Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 29.09.2020, Az. 1 ABR 23/19

1. Senat | REWIS RS 2020, 484

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Betriebsrat - Einblick in Bruttoentgeltlisten - monatliche Einsicht


Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des [X.] vom 23. Mai 2019 - 5 [X.] - wird zurückgewiesen.

Gründe

1

A. Die Beteiligten streiten über eine monatliche [X.]inblicknahme des Betriebsrats in [X.].

2

Der antragstellende, siebenköpfige Betriebsrat ist im Betrieb der Arbeitgeberin an deren Sitz in [X.] errichtet. Auf ein entsprechendes Verlangen nahm er im Januar 2017 [X.]inblick in eine [X.]xcel-Tabelle, in der für jeden Monat des Jahres 2016 für jeden namentlich benannten Arbeitnehmer ein Gesamtbruttoentgelt nebst einer Jahressumme sowie einer Monatsdurchschnittssumme aufgelistet war.

3

Im Juni 2017 forderte der Betriebsrat die Arbeitgeberin auf, ihm erneut [X.]inblick in die aktuellen Bruttolohn- und -gehaltslisten zu gewähren. Auf Nachfrage der Arbeitgeberin, inwieweit dies erforderlich sei, teilte er unter Verweis auf seine Überwachungsaufgabe mit, er wolle im monatlichen Turnus [X.]insicht nehmen.

4

Nachdem die Arbeitgeberin dem nicht nachkam, hat der Betriebsrat ein Beschlussverfahren eingeleitet und in der Antragsschrift einen am 27. Juli 2017 gefassten Beschluss über die Verfahrenseinleitung angeführt. [X.]r hat die Auffassung vertreten, es müsse monatlich [X.]inblick in die [X.] gewährt werden, damit er die [X.]inhaltung einer Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit und die Gewährung von Zuschlägen für Mehrarbeit, Arbeit an Sonn- und Feiertagen sowie Nachtarbeit überwachen könne. Bei der [X.]insichtnahme in die Listen im Januar 2017 hätten sich erhebliche Unterschiede beim Gesamtbruttoentgelt der Arbeitnehmer gezeigt. [X.]s sei nicht auszuschließen, dass die Arbeitgeberin unter Verletzung der Mitbestimmungsrechte nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 und Nr. 11 [X.] Sonderzahlungen leiste.

5

Der Betriebsrat hat zuletzt - soweit für die Rechtsbeschwerde von Bedeutung - beantragt,

        

der/dem Betriebsratsvorsitzenden, dessen bzw. deren Stellvertreter/in oder einem anderen von ihm bestimmten Mitglied monatlich [X.]insicht in die Bruttolohn- und -gehaltslisten der Arbeitnehmer mit Ausnahme der leitenden Angestellten hinsichtlich sämtlicher [X.]ntgeltbestandteile - aufgeschlüsselt nach der monatlichen Grundvergütung, der Leistungszulage und der übertariflichen Zulage sowie [X.]inmalzahlungen, wie bspw. Urlaubs- und Weihnachtsgeld, Prämien, Boni oder Gratifikationen sowie Überstundenzuschläge - zu gewähren.

6

Die Arbeitgeberin, welche dem Betriebsrat während des Verfahrens im Mai und August 2019 [X.]insicht in Bruttolohn- und -gehaltslisten mit der verlangten Aufschlüsselung gewährte, hat beantragt, den Antrag abzuweisen.

7

Das Arbeitsgericht hat dem Antrag stattgegeben. In dem von der Arbeitgeberin angestrengten Beschwerdeverfahren hat das [X.] dem Betriebsrat aufgegeben, den Beschluss vom 27. Juli 2017 betreffend die [X.]inleitung des vorliegenden Beschlussverfahrens zur Gerichtsakte zu reichen. Nachdem der Betriebsrat [X.] seiner Sitzungen mit Beschlussfassung vom 27. Juli 2017 sowie vom 14. März 2019 - dort mit vorsorglich erneuter Beschlussfassung - vorgelegt hatte, hat es den Antrag abgewiesen. Mit seiner Rechtsbeschwerde begehrt der Betriebsrat die Wiederherstellung der erstinstanzlichen [X.]ntscheidung.

