Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 26.09.2017, Az. 1 ABR 27/16

1. Senat | REWIS RS 2017, 4769

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Gegenstand

Einsichtsrecht des örtlichen Betriebsrats in unternehmensweite Bruttoentgeltlisten


Tenor

1. Auf die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin wird der Beschluss des [X.] vom 9. Februar 2016 - 1 [X.] - aufgehoben.

2. Auf die Beschwerde der Arbeitgeberin wird der Beschluss des [X.] vom 3. Juni 2015 - 1 [X.]15 - abgeändert:

Der Antrag des Betriebsrats wird abgewiesen.

Gründe

1

A. Die [X.]eteiligten streiten über das [X.]insichtsrecht eines [X.]etriebsrats in unternehmensbezogene [X.]ntgeltlisten.

2

Die Arbeitgeberin betreibt ein Verkehrsunternehmen mit insgesamt vier [X.]etrieben. In jedem davon ist ein [X.]etriebsrat gebildet. Diese haben einen [X.]esamtbetriebsrat errichtet. Antragsteller ist der im [X.]etrieb S gewählte [X.]etriebsrat. Dieser hat einen [X.]etriebsausschuss bestellt.

3

Mit Schreiben vom 29. Januar 2015 verlangte der [X.]etriebsrat [X.]insicht in Listen über die [X.]ruttolöhne und -gehälter sämtlicher Arbeitnehmer des Unternehmens um nachvollziehen zu können, ob die Arbeitgeberin den unternehmenseinheitlichen [X.]leichbehandlungsgrundsatz beachte und die von ihm repräsentierte [X.]elegschaft nicht benachteilige. Nachdem die Arbeitgeberin sich lediglich bereit erklärte, [X.]insichtnahme in eine betriebsbezogene [X.] zu gewähren, hat der [X.]etriebsrat - soweit für die Rechtsbeschwerde von [X.]edeutung - beantragt,

        

1.    

die Arbeitgeberin zu verpflichten, den Mitgliedern des [X.]etriebsausschusses [X.]insicht in die mit Januar 2014 beginnenden [X.]ruttolohn- und [X.]ehaltslisten hinsichtlich sämtlicher [X.]ntgeltbestandteile aller Arbeitnehmer mit Ausnahme der leitenden Angestellten der [X.]etriebe in [X.], [X.], [X.], [X.]l, S und [X.] zu gewähren,

        

hilfsweise,

        

2.    

die Arbeitgeberin zu verpflichten, den Mitgliedern des [X.]etriebsausschusses [X.]insicht in die mit Januar 2014 beginnenden [X.]ruttolohn- und [X.]ehaltslisten hinsichtlich sämtlicher [X.]ntgeltbestandteile aller im Unternehmen der Arbeitgeberin beschäftigten Arbeitnehmer mit Ausnahme der leitenden Angestellten zu gewähren.

4

Die Arbeitgeberin hat beantragt, die Anträge zurückzuweisen.

5

Das Arbeitsgericht hat dem Antrag des [X.]etriebsrats stattgegeben. Die dagegen gerichtete [X.]eschwerde der Arbeitgeberin hat das [X.] zurückgewiesen. Mit der vom [X.] zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt sie ihr [X.]egehren weiter.

6

[X.]. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Vorinstanzen haben dem Antrag des [X.]etriebsrats zu Unrecht entsprochen. Der [X.]etriebsrat hat keinen Anspruch auf [X.]insichtnahme in unternehmensbezogene [X.]n.

7

I. Der Antrag ist in der gebotenen Auslegung zulässig.

8

1. Die geltend gemachte [X.]insichtnahme betrifft einen einheitlichen Antrag. Dem [X.]etriebsrat geht es um die [X.]insichtnahme in [X.]ruttolohn- und [X.]ehaltslisten sämtlicher Arbeitnehmer der Arbeitgeberin, ungeachtet der jeweiligen [X.]etriebszugehörigkeit, beginnend mit dem Jahr 2014. Solche Listen führt die Arbeitgeberin sowohl betriebs- als auch unternehmensbezogen. Auf letztere bezieht sich nach der Antragsbegründung des [X.]etriebsrats sein [X.]egehren. Dem entspricht auch die Tenorierung des [X.]s. Zudem haben die [X.]eteiligten dieses Antragsverständnis in der Anhörung vor dem Senat bestätigt.

