellung in Anspruch genommen, dass das Versicherungsverhältnis zwischen den Parteien über den 10. Juli 2009 hinaus fortbesteht. Ferner hat er beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.566,60 € sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren zu zahlen. Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Im [X.] hat der Kläger nur noch den Feststellungsantrag sowie den [X.] hinsichtlich der Rechtsanwaltsgebühren verfolgt. Seine Berufung ist erfolglos geblieben. Hiergegen richtet sich seine Revision.

Entscheidungsgründe

3

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

4

I. Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung in [X.], 738 veröffentlicht ist, hat ausgeführt, dass das Recht der [X.] zur Kündigung des [X.] gemäß § 314 BGB nicht durch die Bestimmung des § 206 Abs. 1 Satz 1 [X.] ausgeschlossen werde. Der nur scheinbar eindeutige Wortlaut des § 206 Abs. 1 Satz 1 [X.] werde durch die Entstehungsgeschichte der Norm relativiert, aus der sich ergebe, dass lediglich die Kündigung wegen fehlender Prämienzahlung habe untersagt werden sollen. Die Norm sei teleologisch dahin zu reduzieren, dass sonstige gewichtige Vertragsverletzungen weiterhin eine Kündigung aus wichtigem Grund ermöglichten. Jeder Vertragspartner eines Dauerschuldverhältnisses müsse die Möglichkeit haben, sich nach dem Prinzip der subjektiven Äquivalenz von einem vertragsuntreuen Vertragspartner zu lösen. Der gekündigte Versicherungsnehmer werde auch nicht rechtlos gestellt, weil er einen Anspruch darauf habe, bei einem anderen Versicherer im Basistarif versichert zu werden.

5

Auch die Voraussetzungen des außerordentlichen Kündigungsrechts lägen vor. Die Ehefrau des [X.] sei als dessen Repräsentantin anzusehen, da sie die Abrechnungen gegenüber der [X.] eigenverantwortlich vorgenommen habe. Einer vorherigen Abmahnung vor Ausspruch der fristlosen Kündigung habe es nicht bedurft. Das dem Kläger zuzurechnende betrügerische Verhalten durch Erschleichen von Leistungen rechtfertige eine außerordentliche Kündigung. Die Beklagte müsse den Kläger auch nicht im Basistarif weiter versichern, zumal dieser selbst erklärt habe, hieran kein Interesse zu haben.

6

II. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.

7

1. Das Recht der [X.] zur fristlosen Kündigung des [X.] gemäß § 314 Abs. 1 BGB ist nicht durch § 206 Abs. 1 Satz 1 [X.] ausgeschlossen.

8

a) Grundsätzlich steht den Parteien eines Versicherungsvertrages ein Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund nach § 314 Abs. 1 Satz 1 BGB zu (Senatsurteile vom 20. Mai 2009 - [X.], [X.], 1063 Rn. 15; vom 18. Juli 2007 - [X.], [X.], 1260 unter [X.]). Allerdings bestimmt der zum 1. Januar 2009 durch das [X.] vom 23. November 2007 ([X.] I S. 2631) neu gefasste § 206 Abs. 1 Satz 1 [X.], dass jede Kündigung einer [X.], die eine Pflicht nach § 193 Abs. 3 Satz 1 [X.] erfüllt, durch den Versicherer ausgeschlossen ist. Der Anwendungsbereich der Regelung erstreckt sich auf die überwiegende Mehrzahl der bestehenden privaten [X.]sverträge, da nach § 193 Abs. 3 Satz 3 [X.] alle vor dem 1. April 2007 - wie hier - abgeschlossenen [X.]sverträge unter die Definition der Pflichtversicherung fallen (HK-[X.]/[X.], 2. Aufl. § 206 Rn. 2; [X.], Private Krankenversicherung 2. Aufl. Rn. 126). § 206 Abs. 1 Satz 1 [X.] findet über Art. 1 Abs. 1 EG[X.] auf den Versicherungsvertrag Anwendung, da die Beklagte die Kündigung erst im [X.] erklärt hat.

