Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 02.06.2015, Az. X ZR 103/13

X. Zivilsenat | REWIS RS 2015, 10352

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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X [X.]
Verkündet am:
2. Juni
2015

Hartmann
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja

[X.]
EPÜ Art. 69; [X.] § 14
a)
Das Verletzungsgericht hat das [X.] selbständig auszulegen und ist weder rechtlich noch tatsächlich an die Auslegung durch den [X.] in einem das [X.] betreffenden Patentnichtigkeitsverfahren gebunden.
b)
Werden in der Beschreibung eines Patents mehrere Ausführungsbeispiele als erfindungsgemäß vorgestellt, sind die im Patentanspruch verwendeten Begriffe im Zweifel so zu verstehen, dass sämtliche Beispiele zu ihrer [X.] herangezogen werden können. Nur wenn und soweit sich die Lehre des Patentanspruchs mit der Beschreibung und den Zeichnungen nicht in [X.] bringen lässt und ein unauflösbarer Widerspruch verbleibt, dürfen die-jenigen Bestandteile der Beschreibung, die im Patentanspruch keinen Nie-derschlag gefunden haben, nicht zur Bestimmung des Gegenstands des [X.] herangezogen werden.
[X.], Urteil vom 2. Juni 2015 -
X [X.] -
O[X.]

[X.]

-
2
-

Der X.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 2.
Juni
2015 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr.
Meier-Beck und
die [X.], [X.], [X.] und Hoffmann

für Recht erkannt:

Auf die Revision des [X.] wird das am 8. August 2013 verkündete Urteil des 2.
Zivilsenats des [X.].

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 4b-Zivilkammer des [X.] vom 16. Februar 2012 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Rechtsmittel trägt die Beklagte.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger ist eingetragener Inhaber des mit Wirkung für die [X.] erteilten [X.] Patents 1 366 968 (nachfolgend: [X.]). Er nimmt die Beklagte wegen Verletzung des [X.]s auf Unterlassung, Aus-kunftserteilung, Rechnungslegung und Feststellung der Verpflichtung zum [X.] in Anspruch. Patentanspruch 1 des [X.]s hat folgenden Wortlaut:
"Zusammenklappbarer [X.] mit einem [X.] (1), das mindestens aufweist:
1
-
3
-

-
zwei obere, spiegelbildlich angeordnete, von vorn nach hinten an-steigend und im Wesentlichen V-förmig verlaufende, durchgehende oder aus miteinander verbundenen Abschnitten gebildete Gestell-holme (2a, 2b), deren untere Enden zum Verbringen aus einer zu-sammengelegten Stellung in eine Aufstellposition schwenkbar an einem Verbindungsteil (3) angekoppelt sind,
-
an welchem Verbindungsteil (3) zwei untere, spiegelbildlich [X.], von vorn nach hinten im Wesentlichen V-förmig verlaufen-de, durchgehende oder aus miteinander verbundenen Abschnitten gebildete verschwenkbare [X.] (4a, 4b) angeordnet sind, an deren hinteren Enden [X.] (5) für hintere Räder oder Räderanordnungen (6) befestigt sind,
-
mindestens eine vordere Radanordnung (7) mit [X.], die mittels mindestens eines [X.]s (8) an dem [X.] (3) oder einem Brückenteil der unteren [X.] (4a, 4b) befestigt ist,

gekennzeichnet durch:

-
ein aufstellbares [X.] (9) in Form eines Kreuzgestän-ges, das in einem bestimmten Abstand zum Verbindungsteil (3) an den [X.] (2a, 2b; 4a, 4b) und diese verbindend vorgesehen und derart ausgebildet ist, dass nach dem Aufstellen des [X.] die oberen und die unteren [X.] (2a, 2b) in die charakteristische [X.] sowohl zueinander als auch
gegeneinander verbracht sind und beim Zusammenlegen des [X.]s (9) die oberen und unteren [X.] (4a, 4b) gleichzeitig aufeinander zu verschwen-ken."
-
4
-

Die Patentansprüche
2 bis 19 sind unmittelbar oder mittelbar auf Patentan-spruch
1 rückbezogen.
Die Beklagte vertreibt einen Kinderwagen unter der Modellbezeichnung "[X.]"
über das [X.], dessen nähere Ausgestaltung sich aus den als Anlage [X.] zu den Akten gereichten, teilweise nachfolgend wiedergegebenen Fotografien ergibt (nachfolgend: angegriffene Ausführungsform). Die angegriffene Ausführungsform
stellte sie auch auf der Messe "Kind und Jugend 2009"
in [X.] aus.

