Bundessozialgericht, Beschluss vom 10.11.2022, Az. B 5 R 110/22 B

5. Senat | REWIS RS 2022, 7822

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Gegenstand

(Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensfehler - Verletzung des § 153 Abs 4 S 2 SGG - absoluter Revisionsgrund - lange Verfahrensdauer)


Tenor

Auf die Beschwerde des [X.] wird der Beschluss des [X.] vom 25. Juni 2021 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gerichts zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Der Kläger begehrt den früheren Beginn einer Rente wegen voller Erwerbsminderung sowie die Auszahlung einer Nachzahlung nach rückwirkender Rentenbewilligung in Höhe von 16 202,77 Euro.

2

Der 1950 geborene Kläger bezieht von der [X.]n eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen. Von 2007 bis zum [X.] erhielt er laufend Leistungen nach dem [X.] Ein Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung blieb im Verwaltungsverfahren zunächst ohne Erfolg (Bescheid vom [X.], Widerspruchsbescheid vom [X.]). In dem sich anschließenden Rechtsstreit verpflichtete sich die [X.] in einem Vergleich vor dem [X.] (L 13 R 611/10), die Bewilligung einer solchen Rente ab dem [X.] erneut zu prüfen. In der Folge gewährte sie dem Kläger aufgrund von Leistungseinschränkungen nach einer im März 2008 erlittenen Unterschenkelfraktur eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf [X.] ab dem 1.10.2008 bis zum [X.]. Eine Nachzahlung in Höhe von 17 534,10 Euro wurde vorläufig nicht ausgezahlt, weil zunächst Ansprüche anderer Stellen zu klären seien (Bescheid vom 12.7.2012). Mit einem weiteren Bescheid vom 19.7.2012 stellte die [X.] die Rente wegen voller Erwerbsminderung unter Berücksichtigung eines ermäßigten Beitragssatzes zur Pflegeversicherung rückwirkend ab 1.10.2008 neu fest. Auch der daraus folgende Nachzahlungsbetrag von 40,62 Euro wurde vorläufig nicht ausgezahlt. Der Widerspruch des [X.] mit dem Begehren, eine unbefristete Rente wegen Erwerbsminderung bereits ab dem [X.] sowie die Nachzahlung in vollem Umfang zu erhalten, blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 15.11.2012). Auf einen vom beigeladenen Jobcenter geltend gemachten Erstattungsanspruch für Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.] für die [X.] vom 1.10.2008 bis zum [X.] leistete die [X.] insgesamt 19 547,38 Euro an den Beigeladenen. An den Kläger zahlte die [X.] 1331,33 Euro und weitere 40,62 Euro aus.

3

Das [X.] hat die Klage mit dem Begehren, die [X.] unter Änderung der Bescheide vom 12.7.2012 und vom 19.7.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.11.2012 zu verurteilen, eine Erwerbsminderungsrente ab dem 13.3.2008, hilfsweise ab dem [X.] auf Dauer zu gewähren sowie die restliche Nachzahlung aus dem Bescheid vom 12.7.2012 in Höhe von 16 202,77 Euro auszuzahlen, abgewiesen (Urteil vom 12.11.2014). Das [X.] hat die Berufung mit der Begründung zurückgewiesen, eine befristete Erwerbsminderungsrente sei nicht vor Beginn des siebten Monats nach Eintritt der Erwerbsminderung am [X.] am 13.3.2008 zu leisten. Nach den vorliegenden medizinischen Befunden sei das Leistungsvermögen des [X.] zwei Jahre nach der erlittenen Unterschenkelfraktur nicht mehr rentenrelevant eingeschränkt gewesen. Der [X.] gelte aufgrund des Erstattungsanspruchs des Beigeladenen als erfüllt (Beschluss vom [X.]).

4

Auf den Antrag des [X.] hat der Senat Prozesskostenhilfe für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde bewilligt und den Prozessbevollmächtigten beigeordnet. Daraufhin hat der Kläger am 18.5.2022 Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des [X.] vom [X.] erhoben und wegen der versäumten Fristen zur Einlegung und Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt. In seiner Begründung vom 27.7.2022 macht der Kläger Verfahrensfehler geltend. Er rügt einen Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz sowie eine Verletzung seines Rechts auf rechtliches Gehör.

