Bundesgerichtshof, Beschluss vom 02.03.2010, Az. II ZR 62/06

2. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 8818

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Gegenstand

Rechtsanwaltsgebühr: Voraussetzungen für die Erhöhung der Wertgrenze auf 100 Mio. Euro


Leitsatz

Die Erhöhung der Wertgrenze für die Anwaltsgebühren auf 100 Mio. € nach § 22 Abs. 2 Satz 2 RVG setzt voraus, dass die dort als "in derselben Angelegenheit" für die mehreren Auftraggeber bezeichnete anwaltliche Tätigkeit verschiedene Gegenstände betrifft .

Tenor

Der Gegenstandswert des Revisionsverfahrens für die Vergütung der Prozessbevollmächtigten der Beklagten wird unter Zurückweisung ihres weitergehenden Antrags auf 30.000.000 € festgesetzt.

Gründe

1

I. Die Parteien haben vor dem [X.]at um einen Anspruch auf Rückzahlung eines [X.] in Höhe von 164.638.234,57 € gestritten, der nach Auffassung des klagenden Insolvenzverwalters nicht geschuldet war, weil der zugrunde liegende Vorgang eine verdeckte Sacheinlage darstellte. Das Verfahren ist mittlerweile rechtskräftig abgeschlossen ([X.], 145; [X.], [X.].Urt. v. 11. Mai 2009 - [X.], [X.], 1155).

2

Die Prozessbevollmächtigten der vier Beklagten haben beantragt, den Gegenstandswert für die anwaltliche Tätigkeit auf 100 Mio. € festzusetzen.

3

II. Funktionell zuständig für die Entscheidung ist der [X.]at. Zwar sieht § 33 Abs. 8 RVG vor, dass über den Antrag auf [X.] das Gericht durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter entscheidet. Das gilt aber nicht für den [X.], bei dem Entscheidungen durch den Einzelrichter nicht vorgesehen sind ([X.], [X.]. v. 13. Januar 2005 - [X.], NJW-RR 2005, 584 zu § 66 Abs. 6 GKG).

4

III. Der Antrag ist zulässig.

5

Nach § 33 Abs. 1 Alt. 1 RVG setzt das Gericht des Rechtszugs den Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit fest, wenn sich die Gebühren in einem gerichtlichen Verfahren nicht nach dem für die Gerichtsgebühren maßgeblichen Wert berechnen. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Wegen § 22 Abs. 2 RVG ist die Festsetzung des Streitwerts für die Gerichtsgebühren nach § 39 GKG nicht zwingend auch für die Höhe der Anwaltsgebühren maßgeblich. Dabei genügt die Behauptung, die Wertgrenze sei zugunsten des Antragstellers erhöht.

6

Die Prozessbevollmächtigten der Beklagten sind nach § 33 Abs. 2 Satz 2 RVG aus eigenem Recht antragsbefugt.

7

IV. Der Antrag ist nur in Höhe von 30 Mio. € begründet, im Übrigen ist er zurückzuweisen.

8

Eine Erhöhung der Wertgrenze des § 22 Abs. 2 Satz 1 RVG von 30 Mio. € auf 100 Mio. € nach § 22 Abs. 2 Satz 2 RVG kommt nicht in Betracht, weil die Tätigkeit der Prozessbevollmächtigten der Beklagten denselben Gegenstand betroffen hat und damit § 22 Abs. 2 Satz 2 RVG keine Anwendung findet.

9

1. Der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit ist dann [X.]elbe, wenn der Rechtsanwalt für mehrere Auftraggeber wegen desselben Rechts oder Rechtsverhältnisses tätig wird. Ob dasselbe Recht oder Rechtsverhältnis betroffen ist, bestimmt sich auch dann nach dem klägerischen Begehren, wenn der Rechtsanwalt für die Beklagten tätig wird ([X.], [X.]. v. 5. Oktober 2005 - VIII ZB 52/04, [X.] 2006, 69). Der Kläger hat sämtliche Beklagten als Gesamtschuldner auf Rückzahlung eines einheitlichen [X.] in Anspruch genommen. Damit liegt ein einheitlicher Gegenstand vor.