Das [X.]
hat die [X.]
im Wesentlichen zuerkannt. Das Be-rufungsgericht
hat sie
abgewiesen. Mit seiner
vom [X.] zugelassenen Revision be-2
3
4
-
5
-

gehrt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen.
Entscheidungsgründe:

Die zulässige Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des Urteils des Berufungsgerichts und zur Wiederherstellung des Urteils erster Instanz, soweit die-ses der Klage stattgegeben hat.
I.
Das [X.] betrifft einen zusammenklappbaren Wagen für Kinder oder Puppen mit einem [X.].
Nach der Beschreibung ist u.a. aus der [X.] Patentanmeldung
2 310 910, aus der die nachfolgende Zeichnung stammt,

ein Kinderwagen mit einer Rahmenkonstruktion bekannt, die ein unteres, scherenar-tig an einem Gelenkstück angelenktes Paar von [X.] (1, 1') aufweist, die durch zusammenklappbare Querholme
miteinander verbunden sind. Die Rücken-5
6
7
-
6
-

holme (14, 14') sind
an festen Lagern an den [X.] [X.] gela-gert und unterhalb eines zusammenlegbaren [X.] (18, 18';
19, 19'), das als [X.] zwischen
den [X.] vorgesehen ist, geteilt und ge-geneinander verschwenkbar ausgeführt, so dass sie zusammen mit den Sitzholmen ein Kräfteparallelogramm bildeten. Für die Spreizung der Seitenholme ist
zusätzlich ein zusammenlegbarer Querholm (17) zwischen den unteren Abschnitten der Rückenholme vorgesehen.

Dem Streitpatent liegt das Problem ("die Aufgabe") zugrunde, die bekannten zusammenklappbaren Schiebewagen derart fortzuentwickeln, dass diese bei verein-fachter Konstruktion leicht aufgestellt
und zusammengeklappt werden können.
Das soll nach der Lehre aus Patentanspruch
1 durch eine Vorrichtung mit fol-genden Merkmalen erreicht werden:
1.
Zusammenklappbarer [X.] mit einem [X.], das aufweist:
1.1
zwei obere [X.] (2a, 2b),
1.2
zwei untere [X.] (4a, 4b),
1.3
ein Verbindungsteil (3),
1.4
ein [X.] (9),
1.5
eine vordere Radanordnung (7) und
1.6
hintere Räder oder Räderanordnungen (6).

2.
Die oberen [X.] (2a, 2b)
2.1
sind durchgehend oder aus miteinander verbundenen Abschnit-ten gebildet,
2.2
sind spiegelbildlich angeordnet und
2.3
verlaufen von vorn nach hinten ansteigend und im [X.] V-förmig.
8
9
-
7
-

3.
Die unteren [X.] (4a, 4b),
3.1
sind durchgehend oder aus miteinander verbundenen Abschnit-ten gebildet,
3.2
sind spiegelbildlich angeordnet,
3.3
verlaufen von vorn nach hinten im Wesentlichen V-förmig,
3.4
sind verschwenkbar und
3.5
weisen hintere Enden auf, an denen Radlager (5) für hintere Räder oder Räderanordnungen (6) befestigt sind.

4.
An dem Verbindungsteil (3) sind
4.1
die unteren Enden der oberen [X.] (2a, 2b) zum [X.] aus einer zusammengelegten Stellung in eine Aufstell-position schwenkbar gekoppelt und
4.2
die unteren [X.] (4a, 4b) angeordnet.