5

II. Die Beschwerde des [X.] gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des [X.] vom [X.] ist zulässig und begründet. Der Senat macht von der Möglichkeit der Aufhebung des angegriffenen Beschlusses und der Zurückverweisung der Sache an das [X.] zur erneuten Verhandlung und Entscheidung nach § 160a Abs 5 [X.] Gebrauch.

6

1. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig. Dem Kläger ist aufgrund der vorangegangenen Bewilligung von Prozesskostenhilfe hinsichtlich der Fristen zur Einlegung und Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 67 [X.] zu gewähren (vgl dazu im Einzelnen [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.], 13. Aufl 2020, § 160a RdNr 8 und 11). Auch hat der Kläger ausführlich den Verfahrensablauf vor dem [X.] bis zu dessen Entscheidung geschildert und einen Verstoß gegen die [X.] nach § 153 Abs 4 Satz 2 [X.] als Verfahrensfehler iS von § 160 Abs 2 [X.] [X.] formgerecht bezeichnet (§ 160a Abs 2 Satz 3 [X.]).

7

2. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist auch begründet. Das [X.] hat gegen das grundrechtsgleiche Recht auf rechtliches Gehör nach Art 103 Abs 1 GG verstoßen, indem es die [X.] nach § 153 Abs 4 Satz 2 [X.] verletzt hat. In der Folge ist das Gericht bei der sich anschließenden Entscheidung durch Beschluss nach § 153 Abs 4 Satz 1 [X.] nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen. Deshalb wurde auch das Recht auf [X.] verletzt (Art 101 Abs 1 Satz 2 GG).

8

Das [X.] kann gemäß § 153 Abs 4 Satz 1 [X.] die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Nach Satz 2 dieser Vorschrift sind die Beteiligten vorher zu hören. Diese [X.] ist Ausdruck des verfassungsrechtlichen Gebots des rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG), das bei der Wahl des vereinfachten Verfahrens im [X.] nicht verkürzt werden darf (vgl zuletzt [X.] vom [X.] [X.] 100/20 B - juris RdNr 5 mwN). Zwar hat das [X.] dem Kläger mit Schreiben vom [X.], mit Postzustellungsurkunde zugestellt am [X.], seine Absicht mitgeteilt, die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung zurückzuweisen und darauf hingewiesen, eine Entscheidung werde nicht vor dem 2[X.] ergehen. Das [X.] hat dem Kläger jedoch nicht vollumfänglich Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben, insbesondere keine Akteneinsicht gewährt und damit seinen Anspruch auf rechtliches Gehör beschnitten (vgl hierzu [X.] vom [X.] LW 1/21 B - juris Rd[X.]2 mwN).

9

Nachdem der Kläger nach Erhalt der Anhörungsmitteilung zunächst mit Schreiben vom [X.] das Gericht darum gebeten hatte, Kopien seiner Berufungsbegründung und des Urteils des [X.] zu übermitteln sowie die Frist zur Stellungnahme zu verlängern, beantragte er mit weiteren Schreiben vom 1[X.] und vom 2[X.] Akteneinsicht in die Verfahrensakten. Zudem hatte der vor dem [X.] nicht durch einen Prozessbevollmächtigten rechtskundig vertretene Kläger bereits in früheren Schriftsätzen mitgeteilt, dass er mehrfach umgezogen und im Jahr 2017 aus einer Obdachlosenunterkunft geräumt worden sei. Im Schreiben vom [X.] verwies er auf ihm deshalb nicht mehr vorliegende Unterlagen, die anderen Orts in Kartons verstaut seien und erst wieder gesichtet werden müssten. Auch habe sich sein [X.] zwischenzeitlich nach einem Defekt "verabschiedet", sodass er selbst auf seine eigenen Schriftsätze nicht mehr zugreifen könne.

