Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.11.2012, Az. 3 StR 439/12

3. Strafsenat | REWIS RS 2012, 989

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Gegenstand

Jugendstrafverfahren: Begründungserfordernis bei Verhängung der gleichen Jugendstrafe nach Zurückverweisung


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 26. April 2012 im Ausspruch über die Jugendstrafe aufgehoben; die zugehörigen Feststellungen bleiben aufrechterhalten.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hatte den Angeklagten am 3. Mai 2011 wegen Beihilfe zur Körperverletzung mit Todesfolge zu der Jugendstrafe von einem Jahr verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Mit Beschluss vom 8. November 2011 (3 [X.]) hatte der Senat diese Verurteilung aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen. Nunmehr hat das [X.] den Angeklagten der Beihilfe zur gefährlichen Köperverletzung schuldig gesprochen und erneut eine Jugendstrafe von einem Jahr ausgesprochen sowie deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

2

[X.] hat keinen Bestand.

3

1. Nach den verbleibenden Feststellungen unterstützte der Angeklagte die früheren Mitangeklagten [X.]und [X.]bei ihrem mit einem geschlossenen Klappmesser und mit [X.] ausgeführten körperlichen Angriff auf das Tatopfer [X.], indem er durch seine Anwesenheit den Eindruck der Übermacht verstärkte und bereit war, im Bedarfsfalle unterstützend einzugreifen. Die einen tödlichen Geschehensablauf in Gang setzenden Messerstiche des früheren Mitangeklagten [X.]gegen die Beine [X.] hat das [X.] dem Angeklagten - anders als im Urteil vom 3. Mai 2011 - nicht mehr zugerechnet. Weiter hat das [X.] im Hinblick auf die persönliche Entwicklung des Angeklagten ergänzend zum vorgenannten Urteil festgestellt, der Angeklagte habe in der [X.] nach der stationären Drogenentwöhnung in [X.] Praktika absolviert und sich dort eine Mietwohnung gesucht. Seit September 2011 werde er in einer freien Werkstatt in [X.] zum Kfz-Mechatroniker ausgebildet und verdiene ca. 500 € monatlich.

4

Gleichwohl hat das [X.] sowohl wegen der Schwere der Schuld als auch wegen fortbestehender schädlicher Neigungen (§ 17 Abs. 2 JGG) wiederum die Verhängung von Jugendstrafe für erforderlich gehalten. Die Tat, zu welcher der Angeklagte Hilfe geleistet habe, steche durch "ganz erhebliche Brutalität" hervor; sein alleiniges Motiv, es könne für ihn dabei Cannabis abfallen, sei "verwerflich" gewesen. Obwohl der Angeklagte nun eine "positivere" Entwicklung genommen habe, sei er nach mehreren Jahren des Drogenkonsums und des "Abhängens" noch nicht hinreichend gefestigt, um annehmen zu können, er habe die "langjährig gepflegten" schädlichen Neigungen bereits abschließend überwunden. Bei der Bemessung der danach für erforderlich gehaltenen Jugendstrafe hat das [X.] ausgeführt, der Angeklagte müsse, um ihm das Tatunrecht zu verdeutlichen und ihn zu künftigem normtreuen Verhalten zu motivieren, einer "erheblichen Strafandrohung" ausgesetzt werden. Danach sei eine Jugendstrafe von einem Jahr sowohl tat- und [X.] als auch erzieherisch erforderlich.