9

b) Ob ein Versicherer trotz des Wortlauts von § 206 Abs. 1 Satz 1 [X.] jedenfalls dann ein Recht zur außerordentlichen Kündigung des Vertrages nach § 314 Abs. 1 BGB hat, wenn er sich nicht auf einen Prämienverzug des Versicherungsnehmers, sondern andere schwere Vertragsverletzungen - etwa [X.] - stützt, wird unterschiedlich beurteilt.

aa) Teilweise wird die Auffassung vertreten, dass § 206 Abs. 1 Satz 1 [X.] eine abschließende Regelung für den Bereich der [X.] enthalte und jede Art von Kündigung verbiete, unabhängig davon, ob es sich um eine ordentliche oder um eine außerordentliche handele ([X.], 396; [X.] in [X.]/[X.], [X.] 28. Aufl. § 206 Rn. 7; [X.] in [X.], [X.] 2. Aufl. § 206 Rn. 6; [X.] in [X.]/[X.], [X.]. nach § 2 MB/KK Rn. 82 f.; [X.], r+s 2011, 300, 301 f.; [X.]/[X.], [X.], 580, 583 f.; HK-[X.]/[X.], § 206 Rn. 3; [X.]. juris PR-VersR 10/2010 [X.]. 1; [X.], NJW 2007, 3745, 3749). Dies wird mit dem einschränkungslosen Wortlaut des § 206 Abs. 1 S. 1 [X.] sowie der systematischen Stellung zu Satz 2 ("darüber hinaus …") begründet. Ferner sei es dem Gesetzgeber um die Gewährleistung eines durchgängigen Krankenversicherungsschutzes für jeden Bürger gegangen, was durch Ausnahmen vom [X.] nicht unterlaufen werden dürfe. Ein hinreichender Schutz des Versicherers für den Fall des [X.] werde durch das Ruhen des Vertrages nach § 193 Abs. 6 [X.] erreicht. Außerdem sei der Versicherer berechtigt, unter den Voraussetzungen der §§ 19 ff., 22 [X.] vom Vertrag zurückzutreten bzw. diesen anzufechten. Soweit es demgegenüber um die spätere Kündigung gehe, sei § 206 [X.] als [X.] zu §§ 19 Abs. 4, 194 Abs. 1 Satz 3 [X.] anzusehen. Schließlich seien gemäß § 110 Abs. 4 [X.] in der privaten Pflegepflichtversicherung Rücktritts- und Kündigungsrechte des Versicherers ausgeschlossen, solange der Kontrahierungszwang bestehe.

bb) Demgegenüber geht eine andere Ansicht davon aus, dass § 206 Abs. 1 Satz 1 [X.] nicht schlechthin jede außerordentliche Kündigung wegen einer schwerwiegenden Vertragsverletzung nach § 314 Abs. 1 Satz 1 BGB untersage, soweit es nicht um Fälle des Prämienverzugs gehe, für die § 193 Abs. 6 [X.] eine Sonderregelung enthalte. Insoweit sei eine teleologische Reduktion der Vorschrift vorzunehmen (OLG Celle [X.], 738; [X.] ZfS 2011, 396; [X.], Urteil vom 23. November 2011 - 5 [X.]/11; [X.], Private Krankenversicherung 2. Aufl. Rn. 127 ff.; MünchKomm-[X.]/[X.], § 206 Rn. 47 ff.; [X.]. in [X.]/[X.], § 14 MB/KK Rn. 8; [X.]/[X.], [X.] und Krankenhaustagegeldversicherung, 2. Aufl. S. 183 f.; Wandt, Versicherungsrecht 5. Aufl. Rn. 484, 1366; [X.], Private Krankenversicherung § 206 [X.] Rn. 90 ff.; [X.], 431, 436; [X.] der privaten Krankenversicherung ([X.]) durch die [X.]-33; [X.] [X.], 1337, 1344 f.; verfassungsrechtliche Bedenken äußernd [X.] in Looschel[X.]/Pohlmann, [X.] 2. Aufl. § 206 Rn. 3).