8

B. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das [X.] hat den Antrag im [X.]rgebnis zu Recht abgewiesen. Der Betriebsrat kann keinen [X.]inblick in die Bruttolohn- und -gehaltslisten im monatlichen Turnus beanspruchen.

9

I. Der Antrag ist - nach gebotener Auslegung - zulässig.

1. Sein Wortlaut deutet zwar darauf hin, dass der Betriebsrat neben dem monatlichen [X.]inblick in die [X.] eine besondere Aufschlüsselung der Daten dieser Listen - als eigenständiges Rechtsschutzziel - beansprucht. Auch waren vor [X.]inleitung des Verfahrens zwischen den Beteiligten die inhaltlichen (Mindest-)Angaben der [X.], in welche [X.]insicht verlangt wird, durchaus umstritten. Nach der im Mai und August 2019 von der Arbeitgeberin gewährten [X.]inblicknahme bestanden insoweit allerdings keine Differenzen mehr. [X.]ntsprechend hat das [X.] den Antrag dahingehend verstanden, dass es dem Betriebsrat allein noch darum geht, die [X.] jeden Monat einzusehen. Gegen dieses [X.] hat sich der Betriebsrat nicht gewandt. Im Übrigen verlangt er - anders als die Arbeitgeberin meint - einen [X.]inblick nicht kumulativ für alle im Antrag benannten Personen. Die Antragsfassung trägt vielmehr ersichtlich der ständigen Rechtsprechung des [X.] Rechnung, wonach das [X.]inblicksrecht in die Bruttolohn- und -gehaltslisten nach § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 [X.] in kleineren Betrieben - anstelle des dort fehlenden Betriebsausschusses - der die laufenden Geschäfte führende Betriebsratsvorsitzende bzw. dessen Stellvertreter oder ein anderes beauftragtes Betriebsratsmitglied, dem nicht die Führung der laufenden Geschäfte übertragen sein muss, hat (grds. [X.] 23. Februar 1973 - 1 [X.] - zu II der Gründe, [X.][X.] 25, 75).

2. In diesem Verständnis ist der Antrag hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.

3. Der Antrag ist auch im Übrigen zulässig.

a) Zutreffend ist das [X.] davon ausgegangen, dass die [X.]inleitung des arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens durch den Betriebsrat - ebenso wie die Beauftragung des für ihn auftretenden Rechtsanwalts - eines Beschlusses des Betriebsrats bedarf. Ist dies unterblieben oder fehlerhaft erfolgt, ist der für den Betriebsrat gestellte Antrag als unzulässig abzuweisen (ausf. [X.] 6. November 2013 - 7 [X.] - Rn. 50). Allerdings hat das [X.] verkannt, dass der Betriebsrat die Tatsachen, aus denen das Zustandekommen des (ordnungsgemäßen) Beschlusses folgt, nur auf entsprechendes Bestreiten des Arbeitgebers vorzutragen hat (vgl. [X.] 4. November 2015 - 7 [X.] - Rn. 26). Für die Prüfung, ob der Verfahrenseinleitung ein ordnungsgemäßer Beschluss des Betriebsrats zugrunde liegt, besteht kein Anlass, wenn der Betriebsrat - wie vorliegend - eine Beschlussfassung behauptet und der Arbeitgeber dies nicht in Abrede stellt.

b) Weiter ist das [X.] zutreffend davon ausgegangen, dass der Betriebsrat eine bereits erfolgte [X.]inleitung eines Beschlussverfahrens durch nachträgliche - bis zum [X.]rgehen einer Prozessentscheidung mögliche - Beschlussfassung genehmigen kann (vgl. [X.] 6. November 2013 - 7 [X.] - Rn. 50). Seine Wertung, der Betriebsrat habe die Zulässigkeit des Antrags erst nachträglich mit seinem Beschluss vom 14. März 2019 bewirkt, ist hingegen nicht frei von Rechtsfehlern.