5

2. Wird ein Urteil auf ein Rechtsmittel zugunsten des Angeklagten aufgehoben und trifft der neue Tatrichter Feststellungen, welche die Tat in einem wesentlich milderen Licht erscheinen lassen, hält er aber dennoch eine gleich hohe Strafe für erforderlich, so hat er nach ständiger Rechtsprechung seine Entscheidung eingehend zu begründen; denn die ursprüngliche Bewertung der Tat und die Strafzumessung in der aufgehobenen Entscheidung sind zwar kein Maßstab für die neue Strafzumessung, jedoch hat der Angeklagte einen Anspruch darauf, zu erfahren, warum er für ein wesentlich geringeres Vergehen nun gleich hoch bestraft wird (vgl. [X.], Beschlüsse vom 26. November 2008 - 5 [X.], [X.], 118; vom 11. Juni 2008 - 5 [X.], [X.], 386, 387; vom 10. Oktober 1990 - 2 [X.], [X.] 1991, 19; vom 20. April 1989 - 4 StR 149/89, [X.] 1989, 341; vom 20. August 1982 - 2 StR 296/82, [X.], 507; [X.], Beschluss vom 2. November 2011 - 3 [X.], [X.], 138, 139; [X.], Beschluss vom 28. Juni 2000 - 2 Ss 289/00, NStZ-RR 2001, 16).

6

Im Jugendstrafrecht kann nichts anderes gelten. Unmittelbar einleuchtend ist dies dann, wenn der neue Tatrichter Umstände in der persönlichen Entwicklung des Angeklagten feststellt, welche das notwendige Maß der erzieherischen Einwirkung als gegenüber dem Zeitpunkt der ersten tatrichterlichen Entscheidung nicht unerheblich geringer erscheinen lassen. Eine nachvollziehbare Begründung, weshalb es bei einer Jugendstrafe in der zuvor ausgesprochenen Höhe zu verbleiben hat, ist vom neuen Tatrichter aber auch dann zu fordern, wenn das dem Angeklagten zur Last fallende Tatgeschehen nunmehr in einem deutlich milderen Licht erscheint. Zwar bemisst sich die Höhe der Jugendstrafe nach § 18 Abs. 2 JGG auch dann vorrangig nach erzieherischen Gesichtspunkten, wenn deren Verhängung vollständig oder teilweise auf die Schwere der Schuld gestützt wird ([X.], Beschluss vom 17. Juli 2012 - 3 StR 219/12). Indes wird sich das Maß der erforderlichen erzieherischen Einwirkung regelmäßig nicht ohne Betrachtung des Umfangs des dem Angeklagten zuzurechnenden Tatunrechts ermitteln lassen (vgl. [X.], Beschluss vom 25. Juni 2009 - 5 [X.], [X.], 337).

7

Nach diesen Maßstäben begegnen die Erwägungen des [X.]s zur Bemessung der Jugendstrafe durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Weshalb trotz der festgestellten Fortschritte in der persönlichen Entwicklung des Angeklagten und trotz des Umstands, dass ihm anstelle einer Beihilfe zur Körperverletzung mit Todesfolge lediglich Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung zur Last fällt, nach wie vor eine Jugendstrafe von einem Jahr zur erzieherischen Einwirkung auf den Angeklagten erforderlich ist, hat das [X.] nicht deutlich gemacht.

8

Im Übrigen lässt das angegriffene Urteil schon nicht erkennen, ob sich das [X.], wie nach § 18 Abs. 2 JGG erforderlich, bei der Bemessung der Jugendstrafe vorrangig am Erziehungszweck orientiert hat. Eine - wie hier - eher formelhafte Erwähnung des [X.] reicht im Allgemeinen nicht aus (vgl. [X.], Beschlüsse vom 17. Juli 2012 - 3 StR 219/12; vom 19. November 2009 - 3 [X.], [X.], 281).

9

3. Die zugehörigen Feststellungen werden von den Wertungsfehlern nicht berührt und können aufrechterhalten bleiben. Der neue Tatrichter kann hinsichtlich der persönlichen Verhältnisse des Angeklagten ergänzende Feststellungen treffen, die zu den bisherigen nicht in Widerspruch treten.

Becker                        Pfister                          Schäfer

                Mayer                        Spaniol

Meta

3 StR 439/12

27.11.2012

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Wuppertal, 26. April 2012, Az: 24 KLs 18/12

§ 17 Abs 2 JGG, § 18 Abs 2 JGG, § 354 Abs 2 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.11.2012, Az. 3 StR 439/12 (REWIS RS 2012, 989)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 989

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

3 StR 416/15

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3 StR 92/15

3 StR 92/15

3 StR 439/12

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