Das [X.] hat dem Kläger vor der Entscheidung nach § 153 Abs 4 Satz 1 [X.] zwar mit Schreiben vom 1[X.] die Berufungsschrift sowie das erstinstanzliche Urteil übersandt und mitgeteilt, es verbleibe bei der beabsichtigten Entscheidung durch Beschluss und der gesetzten Frist zur Stellungnahme bis zum 2[X.]. Abgesehen davon, dass damit eine angemessene Frist zur Stellungnahme nach Einsicht in diese Unterlagen nicht mehr gewährleistet war, hat das [X.] dem Kläger aber auch die ihm nach § 120 [X.] zustehende Akteneinsicht verwehrt. Die Übersendung einzelner Schriftstücke genügte hierfür nicht. Die Auffassung des [X.], über die dem Kläger bekannten eigenen Schriftsätze hinaus seien keine Unterlagen aktenkundig geworden, die dem Kläger nicht bekannt gewesen seien, macht eine Akteneinsicht nicht entbehrlich. Ungeachtet dessen, dass nach den vom Kläger geschilderten besonderen Umständen kaum sicher gesagt werden konnte, von welchem Akteninhalt der Kläger Kenntnis hatte, ist eine solche Einschätzung des Gerichts für den Umfang des Anspruchs auf Akteneinsicht nicht maßgeblich. Die Akteneinsicht umfasst vielmehr alle das Verfahren betreffenden Unterlagen, die dem Gericht zur Verfügung stehen (vgl [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.], 13. Aufl 2020, § 120 Rd[X.]).

Es kann offenbleiben, ob die Beschwerdebegründung auch hinreichend aufzeigt, dass die angefochtene Entscheidung iS des § 160 Abs 2 [X.] [X.] auf dem festgestellten Verfahrensmangel beruhen kann. Ausführungen zum Beruhen können auch in Fällen einer nicht ordnungsgemäß durchgeführten Anhörung nach § 153 Abs 4 Satz 2 [X.] erforderlich sein (vgl [X.] vom [X.] - [X.] R 276/20 B - juris RdNr 8; [X.] Beschluss vom 15.10.2020 - [X.] R 83/20 B - juris Rd[X.]2 und [X.] vom 18.7.2019 - [X.] R 259/17 B - juris Rd[X.]4 zu unvollständigen Anhörungen; ua zum mangelnden [X.] vgl [X.] vom 17.12.2020 - [X.] R 23/20 B - juris RdNr 8). Die Verletzung des § 153 Abs 4 Satz 2 [X.] ist hier jedenfalls wie ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 202 Satz 1 [X.] iVm § 547 [X.] ZPO zu behandeln, bei dem unwiderleglich vermutet wird, dass die Entscheidung auf dem [X.] beruht, sodass es keiner Ausführungen zur Kausalität zwischen [X.] und Entscheidung bedarf. Der Anhörungsfehler des [X.] verletzt den Kläger nicht nur in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 62 [X.], Art 103 Abs 1 GG), sondern führt auch zu einer unvorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts (Art 101 Abs 1 Satz 2 GG).