5.
Die vordere Radanordnung (7)
5.1
weist mindestens ein Rad auf und
5.2
ist mittels mindestens eines [X.]s (8) an dem [X.] (3) oder einem Brückenteil der unteren Gestellhol-me (4a, 4b) befestigt.

6.
Das [X.] (9) ist
6.1
aufstellbar und
6.2
in Form eines [X.]s ausgebildet.
6.3
Das [X.] ist
6.3.1
an den [X.] (2a, 2b; 4a, 4b) in einem bestimmten Abstand zum Verbindungsteil (3) und die [X.] (2a, 2b;
4a, 4b) verbindend vorgesehen,
-
8
-

6.3.2
derart ausgebildet, dass nach dem Aufstellen des [X.] (1) die oberen und die unteren [X.] (2a, 2b; 4a, 4b) in die charakteristische [X.] sowohl zueinander als auch gegeneinander verbracht sind, und
6.3.3
derart ausgebildet, dass beim Zusammenlegen des
[X.]s (9) die oberen und unteren [X.] (2a, 2b; 4a, 4b) gleichzeitig aufeinander zu verschwenken.
Die nachfolgend wiedergegebene Zeichnung stammt aus der [X.]-schrift und zeigt ein erfindungsgemäßes Ausführungsbeispiel:

II.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Das
[X.]
sei nicht verletzt, weil die
angegriffene Ausführungsform we-der ein [X.] aufweise, das die [X.] ver-wirkliche, noch ein
Ersatzmittel, das als patentrechtlich äquivalent angesehen wer-den könne.
Als [X.] sei ein Ingenieur der Fachrichtung Maschinenbau anzusehen, der bei einem Hersteller von [X.] mit Konstruktions-10
11
12
13
-
9
-

aufgaben befasst sei und auf diesem Gebiet über mehrjährige Berufserfahrung ver-füge.
Eine wortsinngemäße Verwirklichung scheide schon deshalb aus, weil für das Berufungsgericht aufgrund des im [X.] der Parteien ergangenen Urteils des [X.] ([X.], Urteil
vom 22. Mai 2012

[X.]/11)
faktisch feststehe, dass
ein [X.], dessen Streben
wie bei der angegriffenen Aus-führungsform lediglich in [X.] zueinander verschwenkt werden könnten, nicht als [X.] im Sinne der Merkmalsgruppe 6.3 angesehen werden könne. Um keinen Zulassungsgrund zu schaffen, bestehe für das Berufungsgericht eine tatsäch-liche Bindung an die Auslegung des [X.] im [X.].
Unabhängig hiervon treffe die Auslegung des [X.] auch zu.
Es möge zwar sein, dass die Übertragung der auf das [X.] wirkenden Kraft auf die [X.] unabhängig davon ermöglicht werden könne, ob das [X.] in nur [X.] ("zweidimensional") oder in zwei Ebenen ("dreidimensional") [X.] sei. Das
[X.] habe sich aber auf letztere Lösung festgelegt.
Rück-schlüsse allgemeiner Art auf das erfindungsgemäße [X.] aus den [X.] und 7, wie sie das [X.] gezogen habe,
seien nicht gerechtfer-tigt, weil sich diese Patentansprüche letztlich nur mit den [X.]n und nicht mit dem [X.] als solchem befassten. Dass es möglich wäre, bei der in diesen Ansprüchen gelehrten Konstruktion auch ein zweidimensional wirkendes [X.] zu verwenden, bedeute nicht, dass
dies auch erfindungsgemäß wä-re. Entsprechendes gelte für [X.] Seine Besonderheit
bestehe nicht darin, dass dort erstmals ein dreidimensional wirkendes [X.] an sich ge-lehrt würde, sondern (unter anderem) darin, dass zusätzlich Arretierungsmittel für die [X.] vorgesehen seien.
Die Angabe in der Beschreibung (Abs. 7, Satz 3), ein erfindungsgemäßes [X.] sei ähnlich aufgebaut wie ein Schirmgestänge, es sei aber auch mög-lich, dass nur
die oberen gegenüber den unteren
[X.]
verschwenkbar seien, sei 14
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16
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10
-