aa) Der Beschluss über ein bei Gericht anzustrengendes Beschlussverfahren muss dem dort zur [X.]ntscheidung gestellten Verfahrensgegenstand inhaltlich entsprechen. [X.]r muss jedoch mit einer (beabsichtigten) Antragstellung nicht völlig übereinstimmen oder gar mit dieser wortlautidentisch sein. Vielmehr ist es ausreichend, wenn der Gegenstand, über den in dem Beschlussverfahren eine Klärung herbeigeführt werden soll, und das angestrebte [X.]rgebnis erkennbar sind (vgl. [X.] 29. April 2004 - 1 [X.] - zu [X.] 1 a aa der Gründe, [X.][X.] 110, 252). Auf den Umfang der Streitfrage, zu deren Klärung eine Verfahrenseinleitung inhaltlich beschlossen ist, kann auch unter Berücksichtigung der Umstände der Beschlussfassung geschlossen werden.

bb) Nach diesen Grundsätzen trägt bereits der Beschluss des Betriebsrats vom 27. Juli 2017 die Verfahrenseinleitung mit dem angebrachten Verfahrensgegenstand. Die gegenteilige Wertung des [X.]s vernachlässigt Inhalt und Kontext der hierauf bezogenen Beschlussfassung. Der Betriebsrat hatte nach seiner von der Arbeitgeberin abgelehnten Forderung einer monatlichen [X.]insichtnahme in die [X.] „einstimmig beschlossen, ein Beschlussverfahren zur [X.]insichtnahme einzuleiten“. Näheres musste er nicht befinden. Der gefasste Beschluss erstreckt sich auf jeglichen Verfahrensgegenstand zum [X.]inblick in [X.] und erfasst damit auch die Modalitäten der [X.]insichtnahme.

II. Der Antrag ist unbegründet. Der streitbefangene Anspruch folgt nicht aus § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 [X.].

1. Nach § 80 Abs. 2 Satz 2 [X.] sind dem Betriebsrat auf Verlangen jederzeit die zur Durchführung seiner Aufgaben erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen; in diesem Rahmen ist der Betriebsausschuss oder ein nach § 28 [X.] gebildeter Ausschuss berechtigt, in die Listen über die Bruttolöhne und -gehälter [X.]inblick zu nehmen. Das Recht besteht nur, wenn es zur Durchführung von Aufgaben des Betriebsrats erforderlich ist (vgl. [X.] 7. Mai 2019 - 1 [X.] - Rn. 16, [X.][X.] 166, 309). Beruft sich der Betriebsrat auf eine Überwachungsaufgabe, ist ein solcher Aufgabenbezug in der Regel deshalb gegeben, weil der Betriebsrat nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 [X.] darüber zu wachen hat, dass ua. die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Betriebsvereinbarungen durchgeführt werden; ein besonderes Überwachungsbedürfnis muss er nicht darlegen. Verweist der Betriebsrat auf die Prüfung der Wahrnehmung eines Mitbestimmungsrechts, wofür es der [X.]insicht in die [X.] bedarf, kann auch das ausreichend sein (vgl. [X.] 30. September 2008 - 1 [X.] - Rn. 33 ff., [X.][X.] 128, 92).

2. § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 [X.] verlangt eine auf das konkrete [X.]insichtsverlangen bezogene, spezifische Prüfung der [X.]rforderlichkeit für die vom Betriebsrat geltend gemachten Aufgaben. So besteht etwa kein (mit der Überwachungsaufgabe des § 80 Abs. 1 Nr. 1 [X.] und einem möglichen Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 [X.] begründeter) Anspruch, wenn es einem örtlichen Betriebsrat um den betriebsübergreifenden [X.]inblick in unternehmensweite [X.] geht (vgl. [X.] 26. September 2017 - 1 ABR 27/16 - Rn. 14 ff.) oder sich die bei einer auf die Durchführung der zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Gesetze bezogene Überwachungsaufgabe nicht auf die [X.]inhaltung von Ge- oder Verboten bezieht (vgl. [X.] 27. Oktober 2010 - 7 [X.] - Rn. 32, [X.][X.] 136, 123).