Das [X.] hat dies bereits für Fallkonstellationen entschieden, in denen das Gericht durch Beschluss entschieden hat, ohne eine erneute Anhörung nach § 153 Abs 4 Satz 2 [X.] durchzuführen, obwohl sich die [X.] nach der ersten Anhörungsmitteilung entscheidungserheblich geändert hatte (vgl [X.] vom [X.] - [X.] R 62/21 B - juris RdNr 9; [X.] vom 30.10.2019 - [X.] [X.]/18 B - juris RdNr 5; [X.] vom 19.10.2016 - [X.] [X.]/16 B - juris RdNr 4; [X.] vom 17.11.2015 - [X.] KR 65/15 B - juris RdNr 8 und [X.] vom 20.10.2010 - [X.] R 63/10 B - [X.] 4-1500 § 153 [X.]1 Rd[X.]7). Auch hat das [X.] einen absoluten Revisionsgrund angenommen, wenn das [X.] vor Ablauf der von ihm selbst gesetzten [X.] entschieden hat (vgl [X.] vom [X.] - [X.] [X.] B - juris RdNr 6; [X.] vom 31.3.2017 - [X.] KR 28/16 B - juris RdNr 9; [X.] vom 12.10.2016 - [X.]1 [X.] 48/16 B - juris RdNr 9 und [X.] vom 24.2.2016 - [X.] R 341/15 B - juris RdNr 6) oder wenn die Anhörungsmitteilung dem Kläger bzw seinem Prozessbevollmächtigten nicht zugegangen ist (vgl [X.] vom [X.] [X.] 100/20 B; [X.] vom 29.8.2019 - [X.] [X.]/18 B). In all diesen Konstellationen kann die nach § 153 Abs 4 Satz 2 [X.] vorgeschriebene Anhörung die ihr zugedachte Funktion nicht erfüllen, die ansonsten durch die mündliche Verhandlung ermöglichte umfassende Anhörung der Beteiligten adäquat zu kompensieren (vgl [X.] vom 17.11.2015 - [X.] KR 65/15 B - juris RdNr 8; [X.] vom 24.2.2016 - [X.] R 341/15 B - juris RdNr 6). So liegt der Fall auch hier. Angesichts der vom Kläger geschilderten besonderen Umstände, der Dauer des Verfahrens von sechs Jahren allein im Berufungsverfahren, der äußerst kurzen, trotz entsprechender Bitte des [X.] nicht verlängerten Frist und der Verweigerung von Akteneinsicht ist ihm eine adäquate Stellungnahme (vgl dazu [X.] Beschluss vom 8.10.2021 - 1 BvR 2192/21 - NJW 2021, 3654 Rd[X.]4) vor der Beschlussfassung durch das [X.] nicht möglich gewesen. Der Kläger stand nicht anders, als wenn eine Anhörung nach § 153 Abs 4 Satz 2 [X.] unterblieben wäre (vgl zum Fall der [X.] über einen Antrag auf Verlängerung der Stellungnahmefrist [X.] vom 15.12.2016 - [X.] R 238/16 B - juris Rd[X.]2).

3. Da die Sache schon wegen eines Anhörungsfehlers nach § 153 Abs 4 Satz 2 [X.] zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen wird (§ 160a Abs 5 [X.]), ist nicht mehr darüber zu befinden, ob die Entscheidung des Berufungsgerichts, nach § 153 Abs 4 Satz 1 [X.] vorzugehen, hier ermessensfehlerhaft gewesen ist. Nach dieser Vorschrift kann das [X.], außer in den Fällen des § 105 Abs 2 Satz 1 [X.], die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Ein solches Vorgehen steht in dessen pflichtgemäßem Ermessen ("kann") und wird nach ordnungsgemäßer Rüge eines Verfahrensfehlers nur dahingehend überprüft, ob das Berufungsgericht von seinem Ermessen fehlerhaft Gebrauch gemacht hat und der Beurteilung etwa sachfremde Erwägungen oder eine grobe Fehleinschätzung zugrunde liegen (stRspr; vgl [X.] vom [X.] - [X.] R 51/21 B - juris RdNr 4; [X.] vom 14.3.2019 - [X.] R 22/18 B - juris RdNr 45; [X.] vom 23.3.2018 - [X.] KR 80/17 B - juris RdNr 8).