9

2. Der Antrag genügt den Anforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Ob der [X.]etriebsrat vergangenheits- und unbeschränkt zukunftsbezogen [X.]insicht nehmen kann, ist eine Frage der [X.]egründetheit und nicht - wie die Arbeitgeberin meint - der [X.]estimmtheit. [X.]in auf künftige Leistung gerichteter Antrag ist nach dem im [X.]eschlussverfahren anwendbaren § 259 ZPO zulässig, wenn nach den Umständen die [X.]esorgnis gerechtfertigt ist, der Arbeitgeber werde sich der rechtzeitigen Leistung entziehen ([X.]A[X.] 14. Januar 2014 - 1 A[X.]R 54/12 - Rn. 16). Diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt. Die Arbeitgeberin hat sich bisher geweigert, die begehrte [X.]insichtnahme zu ermöglichen. [X.]s ist daher zu besorgen, sie werde dem [X.]egehren auch in Zukunft nicht nachkommen. Ihre [X.]ereitschaft, dem [X.]etriebsrat [X.]inblick in betriebsbezogene [X.]n des S [X.]etriebs zu gewähren, steht dem nicht entgegen. Auf solche Listen ist der Antrag nicht gerichtet.

II. Zu Recht haben die Vorinstanzen von weiteren [X.]eteiligungen abgesehen. Nach § 83 Abs. 3 Arb[X.][X.] haben in einem [X.]eschlussverfahren neben dem Antragsteller diejenigen Stellen ein Recht auf Anhörung, die durch die begehrte [X.]ntscheidung in ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Stellung unmittelbar betroffen sind ([X.]A[X.] 13. Dezember 2016 - 1 A[X.]R 7/15 - Rn. 13, [X.]A[X.][X.] 157, 220). Der [X.]esamtbetriebsrat ist von einer [X.]ntscheidung im vorliegenden Verfahren nicht betroffen. Dem antragstellenden [X.]etriebsrat geht es nicht um die Wahrnehmung eines Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 [X.]etrV[X.] zur Aufstellung überbetrieblicher [X.]ntlohnungsgrundsätze, sondern um die Wahrnehmung eines innerbetrieblichen Überwachungsrechts. [X.]ntgegen der Auffassung der Arbeitgeberin ist auch der [X.]etriebsrat des [X.]etriebs [X.] in einer betriebsverfassungsrechtlichen Position nicht ernsthaft berührt. Sein angekündigtes [X.]egehren, die Arbeitgeberin habe es zu unterlassen, dem [X.]etriebsrat des S [X.]etriebs die [X.]insichtnahme in [X.]ntgeltlisten zu gestatten, in denen auch die Arbeitnehmer seines [X.]etriebs aufgeführt seien, birgt nicht die ernsthafte [X.]efahr widerstreitender [X.]ntscheidungen. [X.]in solcher Anspruch findet im [X.]etriebsverfassungsrecht keine [X.]rundlage.

III. Der Antrag ist unbegründet. Die Arbeitgeberin ist nicht verpflichtet, dem [X.]etriebsrat [X.]inblick in eine unternehmensweite Liste über [X.]ruttolöhne und -gehälter von Arbeitnehmern zu gewähren, die nicht dem von ihm repräsentierten [X.]etrieb angehören.

1. Nach § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 [X.]etrV[X.] sind dem [X.]etriebsrat auf Verlangen jederzeit die zur Durchführung seiner Aufgaben erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen. In diesem Rahmen ist der [X.]etriebsausschuss berechtigt, in die Listen über die [X.]ruttolöhne und -gehälter [X.]inblick zu nehmen. Das [X.]insichtsrecht nach § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 [X.]etrV[X.] unterliegt aber den [X.]renzen der allgemeinen Regelung des § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 [X.]etrV[X.]. Danach setzt das [X.]insichtsrecht voraus, dass es zur Durchführung einer Aufgabe des [X.]etriebsrats erforderlich ist. [X.]in solcher [X.] ist regelmäßig schon deshalb gegeben, weil der [X.]etriebsrat nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 [X.]etrV[X.] darüber zu wachen hat, dass die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden [X.]esetze und Tarifverträge durchgeführt werden. Hierzu gehört auch die sich aus § 75 Abs. 1 [X.]etrV[X.] ergebende Verpflichtung des Arbeitgebers zur [X.]eachtung des allgemeinen [X.]leichbehandlungsgrundsatzes ([X.]A[X.] 14. Januar 2014 - 1 A[X.]R 54/12 - Rn. 23). Dieser findet allerdings unternehmensweit Anwendung, wenn eine verteilende [X.]ntscheidung des Arbeitgebers nicht auf einzelne [X.]etriebe beschränkt ist, sondern sich auf alle oder mehrere [X.]etriebe des Unternehmens bezieht ([X.]A[X.] 3. Dezember 2008 - 5 [X.]/08 - Rn. 16, [X.]A[X.][X.] 128, 342).

2. Aufgabe des [X.]etriebsrats ist es aber, auf die Herstellung innerbetrieblicher Lohngerechtigkeit hinzuwirken. Dazu benötigt er die Kenntnis effektiv gezahlter Vergütungen, um sich ein Urteil darüber bilden zu können, ob insoweit ein Zustand innerbetrieblicher Lohngerechtigkeit existiert oder nur durch eine andere betriebliche Lohngestaltung erreicht werden kann. [X.]in [X.]insichtsrecht besteht deshalb auch dann, wenn der [X.]etriebsrat gerade feststellen will, welche Arbeitnehmer welche [X.]ntgeltbestandteile erhalten und wie hoch diese sind. [X.]renzen des [X.]insichtsrechts liegen aber dort, wo ein [X.]eteiligungsrecht oder eine sonstige Aufgabe offensichtlich nicht in [X.]etracht kommt ([X.]A[X.] 23. Februar 2007 - 1 A[X.]R 14/06 - Rn. 23 ff., [X.]A[X.][X.] 121, 139).