cc) Schließlich werden differenzierende Positionen vertreten. So geht [X.] davon aus, § 206 Abs. 1 Satz 1 [X.] sei teleologisch dahin zu reduzieren, dass eine außerordentliche Kündigung zulässig sei, soweit sie sich auf einen qualitativ oder quantitativ über den Basistarif hinausreichenden Versicherungsschutz beziehe ([X.], 886, 887). Ähnlich nehmen [X.]/[X.] an, eine Kündigung des Versicherers sei zwar generell ausgeschlossen, er könne jedoch in entsprechender Anwendung von § 193 Abs. 6 Satz 9 [X.] die Fortsetzung des [X.] verlangen ([X.], 593, 604).

c) Die zweitgenannte Ansicht trifft zu. § 206 Abs. 1 Satz 1 [X.] ist teleologisch dahin zu reduzieren, dass er ausnahmslos eine außerordentliche Kündigung wegen Prämienverzugs verbietet, während eine Kündigung wegen sonstiger schwerer Vertragsverletzungen unter den Voraussetzungen des § 314 BGB möglich ist.

aa) Ausgangspunkt für die Auslegung einer Gesetzesvorschrift ist der in dieser zum Ausdruck gekommene objektivierte Wille des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt ([X.], Urteil vom 30. Juni 1966 - [X.], [X.]Z 46, 74, 76). Dem Ziel, den im Gesetz objektivierten Willen des Gesetzgebers zu erfassen, dienen die nebeneinander zulässigen, sich gegenseitig ergänzenden Methoden der Auslegung aus dem Wortlaut der Norm, ihrem Sinnzusammenhang, ihrem Zweck sowie aus den Gesetzgebungsmaterialien und der Entstehungsgeschichte.

Hiervon ausgehend ist der Wortlaut der Vorschrift eindeutig (so auch [X.] aaO). Er schließt schlechthin "jede" Kündigung einer [X.], die eine Pflicht nach § 193 Abs. 3 Satz 1 [X.] erfüllt, durch den Versicherer aus. Eine Differenzierung zwischen ordentlicher und außerordentlicher Kündigung erfolgt nicht. Der Umstand, dass die Regelung auch außerordentliche Kündigungen erfasst, ergibt sich zudem aus einem Vergleich zu § 206 Abs. 1 Satz 2 [X.], in der weitere Einschränkungen der ordentlichen Kündigung geregelt sind ("darüber hinaus …"). In der Vorgängervorschrift des § 178i Abs. 1 Satz 1 [X.] a.F. war lediglich die ordentliche Kündigung ausgeschlossen. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich ferner, dass durch den Kündigungsausschluss das Ziel erreicht werden soll, den Versicherungsschutz dauerhaft aufrecht zu erhalten und einen Versicherungsschutz für alle in [X.] lebenden Personen zu bezahlbaren Konditionen herzustellen (BT-Drucks. 16/4247, [X.], 68).

bb) Dieser eindeutige Wortlaut verbietet es allerdings nicht, die Norm teleologisch dahin zu reduzieren, dass sie unmittelbar lediglich die außerordentliche Kündigung wegen Prämienverzugs ausschließt, während in anderen Fällen schwerer Vertragsverletzung im Einzelfall eine außerordentliche Kündigung nach § 314 Abs. 1 BGB in Betracht kommen kann (für eine derartige teleologische Reduktion etwa [X.] aaO; MünchKomm-[X.]/[X.] aaO Rn. 52; [X.]. in [X.]/[X.], § 14 MB/KK Rn. 8; [X.] aaO 1344 f.). Eine teleologische Reduktion setzt eine verdeckte Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes voraus ([X.], Urteile vom 26. November 2008 - [X.], [X.]Z 179, 27 Rn. 22; vom 13. November 2001 - [X.], [X.]Z 149, 165, 174; [X.]/[X.], [X.]. S. 621). Ob eine derartige Lücke besteht, ist vom Standpunkt des Gesetzes und der ihm zugrunde liegenden [X.] zu beurteilen. Das Gesetz muss also, gemessen an seiner eigenen [X.], unvollständig sein. Diesem methodischen Ansatz steht der Wortlaut der Norm nicht entgegen, da es Sinn und Zweck der teleologischen Reduktion ist, eine zu weit gefasste Norm auf ihren sachgerechten Inhalt zu reduzieren ([X.], [X.], je aaO).