3. Hiervon ausgehend ist nicht ersichtlich, inwieweit die vom Betriebsrat vorgebrachten Aufgaben die verlangte regelmäßige monatliche [X.]insichtnahme bedingen. Das hat das [X.] zutreffend erkannt.

a) Der Betriebsrat hat darauf verwiesen, die [X.]inhaltung einer im Betrieb geltenden Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit, in welcher Zuschläge für Mehrarbeit, Arbeit an Sonn- und Feiertagen sowie für Nachtarbeit geregelt sind, überprüfen zu wollen. Zwar gehört es zu den Aufgaben eines Betriebsrats, die Durchführung einer Betriebsvereinbarung zu überwachen (vgl. [X.] 24. April 2018 - 1 [X.] - Rn. 26). Damit ist aber keine Notwendigkeit einer monatlichen [X.]insichtnahme in die Listen dargetan, zumal der Betriebsrat eine regelmäßig monatlich anfallende Mehr- oder Nachtarbeit nicht einmal behauptet. [X.]ine solche [X.]rforderlichkeit kann auch nicht mittels Verweis der Rechtsbeschwerde auf andere Rechtsquellen, die hinsichtlich bestimmter Daten eine regelmäßige Unterrichtung des Betriebs- oder Personalrats oder des Wirtschaftsausschusses rechtfertigen, oder durch die Argumentation, das Verlangen einer [X.]inblicknahme könne „jederzeit“ angebracht werden, ersetzt werden.

b) Soweit sich der Betriebsrat auf die bei seiner [X.]inblicknahme im Januar 2017 festgestellten erheblichen Differenzen der [X.] - und die daraus abgeleitete Vermutung, die Arbeitgeberin habe unter Verletzung des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 oder Nr. 11 [X.] Sonderzahlungen geleistet - beruft, ist gleichfalls nicht ersichtlich, warum es künftig monatlich wiederkehrender [X.]insichtnahmen bedarf. Nach der gewährten [X.]insichtnahme und auf der Grundlage der Vermutung des Betriebsrats ist die Reklamation eines Mitbestimmungsrechts möglich; es erschließt sich nicht, für welchen (weiteren) [X.]rkenntniswert der turnusmäßig-monatliche [X.]inblick in die [X.] unerlässlich sein soll.

        

    Schmidt    

        

    Ahrendt    

        

    K. Schmidt    

        

        

        

    Hayen    

        

    Dr. [X.]    

                 

Meta

1 ABR 23/19

29.09.2020

Bundesarbeitsgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: ABR

vorgehend ArbG Kiel, 15. Februar 2018, Az: 5 BV 45 c/17, Beschluss

§ 80 Abs 2 S 2 Halbs 2 BetrVG, § 80 Abs 1 Nr 1 BetrVG, § 87 Abs 1 Nr 10 BetrVG, § 253 Abs 2 Nr 2 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 29.09.2020, Az. 1 ABR 23/19 (REWIS RS 2020, 484)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 484

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

1 ABR 32/19 (Bundesarbeitsgericht)

Betriebsrat - dauerhafte Überlassung von Bruttoentgeltlisten


1 ABR 27/16 (Bundesarbeitsgericht)

Einsichtsrecht des örtlichen Betriebsrats in unternehmensweite Bruttoentgeltlisten


1 ABR 54/12 (Bundesarbeitsgericht)

Einsichtsrecht in Bruttoentgeltlisten


1 ABR 53/17 (Bundesarbeitsgericht)

Einblicksrecht des Betriebsrats in Bruttoentgeltlisten


7 TaBV 43/17 (Landesarbeitsgericht Hamm)


Referenzen
Wird zitiert von

2 TaBV 31/23

4 TaBV 9/22

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.