nicht mit dem Patentanspruch
in Einklang zu bringen. Dieser
setze in Merkmal 6.3.3 voraus, dass bei Zusammenlegen des [X.]s die oberen und die unteren [X.] gleichzeitig aufeinander zu verschwenkten. Verlangt
werde damit eine aktive Beteiligung aller [X.] einschließlich der unteren, weshalb auch diese verschwenk-bar sein müssten.
Auch aus den Ausführungen der Beschreibung (Abs. 9),
ein [X.] in Form eines [X.]s, z.B. in X-Form,
sei besonders vorteilhaft, wenn das Gestänge aus geteilten [X.] bestehe, die [X.] einerseits an Schwenkhaltern an den [X.] und andererseits an einem zentrischen Lagerhalter angelenkt seien, so dass

wie bei
einem Regenschirm

die Streben durch Bewe-gung des [X.] in Längsrichtung aufgestellt und zusammengefaltet werden könnten,
lasse sich nicht der Umkehrschluss ziehen, dem Patentanspruch 1 unterfie-len auch zweidimensional wirkende [X.]. Vielmehr betreffe die besondere Eignung spezielle dreidimensional wirkende [X.], nämlich X-förmige. Selbst wenn "besonders vorteilhaft"
ursprünglich als Herausstellungsmerkmal ge-genüber nicht schirmartig konstruierten [X.]n gemeint
gewesen sein soll-te, habe
diese Formulierung angesichts des bei der Auslegung zu beachtenden Pri-mats des Anspruchs ihren Sinn eingebüßt.
Das [X.] wolle sich damit von dem aus der [X.] Patentanmeldung 2 310 910 bekannten,
nach dem Prin-zip eines [X.]
arbeitenden Lösung, bei dem die
[X.] lediglich in [X.] zueinander verschwenkt werden könnten, durch eine Bewegungskopp-lung in mehr als nur [X.] abgrenzen.
III.
Diese Auslegung des Patentanspruchs
hält der revisionsrechtlichen Über-prüfung nicht stand.

1.
Das Berufungsgericht hat sich zu Unrecht an einer zutreffenden Ermittlung des Sinngehalts des Patentanspruchs 1 dadurch gehindert gesehen, dass es sich an die vermeintliche Erkenntnis des [X.]s
im [X.] gebunden gesehen hat, die Merkmalsgruppe 6.3 erfordere ein [X.],
dessen [X.] in 17
18
19
-
11
-

zwei
Ebenen
zueinander verschwenkt werden können.
Eine solche Bindung besteht jedoch weder rechtlich noch tatsächlich.
Die Bestimmung des Sinngehalts eines Patentanspruchs ist Rechtserkenntnis und vom Verletzungsgericht, wie von jedem anderen damit befassten Gericht,
eigen-verantwortlich vorzunehmen ([X.], Urteil vom 31. März 2009

X
ZR
95/05, [X.]Z 180, 215 Rn.
16

Straßenbaumaschine; [X.], Beschluss vom 29.
Juni 2010

X
ZR
193/03, [X.]Z 186, 90 Rn.
15

[X.]). Dies schließt
die Mög-lichkeit ein, dass das Verletzungsgericht
zu einem
Auslegungsergebnis gelangt, das von demjenigen abweicht, das der [X.] in einem dasselbe Patent be-treffenden
Patentnichtigkeitsverfahren gewonnen hat. Eine solche Divergenz recht-fertigt zwar, wenn sie entscheidungserheblich ist, die Zulassung der Revision ([X.]Z 186, 90
Rn. 11 ff.