3. Danach steht dem [X.]etriebsrat das begehrte [X.]insichtsrecht nicht zu. Seine Mitbestimmungs- und Überwachungsrechte sind auf den [X.]etrieb begrenzt.

a) Der arbeitsrechtliche [X.]leichbehandlungsgrundsatz verpflichtet den Arbeitgeber in [X.]ezug auf die bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer. Dieser hat eine [X.]leichbehandlung auch betriebsübergreifend zu gewährleisten, wenn seine verteilende [X.]ntscheidung nicht auf den einzelnen [X.]etrieb begrenzt ist, sondern sich auf alle oder mehrere [X.]etriebe des Unternehmens bezieht. Dabei sind die [X.]esonderheiten des Unternehmens und die seiner [X.]etriebe zu berücksichtigen ([X.]A[X.] 3. Dezember 2008 - 5 [X.]/08 - Rn. 16, [X.]A[X.][X.] 128, 342). Der unternehmensbezogene [X.]leichbehandlungsgrundsatz betrifft danach nicht die innerbetriebliche, sondern die überbetriebliche Lohngerechtigkeit und deren [X.]estaltung, für die ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 [X.]etrV[X.] an den vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten finanziellen Mitteln dem [X.]esamtbetriebsrat und nicht den örtlichen [X.]etriebsräten zusteht. Das schließt eine darauf gerichtete Aufgabe des [X.]etriebsrats aus.

b) Auch das vom [X.]etriebsrat geltend gemachte Überwachungsrecht kann den von § 80 Abs. 2 [X.]etrV[X.] verlangten [X.] nicht begründen. Das hat das [X.] verkannt.

aa) Dem [X.]etriebsrat geht es, wie er in der Rechtsbeschwerdeerwiderung erneut klargestellt hat, um die Prüfung, ob die von ihm repräsentierten [X.]eschäftigten im Verhältnis zu anderen unternehmenszugehörigen Arbeitnehmern benachteiligt werden, weil die Arbeitgeberin ersteren möglicherweise finanzielle Leistungen vorenthält, die sie letzteren ohne sachlich rechtfertigenden [X.]rund gewährt. Das steht in keinem Zusammenhang mit einem Mitbestimmungsrecht zur innerbetrieblichen Lohngestaltung. Dem [X.]etriebsrat ist auch nicht daran gelegen zu überwachen, ob der Arbeitgeber den unternehmenseinheitlichen [X.]leichbehandlungsgrundsatz insgesamt beachtet, sondern herauszufinden, ob Anhaltspunkte für eine solche Rechtsgrundlage für finanzielle Leistungen an Arbeitnehmer gerade seines [X.]etriebs erkennbar sind. Das bloße [X.]rmitteln einer Rechtsgrundlage für mögliche [X.]ntgeltklagen einzelner Arbeitnehmer „ins [X.]laue hinein“ ist nicht Teil der Überwachungsbefugnisse nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 [X.]etrV[X.]. Diese sind auf die Durchführung von [X.] gerichtet.

bb) [X.]in betriebsübergreifendes [X.]insichtsrecht folgt entgegen der Auffassung des [X.]s auch nicht aus der Pflicht eines Arbeitgebers, den [X.]etriebsrat über den betrieblichen [X.]insatz von Fremdpersonal oder freien Mitarbeitern zu informieren. Auch ein solcher Informationsanspruch verlangt, dass ein [X.]eteiligungsrecht nicht offensichtlich ausgeschlossen ist (vgl. [X.]A[X.] 15. Dezember 1998 - 1 A[X.]R 9/98 - zu [X.] II 1 der [X.]ründe, [X.]A[X.][X.] 90, 288).

        

    Schmidt    

        

    Treber    

        

    Heinkel    

        

        

        

    Fasbender    

        

    [X.]    

                 

Meta

1 ABR 27/16

26.09.2017

Bundesarbeitsgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: ABR

vorgehend ArbG Elmshorn, 3. Juni 2015, Az: 1 BV 10 e/15, Beschluss

§ 87 Abs 1 Nr 10 BetrVG, § 80 Abs 1 Nr 1 BetrVG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 26.09.2017, Az. 1 ABR 27/16 (REWIS RS 2017, 4769)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 4769

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7 TaBV 43/17 (Landesarbeitsgericht Hamm)


Referenzen
Wird zitiert von

6 TaBV 1/21

1 TaBV 11/21

12 Sa 453/20

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