cc) Für eine teleologische Reduktion spricht zunächst die Entstehungsgeschichte der Norm. So heißt es im Gesetzentwurf zu der Neufassung des § 178i [X.] a.F., welche dann endgültig in Gestalt von § 206 [X.] in das Gesetz einging (BT-Drucks. 16/4247 S. 68):

"Durch diese Regelung soll der Versicherungsschutz dauerhaft aufrechterhalten werden. Bisher verlieren Versicherte häufig ihre Altersrückstellungen dadurch, dass der Versicherer ihnen kündigt, weil sie mit der Zahlung einer [X.] in Verzug sind. Dieses ist nunmehr ausgeschlossen. Der Versicherer wird durch diese Regelung nur gering belastet, da der Leistungsanspruch des Versicherten nach § 178a Abs. 8 weitgehend ruht und während des [X.] Säumniszuschläge geltend gemacht werden können."

Dem Gesetzgeber ging es also in erster Linie darum, den Versicherungsnehmer vor den Folgen des Verlustes des Versicherungsschutzes durch eine Kündigung wegen Verzugs mit der Prämienzahlung zu schützen und ihm seine Altersrückstellungen zu erhalten. Demgegenüber ergibt sich aus der [X.] nicht, dass dem Versicherer ein außerordentliches Kündigungsrecht versagt werden sollte, sofern es um andere schwerwiegende Vertragsverletzungen außerhalb des Prämienverzugs geht, insbesondere um Fälle der Leistungserschleichung oder sonstiger gegenüber dem Versicherer bzw. seinen Mitarbeitern verübter Straftaten. So war schon zum bisherigen Recht anerkannt, dass eine Kündigung aus wichtigem Grund in Betracht kommen kann (vgl. Senatsurteile vom 20. Mai 2009 aaO Rn. 17; vom 18. Juli 2007 aaO; [X.] [X.], 58; [X.] 2005, 428).

dd) Ein vollständiger Ausschluss des Kündigungsrechts hätte demgegenüber zur Folge, dass der Versicherer selbst in Fällen schwerster Vertragsverletzungen an den Versicherungsnehmer gebunden bliebe. Der Versicherer wäre gezwungen, das Vertragsverhältnis mit einem Versicherungsnehmer fortzusetzen, der bereits in der Vergangenheit versucht hat, durch betrügerische Handlungen Leistungen zu erschleichen. Diese Gefahr bestünde für den Versicherer auch in Zukunft fort, da es ihm bei dem Massengeschäft der Abrechnung von [X.] häufig nicht möglich ist, in jedem Einzelfall zu überprüfen, ob die eingereichten Belege tatsächlich auch auf Leistungen beruhen, die erbracht und vom Versicherungsnehmer bezahlt wurden. Insoweit setzt das Versicherungsverhältnis ein auf Treu und Glauben beruhendes Vertrauen zwischen den Vertragsparteien voraus. Umgekehrt könnte der Versicherungsnehmer - von strafrechtlichen Folgen abgesehen - sanktionslos Versicherungsbetrug begehen. Wird sein Handeln nicht aufgedeckt, verbleiben ihm die hiermit verbundenen wirtschaftlichen Vorteile. Wird es im Einzelfall entdeckt, so ist der Versicherer allein darauf verwiesen, einen Rückzahlungsanspruch ihm gegenüber geltend zu machen, dessen tatsächliche Realisierbarkeit nicht in jedem Falle feststehen dürfte.

Ein derart vollständiger Ausschluss des Kündigungsrechts auch bei schwerwiegenden Vertragsverletzungen verstieße gegen den in § 314 BGB zum Ausdruck kommenden allgemeinen Grundsatz des Zivilrechts, dass Dauerschuldverhältnisse bei Vorliegen eines wichtigen Grundes gekündigt werden können ([X.], Urteil vom 26. Mai 1986 - [X.], NJW 1986, 3134 unter [X.] 2 a; [X.] aaO 1343).