[X.]). Sie unterscheidet sich darin aber nicht von anderen Fällen einer von einer Entscheidung des [X.] abweichenden und deshalb nach § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO die Zulassung der Revision rechtfertigen-den Beurteilung einer Rechtsfrage durch ein Berufungsgericht. In diesen wie in jenen Fällen hat das Revisionsgericht zu prüfen, ob es an seiner bisherigen [X.] festhält oder die besseren Gründe für die Beurteilung des Berufungsgerichts streiten. Eine solche bessere Erkenntnis kann sich im Patentstreitverfahren zudem aus vom Berufungsgericht festgestellten, der revisionsrechtlichen Prüfung zugrunde zu legenden Tatsachen ergeben, die im [X.] nicht festgestellt [X.] sind, sich aber auf die Auslegung des Patents auswirken ([X.], Urteil vom 11.
Oktober 2005
[X.], [X.]Z 164, 261 Rn. 19
Seitenspiegel; Urteil vom 12. Februar 2008
X
ZR 153/05, [X.], 779 Rn. 31

Mehrgangnabe).
2.
Rechtsfehlerhaft hat das
Berufungsgericht
das [X.] dahin ausge-legt, Patentanspruch 1 verlange in Merkmal 6.3.3 ein in zwei Ebenen ("dreidimensio-nal")
verschwenkbares [X.].
a)
Nach der Rechtsprechung des [X.]s sind Beschreibung und Zeichnun-gen, die dem Fachmann die Lehre des Patentanspruchs erläutern und veranschauli-20
21
22
-
12
-

chen, nicht nur für die Bestimmung des Schutzbereichs (Art. 69 Abs. 1 EPÜ, § 14 [X.]), sondern ebenso für die Auslegung des Patentanspruchs heranzuziehen, und zwar unabhängig davon, ob diese Auslegung die Grundlage der Verletzungsprüfung,
der Prüfung des Gegenstandes des Patentanspruchs auf seine Patentfähigkeit oder der Prüfung eines anderen [X.] ist
([X.],
Urteil vom 17. Juli 2012

[X.], [X.]Z 194, 107 Rn. 27

Polymerschaum
I; Urteil vom 12. Mai 2015

[X.], juris Rn. 15
-
Rotorelemente). Dabei ist
die Patentschrift in einem sinn-vollen Zusammenhang zu lesen und der
Patentanspruch im Zweifel so
zu verstehen, dass sich keine Widersprüche zu den Ausführungen in der Beschreibung und den bildlichen Darstellungen in den Zeichnungen ergeben
([X.], Urteil vom 10. Mai 2011

[X.], [X.]Z 189, 330 Rn. 24 -
[X.]). Patentschriften stel-len im Hinblick auf die dort verwendeten Begriffe gleichsam ihr eigenes Lexikon dar. Weichen diese vom allgemeinen Sprachgebrauch ab, ist letztlich nur der sich aus der Patentschrift ergebende Begriffsinhalt maßgebend ([X.], Urteil vom 2. März 1999

[X.], [X.], 909

Spannschraube). Nur wenn und soweit sich die Lehre des Patentanspruchs mit der Beschreibung und den Zeichnungen nicht in [X.] bringen lässt
und ein unauflösbarer Widerspruch verbleibt, dürfen diejenigen
Bestandteile der Beschreibung, die im Patentanspruch keinen Niederschlag gefun-den haben, nicht zur Bestimmung des
Gegenstands des Patents herangezogen wer-den ([X.]Z 189, 330
Rn. 23

[X.]).
Demgemäß
kommt eine Auslegung des Patentanspruchs, die zur Folge hätte, dass keines der in der Patentschrift geschilderten Ausführungsbeispiele vom [X.] erfasst würden, nur dann in Betracht, wenn andere Auslegungs-möglichkeiten, die zumindest zur Einbeziehung eines Teils der Ausführungsbeispiele führen, zwingend ausscheiden oder wenn sich aus dem Patentanspruch hinreichend deutliche Anhaltspunkte dafür entnehmen lassen, dass tatsächlich etwas
bean-sprucht wird, das so weitgehend von der Beschreibung abweicht
([X.], Urteil vom 14. Oktober 2014
[X.], [X.], 159 Rn. 26
Zugriffsrechte). Werden in der Beschreibung mehrere Ausführungsbeispiele als erfindungsgemäß vorgestellt, 23
-
13
-

sind die im Patentanspruch verwendeten Begriffe im Zweifel so zu verstehen, dass sämtliche
Ausführungsbeispiele
zu ihrer Ausfüllung herangezogen werden können.