Die mündliche Verhandlung, aufgrund der die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit regelmäßig entscheiden (§ 124 Abs 1 [X.]), ist gleichsam das "Kernstück" des gerichtlichen Verfahrens und verfolgt den Zweck, dem Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör zu genügen und mit ihnen den Streitstoff erschöpfend zu erörtern (vgl [X.] vom 18.6.2019 - [X.] V 38/18 B - juris Rd[X.]0). Ob hiervon abgesehen und nach § 153 Abs 4 Satz 1 [X.] verfahren werden kann, ist anhand aller zu berücksichtigenden Umstände des Falles zu beurteilen (vgl bereits [X.] Urteil vom [X.] - B 2 U 29/00 R - [X.] 3-1500 § 153 [X.]3 S 38 f; [X.] vom 27.12.2011 - [X.] R 253/11 B - juris Rd[X.]3). Hier hätte schon angesichts der besonders langen Verfahrensdauer in der Berufungsinstanz von mehr als sechs Jahren nahegelegen, die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten im Rahmen einer mündlichen Verhandlung abschließend zu erörtern (vgl [X.] vom [X.] - [X.] R 51/21 B - juris RdNr 5). Zwar ist § 153 Abs 4 [X.] keine zeitliche Begrenzung zu entnehmen, innerhalb der ein die Berufung zurückweisender Beschluss des [X.] ergehen kann (vgl [X.] vom 30.7.2009 - [X.] R 187/09 B - juris RdNr 8). Bei einer Verfahrensdauer von insgesamt mehr als acht Jahren seit Klageerhebung ist aber kaum von einer Sachlage auszugehen, die mit dem Ziel einer Beschleunigung des Verfahrens die mündliche Verhandlung entbehrlich hätte machen können (vgl zu einem ähnlichen Fall [X.] vom 20.11.2003 - [X.] [X.]/03 B - [X.] 4-1500 § 153 [X.] RdNr 8). Zudem dürfte der Kläger zu den verschiedenen Streitgenständen und zu der Entscheidung, ob er dreizehn Jahre zuvor einen Anspruch auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente auf Dauer hatte, noch [X.] gehabt haben.

4. Hinsichtlich der Rüge, das [X.] habe gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 103 [X.]) verstoßen, kann dahingestellt bleiben, ob der vor dem [X.] nicht durch einen rechtskundigen Prozessbevollmächtigten vertretene Kläger ordnungsgemäße Beweisanträge gestellt hat (zu den Anforderungen vgl [X.] vom 21.12.2021 - [X.] V 34/21 B - juris Rd[X.]1 mwN). Derartige Beweisanträge wären allerdings im Hinblick auf die zu treffende Prognoseentscheidung zu formulieren gewesen. Für einen Anspruch des [X.] auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente bereits ab dem 13.3.2008 oder - wie hilfsweise begehrt - ab dem [X.] war maßgeblich, ob die Rente ausnahmsweise auf Dauer zu gewähren war (§ 102 Abs 2 Satz 5 [X.]). Nur dann galt nicht der spätere Rentenbeginn ab dem 1.10.2008 (§ 101 Abs 1 [X.]). Dabei ist die Frage, ob es unwahrscheinlich ist, dass eine Erwerbsminderung wieder behoben werden kann, bei Erteilung des Bescheids prognostisch zu beurteilen. Es kommt entscheidend darauf an, ob Besserungsaussichten unter Berücksichtigung aller vorhandenen therapeutischen Möglichkeiten bestehen (vgl [X.] Urteil vom 29.3.2006 - [X.] RJ 31/05 R - [X.]E 96, 147 = [X.] 4-2600 § 102 [X.], Rd[X.]4). Bei Überprüfung des die Rentengewährung ursprünglich ablehnenden Bescheids vom [X.] ist deshalb lediglich zu beurteilen gewesen, wie sich zum damaligen [X.]punkt aus prognostischer Sicht die Gesundheitsstörungen des [X.] und die daraus folgenden Leistungseinschränkungen weiterentwickeln würden.

5. Die Kostenentscheidung bleibt der abschließenden Entscheidung des [X.] vorbehalten.

 Düring

Hannes

Körner

Meta

B 5 R 110/22 B

10.11.2022

Bundessozialgericht 5. Senat

Beschluss

Sachgebiet: R

vorgehend SG Karlsruhe, 12. November 2014, Az: S 9 R 4580/12, Urteil

§ 62 SGG, § 103 SGG, § 120 SGG, § 124 Abs 1 SGG, § 153 Abs 4 S 1 SGG, § 153 Abs 4 S 2 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160a Abs 5 SGG, § 202 S 1 SGG, § 547 Nr 1 ZPO, Art 101 Abs 1 S 2 GG, Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 10.11.2022, Az. B 5 R 110/22 B (REWIS RS 2022, 7822)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 7822

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1 BvR 2192/21

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