ee) Auch der Gesetzgeber selbst will den Versicherer in den von ihm allein berücksichtigten Fällen des Prämienverzugs, für die er eine außerordentliche Kündigung ausdrücklich ausgeschlossen hat, keineswegs rechtlos stellen. So bestimmt § 193 Abs. 6 [X.], dass bei einem qualifizierten Prämienrückstand das Ruhen der Versicherung eintritt. Während dieser [X.] haftet der Versicherer ausschließlich für Aufwendungen zur Behandlung akuter Erkrankungen und von Schmerzzuständen sowie bei Schwangerschaft und Mutterschaft. Weitere Leistungen hat er nicht zu erbringen. Ferner stehen ihm Säumniszuschläge gegen den Versicherungsnehmer zu. Sind die Rückstände nicht innerhalb eines Jahres ausgeglichen, so wird die Versicherung nur noch im Basistarif fortgesetzt. Wenn aber der Versicherer schon für die Fälle des Prämienverzugs, der häufig auf der schlechten wirtschaftlichen oder persönlichen Situation des Versicherungsnehmers beruhen kann, nur noch in eingeschränktem Umfang Leistungen erbringen muss, so muss dem Versicherer erst recht ein Kündigungsrecht zustehen, wenn der Versicherungsnehmer wesentlich schwerwiegendere Vertragsverletzungen wie etwa [X.] oder sonstige Straftaten begeht ([X.] aaO 1345).

ff) Das Gesetz schließt ohnehin nicht jede Möglichkeit des Versicherers aus, sich von einem [X.]svertrag auch dann zu lösen, wenn mit diesem eine Pflicht nach § 193 Abs. 3 Satz 1 [X.] erfüllt wird. So finden wegen Verletzung vorvertraglicher Anzeigepflichten weiterhin die §§ 19 ff., 22 [X.] Anwendung. Sie erfahren lediglich gemäß § 194 Abs. 1 Satz 3 [X.] eine Modifikation dahin, dass § 19 Abs. 4 [X.] auf die Krankenversicherung nicht anzuwenden ist, wenn der Versicherungsnehmer die Verletzung der Anzeigepflicht nicht zu vertreten hat. Dem Versicherer bleibt daher auch im Bereich der Pflichtversicherung nach § 193 Abs. 3 [X.] das Recht zum Rücktritt vom Vertrag bzw. der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung bei Verletzung der Anzeigepflicht anlässlich des Vertragsschlusses erhalten.

Zudem bestimmt § 193 Abs. 5 Satz 4 [X.], dass der Versicherer den Antrag auf Abschluss einer Versicherung im Basistarif ablehnen kann, wenn der Antragsteller bereits bei dem Versicherer versichert war und der Versicherer den Versicherungsvertrag wegen Drohung oder arglistiger Täuschung angefochten hat oder vom Versicherungsvertrag wegen einer vorsätzlichen Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht zurückgetreten ist. Es ist nicht ersichtlich, warum ein Versicherungsnehmer, der bei Vertragsschluss seine Anzeigepflicht verletzt hat, den Versicherungsschutz nachträglich durch Rücktritt oder Anfechtung seitens des Versicherers wieder verlieren kann, im Falle einer sonstigen schweren Vertragsverletzung wie etwa der Leistungserschleichung aber einen Anspruch auf unveränderten Fortbestand des Vertrages haben soll (so auch [X.] aaO). Zwar handelt es sich in diesen Fällen erst um eine nachträgliche Störung des zunächst einwandfrei zustande gekommenen Vertragsverhältnisses, während sich Rücktritt und Anfechtung auf eine Anzeigepflichtverletzung vor Vertragsschluss beziehen. Inhaltlich vermag dies eine unterschiedliche Behandlung aber nicht zu rechtfertigen. Auch beim Rücktritt oder der Anfechtung ist der Vertrag zunächst "ins Werk gesetzt" worden und wird erst nachträglich nach Aufdeckung der Anzeigepflichtverletzung rückwirkend wieder beseitigt. Warum es dem Versicherer dann nicht möglich sein soll, bei häufig noch wesentlich gravierenderen Vertragsverletzungen den Vertrag nicht zumindest mit Wirkung für die Zukunft aus wichtigem Grund kündigen zu können, leuchtet nicht ein.