b)
Patentanspruch 1 stellt einen zusammenklappbaren Schiebewagen
unter Schutz, der neben vorderen und hinteren Radanordnungen im Wesentlichen aus zwei oberen und zwei unteren [X.]n besteht, die jeweils am unteren Ende
an
einem Verbindungsteil angelenkt und jeweils oberhalb in einem bestimmten Ab-stand von dem Verbindungsteil
durch ein [X.] in Gestalt eines Kreuzge-stänges verbunden sind. Dabei soll
das [X.] derart ausgebildet
sein, dass die oberen und
unteren [X.] nach dem Aufstellen des [X.] in die cha-rakteristische [X.] sowohl zueinander als auch gegeneinander verbracht sind (Merkmal 6.3.2) und beim Zusammenlegen des [X.]s gleichzeitig auf-einander zu verschwenken (Merkmal 6.3.3).
Damit ist zwar für
die oberen und unteren [X.] festgelegt, dass diese beim Zusammenlegen gleichzeitig untereinander und gegenüber dem anderen [X.] aus einer [X.] aufeinander zu verschwenken. Dies
gilt aber nicht für die Stütz-streben des [X.]s, zu dessen Ausgestaltung Patentanspruch 1 alleine vorsieht, dass dieses jeweils mit
den oberen und unteren [X.] verbunden ist und beim Zusammenlegen des Gestells ein gleichzeitiges Aufeinanderzuverschwenken der [X.] bewirkt.
Ob die [X.] des
[X.]s
dabei
in einer oder in zwei Ebenen bewegbar sind, bleibt offen.
Patentanspruch 1 erwähnt dies
mit keinem Wort,
und auch der Beschreibung lässt sich insoweit kein
Anhalt
für eine solche [X.] entnehmen. In der Beschreibung wird zwar ein [X.] erwähnt, bei dem die Streben

wie bei einem Regenschirm
durch Bewegen eines zentri-schen [X.] in Längsrichtung aufgestellt und zusammengefaltet werden (Abs.
9). Dabei handelt es sich aber lediglich um ein besonders vorteilhaftes Ausfüh-rungsbeispiel, das die Beschreibung auch ausdrücklich als solches
kenntlich macht und das den
weiter gefassten Gegenstand von Patentanspruch 1 nicht zu beschrän-ken vermag. Nichts anderes
gilt für die in [X.] beschriebene Ausfüh-rungsform.