2. Die Erhöhung der Wertgrenze von 30 Mio. € auf 100 Mio. € nach § 22 Abs. 2 Satz 2 RVG setzt voraus, dass in [X.]elben Angelegenheit mehrere Gegenstände behandelt werden (AnwKommRVG/[X.] 5. Aufl. § 22 Rdn. 32; [X.]. [X.] 2009, 455; [X.]. [X.] 2007, 522; [X.]/[X.], RVG 4. Aufl. § 22 Rdn. 17; a.A. [X.], [X.] 2007, 521, 522; [X.], [X.] 2009, 454; [X.], NJW 2009, 3550 ff.; [X.]/[X.]/[X.]/[X.]/[X.], RVG 3. Aufl. § 22 Rdn. 61 f., dieses Ergebnis aber - bis zur 2. Aufl. - zutreffend als "unsinnig" kritisierend; [X.], [X.] 39. Aufl. § 22 RVG Rdn. 6; [X.]/von [X.]/[X.], RVG 18. Aufl. § 22 Rdn. 8). Das ergibt sich zwar nicht aus dem Wortlaut des § 22 Abs. 2 Satz 2 RVG, folgt aber aus der Systematik des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes, die bei Anwendung der Gegenmeinung Brüche sowohl im Verhältnis zu § 7 Abs. 2 RVG als auch zu Nr. 1008 [X.] erlitte.

Der Ansatz eines Gegenstandswerts von 100 Mio. € nach § 22 Abs. 2 Satz 2 RVG hätte in einer Angelegenheit mit identischem Gegenstand zur Folge, dass der Prozessbevollmächtigte mehrerer Auftraggeber insgesamt mehr fordern könnte, als ihm alle Auftraggeber nach § 7 Abs. 2 RVG je einzeln schulden (näher AnwKommRVG/[X.] 5. Aufl. § 22 Rdn. 32; zu dieser Problematik auch [X.], NJW 2009, 3550, 3551). Bei einem Gegenstandswert von 100 Millionen Euro und Identität des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit ergäbe sich bei Ansatz von 2,3 Gebühren nach Nr. 3208 [X.], 1,5 Gebühren nach Nr. 3210 [X.] und - bei vier Auftraggebern - 0,9 Gebühren nach Nr. 1008 [X.] im Revisionsverfahren ein Gesamtgebührenanspruch in Höhe von 1.417.031,20 €. Nach § 7 Abs. 2 RVG ist aber der Anspruch gegen jeden einzelnen der Auftraggeber auf 347.684,80 € (3,8 Gebühren aus einem Gegenstandswert von 30 Mio. €) beschränkt. Der Prozessbevollmächtigte könnte deshalb von allen vier Auftraggebern zusammen lediglich (4 x 347.684,80 =) 1.390.739,20 € verlangen. Erhöhte man bei identischem Gegenstand die Wertgrenze von 30 Mio. € auf 100 Mio. €, verbliebe eine Differenz von 26.292,00 €, die angefallen, aber von keinem der Auftraggeber zu erstatten wäre.

Zugleich würde der Ansatz eines Gegenstandswerts von 100 Mio. € zu einem Wertungswi[X.]pruch bei der Anwendung von Nr. 1008 [X.] führen. Die Folge wäre nämlich, dass der Rechtsanwalt in einer Angelegenheit bei identischem Gegenstand deutlich mehr an Gebühren erhielte als in einer Angelegenheit mit verschiedenen Gegenständen, bei denen Nr. 1008 [X.] nicht zur Anwendung kommt. Damit würde eine typischerweise weniger aufwändige Tätigkeit des Rechtsanwalts höher entgolten als eine typischerweise mit größerem Aufwand verbundene.

Dieser - letztlich durch eine unsorgfältige Fassung des § 22 Abs. 2 Satz 2 RVG hervorgerufene (vgl. dazu [X.], RVG 2. Aufl. § 22 Rdn. 61) - Wertungswi[X.]pruch lässt sich nicht dadurch auflösen, dass man den nach § 7 Abs. 2 RVG ermittelten Gesamtbetrag der von allen Auftraggebern je einzeln geschuldeten Gebühren als "selbständige Grenze" für die insgesamt geschuldeten Gebühren interpretiert (so aber [X.], NJW 2009, 3550, 3552). Denn auch dann würde der Prozessbevollmächtigte - wegen der Gebührenerhöhungen gemäß Nr. 1008 [X.] - deutlich mehr verdienen als ein Rechtsanwalt, der für vier Auftraggeber in vier verschiedenen Gegenständen tätig wäre. Das erscheint nicht sachgerecht.

V. Die Entscheidung ergeht gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet, § 33 Abs. 9 RVG.

Goette     

        

Strohn     

        

Reichart

        

Drescher     

        

Bender     

        

Meta

II ZR 62/06

02.03.2010

Bundesgerichtshof 2. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Frankfurt, 18. April 2008, Az: 10 U 265/04, Urteil

§ 22 Abs 2 S 2 RVG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 02.03.2010, Az. II ZR 62/06 (REWIS RS 2010, 8818)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 8818

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