gg) Den Interessen des Versicherungsnehmers wird dadurch Rechnung getragen, dass er seinen Versicherungsschutz nicht vollständig verliert. Vielmehr hat er weiterhin Anspruch darauf, gemäß § 193 Abs. 5 [X.] bei jedem in [X.] zum Geschäftsbetrieb zugelassenen Versicherungsunternehmen im Basistarif nach § 12 Abs. 1a [X.] versichert zu werden. Auf die Frage, ob der gekündigte Versicherungsnehmer einen Anspruch auf Abschluss einer [X.] zum Basistarif beim bisherigen Versicherer oder lediglich bei einem anderen Versicherer hat, kommt es hier nicht an (hierzu Senatsurteil [X.] vom heutigen [X.]). Der Kläger hat selbst erklärt, kein Interesse an einer Fortsetzung des Vertragsverhältnisses mit der [X.] zum Basistarif zu haben.

hh) Ein vollständiger Ausschluss des Kündigungsrechts kann auch nicht aus einem Vergleich mit § 110 Abs. 4 [X.] hergeleitet werden. Hiernach sind in der privaten Pflegeversicherung Rücktritts- und Kündigungsrechte des Versicherungsunternehmens ausgeschlossen, solange der Kontrahierungszwang besteht. Zwar schließt diese Regelung jede Kündigung aus wichtigem Grund, auch die nicht lediglich auf Prämienverzug beruhende, aus (vgl. Senatsurteil [X.] vom heutigen [X.]). Dies führt aber nicht dazu, dass auch bei § 206 Abs. 1 Satz 1 [X.] jedes Kündigungsrecht ausgeschlossen wäre (so aber [X.], r+s 2011 aaO). Der Unterschied besteht darin, dass bei Zulassung eines außerordentlichen Kündigungsrechts im Bereich der Pflegepflichtversicherung der Versicherungsnehmer seines Versicherungsschutzes vollständig verlustig ginge, während im Bereich der privaten Krankenversicherung immer noch ein Anspruch auf Abschluss eines Versicherungsvertrages im Basistarif nach § 193 Abs. 5 [X.] verbleibt.

ii) Auch die Gefahr eines Verlustes von Altersrückstellungen recht-fertigt nicht den vollständigen Ausschluss eines außerordentlichen Kündigungsrechts. Zwar hat der Gesetzgeber den Ausschluss des Kündigungsrechts ausdrücklich damit begründet, dass bisher viele Versicherte ihre Altersrückstellungen dadurch verlieren, dass der Versicherer ihnen kündigt, weil sie mit der Zahlung einer [X.] in Verzug sind (BT-Drucks. 16/4247 S. 68). Der Fall eines [X.], der auf Seiten des Versicherungsnehmers die unterschiedlichsten wirtschaftlichen und persönlichen Gründe haben kann, ist aber mit Fällen sonstiger schwerer Vertragsverletzungen nicht zu vergleichen. Wer etwa durch [X.] in betrügerischer Weise versucht, Leistungen des Versicherers zu erhalten, auf die er keinen Anspruch hat, muss die Folgen seines Handelns, die gegebenenfalls auch im Verlust des Versicherungsschutzes einschließlich der Altersrückstellungen liegen können, selbst tragen.

jj) Schließlich steht der Zulassung einer außerordentlichen Kündigung auch nicht die Rechtsprechung des [X.] entgegen, das die entsprechenden Regelungen für verfassungsgemäß erachtet hat (so auch [X.], Private Krankenversicherung Rn. 91 ff.; [X.] aaO 1344). Es hat mit Urteil vom 10. Juni 2009 entschieden, dass die Einführung des Basistarifs durch die [X.] in der privaten Krankenversicherung verfassungsmäßig war ([X.] 123, 186) und dazu ausgeführt, dass das absolute [X.] des § 206 Abs. 1 Satz 1 [X.] Grundrechte der Versicherer nicht unverhältnismäßig beeinträchtige (aaO 249 f.). Dem Gesetzgeber sei es darum gegangen, in dem weitaus häufigsten Fall der Vertragsverletzung, nämlich dem Prämienverzug, den mit einer Kündigung des Versicherungsvertrages verbundenen Verlust der Altersrückstellung zu verhindern. Da es sich bei der Krankenversicherung um ein nicht personifiziertes Massengeschäft handele, sei es nicht sachwidrig und unzumutbar, dass der Gesetzgeber auf eine Kündigungsregelung wegen anderer Vertragsverletzungen, die nur relativ selten vorkämen, verzichtet habe. Ergänzend hat das [X.] mit Beschluss vom 10. Juni 2009 entschieden, dass diese Grundsätze auch auf kleine Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit Anwendung fänden ([X.] 124, 25, 42 f.). Soweit es um andere Fälle von Vertragsverletzungen außerhalb des [X.] gehe, sei eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 9 Abs. 1 GG zwar nicht immer auszuschließen. Insoweit seien die Beschwerdeführer aber gehalten, zunächst gegebenenfalls Rechtsschutz vor den Fachgerichten zu suchen.