24
25
-
14
-

Hinsichtlich der
in Merkmal 6.3.3 enthaltenen
Anweisung an den Fachmann, das [X.] so auszubilden, dass die oberen und die unteren [X.] beim Zusammenlegen des [X.]s "gleichzeitig"
aufeinander
zu
verschwenken, ist der Beschreibung zunächst zu entnehmen, dass
ein erfindungsgemäßes Wagen-gestell ähnlich wie ein Schirmgestänge aufgebaut ist
und aus vier [X.] besteht, die aus einer zusammengeklappten Position in eine aufgestellte Position schwenkbar sind
(Abs. 7, [X.] 29 bis
33). Anschließend wird aber auch die Möglichkeit erwähnt, nicht die unteren,
sondern nur die oberen gegenüber den unteren [X.] in einer Weise verschwenkbar anzuordnen, dass diese aus einer
zusammengeklappten Posi-tion, in der sie nahezu parallel zu den unteren [X.] verlaufen, in eine Schrägposi-tion verbracht werden, in der das [X.] aufgestellt ist
(Abs. 7, [X.] 34 bis 41). Dies rechtfertigt den Schluss, dass an dem in Merkmal 6.3.3 vorgesehenen
gleich-zeitigen
Aufeinanderzuverschwenken nicht zwingend sowohl die unteren als auch die oberen [X.] beteiligt sein müssen, sondern dass es ausreichend ist, wenn es zu einer gleichzeitigen Relativbewegung aller vier [X.] komme. Ein solches Verständnis ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts
mit dem Wortlaut des Patentanspruchs nicht unvereinbar, sondern entspricht einer funktionsorientier-ten Auslegung. Denn für das mit der patentgemäßen Lehre verfolgte Ziel, eine leichte Handhabung des [X.] beim Aufstellen und Zusammenklappen zu errei-chen (Abs. 6), ist es unerheblich, ob sich dabei allein die oberen auf die unteren oder auch die unteren auf die oberen [X.] zu bewegen.
Ein solches Verständnis des "gleichzeitigen"
[X.] der oberen und unteren [X.] wird, wie das [X.] zutreffend ausgeführt hat, zusätzlich durch die Patentansprüche
6 und 7 gestützt, die [X.] für [X.] des [X.]s an den unteren oder oberen [X.] vorsehen, wobei ein [X.]paar an den unteren oder oberen [X.] längsver-schieblich und in der Aufstellposition des [X.]s arretierbar angeordnet ist. Dies erlaubt, wie das Berufungsgericht an sich nicht verkennt, ein gleichzeitiges Auf-einanderzuverschwenken der [X.] durch eine Bewegung des [X.]s in 26
27
-
15
-

[X.]. Weder dem Wortlaut des Patentanspruchs 1 noch der Beschreibung sind Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass eine derartige
Ausgestaltung von [X.] nicht erfasst sein soll.

c)
Ein solches Verständnis des Merkmals 6.3.3 setzt sich, ohne dass es hier-auf entscheidend ankäme, auch
nicht in Widerspruch zu
tragenden Erwägungen im
Urteil des [X.]s
vom 22. Mai 2012. Soweit es darin
heißt, dass ein [X.], dessen "[X.]"
([X.])

wie in der [X.] Patentanmeldung 2 310 910
-
lediglich in [X.] zueinander verschwenkt werden können, nicht als ein [X.] im Sinne der Merkmalsgruppe 6.3 angesehen werden könne, weil es nicht derart ausgebildet sei, dass beim Zusammenlegen obere und untere [X.] gleichzeitig aufeinander zu verschwenkt werden können, steht dies in Einklang mit der vorstehenden Auslegung des Merkmals 6.3.3. Denn bei der in der Entgegenhal-tung
offenbarten Ausgestaltung sind die beiden [X.] (18 und 19' sowie 18'
und 19) mit ihren beiden Enden allein an den oberen [X.] (14 und 14') des Ge-stänges angelenkt (Rn. 15
des [X.]), so dass diese, wie auch das [X.] ausgeführt hat,
weder ein Aufeinanderzuverschwenken der oberen
und unteren [X.] bewirken können, bei dem sich beide [X.]e bewegen, noch
ein solches, bei dem sich allein das obere [X.] auf das untere zu bewegt. Die Bemerkung des [X.]s, dass das Konstruktionsprinzip des erfindungsgemäßen [X.]es im Wesentlichen darin liege, dass die vier [X.] zum einen an demselben [X.] angelenkt seien und zum anderen untereinander durch ein als Kreuzge-stänge ausgebildetes [X.] verbunden seien, so dass die oberen und die unteren [X.] wie ein Regenschirm bei Aufstellen sowohl zu-
als auch gegeneinan-der in eine [X.] gebracht und beim Zusammenlegen gleichzeitig aufeinander zu verschwenkt werden, kann zwar im Hinblick auf den (dem in den Zeichnungen dargestellten Ausführungsbeispiel der Patentschrift entlehnten)
Vergleich mit dem Zusammenfalten
und Öffnen eines Regenschirms
für sich genommen
dahin verstan-den werden, dass sich die oberen und die unteren [X.] beim Zusammenlegen gleichzeitig bewegen
(müssen). Für die
Beurteilung der beiden geltend gemachten 28
-
16
-