Diese Entscheidungen befassen sich mithin nur mit der Verfassungsmäßigkeit der Regelung insgesamt, betreffen aber nicht die Frage der Auslegung einfach gesetzlicher Rechtsvorschriften, stehen also einer einschränkenden Auslegung der Norm für die Fälle sonstiger schwerer Vertragsverletzungen nicht entgegen ([X.] aaO; [X.] aaO).

2. a) [X.] nicht zu beanstanden ist ferner, dass das Berufungsgericht die Beklagte als berechtigt angesehen hat, das Versicherungsverhältnis mit dem Kläger gemäß § 314 Abs. 1 BGB zu kündigen. Voraussetzung für eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund ist, dass dem Kündigenden die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der bei[X.]eitigen Interessen nicht zugemutet werden kann ([X.], Urteil vom 11. November 2010 - [X.], [X.], 81 unter [X.]). An eine derartige Kündigung eines privaten [X.] sind hohe Anforderungen zu stellen, so dass sie nur bei Vorliegen beson[X.] schwerwiegender Umstände des Einzelfalles in Betracht kommt. Ein wichtiger Grund kann insbesondere dann vorliegen, wenn sich der Versicherungsnehmer Leistungen erschleicht oder zu erschleichen versucht (Senatsurteile vom 20. Mai 2009 aaO; vom 18. Juli 2007 aaO Rn. 16; [X.] [X.], 58). Ob nach diesen Kriterien bestimmte Umstände als wichtiger Grund zu werten sind, hat in erster Linie der Tatrichter zu entscheiden. Die revisionsgerichtliche Kontrolle erstreckt sich allein darauf, ob das [X.] den Rechtsbegriff des wichtigen Grundes richtig erfasst, ob es den Sachverhalt vollständig ermittelt und in seine Wertung sämtliche Umstände des konkreten Falles einbezogen hat ([X.], aaO).

b) Ohne Erfolg macht die Revision auf dieser Grundlage zunächst geltend, der Kläger müsse sich das Handeln seiner Ehefrau nicht über die Rechtsfigur des Repräsentanten zurechnen lassen.

aa) Repräsentant ist, wer in dem Geschäftsbereich, zu dem das versicherte Risiko gehört, aufgrund eines Vertretungs- oder sonstigen Verhältnisses an die Stelle des Versicherungsnehmers getreten ist. Repräsentant kann nur sein, wer befugt ist, selbständig in einem gewissen, nicht ganz unbedeutenden Umfang für den Versicherungsnehmer zu handeln. Übt der Dritte aufgrund eines Vertrags- oder ähnlichen Verhältnisses die Verwaltung des Versicherungsvertrages eigenverantwortlich aus, kann dies für seine Repräsentantenstellung sprechen (Senatsurteile vom 21. April 1993 - [X.], [X.]Z 122, 250, 252 ff.; vom 10. Juli 1996 - [X.], [X.], 1229 unter 2 b). Der Grund der Haftungszurechnung liegt darin, dass es dem Versicherungsnehmer nicht freistehen darf, den Versicherer dadurch schlechter und sich besser zu stellen, dass er einen [X.] an seine Stelle hat treten lassen. Dieser Zurechnungsgrund greift auch dann ein, wenn das geschützte Interesse des Versicherers deshalb durch einen [X.] verletzt werden kann, weil der Versicherungsnehmer den [X.] in die Lage versetzt hat, insoweit selbständig und in nicht unbedeutendem Umfang für ihn zu handeln (Senatsurteil vom 14. März 2007 - [X.], [X.]Z 171, 304, 306 f.).

Der Versicherungsnehmer kann sich seiner Verantwortung für die Vertragsverwaltung nicht dadurch entziehen, dass er einem [X.] eigenständig die Abwicklung eingetretener Leistungsfälle überlässt, um sich dann später darauf zu berufen, er habe vom betrügerischen Verhalten des [X.] keine Kenntnis erlangt.

bb) Zutreffend ist das Berufungsgericht auf dieser Grundlage davon ausgegangen, dass die Ehefrau des [X.] als dessen Repräsentantin anzusehen ist. So hat sie selbst in ihrer eidesstattlichen Erklärung vom 23. Juli 2009 erklärt, seit der Erkrankung ihres Ehemannes habe sie es übernommen, die Abrechnungen mit der Krankenkasse vorzunehmen. Sie sei allein dafür zuständig gewesen, die Rezepte bei dem Versicherer einzureichen. Die Abrechnungen seien vollständig und allein verantwortlich durch sie vorgenommen worden. Sei etwa ein Rezept mit drei Medikamenten eingereicht und nur eines abgeholt worden, so seien von ihr die Preise und weiteren Daten der anderen beiden Medikamente hinzugefügt und das Rezept so beim Versicherer eingereicht worden. Von dieser Vorgehensweise habe sie dem Kläger nie etwas berichtet. In dem außergerichtlichen Schreiben der Bevollmächtigten des [X.] an die Beklagte vom 15. Juli 2009 wird ebenfalls bestätigt, dass die Abrechnungen vollständig und verantwortlich durch die Ehefrau des [X.] erstellt worden und diesem zu keinem Zeitpunkt bekannt gewesen seien.

Mithin ist die Ehefrau des [X.] - von diesem beauftragt - eigenverantwortlich tätig geworden. Eine Verletzung des Anspruchs des [X.] auf rechtliches Gehör liegt nicht vor. Das Berufungsgericht musste seine Ehefrau nicht als Zeugin vernehmen. Ob diese als Repräsentantin anzusehen ist, stellt eine Rechtsfrage dar. Angesichts der Erklärungen des [X.] und seiner Ehefrau entlastet es den Kläger nicht, wenn er behauptet, seine Ehefrau habe die Zusammenstellung der [X.] Belege nach vorheriger Absprache mit ihm vorgenommen bzw. er habe die Zusendung der Abrechnungsbelege weder in die alleinige Verfügungsbefugnis noch die alleinige Verantwortlichkeit seiner Ehefrau gegeben. Die gesamte Abrechnung ist einschließlich der vorgenommenen Manipulationen über Jahre hinweg eigenständig durch die Ehefrau des [X.] vorgenommen worden. Somit hätten dem Kläger die zahlreichen Manipulationen auf den Rezepten sowie die zu hohen Erstattungen auf seinem Konto nicht entgehen können.

c) [X.] nicht zu beanstanden ist auch die Abwägung des Berufungsgerichts, mit dem es zu dem Ergebnis gekommen ist, dass der [X.] gemäß § 314 Abs. 1 BGB eine Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht zuzumuten ist. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Betrugshandlungen sich über drei Jahre von 2007 bis 2009 erstreckten und insgesamt 47 Rezepte betrafen, die zur Erstattung eingereicht wurden, obwohl die dort aufgeführten Medikamente entweder überhaupt nicht oder jedenfalls nicht in diesem Umfang vom Kläger erworben und bezahlt wurden.

Schließlich ist es nicht zu beanstanden, wenn das Berufungsgericht dem möglichen Verlust von Altersrückstellungen kein ausschlaggebendes Gewicht bei der Abwägung beigemessen hat. Abgesehen davon, dass Klägervortrag dazu fehlt, ob und inwieweit es durch die Kündigung überhaupt zu einem Verlust von Altersrückstellungen gekommen ist, muss er diese Folgen, wenn er sich in betrügerischer Weise Leistungen erschleicht, selbst tragen.

Dr. [X.]

                                    Harsdorf-Gebhardt                                     Dr. [X.]

Meta

IV ZR 50/11

07.12.2011

Bundesgerichtshof 4. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Celle, 24. Februar 2011, Az: 8 U 157/10, Urteil

§ 206 Abs 1 S 1 VVG, § 314 Abs 1 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 07.12.2011, Az. IV ZR 50/11 (REWIS RS 2011, 738)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 738

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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