Nichtigkeitsgründe ist dies jedoch nach den Urteilsgründen ohne Bedeutung geblie-ben.
IV.
Das Urteil des Berufungsgerichts kann danach keinen Bestand haben und ist aufzuheben. Der [X.] kann die Sache selbst entscheiden, weil zusätzliche Fest-stellungen weder erforderlich noch zu erwarten sind
und die Sache daher
entschei-dungsreif ist (§ 563 Abs. 1 Satz
1 ZPO).
1.
Nach den nicht beanstandeten Feststellungen des Berufungsgerichts und des [X.]s sind die
oberen und unteren [X.] durch das [X.] der-art verbunden, dass sie sich beim Zusammenlegen jeweils aufeinander zu bewegen.
Zudem bewirken [X.], dass
auch die oberen [X.] jeweils auf die unteren [X.] zu schwenken, so dass eine Verschiebung auf der [X.] wird und ein einziger Kraftakt für das Zusammenlegen des Kinderwagens aus-reicht.
Wie bereits das [X.] zutreffend ausgeführt hat, steht es einer wort-sinngemäßen Verwirklichung des Merkmals 6.3.3 nicht entgegen, dass bei der ange-griffenen Ausführungsform an dem
Verschwenken der oberen auf die
unteren [X.] neben dem [X.] zusätzliche Gestängeteile in Gestalt der Verbindungs-schenkel beteiligt sind. Für ein solches Verständnis sprechen
nicht nur der Wortlaut des Patentanspruchs 1, der eine
solche Ausgestaltung nicht ausschließt, sondern auch die Unteransprüche
6 bis
9, die Beschreibung (Abs. 14) und die Zeichnungen
(Figuren
1 bis
3), wonach das
Aufeinanderzuverschwenken der [X.] neben dem
[X.] (9)
auch durch die [X.] (16a, 16b und 17a und 17b)
bewirkt werden kann.
Außerdem ist es für eine wortsinngemäße Verwirklichung des Merkmals 6.3.3 unerheblich, ob die Verschwenkung der
oberen auf die unteren [X.] während der gesamten [X.] oder nur während eines Teils der [X.] erfolgt, in der sich die
oberen und die unteren [X.] jeweils aufeinander zu bewegen, weil, wie das [X.] ebenfalls zutreffend ausgeführt hat, "gleichzeitig"
im Sinne der erfindungsgemäßen 29
30
31
32
-
17
-

Lehre nicht notwendigerweise meint, dass beim Zusammenlegen alle Verschwenk-bewegungen ununterbrochen zeitlich parallel erfolgen müssen. Entscheidend ist in-soweit allein, dass die Verschwenkungen durch eine Bewegung des [X.]s bzw. eine Kraftausübung des Benutzers bewirkt werden, so wie dies auch bei der angegriffenen Ausführungsform verwirklicht ist.
2.
Da die angegriffene Ausführungsform auch im Übrigen, wie das [X.] rechtsfehlerfrei ausgeführt hat, mit Patentanspruch 1 übereinstimmt, fällt der Beklagten eine Verletzung des [X.]s zur Last.
3.
Sie rechtfertigt nach den weiteren, ebenfalls rechtsfehlerfreien Ausführun-gen des [X.]s und den ergänzenden Ausführungen des Berufungsgerichts hierzu im zuerkannten Umfang die [X.], so dass auf die Revision das erstinstanzliche Urteil wiederherzustellen ist.
33
34
-
18
-

V.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1,
97 Abs. 1 ZPO.
Meier-Beck

Gröning

Grabinski

Bacher

Hoffmann
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 16.02.2012 -
4b [X.]/09 -

O[X.], Entscheidung vom [X.] -
I-2 U 22/12 -

35

Meta

X ZR 103/13

02.06.2015

Bundesgerichtshof X. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 02.06.2015, Az. X ZR 103/13 (REWIS RS 2015, 10352)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 10352

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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